OGH 24Ds1/23s

OGH24Ds1/23s13.9.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 13. September 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann und die Anwaltsrichter Dr. Niederleitner und Mag. Vas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Maringer in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 13. Juli 2022, GZ D 6/21‑10, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter‑Longitsch, des Kammeranwalts Dr. Müller, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0240DS00001.23S.0913.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 (erster und zweiter Fall) DSt schuldig erkannt, weil er durch die Errichtung eines Kaufvertrags zwischen der B* Gesellschaft mbH als Verkäuferin und V* M* und * S* als Käufer und die im Anschluss erfolgte „gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs aus diesem Vertrag“ als Vertreter der B* Gesellschaft mbH gegen V* M* und * S* im Verfahren zu AZ 7 Cg 10/20w des Landesgerichts Feldkirch im Jahr 2020 (ES 8 f) eine unzulässige Doppelvertretung begangen und insofern gegen § 9 Abs 1 und § 10 Abs 1 RAO sowie § 10 RL‑BA 2015 verstoßen hat.

[2] Der Disziplinarbeschuldigte wurde hiefür zur Disziplinarstrafe der Geldbuße nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt in Höhe von 1.000 Euro verurteilt, wobei ein Betrag von 500 Euro unter Bestimmung einer einjährigen Probezeit gemäß § 16 Abs 2 (zweiter Satz) DSt bedingt nachgesehen wurde.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen: RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und (implizit: § 49 letzter Satz DSt) Strafe.

[4] Sie ist nicht berechtigt.

[5] Der Berufungswerber behauptet eine unrichtige rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhalts (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) und meint, er habe keine (unzulässige) Doppelvertretung zu verantworten.

[6] Sofern die Berufung auch als solche wegen des Ausspruchs über die Schuld (§ 464 Z 2 erster Fall StPO) zu verstehen ist und entgegen den anderslautenden Konstatierungen des Disziplinarrats (ES 7 und 8) daran festhält, der Disziplinarbeschuldigte hätte „lediglich den Vorvertrag in eine grundbuchsfähige Urkunde übersetzt“, ist ihr zunächst die Einlassung des Disziplinarbeschuldigten in der mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2022 (Protokoll 19. Juli 2022, ON 9, S 2) entgegenzuhalten, in der dieser auf seine schriftliche Stellungnahme vom 22. Juli 2021 gemäß § 27 Abs 2 DSt an die Untersuchungskommissärin verweist und dort ausführt, „die Käuferseite habe ich im Zuge der diversen (langwierigen) Besprechungen nie gesehen, alle Gespräche wurden ausschließlich mit Ing. M* geführt“ (ON 2 des Disziplinarakts).

[7] Auch die am 10. Dezember 2019 geführte E‑Mail‑Korrespondenz (Beilage zur Stellungnahme ON 2, Verhandlungsprotokoll ON 9, S 5) mit der Übermittlung der „finalen Fassung des Kaufvertrages“ zu der „in der vorliegenden Form sowohl die Verkäuferseite als auch die Käuferseite jeweils Zustimmung erteilt haben“ durch den Disziplinarbeschuldigten und der Antwort des Ing. W* M*, dass „der Vertrag nun so passt“, spricht gegen die Verantwortung, dass vorliegend ein Vertrag, über dessen Inhalt sich die Vertragsparteien bereits geeinigt hätten, nur mehr in die richtige Form gebracht (hiezu vgl 16 Bkd 8/04 in AnwBl 2005/248, 7986 = RIS‑Justiz RS0055549 [T1]; 7 Bkd 8/99 in AnwBl 2000/358, 7675 mwN) worden wäre.

[8] Die Berufung zeigt somit keine Umstände auf, die geeignet wären, Zweifel an den Feststellungen des Disziplinarrats zu wecken.

[9] Die Verfassung eines Vertrags für mehrere Vertragsparteien durch einen Rechtsanwalt ist trotz möglicher Interessenkollisionen zwischen den Vertragsteilen grundsätzlich zulässig (vgl Rohregger in Engelhart et al, RAO11 § 10 RAO Rz 21; Engelhart in Engelhart et al, RAO11 § 11 RL‑BA 2015 Rz 3). Wird der Rechtsanwalt von beiden Teilen – ausdrücklich oder stillschweigend – mit der Vertragserrichtung beauftragt, so hat er beide Vertragsteile mit gleicher Sorgfalt und Treue zu behandeln und vor Interessensgefährdung gleichermaßen zu bewahren (RIS‑Justiz RS0054994; Rohregger in Engelhart et al, RAO11 § 10 RAO Rz 22). Zu einer mit Blick auf § 10 Abs 1 RAO und § 10 RL‑BA 2015 relevanten Interessenkollision und somit unzulässigen Doppelvertretung kann es insbesondere dann kommen, wenn der Rechtsanwalt bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Verhandlung und Errichtung des Vertrags die eine Vertragspartei gegen die andere Vertragspartei vertreten soll (vgl Rohregger in Engelhart et al, RAO11 § 10 RAO Rz 22; Engelhart in Engelhart et al, RAO11 § 11 RL‑BA 2015 Rz 3, 5; RIS‑Justiz RS0054994 [T4]). Eine (außergerichtliche oder gerichtliche) Vertretung einer der Vertragsparteien bei derartigen Streitigkeiten ist kraft der ausdrücklichen Regelung des § 11 RL‑BA 2015 nur zulässig, wenn der Rechtsanwalt die Führung der Verhandlungen und die Errichtung des Vertrags nur von einem Klienten übernommen und die andere Partei entweder von einem berufsmäßigen Parteienvertreter vertreten war oder er dieser gegenüber ausdrücklich sein Tätigwerden nur für seinen Klienten erklärt hat (vgl Rohregger in Engelhart et al, RAO11 § 10 RAO Rz 23; Engelhart in Engelhart et al, RAO11 § 11 RL‑BA 2015 Rz 5; RIS‑Justiz RS0101397).

[10] Weshalb hievon ausgehend die Feststellungen des Disziplinarrats zur ausdrücklichen Beauftragung des Disziplinarbeschuldigten mit der Errichtung des Kaufvertrags durch beide Vertragsteile (ES 7, 12), zur Führung der Vertragsverhandlungen auf Käuferseite durch den Vater der Käuferin, dem ehemaligen Geschäftsführer einer Wohnbaugesellschaft (ES 8, 12), zum Fehlen einer ausdrücklichen Erklärung des Disziplinarbeschuldigten, ausschließlich die Interessen der Verkäuferin zu vertreten (ES 8, 12), sowie zur nachfolgenden Vertretung der Verkäuferin in einem Rechtsstreit gegen die Käufer im Zusammenhang mit dem Kauf (ES 8 f) die rechtliche Annahme einer Interessenkollision und somit unzulässigen Doppelvertretung iSd § 10 Abs 1 RAO und § 10 RL‑BA 2015 nicht tragen sollten, erklärt die Berufung nicht (RIS‑Justiz RS0099810).

[11] Das Berufungsvorbringen, der Disziplinarbeschuldigte habe „die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen eingeholt“, diese „nach bestem Wissen und Gewissen […] geprüft“ und sei „zur Erkenntnis gekommen, dass keine Doppelvertretung vorliegt“, ignoriert prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810) die Feststellungen, wonach der Disziplinarbeschuldigte nach Klagseinbringung (im März 2020) auf eine unzulässige Doppelvertretung aufmerksam gemacht wurde und er nach Übermittlung der entsprechenden Bestimmungen durch die Vorarlberger Rechtsanwaltskammer die Verkäuferin im Verfahren AZ 7 Cg 10/20w des Landesgerichts Feldkirch weiter vertreten (ES 9, ES 13) und insofern zumindest fahrlässig eine unzulässige Doppelvertretung begangen hat.

[12] Für ein schuldhaftes Verhalten iSd § 1 Abs 1 DSt genügt Fahrlässigkeit (Lehner in Engelhart et al, RAO11 § 1 DSt Rz 7/1 ff mwN). Dies gilt auch für das Standesdelikt der unzulässigen Doppelvertretung (RIS‑Justiz RS0055534).

[13] Zu den Ausführungen betreffend die Vertretung der Käufer durch Ing. W* M* genügt der Hinweis auf § 8 RAO.

[14] Soweit die Rechtsrüge das Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) anspricht, verkennt sie, dass nicht dieses, sondern die in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) den tatsächlichen Bezugspunkt der rechtlichen Beurteilung bilden (RIS‑Justiz RS0118775 [T3 und T4]).

[15] Wenn der Berufungswerber meint, er habe nur die einen Vorvertrag darstellende Kaufvereinbarung in einen grundbuchsfähigen Kaufvertrag „übersetzt“ und insofern den von den Vertragsparteien bereits vereinbarten Vertragsinhalt in die richtige Form gebracht, übergeht er die Annahmen des Disziplinarrats, wonach der Disziplinarbeschuldigte (zwar den Vertrag basierend auf der Vereinbarung vom 3. Dezember 2018 erstellte [ES 7], jedoch) die Bedingungen des Vertrags mit dem Vater der Käuferin verhandelt, besprochen und auch entsprechende Änderungen durchgeführt hat (ES 8).

[16] Der Bedeutungsgehalt des § 11 zweiter Fall RL‑BA 2015 besteht in der Verpflichtung des Rechtsanwalts, den Anschein zu vermeiden, dass er – auch bei klarer, einseitiger Auftragserteilung – weitergehende Interessen der anderen Vertragspartei über die gesetzlichen Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten hinaus wahrnehmen würde. Es soll vermieden werden, dass die unvertretene Partei in den Vertragsverfasser Vertrauen und Erwartungen setzt, die sie ansonsten unterlassen hätte. Der Gefahr des Verlusts des Vertrauens in die Integrität des Rechtsanwalts und dem Eindruck, Anvertrautes sei dann zum Nachteil der anderen Vertragspartei verwendet worden, soll entgegengewirkt werden (RIS‑Justiz RS0101397 [T2, T4]).

[17] Weshalb es für die Frage einer Interessenkollision iSd § 10 Abs 1 RAO und § 10 RL‑BA 2015 von rechtlicher Relevanz sein soll, ob der – nach Führung der Verhandlungen und Errichtung des Kaufvertrags durch den Disziplinarbeschuldigten im Auftrag beider Vertragsteile – von den Vertragsparteien geführte Rechtsstreit einen unmittelbaren Anspruch aus dem Kaufvertrag oder (bloß) einen mit dem Kauf zusammenhängenden Anspruch betroffen hat, erklärt die Berufung nicht (vgl im Übrigen Engelhart in Engelhart et al, RAO11 § 10 RL‑BA 2015 Rz 14/1 ff).

[18] Bleibt anzumerken (§ 290 Abs 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt), dass es dem Erkenntnis im Hinblick auf den Vorwurf der Übertretung nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt zwar an expliziten Erwägungen (vgl hiezu 20 Ds 11/22f, 24 Ds 5/21a, 24 Ds 2/20h, 20 Ds 4/19x, 24 Ds 1/18h) mangelt, warum das Fehlverhalten – auf den vorliegenden Einzelfall Bedacht nehmend – auch entsprechende Publizitätswirkung entfaltet hat, doch ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass der Disziplinarrat von der Kenntniserlangung jedenfalls der Käufer V* M* und * S* sowie deren Vertreters Ing. W* M* ausgegangen ist.

[19] Die Kenntnis schon dieser Personen vom als schwerwiegend anzusehenden Verstoß gegen das Doppelvertretungsverbot hat die Gefahr einer Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes mit sich gebracht (Lehner in Engelhart et al, RAO11 § 1 DSt Rz 13).

[20] Der Berufung wegen Schuld war daher – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – der Erfolg zu versagen.

[21] Auch der nicht ausgeführten und somit gemäß § 49 letzter Satz DSt impliziten Berufung wegen Strafe kommt keine Berechtigung zu.

[22] Gerade beim Tatbestand der Doppelvertretung wird das Vertrauen der rechtssuchenden Bevölkerung in die Tätigkeit des Anwaltsstandes erschüttert, zumindest aber erheblich beeinträchtigt, sodass hier ein strenger Maßstab angelegt werden muss (RIS‑Justiz RS0054993).

[23] Vorliegend war neben den vom Disziplinarrat zutreffend angeführten Strafbemessungsgründen noch die zweifache Qualifikation der Tat (22 Ds 17/22b, 26 Ds 10/21a) als erschwerend zu werten.

[24] Hievon ausgehend erwies sich die bei einem Strafrahmen von bis zu 45.000 Euro (§ 16 Abs 1 Z 2 DSt) im untersten Bereich des Strafrahmens angesiedelte und zudem teilbedingt nachgesehene Geldbuße einer Milderung nicht zugänglich.

[25] Gemäß § 54 Abs 5 DSt war auszusprechen, dass dem Disziplinarbeschuldigten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last fallen.

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