OGH 14Os64/17v

OGH14Os64/17v5.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wukovits, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Markus M***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 27. Februar 2017, GZ 632 Hv 4/16s‑56, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00064.17V.0905.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Markus M***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idgF (I./A./) sowie idF BGBl I 2001/130 (I./B./), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 (II./), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (III./), sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (IV./A./ und C./) und nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (IV./B./) schuldig erkannt.

Danach hat er

I./ mit nachgenannten unmündigen Personen den Beischlaf oder dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, und zwar

A./ zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im Jahr 2001 in K***** in zumindest drei Angriffen mit der am 30. August 1991 geborenen Y***** Ma*****, indem er – nachdem er ihre Hand erfasst und sie auf seinen Penis gedrückt sowie ihre Brüste betastet hatte – vorerst seine Finger und anschließend seinen Penis in ihre Scheide einführte und Vaginalverkehr an ihr vornahm;

B./ zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten zwischen 4. Mai 2009 und Ende 2011 in R***** in vielfachen Angriffen mit der am 5. Mai 1999 geborenen M***** M*****, indem er vorerst seine Finger in ihre Scheide einführte, teilweise über ihre Scheide leckte, letztlich seinen Penis in ihre Scheide einführte und Vaginalverkehr an ihr vornahm;

II./ zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im Jahr 2009 durch die zu I./B./ genannten Taten M***** M***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er „im Rahmen der ersten Übergriffe“ ihre Hände erfasste und festhielt, ihre Beine trotz Gegenwehr in Form von Fußtritten gewaltsam spreizte und die zu I./B./ genannten Taten an ihr vornahm;

III./ von 1999 bis 2001 in B***** und K***** außer dem Fall des § 206 StGB in vielfachen Angriffen geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person, nämlich der am 30. August 1991 geborenen Y***** Ma*****, vorgenommen und von dieser an sich vornehmen lassen, indem er ihre Hand mit seiner Hand umfasste, sie zu seinem Penis führte und masturbierende Bewegungen an sich vornahm, sowie „bei den in Rede stehenden Angriffen“ ihre Brüste und ihre Scheide, ohne diese zu penetrieren, betastete;

IV./ mit nachgenannten minderjährigen Personen geschlechtliche Handlungen vorgenommen oder von diesen an sich vornehmen lassen, und zwar

A./ durch die zu I./A./ und III./ genannten Taten mit der am 30. August 1991 geborenen Y***** Ma*****, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser;

B./ durch die zu I./B./ bezeichneten Taten mit seiner am 5. Mai 1999 geborenen Tochter M***** M*****;

C./ im Sommer 2014 in R***** mit der am 10. April 1999 geborenen Mi***** J*****, welche seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person, indem er sich zu ihr legte, während sie sich schlafend stellte, und unter der Kleidung intensiv ihre Brüste betastete.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zu I./B./, II./ und IV./B./ zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Dr. Ursula G***** zum Beweis, „dass die fachkundige Zeugin während der durchgeführten gynäkologischen Untersuchung an Frau M***** M***** am 28. Oktober 2011 sowie an den weiteren durchgeführten Kontrolluntersuchungen keine [gemeint:] Anzeichen eines Missbrauchs von Dritten an Frau M***** feststellen konnte“, woraus zu schließen sei, dass der Angeklagte „die inkriminierten Handlungen nicht begangen haben kann“ (ON 46 S 154 f), Verteidigungsrechte nicht geschmälert. Denn der Antrag ließ nicht erkennen, dass er eine für die Lösung der Schuld‑ oder der Subsumtionsfrage erhebliche Tatsache betrifft (RIS‑Justiz RS0116503; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 321), schließt doch der Umstand, dass eine Gynäkologin bei Untersuchungen des Opfers ab Oktober 2011 keine Anzeichen für einen sexuellen Missbrauch zwischen Mai 2009 und Ende 2011 feststellen konnte, die Tatbegehung nicht aus. Im Übrigen hat das Erstgericht das im Antrag bezeichnete Beweisthema ohnehin (zugunsten des Beschwerdeführers) als erwiesen angesehen (ON 46 S 157; ON 55 S 40; US 10), weshalb der Beweis auch unter diesem Aspekt nicht aufgenommen werden musste (RIS‑Justiz RS0099135; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 342). Da bei der Prüfung der Berechtigung eines Beweisantrags stets von der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Antragstellung und den bei seiner Stellung vorgebrachten Gründen auszugehen ist, sind

die ergänzenden Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618, RS0099117).

Die Einholung eines gynäkologischen Sachverständigengutachtens zur „Überprüfung der sichergestellten medizinischen Unterlagen von Frau M***** M***** dahingehend, ob diese im Einklang mit den Schilderungen des Opfers stehen“, insbesondere der Behauptung, dass es über Jahre zwei- bis dreimal wöchentlich zu sexuellen Übergriffen gekommen sei, und zum Beweis, „dass bis zu diesem Zeitpunkt kein Missbrauch stattgefunden hat“ (ON 55 S 39), konnte unterbleiben, weil der Antrag (wie zum Teil bereits die Formulierung erkennen lässt) auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte

, somit nicht darlegte, warum die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse (RIS‑Justiz RS0118123; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 330 f).

Ein Urteilsnichtigkeit begründender Verfahrens-mangel in Bezug auf die Schuldsprüche I./A./, III./ und IV./A./ liegt auch nicht in der Abweisung des Antrags auf Vernehmung der ehemaligen Arbeitgeber des Angeklagten Eva B***** und Karl B***** (ON 46 S 155 f), legt doch der Antrag nicht dar, weshalb diese Zeugen in der Lage sein sollen, Aussagen darüber zu treffen, „dass sich der Angeklagte zu den behaupteten Tatzeiten“ nicht in seinem Haus in O*****, sondern in der Arbeit in G***** aufgehalten habe und dass „der Angeklagte die behaupteten Handlungen nicht begangen haben kann“ (RIS‑Justiz RS0118444).

Indem die Mängelrüge (Z 5) zu I./B./, II./ und IV./B./ die von der Zeugin M***** M***** in der kontradiktorischen Vernehmung getätigten Angaben

darüber, zu welcher Tageszeit die Übergriffe stattgefunden haben (ON 21 S 67), den Konstatierungen gegenüberstellt, wonach der Angeklagte „seine Arbeitsverpflichtungen stets vollständig“ erfüllt und bei seinem letzten Arbeitgeber „seine Mittagspausen zum Teil alleine, zum Teil aber auch mit Kollegen“ verbracht hat (US 6), bezieht sie sich nicht auf Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0106268, RS0117264).

Mit der bloßen Behauptung, die Feststellungen seien „unzulässige Vermutungen zu Lasten des Angeklagten“, die „durch keinerlei Beweisergebnisse gedeckt“ seien, wird ein Begründungsmangel nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht.

Weshalb sich das Gericht (trotz des Gebots zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe [§ 270 Abs 2 Z 5 StPO]) gesondert mit der Behauptung des Beschwerdeführers, bei seiner letzten Arbeitsstelle habe es zwischen 12 und 13 Uhr eine Mittagspause gegeben (ON 46 S 27), und mit der Aussage des Zeugen Manuel M*****, der zufolge der Angeklagte um die Mittagszeit nicht zu Hause gewesen sei (ON 46 S 117), auseinandersetzen hätte müssen (Z 5 zweiter Fall), bleibt mit Blick darauf, dass das Schöffengericht keine Feststellungen dazu trifft, zu welchen Tageszeiten die Übergriffe stattgefunden haben, unklar. Soweit die Beschwerde – ohne Bezugnahme auf Verfahrensergebnisse – eine Auseinandersetzung damit vermisst, dass der Angeklagte für die Wegstrecke zwischen Wohn- und Arbeitsort 25 Minuten benötigt habe, übt sie in unzulässiger Form Beweiswürdigungskritik.

Mit den Angaben der Zeugen Karl R***** und Anton N***** darüber, ob und wann Y***** Ma***** im Haus des Angeklagten im Burgenland genächtigt hat (ON 55 S 14 ff und 19 ff), haben sich die Tatrichter – dem Einwand (Z 5 zweiter Fall) zu I./A./, III./ und IV./A./ zuwider – auseinandergesetzt, jedoch die Aussagen der Zeugen anders als die Beschwerde interpretiert (US 15). Dass es für den Beschwerdeführer „nicht nachvollziehbar“ und „geradezu lebensfremd“ ist, dass die damalige Gattin des Angeklagten damit einverstanden gewesen sein soll, „auf die Kinder der ehemals Geliebten des Angeklagten aufzupassen“, stellt keinen Begründungsmangel dar. Vielmehr richtet sich die Beschwerde mit diesem Einwand nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung. Dasselbe gilt für die Behauptung, der Angeklagte habe die Übergriffe „mitten in der Nacht“ durchgeführt, sich „zu diesem Zeitpunkt (...) jedoch in seiner damaligen Arbeit“ befunden.

Die Rechtsrüge zu I./B./, II./ und IV./B./ legt nicht methodisch vertretbar dar, weshalb es – neben den Konstatierungen, wonach die Angriffe ab Mai 2009 bis Ende 2011 erfolgten (US 9 f) – für die Subsumtionen nach § 206 Abs 1 StGB (idF BGBl I 2001/130), § 201 Abs 1 StGB (idF BGBl I 2004/15) und § 212 Abs 1 Z 1 StGB „hinsichtlich der Tatzeiten (…) weiterer Feststellungen bedurft“ hätte (vgl RIS-Justiz RS0099810, RS0116569).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO; zum ergänzenden Vorbringen in der Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur vgl RIS‑Justiz RS0097061, RS0097055). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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