Spruch:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Mit ihren Rechtsmitteln wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karin H***** des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB (1) und „mehrerer“ Verbrechen (richtig des Verbrechens) des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt.
Danach hat sie in Graz
(1) am 17. November 2010 aus der ihr als Fundsache übergebenen Geldbörse des Mag. Robert B***** 600 Euro, mithin ein ihr anvertrautes Gut, sich mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zugeeignet, indem sie vor Weiterleitung der Geldbörse an das Fundbüro der Stadt Graz den genannten Betrag aus der Geldbörse entnahm und für sich behielt;
(2) von August 2008 bis November 2010 „mit dem Vorsatz, den Staat in seinem Recht auf ordnungsgemäße Vollziehung der das Melde- sowie der Ausländerbeschäftigungswesen regelnden Bestimmungen zu schädigen“, ihre Befugnis, im Namen der Stadt Graz als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem sie an ihrer Wohnadresse Scheinwohnsitzmeldungen von insgesamt 81 slowenischen und ungarischen Staatsangehörigen vorgenommen hat, obwohl sie wusste, dass keine dieser Personen jemals tatsächlich dort Unterkunft im Sinn des § 1 Abs 6 MeldeG nehmen würde und die Meldungen ausschließlich dazu dienten, die Erlangung einer „EU-Freizügigkeitsregelung“ nach § 32a Abs 3 AusländerbeschäftigungsG idF BGBl I 2008/2004 zu ermöglichen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 10 und 11 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das Urteil mehrfach nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zum Nachteil der Angeklagten aufweist, die von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) aufzugreifen war.
Objekt des Vergehens der Veruntreuung ist ein dem Täter anvertrautes Gut. Körperliche Sachen sind einem anderen nur dann anvertraut, wenn sie ihm in den Alleingewahrsam übergeben werden, damit er sie verwahrt, zurückgibt, an jemand weitergibt oder für jemanden verwendet (RIS-Justiz RS0119788; Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 133 Rz 25 und 32 ff). Eine derartige Verpflichtung der Beschwerdeführerin, in bestimmter Weise mit der ihr übergebenen Geldbörse samt Bargeld zu verfahren, hat das Erstgericht zum Schuldspruch 1 schon in objektiver Hinsicht nicht festgestellt. Zudem ist auch die zur subjektiven Tatseite mit den Formulierungen, „bei der Entnahme des Bargeldbetrages“ „wusste Karin H*****, dass sie damit eine fremde bewegliche Sache an sich nahm, um sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern und fand sich damit ab“ sowie „sie wusste auch, dass sie diesen Diebstahl unter Ausnützung der sich ihr aufgrund ihrer Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit durchführt und fand sich damit ab“, getroffene Konstatierung (US 3 f) als Grundlage der rechtlichen Annahme von Veruntreuung ungeeignet.
Zum Schuldspruch 2 fehlt es an ausreichenden Feststellungen zum Vorsatz, durch das inkriminierte Verhalten einen anderen an seinen Rechten zu schädigen. Bei dem vom Vorsatz des Täters erfassten Recht muss es sich stets um ein konkretes handeln. Das hier angenommene Recht des Staats auf „ordnungsgemäße Vollziehung der das Melde- sowie das Ausländerbeschäftigungswesen regelnden Bestimmungen“ (US 5) reicht als solches mangels Konkretisierung nicht. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Vorsatz (auch) die Vereitelung eines bestimmten Zwecks der verletzten Bestimmungen umfasst (RIS-Justiz RS0096141, RS0096270; Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch4 § 302 Rz 51), was die Entscheidungsgründe aber nicht zum Ausdruck bringen. Hinzu kommt, dass die Tatrichter davon ausgingen, die Beschwerdeführerin habe die Scheinmeldungen mit dem Ziel durchgeführt, slowenischen und ungarischen Staatsangehörigen die Erlangung von „EU-Freizügigkeitsbestätigungen“ (vgl § 32a Abs 3 AuslBG idF vor BGBl I 2011/25), welche diese in weiterer Folge beim Arbeitsmarktservice beantragten, zu erleichtern (US 5). Die vom Tatbestand geforderte Verknüpfung der Tatbestandselemente („dadurch“), derzufolge nach Vorstellung des Täters die Beeinträchtigung von Rechten gerade durch den Befugnismissbrauch eintreten soll, wird solcherart gerade nicht festgestellt (vgl 13 Os 103/11p).
Die aufgezeigten Rechtsfehler machen eine Aufhebung der Schuldsprüche schon bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO), demgemäß auch des Strafausspruchs und eine Verweisung der Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung unumgänglich.
Mit ihren Rechtsmitteln, deren Erörterung sich somit erübrigt, war die Beschwerdeführerin auf diese Entscheidung zu verweisen.
Bleibt mit Blick auf den zweiten Rechtsgang und die Argumentation der Nichtigkeitsbeschwerde anzumerken, dass die wissentliche Eingabe unrichtiger Meldedaten durch einen mit dem Vollzug des Meldewesens betrauten Beamten sehr wohl den Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt darstellen kann, zumal der Staat - wie schon aus § 15 Abs 1 MeldeG hervorgeht - einen Anspruch auf Richtigkeit des Melderegisters hat (13 Os 12/11f). Ob der (zumindest bedingte) Vorsatz der Beschwerdeführerin auf Schädigung dieses (konkreten) staatlichen Rechts gerichtet war, wird im weiteren Verfahren zu klären sein.
Im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Veruntreuung (Schuldspruch 1) wäre zu prüfen, ob die Angeklagte als in der Servicestelle der Stadt Graz beschäftigte Beamtin im Rahmen ihres Aufgabenbereichs mit der Vollziehung (zumindest von Teilen) des Fundwesens für den Bürgermeister als Fundbehörde (§§ 4 Abs 3 und 14 Abs 5 SPG) befasst war. In diesem Fall kommt Strafbarkeit nach § 302 Abs 1 StGB in Betracht, wenn sie durch das ihr vorgeworfene Verhalten (die Erstattung einer unrichtigen Fundmeldung [US 7], das Unterlassen der Weiterleitung des [gesamten] Bargelds und der Ausstellung einer Übergabebestätigung an die Finderin [US 3]) ihre Befugnis zur Vornahme von Amtsgeschäften im Rahmen der Hoheitsverwaltung wissentlich missbraucht und dabei die Schädigung von Rechten anderer - insbesondere der Finderin und des Verlustträgers (vgl §§ 389 ff ABGB und § 42a SPG) - in ihren Vorsatz aufgenommen hat (RIS-Justiz RS0097058; Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch4, § 302 Rz 21; zu einer allenfalls sich ergebenden Informationspflicht nach § 262 StPO RIS-Justiz RS0113755; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 542 ff).
Schließlich gilt für Missbrauch der Amtsgewalt der Zusammenrechnungsgrundsatz nach § 29 StGB, weshalb auch bei wiederholter Tatbegehung nur ein Verbrechen nach § 302 Abs 1 (und Abs 2) StGB verwirklicht wird (RIS-Justiz RS0121981).
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