Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufung werden zurückgewiesen
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Wien legt in der Anklageschrift vom 1. Juni 2004 (ON 107) den Angeklagten Sasa und Suzana J***** neben weiteren für das Nichtigkeitsverfahren nicht relevanten Delikten zu 1. das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB zur Last. Danach sind sie verdächtig, zwischen Mitte September und 28. November 2003 in Wien, teilweise durch Unterlassung der Abwendung des Erfolges, obwohl sie zufolge einer (sie) im Besonderen treffenden, im Familienrecht begründeten Verpflichtung durch die Rechtsordnung dazu verhalten waren (§ 137 Abs 1 und 2 ABGB) und die Unterlassung der Erfolgsabwendung einer Verwirklichung des gesetzlichen Tatbildes durch ein Tun gleichzuhalten ist, durch mehrmaliges Einführen eines Kochlöffels in die Vagina und in den After der am 7. September 1993 geborenen Jaqueline J***** sowie durch Pressen eines erhitzten Metalllöffels und eines heißen Bügeleisens gegen ihren Genitalbereich an einer unmündigen Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen zu haben, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine Defloration und zum Teil blutende Schleimhauteinreißungen im Analkanal sowie großflächige Verbrennungen im gesamten Genitalbereich, zur Folge hatte.
Nach Ansicht der Anklagebehörde handelt es sich bei den beschriebenen Tathandlungen ("nur") um geschlechtliche Handlungen gemäß § 207 Abs 2 (gemeint: Abs 1) StGB, "zumal ein objektiver Sexualbezug vorliegt, den Angeklagten aber der für § 206 StGB erforderliche subjektive sexuelle Erregungs- oder Befriedigungsvorsatz nicht anzulasten sei" (AS 257/II).
Mit dem angefochtenen Urteil erklärte sich das Schöffengericht für sachlich unzuständig (§ 261 Abs 1 StPO), weil die an der Unmündigen mit einem Kochlöffel vorgenommenen beischlafsgleichwertigen Vaginal- und Analpenetrationen der Strafbestimmung des § 206 Abs 1 StGB, die keinen auf Erregung- oder Befriedigung gerichteten Tätervorsatz verlange, zu unterstellen seien. Im Hinblick auf das beweismäßig indizierte Vorliegen der (Körperverletzungs-)Qualifikation nach Abs 3 erster Fall leg cit und zufolge des dafür vorgesehenen Strafrahmens (Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren) sei die Entscheidungskompetenz des Geschworenengerichtes (§ 14 Abs 1 Z 11 StPO) auch hinsichtlich des Angeklagten Sasa J***** gegeben. Dieser sei nach den für wahrscheinlich gehaltenen Urteilsannahmen der Beitragstäterschaft (§ 12 dritter Fall) verdächtig, weil er die Ausführung der inkriminierten Missbrauchshandlungen unter Vernachlässigung der ihm als Vater des unmündigen Opfers obliegenden Erfolgsabwendungspflicht (§ 2 StGB) nicht verhindert habe (US 10 f).
Rechtliche Beurteilung
Den dagegen vom Angeklagten Sasa J***** aus Z 4 und 6 sowie von der Staatsanwaltschaft zu Gunsten der Angeklagten Sasa und Suzana J***** aus Z 6 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden kommt keine Berechtigung zu.
Soweit Sasa J***** in der Nichtigkeitsbeschwerde vorweg das Rechtsmittelvorbringen der Staatsanwaltschaft ausdrücklich auch zum eigenen Vorbringen erhebt, ist sein Vorbringen unbeachtlich, weil das Gesetz nur eine einzige Ausführung der Beschwerdegründe kennt (§§ 285 Abs 1 erster Satz, 285a Z 2 StPO).
Der Antrag auf "Ausscheidung wegen dem aus dem Verfahren sich nicht ergebenden, weder subjektiv noch objektiv, Angklagevorwurf" war, vergleichbar mit einem Antrag auf Freispruch, auf eine für den Angeklagten günstige Entscheidung in der Hauptsache gerichtet und durfte daher nicht in einem Zwischenerkenntnis erledigt werden, war vielmehr dem Urteil vorbehalten. Da dies - ungeachtet der abweislichen Entscheidung im Rahmen eines Zwischenerkenntnisses - ohnehin geschehen ist, stellt sich das Vorbringen im Rahmen der Verfahrensrüge (Z 6 iVm Z 4) der Sache nach als Anfechtung des Unzuständigkeitsurteils selbst dar. Auf deren Erledigung kann demnach verwiesen werden.
Unzutreffend ist die weitere Beschwerdeauffassung (Z 6), wonach das Einführen eines Löffels in Scheide und After des (unmündigen) Tatopfers keine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung iSd § 206 Abs 1 StGB sei.
Nach gefestigter Rechtsprechung kommt es bei jeder vaginalen oder analen Penetration (unter dem hier aktuellen Aspekt des § 206 StGB) darauf an, ob sie in Summe der Auswirkungen dem Beischlaf vergleichbar ist, wobei die Intensität und Schwere des Eingriffs und das Ausmaß der Demütigung und der Erniedrigung ausschlaggebend sind. Die Intensität des sexuellen Eingriffs bzw die Gleichwertigkeit der Handlung mit dem Beischlaf ist dabei vor allem aus der Sicht des unmündigen Tatopfers zu beurteilen, dessen sexuelle Integrität und ungestörte sexuelle Entwicklung die Strafbestimmungen der §§ 206 und 207 StGB generell schützen.
So gesehen würde die (nach den Verdachtsannahmen des Unzuständigkeitsurteils) vorgenommene Penetration, nämlich das mehrfache und mit schweren Verletzungen der betroffenen Körperregionen einhergehende Einführen eines Kochlöffels in Vagina und After des unmündigen Tatopfers, einen besonders massiven Eingriff in dessen sexuelle Integrität darstellen, der im Vergleich zum Beischlaf als eine diesem gleichzusetzende und gleich sozial schädliche Form des sexuellen Missbrauchs anzusehen wäre (Schick in WK² § 206 Rz 12; Mayerhofer StGB5 § 201 E 17a, b; 15 Os 54/97; JBl 1997, 403 mit Anm Beclin; EvBl 2001/152; 15 Os 72/01; 13 Os 90/01; 13 Os 65/02; 15 Os 146/02; 14 Os 42/03 ua).
Auch die (im Ergebnis identen) Beschwerdemeinungen (Z 6) des Angeklagten Sasa J***** und der Staatsanwaltschaft, wonach eine Subsumtion der inkriminierten Missbrauchshandlungen unter § 206 StGB wegen Fehlens des (vermeintlich) tatbestandsessentiellen Erregungs- und Befriedigungsvorsatzes nicht in Betracht komme, versagen. Die §§ 206, 207 StGB schützen generell die sexuelle Integrität von Unmündigen, denen es ob ihrer (mentalen) Unreife an der natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit betreffend jegliche sexuelle Annäherung fehlt. Deshalb ist auch jede Form einer solchen Annäherung bei Unmündigen verboten, um deren ungestörte sexuelle und allgemein psychische Entwicklung bestmöglich zu gewährleisten (Schick aaO § 206 Rz 1; Kienapfel/Schmoller BT III §§ 206 bis 207 Rz 3). Für die Verwirklichung des § 206 Abs 1 StGB genügt in subjektiver Hinsicht, dass der (Eventual-)Vorsatz des Täters alle äußeren Tatbildmerkmale, also das Unternehmen des Beischlafs oder einer beischlafwertigen Handlung und das Alter des Opfers (Unmündigkeit) umfasst (Schick aaO § 206 Rz 20; Kienapfel/Schmoller aaO §§ 206-207 Rz 32 f). Eine auf geschlechtliche Erregung oder Befriedigung gerichtete Tendenz verlangt das Gesetz nur in den hier nicht aktuellen, auf die Verleitung des Opfers zur Selbstvornahme von (qualifizierten) geschlechtlichen Handlungen abstellenden Fällen der §§ 206 Abs 2 zweiter Fall, 207 Abs 2 zweiter Fall sowie 212 Abs 1 und Abs 2 jeweils letzter Fall StGB. Hingegen erfordert der Tatbestand des § 206 Abs 1 StGB (ebenso wie jener des § 207 Abs 1 StGB sowie die erste und zweite Alternative des § 212 Abs 1 und Abs 2 StGB) keine solche sexuelle Tätermotivation. Vielmehr ist für die rechtliche Beurteilung einer Tathandlung als dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung der objektive Sexualbezug der Manipulation entscheidend, also ob das unmündige Opfer die Tat nach einem objektiv individualisierenden Maßstab als entsprechend schweren Eingriff in seine sexuelle Integrität erleben musste. Da das Ausmaß der vorskizzierten Opferbeeinträchtigung völlig unabhängig von der Befriedigung des Täters zu bewerten ist (vgl EvBl 2001/152; 15 Os 72/01) und dem Gesetz keine Einschränkung zu entnehmen ist, wonach es dem Täter auf seine sexuelle Befriedigung ankommen müsse, unterfallen auch nicht unmittelbar der Befriedigung des Geschlechtstriebes des Täters dienende, etwa auf Demütigung oder Züchtigung des Opfers, Machtausübung und Zufügung seelischer Qualen ausgerichtete (nach dem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene) Angriffe gegen die sexuelle Integrität einer unmündigen Person dem § 206 Abs 1 StGB (11 Os 48/00; 14 Os 2/04).
Beim (nominell auch aus Z 4 vorgebrachten) Beschwerdeeinwand, "wonach eine Begehung des Unternehmensdeliktes nach § 206 Abs 1 StGB durch Unterlassung nicht möglich sei", übergeht der Angeklagte Sasa J*****, dass er nach den Feststellungen im Unzuständigkeitsurteil der Beitragstäterschaft (§ 12 dritter Fall StGB) verdächtig ist, indem er unter Vernachlässigung seiner im Gesetz statuierten (Beistandspflicht nach § 137 Abs 2 ABGB) Erfolgsabwendungspflicht (§ 2 StGB) den an seiner unmündigen Tochter begangenen schweren sexuellen Missbrauch trotz bestehender Möglichkeit nicht verhindert habe (Kienapfel/Schmoller aaO § 206 bis 207 Rz 47; Fuchs AT6 37/91; 14 Os 11/97).
Soweit der Nichtigkeitswerber Sasa J***** mit isolierter Bezugnahme auf eine vom Schöffengericht ausreichend miterwogene Aussage der Jaqueline J***** (vgl US 7) seine Abwesenheit bei jenem Vorfall in Abrede stellt, "als die Erstangeklagte (gemeint die Zweitangeklagte Suzana J*****) Gegenstände in die Vagina des Opfers einführte", bekämpft er bloß in unzulässiger Weise die gegenteiligen, im Unzuständigkeitsurteil für wahrscheinlich gehaltenen Sachverhaltsannahmen (US 5; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 499). Die Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten Sasa J***** und der Staatsanwaltschaft waren daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators, jedoch entgegen der dazu vom Verteidiger erstatteten Äußerung - als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 2 StPO).
Die angemeldete (AS 289/II), bei einem Unzuständigkeitsurteil des Schöffengerichtes begrifflich nicht in Betracht kommende Berufung des Angeklagten Sasa J***** war ebenfalls zurückzuweisen (vgl 12 Os 181/82; 9 Os 27/85).
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