OGH 17Os22/12g

OGH17Os22/12g25.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Februar 2013 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kogler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Konrad G* wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 28. Juni 2012, GZ 11 Hv 52/12v‑42, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Dr. Ulrich, des Angeklagten und seiner Verteidigerin Mag. Seitweger zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:E103148

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil im schuldig sprechenden Teil, demgemäß auch im Strafausspruch, im Kostenausspruch und im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

Konrad G* wird gemäß § 259 Z 3 StPO vom verbleibenden Vorwurf freigesprochen, er habe

(I) „am 10. 4. 2008 und 18. 4. 2008 in H* als Polizeibeamter der Polizeiinspektion H*, somit als Beamter (§ 74 Abs 1 Z 4 StGB), mit dem Vorsatz, die Republik Österreich an ihrem in § 47 BDG und § 7 AVG normierten konkreten Recht auf Durchführung eines unvoreingenommenen, von einem nicht befangenen Organ geführten Verwaltungsstrafverfahrens zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht, dass er trotz eines aktuellen Nachbarschaftsstreites mit der Familie Ha*/F* am 10. 4. 2008 nach eigenen außerdienstlichen Wahrnehmungen die von seiner Ehegattin Margot G* bei ihm telefonisch erstattete Anzeige nach § 4 Abs 3 Z 1 und § 3b Abs 3 des Stmk. LandessicherheitsG aufnahm und in weiterer Folge Ermittlungen durch Einvernahme seiner Gattin Margot und seiner Tochter Kerstin G* sowie Befragung der Beschuldigten Sandra Ha* und deren Ehegatten Mag. Rosche F* vornahm und in weiterer Folge am 18. 4. 2008 die Anzeige an die BH L* sowohl wegen des genannten Vorfalles als auch wegen eines am 6. 4. 2008 von ihm selbst als Privatperson angezeigten Vorfalles (betreffend das Freilaufen des Hundes an diesem Tag) erstattete und seine eigenen außerdienstlichen Wahrnehmungen als Zeugenangaben festhielt“ und

(II) am 4. April 2008 in R* „Sandra Ha* durch die gegenüber Mag. Rosche F* telefonisch getätigte Äußerung, 'in fünf Minuten steht die Sandra vor der Haustüre und entschuldigt sich oder ich steh morgen in der Uniform vor eurer Haustüre (und ich werde es zur Anzeige aufnehmen)‘, somit durch gefährliche Drohung mit einer Anzeige und somit einer Verletzung der Ehre zu einer Handlung, nämlich zur Entschuldigung bei seiner Ehegattin Margot G*“, genötigt.

Mit ihren Ansprüchen wird die Privatbeteiligte Sandra Ha* auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Konrad G* wegen der zuvor wiedergegebenen Vorwürfe des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (I) und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5a sowie 9 lit a und b StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil mehrfach nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zum Nachteil des Angeklagten anhaftet, die von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) wahrzunehmen war.

Gemäß § 5 Z 2 Steiermärkisches Landes-Sicherheitsgesetz (kurz: StLSG) haben die Organe der Bundespolizei an der Vollziehung (unter anderem) der §§ 3b und 4 StLSG durch Maßnahmen, die für die Einleitung und Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren erforderlich sind, mitzuwirken. Diese Mitwirkung umfasst im gegebenen Zusammenhang insbesondere die Anzeigeerstattung (und dieser vorangehende Ermittlungen) wegen wahrgenommener Verwaltungsübertretungen (Demmelbauer/Hauer, Grundriss des österreichischen Sicherheitsrechts Rz 46 f; Hauer/Keplinger, Befugnisse der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes8, 17 f). Übt ein Polizeibeamter seine Befugnis, in diesem Sinn an der Vollziehung der im StLSG geregelten Verwaltungsmaterie mitzuwirken, aus, nimmt er regelmäßig Amtsgeschäfte im Sinn des § 302 Abs 1 StGB vor (17 Os 16/12z, EvBl 2013/21, 130). Einleitung (vgl § 32 Abs 1 und 2 VStG; Thienel/Zeleny, Verwaltungsverfahren18 § 32 Anm 1; E. Pürgy in N. Raschauer/Wessely Kommentar zum Verwaltungsstrafgesetz § 32 Rz 3 ff; VwGH 82/03/0234) und Durchführung des Verwaltungsstrafverfahrens aufgrund einer derartigen Anzeige ‑ hier wegen des ungesicherten Führens eines Hundes (§ 3b Abs 3 StLSG) ‑ kommen gemäß § 4 Abs 4 StLSG der Bezirksverwaltungsbehörde zu (vgl auch § 26 Abs 1 VStG).

§ 7 AVG regelt Fälle der Befangenheit von Verwaltungsorganen und deren Konsequenzen mit Bezug auf Verwaltungsverfahren und (iVm § 24 VStG) Verwaltungsstrafverfahren. Indem die zuvor beschriebenen Mitwirkungsbefugnisse von Organen der Bundespolizei die Einleitung von Verwaltungsstrafverfahren vorbereiten (und deren Durchführung sichern), dieser also logisch vorangehen, stellt ein auf diese Befugnisse gestütztes Verwaltungshandeln keine Amtsausübung im Sinn des § 7 AVG dar (VwGH 94/11/0211; Hengstschläger/Leeb, AVG § 7 Rz 18). Solche ‑ nicht im Rahmen des Verwaltungs‑(straf‑)verfahrens gesetzte ‑ Tätigkeiten erfasst die Auffangvorschrift des § 47 BDG (vgl ErläutRV 11 BlgNR 15. GP  87 f; Kucsko‑Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten4, 287 f; Fellner, Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 § 47 E 3). Auch diese sieht (ähnlich wie § 7 AVG) vor, dass ein Beamter ‑ außer bei (hier nicht gegebener) Gefahr im Verzug ‑ sich der Ausübung seines Amtes zu enthalten und seine Vertretung zu veranlassen hat, wenn wichtige Gründe seine volle Unbefangenheit zweifelhaft erscheinen lassen. Die Vornahme eines Amtsgeschäfts trotz Vorliegens solcher Umstände, kann einen Befugnismissbrauch im Sinn des § 302 Abs 1 StGB darstellen. Dieser Tatbestand setzt aber (auch) den Vorsatz des Täters voraus, gerade durch seinen (wissentlichen) Befugnismissbrauch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen (13 Os 103/11p; 17 Os 10/12t). Da der Angeklagte die inkriminierten Handlungen ‑ entgegen der Ansicht des Erstgerichts (vgl US 8 und 16) ‑ durchwegs vor Beginn (also außerhalb) des Verwaltungsstrafverfahrens setzte, bleibt die Konstatierung, er habe es „ernstlich für möglich“ gehalten und „sich zumindest billigend damit“ abgefunden, „dass er dadurch sowohl Sandra Ha* in ihrem subjektiven als auch den Staat in seinem öffentlichen konkreten Recht auf Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens durch eine nicht befangene, unvoreingenommene Person schädigen würde“ (US 8 f), ohne Sachverhaltsbezug (RIS-Justiz RS0119090).

Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen zum Schädigungsvorsatz des Angeklagten erforderte die Aufhebung des Schuldspruchs I. Eine Feststellung dahingehend, dass der Angeklagte die Vereitelung eines bestimmten von § 47 BDG verfolgten Zwecks (vgl RIS-Justiz RS0096270, RS0096816) ‑ etwa der Sicherstellung der inhaltlichen Richtigkeit der Anzeige als Grundlage des staatlichen Rechts auf (sachgerechte) Verfolgung von Verwaltungsübertretungen (vgl 17 Os 16/12z, EvBl 2013/21, 130) ‑ in seinen Vorsatz aufgenommen hätte, ist nach der Aktenlage auch in einem weiteren Rechtsgang ebenso wenig zu erwarten wie die Konstatierung einer von ihm gewollten Beeinträchtigung eines (konkreten) anderen subjektiven oder staatlichen Rechts, weshalb sogleich mit Freispruch vorzugehen war (Ratz, WK‑StPO § 288 Rz 24).

Zum Schuldspruch II gehen die Tatrichter davon aus, dass der Angeklagte mit der Ankündigung (für den Fall des Unterbleibens einer Entschuldigung), „ich steh morgen in der Uniform vor eurer Haustüre“, mit „einer Anzeige und somit einer Verletzung der Ehre“ gedroht habe (US 6). Welches Verhalten der genötigten Sandra Ha* die solcherart konkludent angedrohte Anzeige zum Inhalt hätte haben sollen, ist den Entscheidungsgründen nicht deutlich zu entnehmen. Ob das Inaussichtstellen einer (ungerechtfertigten) Anzeige eine Drohung mit einer Verletzung an der Ehre darstellt, hängt aber entscheidend von ihrem angekündigten Inhalt ab (RIS-Justiz RS0092362, RS0092892; Jerabek in WK2 StGB § 74 Rz 31 mwN), weil nicht jeder Vorwurf, der den Gegenstand einer Anzeige bilden kann, per se ehrenrührig ist. Dies ist bei angelastetem gerichtlich strafbarem Verhalten in der Regel der Fall, bei Verwaltungsübertretungen hingegen keineswegs selbstverständlich. Der Vorwurf der Ehrenkränkung (hier) nach § 3 Abs 1 Z 3 StLSG (wegen der Behauptung der „Fettleibigkeit“ der Frau des Angeklagten), den das Erstgericht ‑ ohne jedoch eine (zumindest konkludente) Ankündigung des Angeklagten genau in diesem Sinn festzustellen ‑ in Betracht zog (US 17), bietet keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die rechtliche Annahme des Einsatzes des Nötigungsmittels der Drohung mit einer Verletzung an der Ehre gemäß § 105 Abs 1 iVm § 74 Abs 1 Z 5 StGB. Hinzu kommt, dass die Androhung einer Anzeige wegen nach den Feststellungen tatsächlich vorgefallener (US 5 und 17) ‑ wenngleich nur als Privatanklagesache (§ 3 Abs 3 StLSG iVm § 56 VStG) zu verfolgender ‑ Ehrenkränkung mit dem Ziel, gerade derentwegen eine Entschuldigung zu erreichen, nach den Maßstäben der in § 105 Abs 2 StGB normierten Mittel-Zweck-Relation nicht rechtswidrig ist (vgl RIS-Justiz RS0093130; Kienapfel/Schroll BT I3 § 105 Rz 70).

Bleibt im Übrigen anzumerken, dass die rechtliche Annahme des Schöffengerichts, Verjährung der vom Schuldspruch II erfassten Tat sei nicht eingetreten, weil diese vorliegend „auf der gleichen schädlichen Neigung“ beruhe wie das zu I angelastete Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt, unschlüssig ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 602). Die Formulierung, der Angeklagte habe die Taten „unter Verwendung seines Berufes und seiner Eigenschaft als Polizeibeamter begangen“ (US 18), lässt ‑ da die in Rede stehenden, mit Strafe bedrohten Handlungen (§§ 105 Abs 1 und 302 Abs 1 StGB) nicht gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind ‑ offen, ob die Tatrichter deren Begehung auf gleichartige verwerfliche Beweggründe oder auf den gleichen Charaktermangel im Sinn des § 71 zweiter oder dritter Fall StGB zurückgeführt haben und aus welchen Gründen eine dieser Varianten (vgl zu den Kriterien Jerabek in WK2 StGB § 71 Rz 5) verwirklicht sein soll.

Auch im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs II war daher durch Freispruch in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Fall StPO).

Mit ihren Rechtsmitteln waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Verweisung der Privatbeteiligten Sandra Ha* auf den Zivilrechtsweg ist zwingende Folge des Freispruchs (§ 366 Abs 1 StPO).

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