Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Text
Begründung
Die Ehe der Eltern wurde im Einvernehmen geschieden. Nach dem pflegschaftsgerichtlich genehmigten Scheidungsvergleich blieb die (gemeinsame) Obsorge beider Elternteile für die ehelichen Kinder ‑ den derzeit elfjährigen Minderjährigen und seinen neunjährigen Bruder ‑ aufrecht, wobei der hauptsächliche Aufenthaltsort beider Kinder beim Vater sein soll. Tatsächlich befindet sich der Minderjährige (zumindest seit Mai 2011) in Betreuung der Mutter, während sein Bruder weiterhin im Haushalt des Vaters betreut wird.
Mit Vereinbarung vor dem Jugendwohlfahrtsträger vom 26. 5. 2011 verpflichtete sich der Vater zu einer Unterhaltszahlung für den Minderjährigen von monatlich 524 EUR ab 1. 4. 2011, wobei eine monatliche Bemessungsgrundlage von 3.105,68 EUR sowie die weitere Sorgepflicht für den anderen Sohn zu Grunde gelegt wurden. Die Mutter verpflichtete sich mit Vereinbarung vor dem Jugendwohlfahrtsträger vom 29. 9. 2011 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung an den im Haushalt des Vaters betreuten Sohn.
Nach einer im September 2011 geschlossenen Vereinbarung stimmte der Arbeitgeber des Vaters gemäß § 11 AVRAG „der Beantragung“ einer Bildungskarenz durch den Vater für den Zeitraum 1. 10. 2011 bis 30. 9. 2012 zu. Während dieser Bildungskarenz bezieht der Vater vom AMS ein Weiterbildungsgeld von monatlich 1.424,10 EUR und erhält daneben aus einer geringfügigen Tätigkeit ein monatliches Einkommen inklusive anteiliger Sonderzahlungen von 420 EUR. Das monatliche Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters seit 1. 10. 2011 beträgt somit 1.844 EUR. Während der Bildungskarenz absolviert der Vater eine Ausbildung in der Fremdsprache Englisch. Die Bildungskarenz ist aus therapeutischer und psychiatrischer Sicht „indiziert“. Bedenken, dass der Vater aufgrund seiner Gesundheit seiner bisherigen Beschäftigung nicht mehr nachgehen könnte, bestünden ‑ so die weiteren erstgerichtlichen Feststellungen ‑ nicht.
Der Vater beantragte, seine Unterhaltsverpflichtung für den Minderjährigen ab 1. 10. 2011 auf monatlich 350 EUR herabzusetzen. Er befinde sich seit 1. 10. 2011 in Bildungskarenz, beziehe vom AMS ein Weiterbildungsgeld von monatlich 1.424,10 EUR und verfüge zusammen mit einem Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung von monatlich 420 EUR über Einkünfte von insgesamt 1.844,10 EUR monatlich. Die Inanspruchnahme der einjährigen Bildungskarenz begründete er einerseits mit einer „Neuorientierung im beruflichen Umfeld“. Er wolle seine derzeitige berufliche Position durch eine Ausbildung, insbesondere eine Verbesserung seiner Englischkenntnisse, absichern, eine etwaige berufliche Veränderung prüfen und eine Selbständigmachung vorbereiten. Andererseits wolle er mehr Zeit zur intensiveren Betreuung des in seinem Haushalt lebenden jüngeren Sohns aufbringen. Schließlich diene die „Auszeit“ der Burn‑out‑Prävention; sie sei aus therapeutischer und psychiatrischer Sicht indiziert.
Die Mutter trat namens des Minderjährigen dem Herabsetzungsantrag entgegen und brachte im Wesentlichen vor, dass die Umstände, die der Vater für die Verminderung seines Einkommens vorbringe, von ihm selbst ohne Not und ohne gerechtfertigte Gründe verursacht worden seien.
Das Erstgericht wies den Unterhaltsherabsetzungsantrag ab. Rechtlich führte es im Wesentlichen aus, „aus dem vorgelegten ärztlichen Befundbericht“ des Vaters würden keine gesundheitlichen Einschränkungen bzw keine Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit hervorgehen. Zwingende Umstände, die den Unterhaltspflichtigen an der Erzielung des bisherigen Einkommens hinderten, lägen nicht vor. Der Vater habe nicht vorgebracht, dass er nach Beendigung der Bildungskarenz mit besseren Erwerbschancen am Arbeitsmarkt zu rechnen hätte. Auch sei er grundsätzlich zur Gleichbehandlung mehrerer Kinder verpflichtet. Die mit einer Bildungskarenz verbundene Einkommensminderung dürfe nicht zu Lasten eines geldunterhaltsberechtigten Kindes gehen. Ein pflichtbewusster Familienvater würde nach den konkreten Verhältnissen eine solche Bildungskarenz nicht beanspruchen. Der Vater sei daher auf das zuletzt bezogene Einkommen anzuspannen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge und änderte den erstinstanzlichen Beschluss dahin ab, dass es die bisher mit Unterhaltsvereinbarung vor dem Jugendwohlfahrtsträger vom 26. 5. 2011 mit 524 EUR monatlich festgesetzte Unterhaltspflicht des Vaters für den Minderjährigen ab dem 1. 10. 2011 „bis auf weiteres“ auf 350 EUR monatlich herabsetzte. Rechtlich führte es unter Bezugnahme auf § 11 AVRAG und § 26 Abs 1 Z 1 AlVG aus, dass die Bildungskarenz nach der Wertung des Gesetzgebers grundsätzlich eine positive und förderungswürdige Maßnahme zur Beschäftigungsförderung sei, die auch durch Gewährung von Weiterbildungsgeld gefördert werde. Der Vater habe Weiterbildungsmaßnahmen in dem in § 26 Abs 1 Z 1 AlVG beschriebenen Umfang nachgewiesen. Im Allgemeinen sei davon auszugehen, dass die Inanspruchnahme einer vom Gesetzgeber als positiv bewerteten und vom AMS geförderten Bildungskarenz grundsätzlich kein rechtswidriges Verhalten ‑ und daher keine unterhaltsrechtliche Obliegenheitsverletzung ‑ darstelle und demnach ein geldunterhaltsberechtigtes Kind grundsätzlich eine vorübergehende Unterhaltsreduktion hinnehmen müsse. Als unvereinbar mit dem Maßstab eines pflichtgetreuen rechtschaffenen Familienvaters erscheine die Inanspruchnahme einer Bildungskarenz nur dann, wenn der Unterhaltspflichtige sein Kind einer existenziellen Notlage aussetze oder besondere Umstände des Einzelfalls dafür sprächen, dass der Antritt der Bildungskarenz schuldhaft rechtsmissbräuchlich erfolgt sei (zB weil das Ziel einer Verbesserung oder zumindest Absicherung der Erwerbsmöglichkeit von vornherein unrealistisch wäre). Hier lägen aber keine Anhaltspunkte vor, dass die Entscheidung des Vaters zum Antritt einer Bildungskarenz rechtsmissbräuchlich erfolgt wäre. Auch von einer Gefährdung der existenziellen Bedürfnisse bzw einer materiellen Notlage des Minderjährigen könne nicht gesprochen werden. Der Vater erziele ein Einkommen im oberen Durchschnittsbereich von monatlich 1.844,10 EUR. Ausgehend von dieser Bemessungsgrundlage sei nach der „Prozentkomponente“ von 19 % (altersbedingt 20 % abzüglich 1 % unter Berücksichtigung der weiteren Sorgepflicht für den zweiten minderjährigen Sohn) die beantragte Unterhaltsherabsetzung auf 350 EUR monatlich angemessen. Dieser Unterhaltsbetrag entspreche auch dem derzeitigen Regelbedarf eines Kindes im Alter zwischen zehn und fünfzehn Jahren von 351 EUR monatlich. Da schon aus diesen Erwägungen dem Unterhaltsherabsetzungsantrag stattzugeben sei, müsse nicht darauf eingegangen werden, ob eine Burn‑out‑Gefährdung des Vaters vorliege oder zur abschließenden Klärung dieser Frage ein medizinisches Sachverständigengutachten erforderlich wäre.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei gemäß § 62 Abs 1 AußStrG zulässig, weil noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Rechtsfrage vorliege, ob bzw unter welchen Voraussetzungen eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen auf die Weitererzielung des bisherigen Arbeitseinkommens stattzufinden habe, wenn dieser eine vom AMS geförderte Bildungskarenz in Anspruch nehme.
Rechtliche Beurteilung
Der ‑ vom Vater beantwortete ‑ Revisionsrekurs des Minderjährigen ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und im Sinn des im Abänderungsantrag enthaltenden Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Vorauszuschicken ist, dass gegen die Befugnis der Mutter, den Minderjährigen im Unterhaltsverfahren gegen den gleichfalls obsorgeberechtigten Vater (§ 177 Abs 1 ABGB) zu vertreten, unter den gegebenen Umständen keine Bedenken bestehen (vgl Gitschthaler, Unterhaltsrecht² Rz 434 [3.] und die Rechtsprechung, dass der Antrag des nicht allein Obsorgeberechtigten, das Kind in seinem Haushalt betreuenden Elternteils, eine durch den anderen Elternteil zu erbringende Geldunterhaltsleistung für das Kind festzusetzen, das Begehren auf Feststellung zum „besonderen Sachwalter“ umfasst, und einem solchen Antrag durch eine in der Sache gefällte Unterhaltsentscheidung konkludent stattgegeben werden kann: 5 Ob 117/04y; 2 Ob 174/08i = SZ 2008/159 = iFamZ 2009/65 [Fucik]; 2 Ob 253/08g; 5 Ob 122/09s). Auch der Vater geht in der Revisionsrekursbeantwortung von der Vertretungsbefugnis der Mutter aus.
Er releviert, dass das Vertretungsverhältnis des für den Minderjährigen im Revisionsrekursverfahren einschreitenden Jugendwohlfahrtsträgers „ohne Hinweis auf die Mutter“ unklar sei und der Revisionsrekurs gemäß § 65 Abs 3 Z 5 AußStrG einer Anwaltsunterschrift bedürfe. Beide Einwände sind nicht stichhaltig. Nach der dem Revisionsrekurs angeschlossenen, am 6. 3. 2012 vor dem Jugendwohlfahrtsträger aufgenommenen Niederschrift erteilte die Mutter als gesetzliche Vertreterin des Minderjährigen gemäß § 212 Abs 2 ABGB ihre Zustimmung zur Vertretung des Minderjährigen für die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche durch den Jugendwohlfahrtsträger. Durch die schriftliche Zustimmung der Mutter als ebenfalls obsorgeberechtigtem Elternteil erfolgte rechtswirksam die Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers zum Vertreter des Minderjährigen nach § 212 Abs 2 ABGB (Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 212 Rz 4; Tschugguel in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.00 § 212 Rz 4; Kathrein in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 212 Rz 12).
Gemäß § 6 Abs 3 AußStrG sind die Jugendwohlfahrtsträger (auch) als Parteienvertreter Rechtsanwälten gleichzuhalten. Für Revisionsrekurse in Unterhaltsfestsetzungsverfahren reicht daher die Vertretung von Minderjährigen durch den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger aus. Die Unterschrift seiner Organwalter steht der eines Rechtsanwalts nach § 65 Abs 3 Z 5 AußStrG gleich (3 Ob 237/05g = RIS‑Justiz RS0120292; Rechberger in Rechberger, AußStrG § 6 Rz 4). Entgegen der Ansicht des Vaters ist daher keine Unterschrift eines Anwalts oder Notars erforderlich.
2. Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse der Kinder nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Den Unterhaltspflichtigen trifft demnach die Obliegenheit, im Interesse seiner Kinder alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft, so gut wie möglich einzusetzen. Tut er dies nicht, so wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (stRsp; 7 Ob 210/05s, 7 Ob 121/07f, jeweils mwN uva; RIS‑Justiz RS0047686). Dieser Anspannungsgrundsatz kommt immer dann zum Tragen, wenn dem Unterhaltspflichtigen ein höheres als das tatsächlich erzielte Einkommen zugemutet werden kann (RIS‑Justiz RS0047550). Die Anwendung des Grundsatzes richtet sich immer nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls. Dabei ist die für die Ausmittlung des konkreten Unterhaltsbedarfs zu bestimmende Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen danach zu bemessen, wie ein „pflichtbewusster, rechtschaffener Familienvater“ (bzw Elternteil ‑ so 7 Ob 121/07f) in der konkreten Lage des Unterhaltspflichtigen die diesem zur Erzielung von Einkommen zur Verfügung stehenden Mittel an Arbeitskraft und Vermögen vernünftigerweise einsetzen würde (RIS‑Justiz RS0113751). Maßstab ist also stets das Verhalten eines pflichtbewussten, rechtstreuen Elternteils in der Lage des konkreten Unterhaltspflichtigen (RIS‑Justiz RS0047421; Gitschthaler aaO Rz 152; vgl RS0047590).
Wiederholt hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass ein Unterhaltspflichtiger mit überdurchschnittlichen persönlichen Fähigkeiten zur Bedarfsdeckung nicht nur soweit beizutragen hat, dass mit seiner Leistung der statistisch erhobene Durchschnittsbedarf von Kindern der betreffenden Altersgruppe gedeckt werden könnte. Jedes Kind hat vielmehr das Recht, dass seine Bedürfnisse gemäß den Lebensverhältnissen der Eltern angemessen gedeckt werden (RIS‑Justiz RS0047473; Gitschthaler aaO Rz 141 mwN). Wäre der Unterhaltspflichtige also zu Unterhaltsleistungen im Stande, die über die Deckung des Regelbedarfs des unterhaltsberechtigten Kindes hinausgehen, so ist seine Leistungskraft auch über den Regelbedarf hinaus anzuspannen, sofern ihm die betreffende Beschäftigung zumutbar ist (hRsp, RIS‑Justiz RS0047487; 7 Ob 210/05s, 7 Ob 121/07f jeweils mwN; teilweise abweichend drei E zu RIS‑Justiz RS0047572); eine Anspannung ist also auch auf gehobene Einkommensverhältnisse möglich, wenn die Voraussetzungen als solche dafür gegeben sind (7 Ob 210/05s, 7 Ob 121/07f, jeweils mwN).
Mehrfach wurde bereits ausgesprochen, dass die Anspannungstheorie auch dann zur Anwendung kommt, wenn der Unterhaltspflichtige es unterlässt, einer seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeit nachzugehen (7 Ob 210/05s mwN). Die Anspannungstheorie ist demnach nicht auf die Fälle bloßer Arbeitsunwilligkeit beschränkt, sondern greift auch Platz, wenn dem Unterhaltspflichtigen die Erzielung eines höheren als des tatsächlichen Einkommens zugemutet werden kann (RIS‑Justiz RS0047550), wenn sich der Unterhaltspflichtige also mit einem geringeren Einkommen begnügt, als ihm möglich wäre (Gitschthaler aaO Rz 142 mwN). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Verzicht auf die Erzielung eines höheren Einkommens nicht durch besondere berücksichtigungswürdige Umstände erzwungen ist (RIS‑Justiz RS0047566). Der Unterhaltspflichtige darf demnach nicht etwa grundlos überdurchschnittliche (gehobene) Lebens‑ und Einkommensverhältnisse aufgeben; er darf also Änderungen seiner Lebensverhältnisse, die mit Beschränkungen seiner Unterhaltspflicht verbunden wären, nur insoweit vornehmen, als dies bei gleicher Sachlage ein pflichtbewusster, rechtschaffener Familienvater tun würde (7 Ob 210/05s, 7 Ob 121/07f, jeweils mwN).
Da die Anspannung des Unterhaltspflichtigen ‑ wie bereits erwähnt ‑ die Zumutbarkeit einer entsprechenden Erwerbstätigkeit voraussetzt, darf sie nur dann erfolgen, wenn den Unterhaltspflichtigen ein Verschulden daran trifft, dass er keine Erwerbstätigkeit ausübt, wobei zumindest leichte Fahrlässigkeit vorliegen muss (Gitschthaler aaO Rz 151 mwN). Je umfangreicher die Sorgepflichten sind, desto strengere Anforderungen sind nach der Rechtsprechung an die Anspannung des Unterhaltspflichtigen zu stellen (RIS‑Justiz RS0047568).
3. Gemäß § 11 Abs 1 AVRAG idF BGBl I 2009/90 können Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Bildungskarenz gegen Entfall des Arbeitsentgelts für die Dauer von mindestens zwei Monaten bis zu einem Jahr vereinbaren, sofern das Arbeitsverhältnis ununterbrochen sechs Monate gedauert hat. Bei der Vereinbarung über die Bildungskarenz ist auf die Interessen des Arbeitnehmers und auf die Erfordernisse des Betriebs Rücksicht zu nehmen.
Gemäß § 26 Abs 1 AlVG idF BGBl I 2007/104 gebührt Personen, die eine Bildungskarenz gemäß § 11 AVRAG in Anspruch nehmen und die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld erfüllen, für die vereinbarte Dauer ein Weiterbildungsgeld in Höhe des Arbeitslosengeldes, mindestens jedoch in der Höhe des Kinderbetreuungsgeldes gemäß § 3 Abs 1 KBGG, bei Erfüllung der nachstehenden Voraussetzungen:
(Z) 1. Bei einer Bildungskarenz gemäß § 11 AVRAG muss die Teilnahme an einer im Wesentlichen der Dauer der Bildungskarenz entsprechenden Weiterbildungsmaßnahme nachgewiesen werden. Das Ausmaß der Weiterbildungsmaßnahme muss mindestens 20 Wochenstunden, bei Personen mit Betreuungspflichten für Kinder bis zum vollendeten siebenten Lebensjahr, für die keine längere Betreuungsmöglichkeit besteht, mindestens 16 Wochenstunden betragen. Umfasst die Weiterbildungsmaßnahme nur eine geringere Wochenstundenzahl, so ist nachzuweisen, dass zur Erreichung des Ausbildungszieles zusätzliche Lern‑ und Übungszeiten in einem Ausmaß erforderlich sind, dass insgesamt eine vergleichbare zeitliche Belastung besteht.
Sowohl § 26 AlVG als auch § 11 AVRAG wurden durch das Arbeits‑ und Sozialrechts‑Änderungsgesetz 1997, BGBl I 1997/139, neu geschaffen. Der vorrangige Zweck der Implementierung des Bildungskarenzmodells, nämlich die Schaffung von Arbeitsplätzen für arbeitslose Personen, steht im Fall der Weiterbildung im Zusammenhang mit den individuellen Interessen des Arbeitnehmers (vgl § 11 Abs 1 AVRAG „unter Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitnehmers“). Daher ist die Bildungskarenz zumindest auch eine individuelle Förderungsmaßnahme für Arbeitnehmer (VwGH Zl 2000/02/0212 = VwSlg 15.572 A/2001 unter Bezugnahme auf die ErlRV zum ASRÄG 1997, 886 BlgNR 20. GP; vgl Binder, AVRAG² [2010] § 11 Rz 1 und 2). Freistellungen nach § 11 AVRAG müssen der Weiterbildung des Arbeitnehmers dienen (Pfeil in ZellKomm² §§ 11, 12 AVRAG Rz 8). Als Grundregel gilt, dass die durch die Weiterbildungsmaßnahme vermittelten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten die gegenwärtige oder künftige Berufsausübung im weitesten Sinn erleichtern können sollen (Binder aaO Rz 28; Pfeil aaO Rz 21). In der Praxis anerkannte und zulässige Fortbildungsinhalte sind insbesondere Sprachkurse und die Erlernung sowie Verbesserung von Fremdsprachen (Pfeil aaO Rz 21; Binder aaO Rz 27).
4. Der Vater vereinbarte mit seinem Arbeitgeber, einem Unternehmen für Internet‑ und Netzwerklösungen, gemäß § 11 Abs 1 AVRAG eine Bildungskarenz beginnend ab 1. 10. 2011 für die Dauer eines Jahres. Durch den Bezug des Weiterbildungsgeldes vom Arbeitsmarktservice (AMS) ist ersichtlich, dass er nach dessen Beurteilung die Voraussetzungen des § 26 Abs 1 Z 1 AlVG erfüllt und damit die Teilnahme an einer entsprechenden Weiterbildungsmaßnahme nachgewiesen hat. Zutreffend hat das Rekursgericht dargelegt, dass die Gewährung von Weiterbildungsgeld durch das AMS keine Bindungswirkung für das Unterhaltsverfahren in Bezug auf den Ausschluss der Anwendung des Anspannungsgrundsatzes entfaltet.
Zu kurz greift aber die Beurteilung, dass die Inanspruchnahme der vom AMS geförderten Bildungskarenz grundsätzlich kein „rechtswidriges Verhalten“ ‑ und daher keine unterhaltsrechtliche Obliegenheitsverletzung ‑ darstelle und damit ein unterhaltsberechtigtes Kind im Allgemeinen eine vorübergehende Unterhaltsreduktion hinnehmen müsse. Die Rechtmäßigkeit der Bildungskarenz sagt noch nichts über die unterhaltsrechtliche Zulässigkeit aus. Maßfigur für die Inanspruchnahme der Bildungskarenz ist ‑ wie oben dargelegt ‑ der pflichtbewusste, rechtschaffene Elternteil in der Lage des konkreten Unterhaltsverpflichteten. Die entscheidenden Kriterien für eine Anspannung auf ein Einkommen, das eine Alimentierung über den Regelbedarf des unterhaltsberechtigten Kindes hinaus ermöglicht, sind überdurchschnittliche individuelle Kenntnisse und Fähigkeiten des Unterhaltspflichtigen, die Zumutbarkeit der betreffenden Beschäftigung, der Umfang der Sorgepflichten sowie der Grund einer Arbeitseinschränkung durch den Unterhaltspflichtigen (7 Ob 121/07f mwN).
Von Bedeutung ist hierbei auch die Art des Bildungsinhalts der Weiterbildungsmaßnahme. Die vom Vater während der Bildungskarenz absolvierte Fremdsprachenausbildung in Englisch in der Dauer eines Jahres ist zwar als Weiterbildungsmaßnahme im Sinn des § 26 Abs 1 Z 1 AlVG anzusehen, könnte aber auch in Form von berufsbegleitenden Kursen erfolgen. Mit einer zwingenden Notwendigkeit eines ganzjährigen Englischkurses argumentiert der Vater in der Revisionsrekursbeantwortung auch nicht mehr. Der unterhaltsberechtigte Minderjährige braucht sich die Einschränkung seines Unterhalts allein aus diesem Grund nicht gefallen zu lassen. Auch das unkonkrete erstinstanzliche Vorbringen des Vaters, die „Auszeit“ diene „zur Vorbereitung der Selbständigmachung“ und er wolle auch mehr Zeit für den in seinem Haushalt betreuten Sohn aufbringen, vermag seine Anspannung nicht auszuschließen. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts und des Vaters endet seine Obliegenheit zur Einkommenserzielung nicht schon mit der Deckung des Regelbedarfs oder der Erreichung eines Durchschnittseinkommens (10 Ob 8/07k = SZ 2007/30 mwN).
Zu berücksichtigen ist aber, dass der Vater die Bildungskarenz mit seinem Gesundheitszustand (Burn‑out‑Symptome) begründete und dazu auch ärztliche Befunde vorlegte. Mögen auch Krankheit und Arbeitsunfähigkeit dem Bezug von Weiterbildungsgeld entgegenstehen (vgl Pfeil aaO Rz 14, 24; Binder aaO Rz 23), könnte in der Burn‑out‑Gefährdung des Vaters ein beachtliches Motiv für die Inanspruchnahme der Bildungskarenz liegen. Das Erstgericht stellte dazu fest, dass die Bildungskarenz des Vaters aus therapeutischer und psychiatrischer Sicht „indiziert“ sei, und hielt andererseits fest, es bestünden keine Bedenken, dass der Vater aufgrund seiner Gesundheit seiner bisherigen Beschäftigung nicht mehr nachgehen könnte. Diese Feststellungen reichen zur abschließenden Beurteilung der Frage, ob der Vater die Bildungskarenz aus gerechtfertigten (medizinischen) Gründen in Anspruch nimmt, nicht aus. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren ‑ zweckmäßigerweise durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, sofern es die vorgelegten ärztlichen Befunde für nicht hinreichend erachtet ‑ ausreichende Feststellungen zur gesundheitlichen Situation des Vaters und zur allenfalls damit im Zusammenhang stehenden Inanspruchnahme der Bildungskarenz zu treffen haben. Sollte der Vater die Bildungskarenz aus gerechtfertigten gesundheitlichen Gründen in Anspruch nehmen, käme eine Anspannung nicht in Betracht.
5. Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren die Sachverhaltsbasis entsprechend zu verbreitern haben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher aufzuheben; die Pflegschaftssache ist zur neuerlichen Entscheidung über den Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters an das Erstgericht zurückzuverweisen.
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