OGH 12Os97/02

OGH12Os97/027.11.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. November 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Teffer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann B***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Schöffengericht vom 5. Juni 2002, GZ 11 Hv 55/02f-15, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die bisherigen Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem - auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden - angefochtenen Urteil wurde Johann B***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Demnach hat er "im Zeitraum 1995 bis 30. 5. 2001 in Vöcklabruck als Beamter des dortigen Finanzamtes in seiner Funktion als Leiter der Veranlagungsleitstelle mit dem Vorsatz, dadurch die Republik Österreich und ihre Steuerschuldner an ihrem konkreten Recht auf gleichmäßige, rechtzeitige Erfassung, Festsetzung und Einhebung bundesrechtlich geregelter öffentlicher Abgaben durch die hiezu aufgrund bestehender Dienstvorschriften zuständigen, unvoreingenommen und unparteilich handelnden Organe gemäß den geltenden materiell- und formellrechtlichen Abgabenvorschriften zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen dadurch wissentlich missbraucht, dass er im Veranlagungsverfahren Leo S***** (St.Nr. 584/369-2) unter Verstoß gegen die Bestimmungen der §§ 53 Abs 1 und 2 und 47 BDG, § 76 BAO sowie Punkt 1.5 des Approbationserlasses des Bundesminsters für Finanzen vom 26. 4. 1988, GZ 020420/2-IV/2/88,

1. den ED-Vermerk 'Lt. tel. Ersuchen Frist bis längstens 15. 12. 99 zugesagt (Grund: Polit. Beanspruchung) Borten 29. 10. 99' setzte,

2. weitere Eintragungen in die ausgedruckten, mt 19. 9. 1999, 3. 1., 21. 2., 6. 3., 20. 3., 30. 6. und 7. 11. 2000 datierten Überwachungslisten des Finanzamtes Vöcklabruck teils selbst vornahm, teils veranlasste,

und damit die Verhängung einer Zwangsstrafe gegen den Steuerpflichtigen abwendete und die zeitgerechte Festsetzung der Einkommenssteuer für 1998 wie auch der Vorauszahlung für die Folgejahre verzögerte."

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu. Nach den den Schuldspruch tragenden erstgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte "Leo S***** seit Beginn seiner Veranlagung zur Einkommenssteuer im Jahr 1996 privat betreut und ihm seine Steuererklärungen und die damit zusammenhängenden Berufungen gegen die Abgabenbescheide erstellt. Nachdem ihm der Steuerpflichtige Leo S***** die erforderlichen Unterlagen und Belege zur Erstellung der Einkommenssteuererklärung 1998 nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt hatte und bereits eine Nachfrist zur Einreichung dieser Erklärungen unter Androhung einer Zwangsstrafe gesetzt worden war, brachte der Angeklagte als Leiter der Veranlagungsleitstelle am letzten Tag dieser Nachfrist, am 29. 10. 1999, einen EDV-Vermerk mit dem Inhalt 'Lt. tel. Ersuchen Frist bis längst. 15. 12. 99 zugesagt (Grund: polit. Beanspruchung) Borten 29. 10. 99' an, der die Verhängung einer Zwangsstrafe verhinderte. Dieser Vermerk bewog die Sachbearbeiterin der Veranlagungsleitstelle Johanna F*****, die dem Angeklagten untergeben war, auf der Überwachungsliste vom 22. 11. 99 den handschriftlichen Vermerk 'bis 15. 12. 99 zuwarten' anzubringen. Auf der Liste vom 3. 1. 2000 vermerkte der Angeklagte 'zuwarten bis E 97 erledigt', sowie auf der Liste vom 21. 2. 2000 'abwarten'. Johanna F***** vermerkte zudem auf der Liste vom 6. 3. 2000 'zuwarten', der Angeklagte wiederum auf der Liste vom 20. 3. 2000 'Berufung Vorjahr offen'. Auf den Listen vom 30. 6. 2000 und vom 7. 11. 2000 vermerkte Johanna F***** jeweils 'einger. 8. 1. 01'. Soweit die Vermerke von Johanna F***** durchgeführt wurden, geschah dies in Absprache mit dem Angeklagten als ihrem direkten Vorgesetzten.

Erst am 31. 8. 2000 wurde Leo S***** wieder eine Zwangsstrafe angedroht und eine weitere Nachfrist bis 21. 9. 2000 gesetzt. Leo S***** reichte seine Einkommenssteuererklärung für das Jahr 1998 letztlich erst am 8. 1. 2001 ein, ohne dass in der Zwischenzeit eine Zwangsstrafe verhängt worden wäre.

Durch diese außergewöhnlich großzügige Fristerstreckung erwuchs der Republik Österreich ein Zinsennachteil; nicht nur, dass die im erstinstanzlichen Einkommenssteuerbescheid 1998 errechnete Abgabenschuld erst rund 14 Monate später festgestellt werden konnte, sondern es wurden dem Abgabenpflichtigen auch die vorgeschriebenen Einkommenssteuervorauszahlungen für 1999 und die Folgejahre reduziert" (US 4 f).

Die Verantwortung des Beschwerdeführers, seine Befangenheit sei deshalb nicht aktuell gewesen, weil kein Naheverhältnis zu Leo S***** bestanden habe, erachtete der Schöffensenat durch die Tatsache der langjährigen Tätigkeit des Angeklagten als Finanzberater und die von ihm zugestandene Kenntnis des sogenannten Approbationserlasses des Bundesministeriums für Finanzen als widerlegt (US 7) und stellte darüber hinaus - nach eingehender Auseinandersetzung mit den Beweisergebnissen - fest, dass der Angeklagte "bewusst die ihn treffenden Bestimmungen über die Befangenheit eines Beamten" (§ 47 BDG, § 76 Abs 1 lit c BAO und Punkt 1.5 des Approbationserlasses des BMF vom 26. April 1988, GZ 02420/IV/2/88 - US 6) "missachtete" (US 11).

Schon der die Mängelrüge (Z 5) einleitende - in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) wiederholte - Einwand, wonach "im Sinn der Ausführungen des Angeklagten .... hätte festgestellt werden müssen, dass zum Zeitpunkt, als die in der Folge vom Gericht festgestellten Fristverlängerungen genehmigt wurden, die Tätigkeit des Beschuldigten für die Steuererklärungen 1996 und 1997 abgeschlossen waren und er zu diesem Zeitpunkt der Auffassung war, dass es sich hier um eine einmalige Sache handelt", ist nicht zielführend. Denn die Bestimmung des § 76 Abs 1 lit c BAO, auf die Punkt 1.5 des sogenannten Approbationserlasses des BMF Bezug nimmt, bestimmt, dass Befangenheit (auch) anzunehmen ist, wenn (außer den von lit a, b und d erfassten Sachverhalten) sonstige wichtige Gründe vorliegen, die - wie hier die jahrelange umfassende außerdienstliche Betreuung eines Steuerpflichtigen - geeignet sind, die volle Unbefangenheit eines Organwalters in Zweifel zu ziehen. Es genügt somit der (bloße) Anschein einer im Gesetz umschriebenen Befangenheit; das Vorliegen einer tatsächlichen Befangenheit und deren Nachweis ist nicht erforderlich (Stoll BAO 755 mwN).

Die angestrebte Erörterung der thematisierten Einlassung des Beschwerdeführers betrifft daher keine entscheidungsrelevante Tatsachen.

Sinngemäßes gilt für die Beschwerdeargumentation, das Erstgericht habe im Zusammenhang mit der Annahme des inkriminierten Vermögensschadens die weitere Verantwortung des Angeklagten übergangen, wonach ein Zinsverlust deshalb nicht entstehen könne, weil dieser (zu ergänzen: durch Verhängung eines Verspätungszuschlages - 215) "mehr als ausgeglichen ist". Denn abgesehen davon, dass im Falle eines wissentlichen Verstoßes gegen eine Gesetzesbestimmung das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt bereits mit der Vereitelung des damit angestrebten konkreten Regelungszwecks der Maßnahme vollendet ist (RIS-Justiz RS0096816, RZ 2000/38), dient die Auferlegung eines Verspätungszuschlages (§ 135 BAO) nicht der Kompensation von durch Säumnis bei der Einreichung einer Abgabenerklärung bewirkten Vermögensschäden, sondern soll eine derartige Maßnahme den rechtzeitigen Eingang der Abgabenerklärung und damit die zeitgerechte Festsetzung und Entrichtung der Abgabe sicherstellen. Der Verspätungszuschlag hat insoweit zugleich repressiven als auch (zumindst mittelbar) präventiven Charakter und ist ein auf die besonderen Verhältnisse des Abgabenrechtes zugeschnittenes Druckmittel eigener Art (Stoll aaO 1524 f; Ritz BAO2 209).

Der - ohne Zitat entsprechender Belegstellen erhobene - Beschwerdevorwurf der Aktenwidrigkeit der (überdies vom Schuldspruch gar nicht umfassten) Urteilsannahme, wonach "der Angeklagte entgegen die Befangenheit regelnden Bestimmungen von ihm selbst bzw unter seiner Mitwirkung erstellten Steuererklärungen des Zeugen S***** bearbeitet hat, anstatt seine Vertretung zu veranlassen", ist seinerseits aktenwidrig, weshalb alle darauf gegründeten Überlegungen schon aus diesem Grund auf sich zu beruhen haben.

Die erstgerichtliche Feststellung, wonach "der Angeklagte im Bewusstsein handelte, Leo S***** die angedrohte Zwangsstrafe zu ersparen und ihm dadurch einen nicht unbedeutenden Vermögensvorteil durch den Zinsgewinn zu verschaffen" (US 6), betrifft, soweit sie auf eine Bereicherungstendenz abstellt, keine Schuldkomponente des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt, weshalb sich alle Beschwerdeausführungen dazu einer sachbezogenen Erwiderung entziehen. Auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) verfehlt eine prozessordnungsgemäße Darstellung.

Zum Beschwerdeeinwand vermeintlich mangelnder Feststellung, wonach "der Angeklagte gewusst hat, befangen zu sein", genügt der Hinweis auf die eingangs zitierten Urteilsüberlegungen.

Der "vorsichtsweise Hinweis, dass das Erstgericht mit keinem Wort festgestellt hat, dass die Fristverlängerungen, die der Angeklagte letztlich gewährt hat, im Hinblick auf die gegebenen Umstände unvertretbar waren", orientiert sich, indem er die - von den Tatrichtern als erwiesen angenommene und rechtsrichtig als mit deren Schutzzweck unvereinbare (Steininger Komm3 § 302 RN 37, SSt 59/69) - Missachtung der im Falle einer Befangenheit zu beachtenden Vorschriften übergeht, prozessordnungswidrig nicht am gesamten Urteilssachverhalt, weshalb sich dazu eine Detailerwiderung erübrigt. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 285a Z 2 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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