OGH 26Ds10/21a

OGH26Ds10/21a6.12.2022

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 6. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann und die Anwaltsrichter Dr. Broesigke und Mag. Stolz in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Seidenschwann in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 11. März 2021, AZ D 28/18 und 29/18, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Kammeranwalts Dr. Meyenburg und der Verteidigerin Mag. Locher zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0260DS00010.21A.1206.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Berufung wegen Strafe Folge gegeben und über den Beschuldigten eine Zusatzstrafe von 1.700 Euro verhängt.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *, Rechtsanwalt in *, der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt. Demnach hat er als Vertreter der * entgegen der gebotenen Sorgfalt RA * durch Erhebung des Vorwurfs der Falschaussage im Verfahren AZ * des * mittels Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien vom 6. Juli 2017 der strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt, sohin die Rechte seiner Partei nicht mit Gewissenhaftigkeit vertreten und dadurch schuldhaft die Pflichten seines Berufs verletzt, wobei dieses Verfahren einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangt ist, somit innerhalb seines Berufs durch sein Verhalten die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigt.

[2] Hierfür wurde der Beschuldigte gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße von 2.000 Euro verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen Nichtigkeit und Strafe. Sachverhaltsbedenken werden nicht geltend gemacht.

[4] Die Berufung ist nur in Bezug auf den Strafausspruch des Disziplinarrats berechtigt.

[5] Die Bezugnahme auf § 281 Abs 1 Z 5a StPO geht ins Leere, weil im anwaltlichen Disziplinarverfahren eine Tatsachenrüge – wie in allen Verfahrensarten, in denen eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld vorgesehen ist – nicht zur Verfügung steht (RIS‑Justiz RS0132515 [T1]).

[6] Der Rechtsrüge (Z 9 lit a) ist zu erwidern, dass die Erstattung einer Strafanzeige erst nach gewissenhafter Prüfung der Sach- und Rechtslage, auch unter Einbeziehung der Aspekte der subjektiven Tatseite, erfolgen darf (RIS‑Justiz RS0106277, RS0056112) – unabhängig davon, ob die Anzeige letztlich berechtigt war oder nicht (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 66; zur Disziplinaranzeige RIS‑Justiz RS0056079). Weshalb der ohne weitere Nachforschungen in der Sachverhaltsdarstellung vom 6. Juli 2017 erhobene Vorwurf, * habe in der Tagsatzung vom 6. März 2017 wissentlich eine falsche Beweisaussage vor Gericht abgelegt (ES 6), dennoch nicht disziplinär sein soll, legt der Rechtsmittelwerber nicht dar.

[7] Die weitere Rüge (Z 9 lit b) verkennt, dass der von einem Rechtsanwalt gegen einen Berufskollegen vorschnell erhobene Vorwurf strafbaren Verhaltens nicht mit dem Hinweis auf das allgemeine Anzeigerecht gemäß § 80 Abs 1 StPO zu rechtfertigen ist (vgl RIS‑Justiz RS0056073 [T4]).

[8] Im Ergebnis zutreffend kritisiert jedoch die Berufung, dass der Disziplinarrat die Strafe verfehlt nicht als Zusatzstrafe gemäß § 31 StGB ausgesprochen hat.

[9] Die sinngemäße Anwendung der §§ 31, 40 StGB (RIS‑Justiz RS0054840) setzt voraus, dass die Aburteilung aller nunmehrigen Taten (schon in erster Instanz) bereits in demjenigen Verfahren möglich gewesen wäre, auf das im (Vor‑)Erkenntnis Bedacht genommen wurde (RIS‑Justiz RS0075198, RS0112524).

[10] Vorliegend nahm das durch Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 9. März 2021, 20 Ds 11/20b, in Rechtskraft erwachsene (Vor‑)Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 29. Juni 2020, AZ D 3/20, 12 DV 2/20, auf Erkenntnisse sowohl des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 13. Oktober 2017, AZ D 131/14, DV 12/15, als auch des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwalts-kammer vom 23. September 2019, AZ 37/18, 12 DV 12/19, Bedacht. Da die hier in Rede stehende Tat bereits am 6. Juli 2017, sohin noch vor dem ersten Vor‑Erkenntnis erster Instanz verübt wurde, liegen die Voraussetzungen der Bedachtnahme nach § 31 StGB vor.

[11] Bei der demnach erforderlichen Neubemessung der Strafe waren das Zusammentreffen mehrerer Disziplinarvergehen und die doppelte Qualifikation als erschwerend zu werten, als mildernd hingegen der bisher untadelige Wandel, das längere Zurückliegen der Taten und die längere Verfahrensdauer, sodass eine angemessene zusätzliche Geldbuße von 1.700 Euro auszusprechen war.

[12] Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

Oberster Gerichtshofals Disziplinargericht für Rechtsanwälteund RechtsanwaltsanwärterWien, am 6. Dezember 2022Dr. K i r c h b a c h e rFür die Richtigkeit der Ausfertigungdie Leiterin der Geschäftsabteilung:

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