OGH 14Os11/97

OGH14Os11/9715.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.April 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Mayrhofer, Dr.E.Adamovic, Dr.Holzweber und Dr.Ratz als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Holzmannhofer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Josef K***** und Irene K***** wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Irene K***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 6.Dezember 1996, GZ 1 d Vr 8.068/96-43, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr.Bierlein, der Angeklagten Irene K***** und ihres Verteidigers Mag.Nitsch zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Die Ehegatten Josef K***** und Irene K***** wurden des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, und zwar Josef K***** als unmittelbarer Täter, Irene K***** als Beitragstäterin nach § 12 dritter Fall StGB, schuldig erkannt (A 1 und B).

Darnach hat Josef K***** in G***** ab Sommer 1994 bis 10.März 1995 in zahlreichen Angriffen mit seiner am 10.März 1981 geborenen unmündigen Stieftochter Monika G***** den außerehelichen Beischlaf unternommen und Irene K***** zu diesen strafbaren Handlungen dadurch beigetragen, daß sie deren Ausführung unter Vernachlässigung der ihr als Mutter des Opfers obliegenden Erfolgsabwendungspflicht (§ 2 StGB) nicht verhinderte.

Nur Irene K***** bekämpft den Schuldspruch mit einer nominell auf die Gründe der Z 5, 5 a, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; indes zu Unrecht.

Den Feststellungen zufolge mißbrauchte der seit dem Jahr 1991 mit der Beschwerdeführerin verehelichte Josef K***** ab Sommer 1994 deren damals dreizehnjährige im gemeinsamen Haushalt lebende Tochter Monika G***** regelmäßig zur Unzucht, wobei er vielfach - teils in Gegenwart der Angeklagten - mit dem Mädchen geschlechtlich verkehrte. Irene K*****, welche die bis Dezember 1994 im Ehebett vorgefallenen Beischlafshandlungen ihres Gatten an ihrer Tochter wiederholt beobachtet hatte und wußte, daß sich Josef K***** dem Mädchen auch in der Folge in dessen Zimmer regelmäßig sexuell näherte, hinderte ihren Gatten nicht am geschlechtlichen Mißbrauch, obwohl ihr bewußt war, daß sie als Mutter verpflichtet gewesen wäre, gegen die an ihrem unmündigen Kind begangenen Unzuchtshandlungen durch Ergreifen geeigneter (und ihr tatsächlich möglicher) Maßnahmen einzuschreiten (US 6 f).

Rechtliche Beurteilung

Die in der Mängelrüge (Z 5) mit Bezugnahme auf vermeintlich erörterungsbedürftige Inkonformitäten zwischen einzelnen Passagen in der Verantwortung des Mitangeklagten Josef K***** und den zeugenschaftlichen Angaben des Tatopfers im Vorverfahren behauptete Unvollständigkeit der Begründung der Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite liegt nicht vor.

Die Tatrichter stützten ihre Feststellungen zum inneren Bereich unter ausdrücklicher Ablehnung der leugnen- den Verantwortung der Angeklagten in der Hauptverhandlung (S 109 ff/II) auf deren für überzeugend erachtete Einlassung vor der Gendarmerie (S 195 f, insb S 203/I), in der sie die oftmalige Beobachtung der vielfach in ihrer Anwesenheit über lange Zeit im Ehebett stattgefundenen Unzuchtshandlungen ausdrücklich einbekannte (US 8 f). Die vom Schöffengericht zur Richtigkeit dieser Angaben angestellten Überlegungen (Wiedergabe von spezifischem Detailwissen über das Vorgehen des unmittelbaren Täters; Übereinstimmung mit der Aussage der Zeugin Margit L*****, wonach sie aus Erzählungen der Angeklagten von der geschlechtlichen Beziehung zwischen Josef K***** und Monika G***** erfahren habe - S 391 f/I, 119 f/II), erweisen sich als mängelfrei.

Die von Josef K***** aufgestellte Behauptung, die Angeklagte habe die in Rede stehenden Vorgänge lediglich "erahnt" (S 157 unten/I), war nicht erörterungsbedürftig, weil sie als bloße Wiedergabe eines subjektiven Eindrucks keine verläßlichen Rückschlüsse auf den tatsächlichen Informationsstand der Beschwerdeführerin zuläßt. In bezug auf die Aussage der Monika G***** vor der Sicherheitsbehörde (S 65 f/I) versagt die Beschwerde schon allein deshalb, weil zufolge Inanspruchnahme des dieser Zeugin gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StPO eingeräumten Entschlagungsrechtes in der Hauptverhandlung (S 117 f/II) - eine Vernehmung nach § 162 a StPO wurde nicht durchgeführt - dem Erstgericht insoweit eine Verwertung bei sonstiger Nichtigkeit verwehrt war.

Entgegen der Tatsachenrüge (Z 5 a), ergeben sich aus den Akten keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen.

Jener Teil der Rechtsrüge (Z 9 lit a), in welchem die Angeklagte unter dem Prätext von Feststellungsmängeln den maßgeblichen Urteilskonstatierungen, wonach sie um die geschlechtliche Beziehung ihrer Tochter zu Josef K***** wußte (US 6), eine gegenteilige Annahme gegenüberstellt, entbehrt der prozeßordnungsgemäßen Darstellung dieses materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes, der ein striktes Festhalten an den tatrichterlichen Konstatierungen voraussetzt.

Da neue Tatsachen (oder gar Wiederaufnahmsgründe) im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können (Mayerhofer StPO4 § 281 E 16, 18 f), ist auf die erst in der Beschwerdeschrift vorgebrachte (und der eigenen Einlassung entgegenstehende - S 199/I) Behauptung der Angeklagten, wonach die Obsorge über Monika G***** im Tatzeitraum den mütterlichen Großeltern des Mädchens übertragen gewesen wäre, nicht näher einzugehen. Es sei jedoch angemerkt, daß selbst im Falle der gänzlichen Entziehung der Obsorge (§ 176 ABGB) für die Angeklagte nichts zu gewinnen wäre, weil die ihr als Mutter des unehelichen Kindes kraft Gesetzes (§§ 166, 137 ABGB) auferlegte Garantenstellung (Beistandspflicht) hiedurch nicht aufgehoben worden wäre. Den fortbestehenden Mindestrechten jenes Elternteiles, dem die Obsorge nicht zukommt (§ 178 ABGB), insbesondere in Ansehung des persönlichen Verkehrs mit dem Kind (§ 148 Abs 1 ABGB), entsprechen auch elterliche Pflichten, die durch die Entziehung der Obsorge nicht aufgehoben werden können, weil sie nicht auf der konkreten Obsorgeregelung, sondern auf der Elternschaft selbst beruhen (zum Fortbestand der Beistandspflicht auch für das eigenberechtigte - daher nicht mehr in elterlicher Obsorge befindliche - Kind vgl Schwimann, Praxiskommentar Rz 4 sowie Pichler in Rummel Komm2 Rz 6, jeweils zu § 137 ABGB).

Die Garantenstellung der Angeklagten infolge einer sie im besonderen treffende Rechtspflicht iS des § 2 StGB ergibt sich sohin aus der Bestimmung des § 137 Abs 2 ABGB, derzufolge Eltern gegenüber ihren (ehelichen oder unehelichen) Kindern - und umgekehrt - lebenslang zum Schutz von Leib, Leben und Freiheit verpflichtet sind (Kienapfel AT6 Z 30 RN 10).

Der in diesem Zusammenhang erhobene Beschwerdeeinwand, daß ein Tatbeitrag zum Begehungsdelikt des § 206 StGB nicht durch Unterlassung begangen werden könne, widerspricht einhelliger Lehre und Rechtsprechung (vgl Kienapfel AT6 E 5 RN 23 mwN aus Lit und Jud).

Zufolge zutreffender Annahme eines Tatbeitrags durch Unterlassung scheidet aber auch die in der Rechtsrüge ferner relevierte Subsumtion des Sachverhalts unter den Tatbestand der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB aus (Leukauf/Steininger Komm3 § 286 RN 12 f). Ein Eingehen auf den insoweit ins Treffen geführten besonderen Strafaufhebungsgrund des § 286 Abs 2 Z 1 StGB erübrigt sich daher.

Abwegig ist schließlich das auf das Vorliegen einer rechtfertigenden Pflichtenkollision zufolge Bestehens einer Unterstützungspflicht nicht nur gegenüber ihrer Tochter, sondern auch gegenüber ihrem Gatten Josef K***** (§ 90 ABGB) abzielende Vorbringen der Beschwerdeführerin, weil die Beistandspflicht der Ehegatten sich auf eine Hilfeleistung zu strafbaren Handlungen nicht erstreckt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte die Angeklagte nach § 206 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 41 Abs 1 StGB zu zehn Monaten Freiheitsstrafe, die es für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah. Dabei wertete es keinen Umstand als erschwerend; als mildernd hingegen das Geständnis im Vorverfahren, die bisherige Unbescholtenheit und die Tatsache, daß die Beschwerdeführerin "emotional wohl auch an ihren Mann gebunden war".

Die Berufung, mit welcher Irene K***** die Anwendung des § 37 (Abs 2) StGB und überdies die bedingte Nachsicht der begehrten Geldstrafe anstrebt, ist unbegründet.

Der vom Erstgericht vernachlässigte Milderungsgrund der Deliktsverwirklichung lediglich durch Unterlassung (§ 34 Z 5 StGB) wird dadurch mehr als aufgewogen, daß der lange Deliktszeitraum auch der Angeklagten als erschwerend anzulasten ist, wogegen ihrer gefühlsmäßigen Bindung an den unmittelbaren Täter nach Lage des Falles wegen der klar im Vordergrund stehenden überwiegenden Interessen des eigenen Kindes keine entscheidende Bedeutung zukommt. Die von der Berufungswerberin ohne nähere Substantiierung behaupteten Umstände, welche einem Schuldausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund nahekämen, sind im Berufungsverfahren ebensowenig hervorgetreten wie eine solche "geistige Primitivität" der Angeklagten, daß die Annahme naheläge, die für eine Mutter offensichtliche Unrechtmäßigkeit ihres Verhaltens könnte ihr allenfalls nicht klar bewußt geworden sein.

Eine sechs Monate nicht übersteigende Freiheitsstrafe kam darnach nicht in Betracht, sodaß allein deshalb dem Begehren auf Verhängung einer Geldstrafe (§ 37 Abs 2 StGB) nicht nähergetreten werden konnte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390 a StPO.

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