OGH 24Ds5/21a

OGH24Ds5/21a6.7.2022

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 6. Juli 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als weitere Richterin sowie die Rechtsanwälte Dr. Fetz und Dr. Jilek als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fischer in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 9. November 2021, AZ D 19/19 (3 DV 27/19), nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, des Kammeranwalts Dr. Orgler, des Beschuldigten und dessen Verteidigers Dr. Alexander Scala zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0240DS00005.21A.0706.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

* wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe in G* dadurch, dass er in der von ihm verfassten Mitteilung an den Ausschuss der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 29. November 2018 die Formulierung „Ausgehend vom mir bekannten Sachverhalt besteht der Verdacht, dass das Fremdgeld in Höhe von Euro 40.000,‑‑ nicht mehr auf dem Kanzleianderkonto von * erliegt, zumal kein Rechtsgrund besteht oder ersichtlich ist, der gegen eine Auszahlung spricht“, verwendete, Rechtsanwalt * gemäß § 21 RL‑BA 2015 unnötig in den Streit gezogen, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat er „durch Verfassung der Mitteilung vom 29. November 2018 an den Ausschuss der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer in * durch die Formulierung 'Ausgehend vom mir bekannten Sachverhalt besteht der Verdacht, dass das Fremdgeld in Höhe von Euro 40.000,‑‑ nicht mehr auf dem Kanzleianderkonto von * erliegt, zumal kein Rechtsgrund besteht oder ersichtlich ist, der gegen eine Auszahlung spricht',RA * gemäß § 21 RL‑BA 2015 unnötig in den Streit gezogen“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigtenwegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen s RIS-Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe.

[4] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zeigt im Ergebnis zutreffend auf, dass die Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses weder die rechtliche Annahme einer Verletzung der Berufspflichten noch die einer Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu tragen vermögen.

[5] Der Disziplinarrat ging im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

[6] Am 22. Oktober 2018 wurde * von * H* mit der Durchsetzung seiner Ansprüche aus einem Verkehrsunfall beauftragt und darüber informiert, dass die gegnerische Versicherung in dieser Angelegenheit bereits am 8. Juni 2018 einen Betrag in Höhe von 40.000 Euro als Akontozahlung auf das Kanzleikonto des früheren Rechtsvertreters des Mandanten, Rechtsanwalt *, zur Anweisung gebracht hatte, welchen dieser bis dato nicht an * H* weitergeleitet hätte.

[7] In Ausübung des Mandats nahm der Disziplinarbeschuldigte schriftlich Kontakt mit Rechtsanwalt * auf, ersuchte zunächst um Aufklärung des Sachverhalts und forderte in weiterer Folge die Überweisung des akontierten Betrags samt Zinsen und Kosten an ihn. * bestätigte zwar den Erhalt und die fortdauernde „sichere“ Verwahrung des Geldes, verweigerte aber die Auszahlung unter Berufung auf eine mit H*getroffene – von diesem allerdings bestrittene – Vereinbarung, wonach über den Betrag nur „über ausdrückliche schriftliche Anweisung“ verfügt werden dürfe, und ersuchte „aufgrund der Handlungsweise des Herrn H*“ um Vorlage einer schriftlichen Vollmacht.

[8] Im Anschluss an diese Korrespondenz fand am 22. November 2018 eine Besprechung zwischen dem Beschuldigten und * statt, deren genauen Inhalt der Disziplinarrat nicht festzustellen vermochte (ES 4). Jedenfalls kam es zu keiner Einigung hinsichtlich der Auszahlung. Der Beschuldigte äußerte weder Zweifel am Vorhandensein des Geldbetrags noch hinterfragte er Details dessen Verwahrung und verlangte auch keinen Kontoauszug zum Nachweis dessen Verfügbarkeit (ES 7 f).

[9] Am 29. November 2018 brachte der Beschuldigte eine Sachverhaltsdarstellung bei der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer ein, in welcher er den Geschehensablauf – unter Anschluss der Korrespondenz zwischen den Rechtsanwälten – im Wesentlichen gleichlautend schilderte, zusätzlich darauf verwies, dass sein Mandant von * nicht über die Akontozahlung der Versicherung informiert worden sei und sohin auch keine diesbezüglichen Aufträge erteilt habe, und abschließend den inkriminierten Verdacht in der oben dargestellten Form äußerte (ES 2 f iVm ES 7 f).

[10] Die Überweisung des Fremdgeldes auf das Kanzleikonto des Beschuldigten erfolgte erst am 17. Dezember 2018, nachdem eine aufgrund der Anzeige vom Ausschuss der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer am 13. Dezember 2018 durchgeführte Kanzleieinschau bei * dessen ordnungsgemäße Verbuchung ergeben und * einen entsprechenden schriftlichen Auftrag des Mandanten unter Anschluss der Kopie dessen Lichtbildausweises übermittelt hatte (ES 4).

[11] Der Disziplinarrat ging davon aus, dass der Beschuldigte im beschriebenen Verhalten des Angezeigten Indizien für die Annahme des Fehlens ausreichender finanzieller Mittel zur Durchführung der Auszahlung erblickte, erachtete diese allerdings für nicht ausreichend, um „eine Disziplinaranzeige gegen Rechtsanwalt * zu rechtfertigen“. In rechtlicher Hinsicht beurteilte er die Anzeige mit der Begründung als „leichtfertig erstattet“, dass es dem Beschuldigten „ohne weiteres zumutbar gewesen [wäre], einen Kontoauszug zu fordern, aus dem der Erlag des Treuhandbetrages ersichtlich ist“, und er den Angezeigten stattdessen „zu diesem Thema überhaupt nicht im Detail befragt“ habe (ES 8 ff).

[12] Nach ständiger Standesauffassung hat sich ein Rechtsanwalt vor Erstattung einer Disziplinaranzeige gegen einen Berufskollegen über die dieser zugrundeliegenden Umstände genau zu informieren (RIS‑Justiz RS0056079; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 66). Das bedeutet, dass eine solche Anzeige bei Erhebung von Vorwürfen ohne ausreichende Prüfung des Sachverhalts zumindest anhand der verfügbaren oder zumutbar beschaffbaren Beweismittel und ohne ausreichende Prüfung der Plausibilität der Information des Klienten standeswidrig ist. Im Einzelfall kann dabei auch eine Anfrage beim Verdächtigen vor Erstattung der Anzeige zweckmäßig sein. Bloße Vermutungen reichen nicht aus, um schwerwiegende Vorwürfe gegen Rechtsanwälte zu erheben. Das in § 21 Abs 1 RL‑BA 2015 normierte Verbot, Rechtsanwälte unnötig in den Streit zu ziehen und persönlich anzugreifen, hindert allerdings nicht, gegebenenfalls sachlich gebotene Maßnahmen, worunter auch Disziplinar- oder Strafanzeigen zu verstehen sein können, gegen Kollegen zu ergreifen, wenn dies erforderlich ist (§ 9 RAO; zum Ganzen: Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 21 RL‑BA 2015 Rz 5, 7 mwN).

[13] Nach den getroffenen Feststellungen hat der Disziplinarbeschuldigte die Information seines Mandanten keineswegs unkritisch übernommen, sondern dessen Behauptungen einer sorgfältigen Überprüfung durch mehrfache schriftliche Kontaktaufnahme und eine persönliche Besprechung mit dem Angezeigten unterzogen, wobei Letzterer die Informationen zumindest in Bezug auf Eingang und bisheriges Unterbleiben einer Auszahlung des Fremdgeldes an den Berechtigten * H* bestätigte. Dass * die – nach §§ 13, 14 und 43 Abs 2 RL‑BA 2015 grundsätzlich gebotene (vgl auch § 19 Abs 3 RAO; RIS‑Justiz RS0056451) – unverzügliche Weiterleitung der bei ihm eingegangenen Barschaft nicht nur während aufrechten Vollmachtsverhältnisses monatelang unterließ, sondern trotz dessen Beendigung weiterhin verweigerte, obwohl er von einem Berufskollegen unter Berufung auf die diesem erteilte Vollmacht und einen entsprechenden aktuellen Auftrag des Mandanten mehrfach dazu aufgefordert und auch darüber informiert worden war, dass eine von ihm behauptete frühere (gegenteilige) Vereinbarung mit * H* von diesem bestritten werde, stellt auch in objektiver Hinsicht ein konkretes Sachverhaltssubstrat für die Annahme standeswidrigen Agierens des Angezeigten dar (vgl dazu auch 24 Ds 3/19d sowie § 19a RAO, wonach selbst ein – hier gar nicht behauptetes – Pfandrecht nur dem Rechtsanwalt zukommt, der „die Partei zuletzt vertreten hat“).

[14] Der vom Beschuldigten aus diesem Gesamtverhalten gezogene Schluss auf eine Fremdgeldmalversation ist zwar nicht zwingend, aber zumindest vertretbar und geht jedenfalls über eine bloße Vermutung weit hinaus. Zudem hat * dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer den gesamten wesentlichen Sachverhalt unter Anschluss der Korrespondenz zwischen den Anwälten mitgeteilt und dabei die Gründe für seinen Verdacht offengelegt, womit er insgesamt den oben dargestellten Anforderungen entsprochen hat.

[15] Ihm zusätzlich die Überprüfung der Informationen seines Mandanten anhand eines vom Angezeigten einzufordernden Kontoauszugs zum Nachweis ausreichender finanzieller Mittel abzuverlangen, würde eine Überspannung der einem Anzeiger zumutbaren Sorgfaltspflichten bedeuten. Eine Notwendigkeit, sich vor Anzeigeerstattung sichere Gewissheit über die Richtigkeit der darin vorgebrachten Verdachtsannahmen zu verschaffen oder eine Art Beweisverfahren vorwegzunehmen, ergibt sich im Übrigen auch nicht aus der Standesauffassung.

[16] Schließlich war eine explizite Befragung des *, ob das Unterbleiben der Herausgabe des ihm anvertrauten Fremdgeldes auf fehlende Mittel zurückzuführen sei, schon deshalb nicht erforderlich, weil der Genannte nach den Konstatierungen des Disziplinarrats bereits zuvor mehrfach beteuert hatte, dass das Geld nach wie vor „sicher verwahrt“ sei, sodass aus einem entsprechenden konkreten Vorhalt eine Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage nicht zu erwarten war.

[17] Die Anzeige stellt daher keinen grundlosen Angriff auf einen Berufskollegen oder dessen unnötiges in Streit ziehen ohne sachliche Grundlage dar, womit das dem Beschuldigten angelastete Verhalten weder den ersten noch den zweiten Fall des § 1 Abs 1 DSt erfüllt, das angefochtene Erkenntnis in Stattgebung der Berufung aufzuheben und mit Freispruch vorzugehen war.

[18] Das weitere Vorbringen der Berufung wegen Schuld und Strafe konnte demgemäß auf sich beruhen.

[19] Bleibt bloß der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die rechtliche Beurteilung des dem Diszplinarbeschuldigten angelasteten Verhaltens als Disziplinarvergehen nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt auch aus den von der Berufung weiters aufgezeigten Gründen verfehlt war. Eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes setzt nämlich voraus, dass das Fehlverhalten eine gewisse Publizitätswirkung entfaltet hat. Die Kenntnis eines disziplinären Sachverhalts (bloß) durch die Funktionäre einer Rechtsanwaltskammer scheidet dabei von vornherein zur Deliktsverwirklichung aus (Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 12, 14).

[20] Hinweise darauf, dass die Tat darüber hinaus von einem größeren Personenkreis zur Kenntnis genommen wurde oder das Fehlverhalten so schwerwiegend gewesen wäre, dass selbst mit auf wenige Personen beschränkter Kenntnis die Gefahr der Beeinträchtigung des Ansehens verbunden war (RIS‑Justiz RS0054927, RS0054876), enthält das Erkenntnis nicht.

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