OGH 24Ds17/22t

OGH24Ds17/22t13.9.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 13. September 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann sowie die Anwaltsrichter Dr. Niederleitner und Mag. Vas in Gegenwart der Schriftführerin RiAA Mag. Maringer in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwaltsanwärterin in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung der Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland vom 22. Juni 2022, GZ D 22/02‑22, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Kammeranwalts Mag. Philipp, der Disziplinarbeschuldigten und ihres Verteidigers Mag. Astl zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0240DS00017.22T.0913.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

* wird vom Vorwurf, sie habe es im Rahmen einer Fernsehsendung des ORF‑Burgenland am 19. Juli 2021 zugelassen, als „Familienanwältin“ bezeichnet zu werden und dadurch den Eindruck erweckt, sie gehöre zum Stand der Rechtsanwälte, obwohl sie in die Liste der Rechtsanwälte noch nicht eingetragen war, freigesprochen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Rechtsanwaltsanwärterin * der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie es im Rahmen einer Fernsehsendung des ORF‑Burgenland am 19. Juli 2021 zugelassen, als „Familienanwältin“ bezeichnet zu werden und dadurch den Eindruck erweckt, sie gehöre zum Stand der Rechtsanwälte, obwohl sie in die Liste der Rechtsanwälte noch nicht eingetragen war.

[3] Über sie wurde gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 2.000 Euro verhängt, die gemäß § 16 Abs 2 DSt auf die Dauer von zwei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die – auch Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und b sowie 10 und 11 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt relevierende (vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung der Disziplinarbeschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe (§ 49 letzter Satz DSt).

[5] Soweit die Berufung ein Begründungsdefizit (Z 5 vierter Fall) darin ortet, dass der Disziplinarrat von zwei Aufzeichnungsversuchen des ORF‑Interviews mit einer jeweils erfolgten Begrüßung der Beschuldigten als „Familienanwältin“ ausging, spricht sie – wie mit dem gleich gerichteten Vorbringen im Rahmen ihrer Schuldberufung – keinen entscheidenden (dh schuld- und subsumptionsrelevanten) Aspekt an. Für eine Tatbestandsverwirklichung genügt bereits ein einmaliges Fehlverhalten.

[6] Weshalb keine Verpflichtung für eine Rechtsanwaltsanwärterin bestehen sollte, die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ zu respektieren (vgl § 57 Abs 1 RAO) und solcherart auch die Falschbezeichnung der eigenen Person abzuwenden, lässt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht erkennen.

[7] § 8 Abs 4 RAO legt fest, dass die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ nur die in den Listen der Rechtsanwaltskammern eingetragenen Personen führen dürfen. Das allgemeine Verbot gemäß § 57 Abs 1 RAO, die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ unberechtigt zu führen, stellt auch eine selbstverständliche Berufspflicht eines Rechtsanwaltsanwärters dar, welche nicht besonders gesetzlich geregelt oder in den Richtlinien zur Berufsausübung angeführt werden muss (RIS-Justiz RS0114240 [Respektierung der Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ durch einen Rechtsanwaltsanwärter kardinale Berufspflicht der Rechtsanwaltsanwärter]; Vitek in Engelhart/ Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 57 Rz 8).

[8] Neben einer aktiven Mitwirkung macht auch schon die Unterlassung einer entsprechenden Vorsorge, vorliegend gegen die Bezeichnung als „Familienanwältin“, disziplinär verantwortlich (RIS‑Justiz RS0055782). Dass der Beschuldigten nach deren – konstatierten – Wahrnehmungen eine solche Vorsorge nicht möglich gewesen wäre, macht sie nicht geltend.

[9] Die Kritik, es sei nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht worden, inwiefern die Beschuldigte „eine bestimmte Gefahr sorgfaltswidrig nicht abgewendet hätte“, blendet die darauf bezogenen (disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffenen; ES 8 f) Konstatierungen aus, wonach es der Beschuldigten möglich gewesen wäre, den Fehler während der Aufzeichnungen zu korrigieren und sie auch im Nachhinein in der Lage gewesen wäre, eine weitere Ausstrahlung des Beitrags zu verhindern, was sie zumindest fahrlässig unterlassen habe.

[10] Da der Bedeutungsinhalt des Begriffs „Familienanwältin“ (ES 7 f) eine – im Rahmen der Beweiswürdigung zu lösende – Tatfrage ist und als Sachverhaltsgrundlage den Bezugspunkt für die rechtliche Beurteilung bildet (RIS‑Justiz RS0092588), verfehlen die dagegen gerichteten Überlegungen der Rechtsrüge den Bezugspunkt. Vergleichende Betrachtungen zu den Begriffen „Bürgeranwalt“, „Patientenanwalt“ oder „Kinder- und Jugendanwalt“ zeigen weder Begründungsmängel auf noch werden solcherart Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen erweckt; inwiefern die (§ 48 RL‑BA 1977 behandelnde) Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 11. Juni 2002, AZ B 1059/01, insofern relevant sein sollte, erschließt sich ebenfalls nicht.

[11] Der weiteren Beschwerde (Z 9 lit a) zuwider wurde im Erkenntnis durchaus zum Ausdruck gebracht, dass die Disziplinarbeschuldigte ihre Anrede als „Familienanwältin“ wahrgenommen hat, indem ihre darauf bezogene Einlassung, wonach ihr dies nicht aufgefallen sei, ausdrücklich als unglaubwürdig verworfen wurde (ES 9).

[12] Mit Subsumtionsrüge (Z 10) wird reklamiert, dass die Beschuldigte nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis keine fremden Angelegenheiten mit dem Interview besorgt habe, zB als Parteienvertreterin aufgetreten sei, und daher keine Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt vorliegen würde.

[13] § 2 Abs 2 RL‑BA 2015 bestimmt, dass der Rechtsanwalt auch dann in Ausübung seines Berufs tätig wird, wenn er nicht unmittelbar in Besorgung fremder Angelegenheiten tätig ist, jedoch im Rahmen dieser Tätigkeit als Rechtsanwalt auftritt. Gemäß § 58 Abs 1 RL‑BA 2015 gilt dies gleichermaßen auch für Rechtsanwaltsanwärter und Rechtsanwaltsanwärterinnen.

[14] Dabei ist zu prüfen, ob das Standesrecht ungeachtet einer Tätigkeit des Rechtsanwalts in eigener Sache konkrete Handlungs- und Unterlassungspflichten auch für diesen Bereich aufstellt, wobei für die Abgrenzung § 2 RL‑BA 2015 maßgeblich ist (Lehner in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 9 ff; vgl 26 Ds 4/21v; 20 Ds 14/20v; 20 Ds 16/21i).

[15] Der Bestimmung des § 8 RAO und dem allgemeinen Verbot gemäß § 57 Abs 1 RAO als selbstverständliche Berufspflicht eines Rechtsanwaltsanwärters sind weder von ihrem Wortlaut noch von ihrem Zweck her eine Einschränkung dahin zu entnehmen, dass diesem Gebot nur bei Besorgung fremder Angelegenheiten zu entsprechen sei. Es ist auch nicht ersichtlich, warum eine Rechtsanwaltsanwärterin, die fallaktuell – wenn auch zu Unrecht – in einer Fernsehsendung zu einem aktuellen rechtlichen Aspekt als „Familienanwältin“ auftritt, dieser (ihrer) Berufspflicht nur bei der Besorgung fremder Angelegenheiten unterliegen soll.

[16] Das (auf die eigene Einlassung verweisende) Vorbringen in der Schuldberufung im engeren Sinn (§ 464 Z 2 erster Fall StPO) mit den dort reklamierten Feststellungen zur subjektiven Tatseite – dass sich eine Vorstellung als „Familienanwältin“ bei der ersten Aufnahme aus den Verfahrensergebnissen nicht ableiten ließe und, dass die Beschuldigte weder während der (jedenfalls zweiten) Aufzeichnung, stressbedingt, noch beim Ansehen der Ausstrahlung am Abend desselben Tages diese Anrede und das eingeblendete Insert bemerkt bzw wahrgenommen hätte – vermag keine Bedenken an der in freier Beweiswürdigung getroffenen Lösung der Schuldfrage durch den Disziplinarrat und dessen anderslautenden Feststellungen (ES 8 f) zu erwecken.

[17] Der Sache nach berechtigt ist aber der Einwand (Z 10), dass zwar der Fernsehbeitrag landesweit ausgestrahlt wurde, aber keine – für die Annahme einer Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Rechtsanwaltsstandes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) erforderliche – Feststellungsbasis darüber besteht, inwiefern das aktuell zur Last gelegte Fehlverhalten einem größeren Personenkreis erkennbar gewesen wäre (RIS‑Justiz RS0054876; RS0055086). Solcherart haftet der Subsumtion des inkriminierten Geschehens (auch) nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt ein Konstatierungsdefizit an.

[18] Letztendlich kommt der Reklamation des besonderen Strafausschließungsgrundes nach § 3 DSt (Z 9 lit b) Berechtigung zu.

[19] Gemäß § 3 DSt ist ein Disziplinarvergehen vom Disziplinarrat nicht zu verfolgen, wenn das Verschulden geringfügig ist und das inkriminierte Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat.

[20] Da fallaktuell nur das fahrlässige Unterlassen einer Richtigstellung der irrigen (und standesrechtlich bedenklichen) Anrede der Disziplinarbeschuldigten als „Familienanwältin“ in Rede steht, ist der konkrete Unrechtsgehalt des inkriminierten Geschehens im Verhältnis zu Durchschnittsfällen einer derartigen Deliktsverwirklichung (vgl abermals RIS‑Justiz RS0114240 [aktives Verwenden der Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ durch einen Rechtsanwaltsanwärter], aber auch OBDK 6 Bkd 2/93 = AnwBl 1995/263/5000; RIS‑Justiz RS0056664) als gering einzustufen. Der Beschuldigten kommen überdies noch die besonderen, in der Stresssituation des Fernsehauftritts gelegenen Tatumstände mildernd zugute.

[21] Auch die Folgen des zur Last gelegten Verhaltens, die hier allenfalls noch in der notwendigen Nachbearbeitung eines online-Artikels des ORF zum gegenständlichen Fernsehbeitrag zu erblicken sind (ES 5), können als geringfügig betrachtet werden. Vorliegend steht auch die Vorstrafe der Beschuldigten – zumal nicht einschlägig – einem Vorgehen nach § 3 DSt nicht entgegen.

[22] Nach Lage des Falls sind alle Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 3 DSt erfüllt.

[23] Es war daher das angefochtene Erkenntnis aufzuheben und mit Freispruch vorzugehen.

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