OGH 11Os48/00

OGH11Os48/0027.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lackner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Martin R***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft St. Pölten gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Schöffengericht vom 2. Feber 2000, GZ 17 Vr 759/99-58, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Bierlein, des Verteidigers Mag. Mödlagl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses sowie in der Ablehnung des Ausspruchs, dass der Angeklagte (in Tateinheit zu Punkt II 7 des Schuldspruchs) mit dem unmündigen Marcel L***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen habe, sowie demgemäß in der rechtlichen Beurteilung des diesbezüglichen Tatgeschehens nur als das Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Martin R***** des (in insgesamt zehn Angriffen zum Nachteil zweier unmündiger Opfer begangenen) Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Zu Punkt II 7 des Schuldspruchs liegt ihm zur Last, zwischen Februar 1999 und Mai 1999 in Golling den seiner Obhut unterstehenden dreijährigen Marcel L***** veranlasst zu haben, seinen (des Angeklagten) Penis "in den Mund zu nehmen".

In Erledigung des in diesem Zusammenhang weiters erhobenen Anklagevorwurfes (Punkt C der ON 46/I iVm S 483/I), in (jeweiliger) Tateinheit mit dem Delikt nach § 92 Abs 1 StGB mit einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung iS des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB unternommen sowie eine seiner Aufsicht unterstehende minderjährige Person unter Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses zur Unzucht missbraucht und damit das Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 erster Fall StGB begangen zu haben, erging hinsichtlich des angelasteten Vergehenstatbestandes (verfehlt - Mayerhofer StPO4 § 259 E 61) ein Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO; bezüglich des inkriminierten Verbrechenstatbestandes wurden die zur Ablehnung der Annahme der idealkonkurrierenden Handlung führenden Erwägungen ohne Fällung eines formellen Freispruchs (insoweit prozessual richtig) in den Entscheidungsgründen niedergelegt.

Das Erstgericht erachtete im Kern die gesetzlichen Erfordernisse der beiden in Rede stehenden Unzuchtsdelikte für nicht gegeben, weil die für die Tatbegehung ausschlaggebende Motivation nicht in der Befriedigung des Geschlechtstriebes des Angeklagten, sondern im Quälen des Opfers gelegen gewesen sei und kein Missbrauch zur Unzucht vorliege (US 6 f, 9).

Rechtliche Beurteilung

Gegen die zur Verneinung der vorgeworfenen Sittlichkeitsdelikte führenden rechtlichen Erwägungen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 10 gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft die - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - berechtigt ist. Verkennt das Schöffengericht doch bei seiner Argumentation, dass eine sexuelle Tendenz vom Gesetz nur in den hier nicht aktuellen Fällen der (auf die Verleitung des Opfers durch den Täter zur Vornahme von Unzuchtshandlungen an sich selbst abgestellten) jeweils zweiten Alternative der §§ 207 Abs 2 und 212 Abs 1 StGB (als besonderes Schuldmerkmal - Kienapfel/Schmoller Strafrecht BT III § 205 RN 20; §§ 207-207 RN 33) verlangt wird, während die Tatbestände des § 206 Abs 1 StGB (ebenso wie die Bestimmung des § 207 Abs 1 StGB) und des § 212 Abs 1 erster Fall StGB eine solche Tatmotivation nicht voraussetzen. Vielmehr ist für die rechtliche Unterstellung einer in der (hier: oralen) Berührung unmittelbarer geschlechtsspezifischer Körperpartien des Täters (oder des Opfers) gelegenen Handlung unter den Begriff einer (qualifiziert) "geschlechtlichen" oder (der früheren Terminologie folgend) "unzüchtigen" Handlung (Kienapfel/Schmoller aaO Vorbem zu §§ 201 ff RN 19; 1230 BlgNR XX GP, 20 f) der objektive Sexualbezug der Manipulation entscheidend. Ausschließlich in diesem Sinn ist auch die in den Materialien zum StRÄG 1998, BGBl 1998/153, verwendete (vom Erstgericht ersichtlich missinterpretierte - US 8) Formulierung in Bezug auf beischlafsähnliche Handlungen nach § 206 StGB ("jede auf die Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichtete Form einer oralen, analen oder vaginalen Penetration" - 1230 BlgNR XX GP, 21) zu verstehen (vgl SSt 60/70). Daher unterfallen auch auf die Demütigung des Opfers und die Zufügung seelischer Qualen ausgerichtete (nach dem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene) Praktiken den Bestimmungen nach § 201 ff StGB (Kienapfel/Schmoller aaO Vorbem §§ 201 ff RN 30). Dass das konstatierte Tatgeschehen (durch den Angeklagten erwirkte orale Berührung seines Gliedes seitens des kindlichen Opfers) objektiv als erhebliche, sozial störende Rechtsgutsbeeinträchtigung im Intimbereich (Leukauf/Steininger Komm3 RN 5; Foregger/Fabrizy StGB7 Rz 3, je zu § 202) und somit als geschlechtliche (bzw - hier inhaltlich ident - unzüchtige) Handlung zu werten ist, steht außer Frage. Darüber hinaus ist dieses Verhalten auch als beischlafswertige geschlechtliche Handlung iS des § 206 Abs 1 StGB anzusehen (Kienapfel/Schmoller aaO Vorbem zu §§ 201 ff RN 45, 48; §§ 206-207 RN 19, je swN; Foregger/Fabrizy aaO § 201 Rz 2).

Der dem Erstgericht unterlaufene, zutreffend gerügte Rechtsirrtum zwingt zur Kassation des Urteils im davon betroffenen Umfang (einschließlich des prozessual verfehlten Freispruchs). Da den Feststellungen nicht sämtliche (ojektiven und - vor allem) subjektiven Tatbestandsmerkmale, die eine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts in der aufgezeigten Richtung ermöglichen, entnommen werden können, ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, sofort in der Sache selbst zu erkennen, sodass die Rückverweisung der Strafsache im Umfang der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung unvermeidlich ist.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.

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