OGH 24Ds2/20h

OGH24Ds2/20h18.6.2020

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 18. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Bartl und Dr. Kreissl sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Walter in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 10. April 2019, AZ D 12/17, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, sowie des Kammeranwalts Dr. Lindner, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0240DS00002.20H.0618.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

*****, wird von dem wieder ihn erhobenen Vorwurf, er habe dadurch gegen § 9 RAO verstoßen, dass er am 6. Februar 2017 in G***** eine Sachverhaltsdarstellung an die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer verfasste, in der er Rechtsanwalt Dr. W***** als Verletzung von Standespflichten zum Vorwurf machte, dieser hätte vor der Klagseinbringung zu AZ ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz weder ihn noch die zuständige Standesvertretung informiert, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt *****, der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

Danach hat er durch die Verfassung der an die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer gerichteten Sachverhaltsdarstellung vom 6. Februar 2017, in welcher er Rechtsanwalt Dr. W***** als Verletzung von Standespflichten zum Vorwurf machte, dieser hätte vor der Klagseinbringung zu AZ ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz weder ihn persönlich noch die zuständige Standesvertretung informiert, gegen § 9 RAO verstoßen.

Von der Verhängung einer Geldbuße sah der Diziplinarrat gemäß § 39 DSt ab.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen s RIS-Justiz RS0128656 [T1]) und über die Strafe (vgl insofern aber: Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 39 DSt Rz 5; Schroll in WK2 JGG § 12 Rz 13).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zeigt zutreffend auf, dass die Feststellungen den ergangenen Schuldspruch nicht tragen:

Diesen zufolge hatte der Beschuldigte als zuständiger Rechtsanwalt der ***** GmbH Erich Wi***** anwaltlich vertreten. In der Folge machte letzterer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. W*****, aus dem zuvor genannten Vertretungsverhältnis abgeleitete Schadenersatzansprüche geltend (ES 4). Dr. W***** forderte zu diesem Zweck die ***** GmbH – zu Handen des Beschuldigten als deren Geschäftsführer (ES 4) – zunächst mit Schreiben vom 19. Dezember 2016 unter Klagsandrohung zur Schadenersatzleistung auf und verständigte am selben Tag die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer von der Übernahme dieses Mandats gegen den Beschuldigten. Dass dem Beschuldigten das Schreiben Dris. W***** tatsächlich zugekommen ist, konnte jedoch nicht festgestellt werden. Die Mitteilung an die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer wurde von dieser der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer weitergeleitet (ES 5).

Am 17. Jänner [richtig:] 2017 brachte Dr. W***** für Wi***** beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz zu AZ ***** eine auf Zahlung von 24.260 Euro gerichtete Klage gegen die ***** GmbH ein (ES 4).

Hierauf übermittelte der Beschuldigte am 6. Februar 2017 eine Sachverhaltsdarstellung an die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer, in der er behauptete, Rechtsanwalt Dr. W***** habe gegen ihn Klage eingebracht, „ohne ihn vorher mit dem Schaden zu konfrontieren und – wahrscheinlich – auch ohne die Rechtsanwaltskammer davon in Kenntnis zu setzen“ (ES 2 und 5). Ob eine derartige Mitteilung Dris. W***** an die Rechtsanwaltskammer erfolgt war, hatte der Beschuldigte nicht überprüft (ES 6).

Weiters konstatierte der Disziplinarrat, dass „die Sachverhaltsdarstellung keine Wirkung außerhalb des Standes entfaltet hat“ (ES 6).

Eine Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt hat zur Voraussetzung, dass der Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufs, nicht aber in eigener Sache – in welcher eine Verletzung von Berufspflichten grundsätzlich nicht in Betracht kommt – gehandelt hat (RIS‑Justiz RS0054900, RS0118449, RS0054951, RS0054936 [T2]; vgl auch RS0123546 [T2, T3]; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 9).

Nach den Feststellungen handelte der Beschuldigte bei seinem Ersuchen um disziplinarrechtliche Überprüfung der gegenständlichen Klagsführung gegen die ***** GmbH nicht im Auftrag eines Mandanten, demnach nicht in Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt und Parteienvertreter, sondern in eigener Sache.

Auch die Beurteilung des in Rede stehenden Verhaltens als Verletzung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt ist verfehlt:

Es entspricht gefestigter Standesauffassung, dass sich ein Rechtsanwalt vor Erstattung einer Disziplinaranzeige gegen einen Berufskollegen über die dieser zugrundeliegenden Umstände genau zu informieren hat (RIS‑Justiz RS0056079; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 66). Ein der Standesauffassung zuwiderlaufendes Verhalten eines Rechtsanwalts kann aber nur dann geeignet sein, Ehre oder Ansehen des Standes iSd § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt zu beeinträchtigen, wenn die Handlungsweise einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangt. Funktionäre der Rechtsanwaltskammer scheiden dabei grundsätzlich aus dem zur Deliktsverwirklichung erforderlichen Personenkreis aus (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 14). Je schwerwiegender ein Fehlverhalten ist, desto geringer sind die Anforderungen an die Größe des berührten Personenkreises, weshalb in besonders gravierenden Fällen bereits mit einer auf wenige Personen beschränkten Kenntnis die Gefahr der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes verbunden ist (RIS-Justiz RS0054927; RS0054876; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 12 ff).

Nach den Feststellungen ist das Schreiben des Beschuldigten – über die bei der Oberösterreichischen und der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer zur Überprüfung der jeweiligen disziplinärer Vorwürfe befassten Personen hinaus – nur dem angezeigten Berufskollegen Dr. W***** bekannt geworden (vgl ES 2 ff) und hat „keine Wirkung außerhalb des Standes entfaltet“ (US 6). Eine für eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes erforderliche Publizität – auch mit Blick auf die nicht überdurchschnittliche Schwere des Fehlverhaltens – ist daher nicht gegeben (vgl 23 Ds 1/18a).

Demnach ist der festgestellte Sachverhalt weder nach dem ersten noch nach dem zweiten Fall des § 1 Abs 1 DSt strafbar, weshalb das angefochtene Erkenntnis aufzuheben und mit Freispruch vorzugehen war.

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