OGH 17Os15/14f

OGH17Os15/14f12.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Mai 2014 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kotanko als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wolfgang K***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 6. Dezember 2013, GZ 17 Hv 73/12t‑69a, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang K***** mehrerer (vgl aber RIS‑Justiz RS0121981) Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er „in den Jahren 2004 bis 2008 in B***** als Bediensteter des Finanzamtes B*****, sohin als Beamter (§ 74 Abs 1 Z 4 StGB), mit dem Vorsatz, den Staat an seinem konkreten Recht auf inhaltliche Überprüfung von Arbeitnehmerveranlagungen sowie die Zuerkennung lediglich gesetzmäßiger, tatsächlich zurecht bestehender Ansprüche in einem unvoreingenommen objektiv geführten Verfahren, zu schädigen, seine Befugnis im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht, indem er für 35“ (im Urteil namentlich genannte) Steuerpflichtige „Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung selbst aufnahm bzw. manipulierte, insbesondere, diese selbst einreichte, die Eingaben im elektronischen Abgabeverfahren überwiegend selbst anmerkte, jeweils selbst bearbeitete und selbst freigab, obwohl er bei der Vornahme der Amtsgeschäfte befangen war, sohin sich seiner Amtsausübung nicht enthielt und seine Vertretung nicht veranlasste, die von ihm eingebrachten Steuererklärungen in einem objektiven unvoreingenommenen Steuerverfahren überprüfen und entscheiden zu lassen“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf die Z 5 und 9 (lit) a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zum Nachteil des Angeklagten anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Das Erstgericht ging im Wesentlichen von folgenden, zu allen Vorwürfen gemeinsam getroffenen Feststellungen aus (US 3 f): Der Beschwerdeführer habe bis Oktober 2008 als Vertragsbediensteter des Finanzamts B*****, zunächst „in der Finanzkassa und dann in der Lohnsteuerabteilung als Sachbearbeiter“ sowie ab September 2004 als Teamexperte „in der Arbeitnehmerveranlagung“ gearbeitet. Seit 2006 sei er „insbesondere mit den Agenden der Veranlagung von Grenzgängern sowie jenen eines Lohnzettelberaters betraut“ gewesen. Ihm liege zur Last, Anträge auf Arbeitnehmerveranlagungen für im Urteil namentlich genannte Abgabenpflichtige „zur Gänze oder teilweise erstellt“ zu haben. „In diesen Steuererklärungen“ habe er „vorsätzlich fiktive bzw. überhöhte Abschreibungsbeträge (Sonderausgaben, Werbungskosten, außergewöhnliche Belastungen) aufgenommen“. „Im Rahmen seiner Tätigkeit als Vertragsbediensteter der Arbeitnehmerveranlagung“ habe er diese Steuerfälle „teilweise alle bearbeitet und freigegeben“. Im „elektronisch unterstützten Steuerverfahren“ erscheine bei nicht korrekter Eingabe von Daten oder bei mangelnder Plausibilität (der Steuererklärung) „am Bildschirm ein Vermerk VK (Vorbescheid-Kontrolle)“. Auch in solchen Fällen habe der Beschwerdeführer „den Fall ohne Korrektur freigegeben“. In den verfahrensgegenständlichen Steuerfällen sei nach Freigabe durch den Angeklagten jeweils elektronisch ein Bescheid erlassen worden.

In subjektiver Hinsicht nahmen die Tatrichter an, der Beschwerdeführer habe „als langjähriger Finanzbediensteter“ gewusst, „unter welchen Voraussetzungen den Steuerpflichtigen Werbungskosten, außergewöhnliche Belastungen, etc zuerkannt werden können“. Er habe seine „Dienstpflicht“, nämlich „die Arbeitnehmerveranlagung der einzelnen Abgabepflichtigen nur im Rahmen der bestehenden Gesetze und Dienstvorschriften anzuerkennen“, durch Anerkennung überhöhter Abschreibungsbeträge, Sonderausgaben, Werbungskosten, außergewöhnlicher Belastungen und Absetzbeträge wissentlich missbraucht. Er habe „dadurch wissentlich den Staat an seinem Recht auf Durchführung eines objektiven Verfahrens- und objektive Prüfung der steuermindernden Beträge und damit in seinem öffentlichen Recht auf Feststellung der tatsächlichen Steuerleistung in einem unvoreingenommenen objektiv geführten Verfahren geschädigt“.

Nach diesen allgemeinen Ausführungen folgen Konstatierungen im Zusammenhang mit Arbeitnehmerveranlagungen von 35 Steuerpflichtigen (US 5 ff). Inhaltliche Unrichtigkeiten der Anträge auf Veranlagung (und der über diese erlassenen Bescheide) lässt das Urteil in objektiver Hinsicht lediglich bei etwa der Hälfte dieser Steuerpflichtigen erkennen, bei den übrigen liegt dem Beschwerdeführer (ausschließlich) zur Last, die von ihm zuvor selbst erstellten Anträge als (befangener) Bediensteter des Finanzamts bearbeitet zu haben. Feststellungen zu einem diese Tathandlungen begleitenden ‑ auf inhaltliche Unrichtigkeit der Bescheide gerichteten ‑ Schädigungsvorsatz hat das Erstgericht im Einzelnen nicht getroffen.

Die Vornahme eines Amtsgeschäfts durch einen Beamten trotz Vorliegens von Umständen, die seine volle Unbefangenheit in Zweifel ziehen, kann einen Befugnismissbrauch im Sinn des § 302 Abs 1 StGB darstellen. Der Tatbestand setzt aber (auch) den Vorsatz des Täters voraus, gerade durch seinen (wissentlichen) Befugnismissbrauch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen (17 Os 22/12g, EvBl 2013/84, 565).

§ 76 Abs 1 BAO normiert (ähnlich wie § 7 Abs 1 AVG), dass sich Organe der Abgabenbehörden (und der Verwaltungsgerichte) im Fall der Befangenheit ‑ außer bei hier nicht aktueller Gefahr im Verzug ‑ der Ausübung ihres Amtes zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen haben.

Bildet ein Recht des Staates den Bezugspunkt des tatbestandlichen Schädigungsvorsatzes, darf dieses nicht allein jenes sein, das den Beamten verpflichtet, seine Befugnis den Vorschriften entsprechend zu gebrauchen, somit keinen Befugnismissbrauch zu begehen (RIS-Justiz RS0096270 [T10 und T12], RS0096261 [T4]). Die zuvor wiedergegebene Feststellung zum Schädigungsvorsatz des Angeklagten (der sich ‑ soweit für den Obersten Gerichtshof erkennbar [Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19 und 571] ‑ auf das Recht des Staates auf ein unvoreingenommen, objektiv geführtes Verfahren bezog) spricht jedoch bloß das ihm gegenüber bestehende Recht des Bundes (als Dienstgeber) an, sich als befangener Beamter der Amtsausübung in Abgabenverfahren zu enthalten, mithin auf Einhaltung der Anordnung des § 76 Abs 1 BAO, und reicht demnach als Sachverhaltsgrundlage des Schuldspruchs nicht aus. Eine (vom Angeklagten gewollte) gänzliche Ausschaltung des vorgesehenen Verfahrens zur Überprüfung (also der inhaltlichen Kontrolle) der von den Steuerpflichtigen geltend gemachten Ansprüche (vgl RIS-Justiz RS0097084) hat das Erstgericht übrigens nicht festgestellt; sie würde sich aus dem Vorliegen von Befangenheit allein auch nicht ergeben.

Dem stehen oberstgerichtliche Entscheidungen, in welchen ein Recht des Staates auf Prüfung von Anspruchsvoraussetzungen in einem unvoreingenommen geführten Verfahren als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes angesprochen wurde, nicht entgegen, weil sie ‑ recht besehen ‑ durchwegs auch die (vorsätzliche) Beeinträchtigung materieller staatlicher Ansprüche zum Gegenstand hatten (vgl 14 Os 79/99 und 12 Os 97/02: Steuereinhebung; 11 Os 176/98 und 11 Os 125/99: Einhaltung der Bauordnung; 12 Os 71/05s: Gewährung von Sozialhilfe nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen; 13 Os 101/10t: „Aufnahme unverfälschter, verlässlicher Beweise“ in einem Strafverfahren; 11 Os 1/12z: Raumplanung).

Bleibt anzumerken, dass die BAO ein (subjektives) Recht von Parteien des Abgabenverfahrens auf Ablehnung befangener Organwalter nur in Ansehung von Richtern im Beschwerdeverfahren (§ 268 BAO; vgl für den Tatzeitraum § 278 BAO idF BGBl I 2002/97), nicht in Betreff von Beamten der Abgabenbehörden, vorsieht. Indirekt kann deren Befangenheit als Verfahrensmangel jedoch dann (erfolgreich) mit Beschwerde geltend gemacht werden, wenn sich Bedenken gegen die sachliche Richtigkeit des Bescheides ergeben (Ritz, BAO5 § 76 Rz 15 ff; vgl zur insoweit ähnlichen Rechtslage vor BGBl I 2013/14 Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/ Urtz, BAO3 § 76 Anm 3 und 7 sowie E 10 ff).

Im ‑ hier nicht aktuellen ‑ Anwendungsbereich des Art 6 Abs 1 MRK nehmen die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zudem schon dann eine Verletzung des Parteien des (Verwaltungs-)Verfahrens garantierten Rechts auf Entscheidung durch ein unparteiisches Organ an, wenn bloß der Anschein von Befangenheit vorliegt, und zwar ohne Prüfung eines Einflusses auf das Verfahrensergebnis (zum Ganzen Hengstschläger/Leeb, AVG § 7 Rz 17, 22, 24 und 26 mit Verweisen auf die Rsp des VwGH und des VfGH). Eine Beeinträchtigung des demnach als Bezugspunkt des von § 302 Abs 1 StGB verlangten Schädigungsvorsatzes in Betracht kommenden Rechts von Parteien eines Verwaltungsverfahrens auf dessen Führung und Entscheidung durch einen unbefangenen Organwalter scheidet allerdings in Konstellationen wie der vorliegenden aus, weil hier parteiliches Handeln des Angeklagten, der zuvor (privat) für die im Urteil genannten 35 Steuerpflichtigen tätig geworden war, allenfalls zu deren Gunsten, nicht aber zu deren Nachteil in Frage kommt.

Der aufgezeigte Rechtsfehler mangels Feststellungen zum Schädigungsvorsatz erfordert ‑ entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ eine Aufhebung des Schuldspruchs bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO), demgemäß auch des Strafausspruchs, des Kostenausspruchs und der Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg (RIS-Justiz RS0101303, RS0100493 T1) samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht.

Mit ihren Rechtsmitteln waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein:

1/ Ein Schuldspruch wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB setzt objektiv Fehlgebrauch einer dem Täter (zumindest abstrakt) eingeräumten Befugnis voraus. Demnach wird zu klären sein, ob der Angeklagte ab 1. Jänner 2006 ungeachtet seiner Tätigkeit in der „Grenzgängerabteilung“ zur Bearbeitung von Arbeitnehmerveranlagungen (zumindest abstrakt [RIS-Justiz RS0096134, RS0096049) befugt war (vgl demgegenüber die undeutlichen Urteilspassagen auf US 3, 34). Auf Missbrauch einer solchen Befugnis (nicht etwa einer „Dienstpflicht“ vgl US 4) muss sich zudem das Wissen des Täters beziehen.

2/ Im Sinn der obigen Ausführungen zum Schädigungsvorsatz wird das Erstgericht zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls bei welchen Taten der Angeklagte inhaltlich unrichtige Arbeitnehmerveranlagungen herbeiführen und solcherart das Recht des Staates auf Steuereinhebung beeinträchtigen wollte. Nur in diesen Fällen wird ein Schuldspruch wegen Missbrauchs der Amtsgewalt in Betracht kommen.

3/ Überdies wird zu beachten sein, dass die Bearbeitung jedes einzelnen Antrags auf Arbeitnehmerveranlagung (jeder Steuererklärung) eine Tat im materiellen Sinn (vgl § 28 Abs 1 StGB) als Bezugspunkt von Schuld- und Freispruch darstellt (zum Begriff Ratz, WK-StPO § 281 Rz 516; zum finanzstrafrechtlichen Tatbegriff RIS‑Justiz RS0124712). Feststellungen, welche die Tätigkeit des Angeklagten für einzelne Steuerpflichtige hinsichtlich mehrerer solcher Taten zusammenfassen, bilden nur dann eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage eines Schuldspruchs, wenn die Erfüllung sämtlicher (auch subjektiver) Tatbestandsmerkmale in jedem einzelnen Fall (also jedes Veranlagungsjahr betreffend) unzweifelhaft beurteilt werden kann.

4/ Schließlich gilt für § 302 StGB der Zusammenrechnungsgrundsatz nach § 29 StGB (RIS-Justiz RS0121981), sodass ein Schuldspruch ‑ auch bei gleichartiger Realkonkurrenz ‑ stets (bloß) wegen eines Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt zu erfolgen hat.

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