European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00045.21F.0627.000
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss des Erstgerichts, mit dem für den Betroffenen für drei Gruppen von Angelegenheiten ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt worden war.
Rechtliche Beurteilung
[2] Die dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurse sind mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
[3] I. Zu dem von der Verfahrenshelferin namens des Betroffenen eingebrachten Revisionsrekurs:
[4] 1. Es bedarf keiner Befassung des Höchstgerichts mit der Frage, „welche konkrete Gefahr eines Nachteils iSd § 271 Z 1 ABGB“ (für den Betroffenen) vorliegen muss, damit für ihn ein Erwachsenenvertreter zu bestellen ist, wenn die bereits in der Vorgängerbestimmung § 268 Abs 1 ABGB aF enthaltene Wendung „nicht ohne Gefahr eines Nachteils“ wortgleich (und in den Gesetzesmaterialien unkommentiert [ErläutRV BlgNR 1461 25. GP 43]) in die nun geltende Bestimmung übernommen wurde. Es liegt auf der Hand, dass die dazu ergangene Rechtsprechung weiterhin anwendbar ist (so auch Parapatits in Kletečka/Schauer ABGB-ON1.03 § 272 Rz 9; Pfurtscheller in Schwimann/Neumayr ABGB-TaKom5 § 271 Rz 2; Weitzenböck in Schwimann/Kodek ABGB5 § 271 Rz 3). Warum diese Formulierung nun anders auszulegen sein sollte, wird im Revisionsrekurs auch nicht ausgeführt.
[5] 2. Zum Erfordernis des Vorliegens einer „ernstlichen und erheblichen Gefahr“ als Voraussetzung für die Anordnung eines Genehmigungsvorbehalts nach § 242 Abs 2 ABGB (durch welchen der Betroffene auch im Wirkungskreis der Erwachsenenvertretung überhaupt erst eine Einschränkung seiner Handlungsfähigkeit erfährt [dazu zuletzt 5 Ob 208/20d mwN]) hat sich der Oberste Gerichtshof bereits geäußert (3 Ob 87/19v vom 29. 8. 2019 = RS0132806; RS0132737). Die Terminologie („ernstliche und erhebliche Gefahr“) ist an § 4 Z 1 HeimAufG und § 3 Z 1 UbG angelehnt (ErläutRV aaO 21); es kann daher – unter Bedachtnahme auf einen für den Betroffenen bedeutenden Vermögensnachteil – die dazu ergangene Rechtsprechung nutzbar gemacht werden (3 Ob 87/19v vom 29. 8. 2019; 6 Ob 244/19d; RS0075921). Zu der zwischen den beiden Kriterien Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und Schwere des drohenden Schadens bestehenden Wechselbeziehung wurde klargestellt, dass bei besonders schwerwiegenden Folgen bereits eine geringere Eintrittswahrscheinlichkeit genügt, um die Zulässigkeit der weitergehenden Einschränkungen zu bejahen, und umgekehrt (RS0075921 [T1, T6, T7]).
[6] 3. Den ihm innerhalb dieser bereits vorhandenen Leitlinien des Höchstgerichts (vgl RS0042656 [T48]) eingeräumten Beurteilungsspielraum hat das Rekursgericht mit seiner Entscheidung nicht überschritten. Die Beurteilung der Frage, ob im Einzelfall genügende Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung (nun) eines (einstweiligen) Erwachsenenvertreters vorliegen, ist nach den konkreten Tatumständen jeweils individuell zu beurteilen (vgl RS0106166; RS0087091 [T3, T4]; zur Rechtslage nach dem 2. ErwSchG 3 Ob 60/18x; 9 Ob 67/19x; 5 Ob 209/20a). Nichts anderes kann für das Vorliegen „einer ernstlichen und erheblichen Gefahr“ im Sinn des § 242 Abs 2 ABGB gelten.
[7] Der Betroffene schilderte mehrere im Raum stehende Erfindungen; so gab er an, eine nur im Orbit einsetzbare Maschine, die „unendlich Energie produziere“, und ein System entwickelt zu haben, durch welches Autos„selbst Strom produzieren und unbegrenzt fahren können, solange die Autoteile halten“. Da er mehrere derartige Erfindungen beschrieb, ist auch die konkrete Befürchtung, er werde weitere Patente anmelden wollen und sich dafür weiter verschulden, also das Bestehen „einer ernstlichen und erheblichen Gefahr“ für den Notstandshilfe beziehenden Betroffenen, ohne Fehlbeurteilung als naheliegend angesehen worden. Die Anordnung eines Genehmigungsvorbehalts für die Wirkungsbereiche „Vertretung vor dem Patentamt“ und „Vertretung beim Abschluss von Kreditverträgen“ begegnet damit keinen Bedenken.
[8] Angesichts der Vielfältigkeit der mit seinem Bestandgegenstand zusammenhängenden (bereits entstandenen oder drohenden) Problembereichen in Wohnungsangelegenheiten ist auch die (ohne Genehmigungsvorbehalt) erfolgte Bestellung des Erwachsenenvertreters zu deren Bewältigung nicht korrekturbedürftig; eine Bestellung für die in § 257 ABGB mit der Wendung „Änderung des Wohnorts“ besonders umschriebene Angelegenheit ist hier nicht erfolgt. Der Umstand, dass er in den von ihm bereits angestrengten Verfahren von Verfahrenshelfern vertreten ist (weswegen ihm kein Nachteil drohen soll), kann ihn nicht von der (bei Prozessverlust eintretenden) Kostenersatzpflicht gegenüber dem Gegner befreien. Es wird zudem übersehen, dass ein Verfahrenshelfer (nur) rechtliche Vertretung des Betroffenen ist und dabei nur beratend tätig werden kann, nicht aber für die vertretene Partei Entscheidungen im Verfahren (etwa über die Einbringung wenig aussichtsreicher Anträge oder Rechtsmittel) treffen kann.
[9] II. Zu dem vom Betroffenen selbst verfassten Revisionsrekurs:
[10] 1. § 116a Abs 4 iVm Abs 1 AußStrG räumt der betroffenen Person im Erwachsenenschutzverfahren ein, ungeachtet eines in ihrem Namen vom Vertreter, Verfahrenshelfer oder Rechtsbeistand (für den der in § 119 AußStrG normierte Vertretungszwang Sorge trägt) erhobenen Rechtsmittels, ein eigenes Rechtsmittel zu erheben (vgl dazu näher 3 Ob 87/19v vom 25. 6. 2019 = RS0132628). Die Möglichkeit der Beteiligung am Verfahren kommt ihr „unabhängig von ihrer Verfahrensfähigkeit“, also ihrer verfahrensrechtlichen Handlungsfähigkeit, zu. Der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels gilt in solchen Konstellationen nicht (3 Ob 87/19v vom 25. 6. 2019; so auch schon zur alten Rechtslage RS0126515). Nach § 116a Abs 1 Satz 2 AußStrG sind auch einander widersprechende Verfahrenshandlungen inhaltlich zu berücksichtigen. Abs 4 leg cit setzt die Anforderungen an von der betroffenen Person selbst verfasste Rechtsmittel gegenüber den allgemeinen Verfahrensnormen erheblich herab und lässt es ausreichen, wenn daraus hervorgeht, dass sie mit einem Beschluss nicht einverstanden ist, wobei zwischen Beschlüssen erster und zweiter Instanz nicht unterschieden wird.
[11] Während den Gesetzesmaterialien bei Erläuterung der (besonderen) verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Erwachsenenschutzverfahrens (ErläutRV aaO 65 zu § 116a AußStrG) eindeutig entnommen werden kann, dass die eigenständige Beteiligungsmöglichkeit des Betroffenen gerade auch im Rechtsmittelverfahren und neben seinem Vertreter gegeben sein soll, erfolgte im allgemeinen Teil des AußStrG 2005 (in § 6 AußStrG, wie auch zu etlichen anderen Bestimmungen) bloß die Anpassung an die „neue Terminologie“ („Kinder- und Jugendhilfeträger“ anstelle von „Jugendwohlfahrtsträger“ und „Erwachsenenvertretung“ bzw „Erwachsenenvertreter“ sowie „schutzberechtigte Person“ anstelle von „Sachwalter“ sowie „Pflegebefohlener“ [ErläutRV aaO 64]; § 65 AußStrG blieb [weil darin die vorgenannten Begriffe nicht verwendet werden] unverändert). Eine bewusste Auseinandersetzung mit dem – vom Gesetzgeber ermöglichten – eigenen Einschreiten des Betroffenen (neben seinem Rechtsvertreter) ist in Bezug auf das Verfahren dritter Instanz (in dem grundsätzlich Anwaltspflicht herrscht) nicht ersichtlich.
[12] Im Sinne der vom 2. ErwSchG intendierten „Barrierefreiheit“ (ErläutRV aaO 65, siehe auch 9, 66, 68) erschiene es bei einem vom Betroffenen selbst verfassten – an die dritte Instanz gerichteten – Rechtsmittel verfehlt, zu unterstellen, es habe dem Betroffenen selbst die Einbringung eines „eigenen“ Rechtsmittels in dritter Instanz erschwert (oder gar verunmöglicht) werden sollen. Der Betroffene müsste bei formaler Anwendung der allgemeinen Verfahrensregeln entweder ein zweites Mal (entgeltlich) bei einem ([anderen] gewählten) Vertreter die Einbringung seines Rechtsmittels erwirken oder es würde vom Verfahrenshelfer, der ohnehin schon ein Rechtsmittel verfasst hat, gefordert, das vom Betroffenen verfasste Rechtsmittel „bloß“ (ohne Ergänzung oder Korrekturen) zu unterfertigen, sollen doch darin nach der erkennbaren Intention des Gesetzgebers (nur) dessen eigene Argumente dargelegt werden. Eine im ersten Fall eintretende Kostenbelastung des Betroffenen, der meist (auch) wegen bereits eingetretenem oder drohendem Vermögensverlust geschützt werden soll, liefe dem Zweck des 2. ErwSchG zuwider und scheint gerade nicht angestrebt zu sein; die Abforderung allein der Unterschrift des Verfahrenshelfers wäre bloßer (sinnentleerter) Formalismus, wogegen eine – dem Zweck der grundsätzlichen Anwaltspflicht im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof entsprechende – formelle und inhaltliche „Überarbeitung“ des Rechtsmittels jedenfalls in den (vom Gesetzgeber ersichtlich nicht als untypisch angesehenen) Fällen problematisch wäre, in denen ein Widerspruch zum Rechtsmittel des Vertreters besteht. Dass der Gesetzgeber bei mittellosen Personen gar die Bestellung eines zweiten Verfahrenshelfers für den „eigenen“ Revisionsrekurs für erforderlich gehalten hätte, ist – auch in Anbetracht der Amtswegigkeit des Erwachsenenschutzverfahrens – ebenfalls nicht anzunehmen.
[13] Der erkennende Senat schließt sich daher der zu 3 Ob 87/19v vertretenen Auffassung, es müsse wegen der Anordnungen in § 6 Abs 2 und § 65 Abs 2 iVm Abs 3 Z 5 AußStrG ein vom Betroffenen selbst neben dem seines Verfahrenshelfers (die dort zitierte Entscheidung zu 8 Ob 24/19s betrifft den Fall der Einbringung eines Rechtsmittels allein durch die betroffene Person; ebenso 4 Ob 62/20a) eingebrachtes Rechtsmittel mit der Unterschrift eines Rechtsanwalts (oder Notars) versehen sein, nicht an.
[14] Nach Auffassung des erkennenden Senats sind § 6 Abs 2 AußStrG und § 65 Abs 3 Z 5 AußStrG daher (nach der Intention des 2. ErwSchG und aufgrund der Sondervorschrift des § 116a Abs 4 iVm Abs 1 AußStrG) im Erwachsenenschutzverfahren nur eingeschränkt anzuwenden. Eine Klarstellung durch den Gesetzgeber wäre aber zweifellos wünschenswert.
[15] Bringt die betroffene Person neben ihrem gewählten Vertreter oder dem ihr beigegebenen Verfahrenshelfer selbst einen (weiteren) Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts im Verfahren über die Bestellung eines Erwachsenenvertreters ein, bedarf dieser demnach keiner Verbesserung durch anwaltliches Einschreiten.
[16] Das Rechtsmittel des Betroffenen kann also sogleich einer inhaltlichen Behandlung bzw – wie hier – bei einem außerordentlichen Rechtsmittel der Prüfung seiner Zulässigkeit in Bezug auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zugeführt werden. Der darin enthaltene (neuerliche) Antrag, ihm einen weiteren Verfahrenshelfer beizugeben, läuft damit in Leere.
[17] 2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).
[18] Im Zusammenhang damit, dass die Vorinstanzen zum Ergebnis kamen, dass der Betroffene aufgrund seines Krankheitsbilds (das er – allerdings nicht auf Basis des für den Obersten Gerichtshof bindend festgestellten Sachverhalts – grundsätzlich leugnet) der Beigebung eines Erwachsenenvertreters bedarf, werden im außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufgeworfen.
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