European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129868
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der (zu II./ erfolgten) rechtlichen Unterstellung der zu I./2./ bis I./6./ dargestellten Anlasstaten auch unter §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB sowie demzufolge auch im Ausspruch der Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB aufgehoben und in diesem Umfang die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Betroffene auf diese Entscheidung verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird im Übrigen zurückgewiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch die unbeachtliche Abweisung des Unterbringungsantrags in Ansehung weiterer Angriffsobjekte der zu I./ und II./ dargestellten Taten enthält (vgl RIS‑Justiz RS0117261; Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 2 [„Teilkomponenten ein und desselben Tatbildverhaltens“]; allgemein zu Subsumtions‑ und Qualifikationsfreisprüchen siehe RIS‑Justiz RS0120128; zur uno actu erfolgten Hinderung mehrerer mit demselben Ziel amtshandelnder Beamter vgl Danek/Mann in WK² StGB § 269 Rz 6 mwN)wurde * O* gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
Danach hat er (zu ergänzen) in G* unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer undifferenzierten Schizophrenie,
I./ nachangeführte Justizwachebeamte mit Gewalt an Amtshandlungen teils zu hindern versucht, teils gehindert, und zwar
1./ am 9. Juni 2019 * S* an der Verlegung in einen besonders gesicherten Haftraum, indem er versuchte, sich gewalttätig von den Festhaltegriffen des Beamten loszureißen,
2./ am 31. Juli 2019 * F*, * Sc*, * M*, * W*, * R* und * Sch* an seiner Verlegung in einen besonders gesicherten Haftraum, indem er zunächst durch den Türspalt seiner Zelle mit einem abgebrochenen Besenstiel in Richtung des * R* stieß und in weiterer Folge, nachdem er von den angeführten Beamten fixiert worden war, immer wieder in Richtung der Beamten trat,
3./ am 6. August 2019 * H*, *F*, * K* und * Sch* an seiner Verlegung vom Beobachtungshaftraum K213 in den Beobachtungshaftraum K206b, indem er sich der Anordnung, zur Haftraumtür zu kommen, widersetzte, während des darauffolgenden Zugriffs massive Gegenwehr leistete, mehrfach versuchte, in das Knie des * K* zu beißen, und die Beamten trat und schlug, sodass die Verlegung abgebrochen wurde,
4./ am 7. August 2019 * U* und Schi* an der Vorführung zur unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung und der Verabreichung einer Depotspritze durch den Anstaltspsychiater Dr. * Re*, indem er versuchte, die Justizwachebeamten zu treten und seine Arme aus der Fixierung durch die Justizwachebeamten * Z* und * Ra* zu ziehen, und in weiterer Folge an seiner Verlegung in einen besonders gesicherten Haftraum, indem er versuchte, die Beamten zu stoßen und zu treten,
5./ am 21. August 2019 * Ka*, * Sch*, * St* und * Kl* an der Vorführung zur medizinischen Zwangsbehandlung, indem er versuchte, die Justizwachebeamten teilweise zu beißen und zu treten, sowie in weiterer Folge den Anstaltspsychiater Dr. * Re* an der Verabreichung der Depotspritze, indem er versuchte, ihn zu beißen, zu schlagen und zu treten,
6./ am 4. September 2019 Mag. * W*, * Kl*, * K*, * U* und * S* an der Fixierung zur Durchführung der geplanten Zwangsbehandlung, indem er seinen Oberkörper verwand und versuchte, sich aus der Fixierung zu lösen und die Justizwachebeamten zu schlagen und zu treten,
II./ nachangeführte Beamte vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht, wobei er die Körperverletzung (§ 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB) während und wegen der Vollziehung der Aufgaben und der Erfüllung der Pflichten durch die Beamten beging, und zwar
1./ durch die unter Punkt I./2./ angeführten Tathandlungen die dort angeführten Justizwachebeamten,
2./ durch die unter Punkt I./3./ angeführten Tathandlungen die dort angeführtenJustizwachebeamten,
3./ durch die unter Punkt I./4./ angeführten Tathandlungen die dort angeführten Justizwachebeamten,
4./ durch die unter Punkt I./5./ angeführten Tathandlungen die dort angeführten Justizwachebeamten sowie den Anstaltspsychiater Dr. * Re*,
5./ durch die unter Punkt I./6./ angeführten Tathandlungen die dort angeführten Justizwachebeamten,
sohin Taten begangen, die als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (I./1./, I./2./ und I./4./ bis I./6./) und nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB (I./3./) sowie der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (II./) jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 8, 9 lit a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.
Zu I./
Indem die Mängelrüge (nominell Z 5 dritter Fall) einen Widerspruch zwischen dem Ausspruch über die Anlasstaten und der (eingangs erwähnten) Abweisung des Unterbringungsantrags geltend macht, ohne die bekämpfte(n) Feststellung(en) und angeblich dazu in unauflösbarem Widerspruch stehende Urteilspassage(n) zu bezeichnen, verfehlt sie die Ausrichtung am Verfahrensrecht (RIS‑Justiz RS0119089, RS0116879 [T5]). Im Übrigen ergibt sich durch die namentliche Bezeichnung der Justizwachebeamten zweifelsfrei, dass sich die (prozessual unbeachtliche) Abweisung des Unterbringungsantrags auf einzelne Angriffsobjekte der Anlasstaten beschränkt.
Entgegen der weiteren Beschwerdebehauptung kann nach den Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungssätzen der Wille des Betroffenen auf die Ausübung von Gewalt (US 6, 8 bis 10, 12 und 13) und gleichzeitig gegen die Zufügung von Verletzungen (US 17; siehe dazu unten) gerichtet sein (RIS‑Justiz RS0117402).
Der (nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß nehmenden [RIS‑Justiz RS0119370]) Kritik einer offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur subjektiven Tatseite zu I (US 6, 8 bis 13) zuwider haben die Tatrichter diese mängelfrei aus dem objektiven Tatgeschehen (US 5 bis 13) und aus der Persönlichkeit des Betroffenen abgeleitet (US 16 f; RIS‑Justiz RS0116882).
Soweit die Beschwerde auch die Begründungsämtlicher Feststellungen zur objektiven Tatseite beanstandet, ist sie mangels substantiierten Vorbringens einer sachbezogenen Erwiderung nicht zugänglich.
Ob das Urteil den Unterbringungsantrag überschreitet, ist anhand des prozessualen Tatbegriffs (vgl dazu Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 502 ff) zu beurteilen. Meinen Unterbringungsantrag und Urteil denselben Lebenssachverhalt (dieselbe Tat), liegt eine Nichtigkeit aus Z 8 des § 281 Abs 1 StPO nicht vor (RIS‑Justiz RS0113142).
Gegenstand des vorliegenden Unterbringungsantrags war (auch) die Hinderung des * S* an der am 9. Juli 2019 durchgeführten Verlegung des Betroffenen in einen besonders gesicherten Haftraum (ON 18 S 1 und 5). Wenngleich das Urteil an unterschiedlichen Stellen sowohl den 9. Juni 2019 (US 1 und 6) als auch den 9. Juli 2019 (US 5 und 16) als Tatzeit nennt, ergibt sich aus den im Unterbringungsantrag (S 5) und im Urteil geschilderten Tatumständen (US 5 bis 7) unzweifelhaft, dass sich beide auf denselben Lebenssachverhalt beziehen. Entgegen der Beschwerde (Z 8) überschreitet das Urteil somit den Antrag auf Unterbringung nicht.
Das Wesen von Rechts‑ (Z 9 lit a bis c) und Subsumtionsrüge (Z 10) besteht darin, anhand methodischer Ableitung aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565) darzulegen, dass der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt (RIS‑Justiz RS0099810) eine von der bekämpften Entscheidung abweichende rechtliche Beurteilung verlange, wobei im Fall der Z 10 die angestrebte Subsumtion ausdrücklich zu bezeichnen ist (RIS‑Justiz RS0118415 [T3]).
Indem die (gegen I./ und II./ gerichtete, die Abweisung des Unterbringungsantrags anstrebende) Rechtsrüge (Z 9 lit a) das Vorliegen der subjektiven Tatseite in Ansehung der Beamteneigenschaft und (gemeint offenbar) der Verhinderung einer Amtshandlung bestreitet, nimmt sie prozessordnungswidrig nicht am festgestellten Sachverhalt Maß, wonach der Betroffene (jeweils) wusste, dass die namentlich genannten Personen Beamte sind (US 6, 8 bis 13), und ihm bewusst war, dass die Verlegungen innerhalb der Justizanstalt, die Vorführungen und die Zwangsbehandlung Amtshandlungen darstellten (US 6, 8 bis 13).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in diesem Umfang – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Zu II./
Den Entscheidungsgründen ist in Ansehung der zu II./ vorgenommenen Subsumtion der zu I./2./ bis I./6./ dargestellten Anlasstaten zu entnehmen, dass der Betroffene die Beamten am Körper zu verletzen versuchte (US 13) und er es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, die Beamten am Körper zu misshandeln und ihnen Schmerzen zu bereiten (US 13), indem er […] am 4. September 2019 die Justizwachebeamten […] zu verletzen versuchte (US 14). Der Betroffene hielt den Eintritt von Verletzungen für möglich, wollte dies aber nicht (US 17). Dem Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) zufolge (zu dessen Heranziehung [nur] zum Zwecke der Verdeutlichung getroffener Feststellungen RIS‑Justiz RS0116587;Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 271) versuchte der Betroffene die Beamten vorsätzlich am Körper zu verletzen (US 2).
Davon ausgehend macht die Beschwerde deutlich genug zutreffend geltend, dass aus dem Urteil nicht mit Bestimmtheit hervorgeht, ob der Vorsatz des Betroffenen auch auf die Zufügung von Verletzungen (§ 83 Abs 1 StGB) oder nur auf die Misshandlung der Beamten (§ 83 Abs 2 StGB) gerichtet war, weil den eben zitierten Konstatierungen zufolge in Bezug auf (jeweils) dieselbe Ausführungshandlung ein die Zufügung von Verletzungen umfassender Vorsatz, (im Widerspruch dazu) ein dagegen gerichteter Wille (zur Willenskomponente des § 5 Abs 1 zweiter Halbsatz StGB Reindl-Krauskopf in WK² StGB § 5 Rz 3 und 37; Leukauf/Steininger/Stricker, StGB4 § 5 Rz 16a f) und ein (im Verletzungsvorsatz ohnedies enthaltener [Messner, SbgK § 83 Rz 76]) Misshandlungsvorsatz vorlag. Somit ist die eine entscheidende Tatsache betreffende Feststellung in Ansehung der subjektiven Tatseite des § 83 Abs 1 StGB nicht getroffen (11 Os 63/18a; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 570) und das Ersturteil in der rechtlichen Unterstellung der zu I./2./ bis I./6./ dargestellten Anlasstaten unter §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB mit Nichtigkeit (Z 10) behaftet.
Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert – ebenfalls in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – die (nichtöffentliche) Aufhebung des Urteils in der zu II./ vorgenommenen Subsumtion der Anlasstaten sowie demzufolge auch im Ausspruch über die Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB. Denn nach § 430 Abs 2 StPO entscheidet das Gericht „über den Antrag ... in sinngemäßer Anwendung des 14. und 15. Hauptstücks ... durch Urteil“. Für dieses gilt demnach sinngemäß § 260 Abs 1 StPO, woraus wiederum folgt, dass die Anordnung der Maßnahme, also der Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO (Ratz in WK2 StGB Vor §§ 21‑25 Rz 8), auf jenem nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO über die Anlasstat(en) gründet, mit anderen Worten diesen voraussetzt (11 Os 46/05g; vgl Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 34). Die Aufhebung (auch nur) eines Teils des solcherart den Anknüpfungspunkt für die Anordnung der Maßnahme bildenden Ausspruchs nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO zieht demgemäß zwingend die Beseitigung des – logisch davon abhängigen – Einweisungsausspruchs nach sich (vgl auch § 295 Abs 1 StPO). Dies gilt ebenso für den – hier vorliegenden – Fall, dass die Anlasstat mehreren ideell konkurierenden rechtlichen Kategorien subsumiert wird, von denen nur eine durch Urteilsfeststellungen nicht gedeckt ist, während die verbliebenen der Mindeststrafdrohung des § 21 Abs 1 StGB entsprechen, weil es auf das abstrakte Verhältnis des Ausspruchs nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO zu jenem nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO ankommt und nicht auszuschließen ist, dass gerade der von der Aufhebung betroffene Teil des Erkenntnisses für die (dem erkennenden Gericht vorbehaltene) Ermessensentscheidung der Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose (vgl RIS‑Justiz RS0118581 [T14]) entscheidend war (vgl zu den Konsequenzen der Aufhebung eines Schuldspruchs Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7; zur zwingenden Beseitigung des Einweisungsausspruchs bei Aufhebung eines Teils des Ausspruchs über mehrere einer Einweisung nach § 21 Abs 1 StGB zugrunde liegende Anlasstaten RIS‑Justiz RS0120576, RS0090390).
Ein Eingehen auf das gegen die Anordnung der Maßnahme gerichtete Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde (Z 11, nominell verfehlt auch Z 5 dritter Fall) erübrigt sich daher.
Im Umfang der Aufhebung war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO).
Im zweiten Rechtsgang wird aufgrund des von den Tatrichtern (erkennbar) konstatierten Fehlens von Tatfolgen iSd § 83 Abs 1 StGB zu beachten sein, dass im Fall der Erweislichkeit allein eines Misshandlungsvorsatzes der Versuch (§ 15 Abs 1 StGB) einer schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 2, 84 Abs 2 StGB nicht in Betracht kommt (RIS‑Justiz RS0092861; Burgstaller/Fabrizy in WK² StGB § 84 Rz 49, 53; Leukauf/Steiniger/Nimmervoll, StGB4 § 84 Rz 58).
Mit der Berufung war der Betroffene auf diese Entscheidung zu verweisen.
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