OGH 13Os54/13k

OGH13Os54/13k29.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. August 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bitsakos als Schriftführer in der Strafsache gegen DI Thomas J***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 18. Februar 2013, GZ 25 Hv 167/12y‑15, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde DI Thomas J***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 6. April 2012 in I*****, um sich geschlechtlich zu erregen, die am 2. September 1999 geborene Denise L***** dazu verleitet, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen, indem er sie durch entsprechende Aufforderungen veranlasste, vor einer Internetkamera einen Finger in ihre Scheide einzuführen (US 4).

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Vorweg sei mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO festgehalten:

Der Oberste Gerichtshof sieht keinen Grund, von seiner ‑ auch in der Lehre geteilten (Philipp in WK² StGB § 206 Rz 14) ‑ Rechtsauffassung, wonach die von einem unmündigen Mädchen (über Verleitung des Täters) an sich selbst vorgenommene digitale Vaginalpenetration den objektiven Tatbestand des § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB verwirklicht (15 Os 100/09h, EvBl 2010/7, 39; RIS‑Justiz RS0095305 [T2]), abzugehen.

Diese Rechtsauffassung geht auf die Judikatur zu § 201 Abs 1 StGB zurück, nach der die digitale Vaginalpenetration das diesbezügliche Tatbestandselement der „dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung“ erfüllt (15 Os 11/92, EvBl 1992/180, 766; RIS‑Justiz RS0094959). Nachdem sich auch die Materialien zum StRÄG 1998 BGBl I 1998/153 (in den Erläuterungen zur mit dieser Novelle entsprechend adaptierten Bestimmung des § 206 StGB) ‑ unter ausdrücklicher Ablehnung (vereinzelter) gegenteiliger Lehrmeinungen ‑ dieser Sicht angeschlossen hatten (EBRV 1230 BlgNR 20. GP 21), verfestigte sie sich zur ständigen Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0094905, RS0094959, RS0095004).

Die Meinung, die Judikatur zum Tatbestandselement der „dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung“ sei auf § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB generell nicht anzuwenden, weil der Beischlaf die körperliche Vereinigung zweier Personen voraussetze, womit von einer Person an sich selbst vorgenommene geschlechtliche Handlungen niemals dem Beischlaf gleichzusetzen seien (Hinterhofer SbgK § 206 Rz 34), unterstellt dem Gesetzgeber die Schaffung einer zweck‑ und funktionslosen Norm und entfernt sich solcherart von einer Grundregel der Interpretationsmethodik (vgl Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriffe², 444; Kramer, Juristische Methodenlehre³, 105). In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass der zweite Fall des § 206 Abs 2 StGB nach den Materialien zum StRÄG 1998 ‑ ausdrücklich ‑ zur „Vermeidung einer Strafbarkeitslücke“ in das Gesetz aufgenommen wurde (EBRV 1230 BlgNR 20. GP 22).

Recht besehen liegt die Charakteristik des zweiten Falles des § 206 Abs 2 StGB gerade darin, dass das vergleichbaren Tatbeständen des Sexualstrafrechts (zB § 206 Abs 1 StGB) immanente Element der Fremdberührung durch jenes der Selbstberührung ersetzt wird (15 Os 100/09h, EvBl 2010/7, 39).

Grund zur Annahme, der Gesetzgeber habe hinsichtlich der bei der jeweiligen geschlechtlichen Handlung eingesetzten Mittel zwischen den Tatbeständen, die auf Fremdberührung abstellen, und jenen, welche die Eigenberührung verlangen, differenzieren wollen (Kienapfel/Schmoller StudB III² Vorbem §§ 201 ff Rz 50), bieten weder der Gesetzeswortlaut noch die Materialien.

Zur Sicht eines Wertungswiderspruchs bei Annahme einer (insoweit unter dem Aspekt der Strafdrohung gegebenen) Gleichsetzung von geschlechtlichen Fremd‑ und Eigenberührungen (Wach, Kritische Bemerkungen zur Neufassung des § 206 StGB [Schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen] RZ 2000, 56 [60]) genügt der Hinweis, dass der Gesetzgeber bei den die geschlechtliche Eigenberührung pönalisierenden Tatbeständen ‑ gezielt (vgl EBRV 30 BlgNR 13. GP 350) ‑ zusätzlich das subjektive Tatbestandsmerkmal der Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) des Täters, sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, festgeschrieben hat.

Die digitale Vaginalpenetration entspricht daher auch beim Tatbild des § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB dem Merkmal der „dem Beischlaf gleichzusetzenden“ geschlechtlichen Handlung.

Aufgrund der gesetzlichen Formulierung (wer eine unmündige Person ... „dazu verleitet“, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen) wird § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB in der Lehre teils dahin verstanden, dass die Tat vollendet ist, sobald das Opfer zu den geschlechtlichen Handlungen an sich selbst bereit ist (Philipp in WK² StGB § 206 Rz 26). Bei rechtsgutbezogener Betrachtung zeigt sich jedoch, dass § 206 StGB die sexuelle Integrität von Unmündigen als solche, nicht also (wie etwa § 201 StGB) die diesbezügliche Willensbildungs‑ oder Willensbetätigungsfreiheit schützt (Philipp in WK² StGB § 206 Rz 1 f; Hinterhofer SbgK § 206 Rz 3 bis 5). Demgemäß ist auch bei der Beurteilung der Deliktsvollendung nicht darauf abzustellen, ob im Opfer der Entschluss, die geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen, geweckt worden ist. Das Verb „verleiten“ beschreibt hier vielmehr ausschließlich die Tathandlung (Philipp in WK² StGB § 206 Rz 13 f; Hinterhofer SbgK § 206 Rz 29 f), während der Erfolg, also die von dieser Handlung zumindest gedanklich abtrennbare Wirkung in der Außenwelt (Kienapfel/Höpfel/Kert AT14 Z 9 Rz 6), in der Vornahme der dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung an sich selbst besteht. Daher ist die Tat im Sinn des § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB vollendet, sobald das Opfer beginnt, diese Handlung vorzunehmen; geschieht dies (trotz darauf gerichteter Einflussnahme des Täters) nicht, liegt Versuch (§ 15 StGB) in Form einer Ausführungshandlung vor (Hinterhofer SbgK § 206 Rz 52).

Indem die Mängelrüge (Z 5) die Frage releviert, ob Denise L***** tatsächlich einen Finger in ihre Scheide eingeführt hat, spricht sie somit (bloß) die Abgrenzung zwischen versuchter und vollendeter Tat an und bezieht sich demnach nicht auf schuld‑ oder subsumtionsrelevante Umstände. Da sich die rechtliche Bedeutung dieser Abgrenzung auf die Frage des Vorliegens des Milderungsumstands des § 34 Abs 1 Z 13 StGB beschränkt, betreffen darauf bezogene Feststellungen Strafzumessungstatsachen und gehören solcherart dem ‑ der Anfechtung aus Z 5 entzogenen (RIS‑Justiz RS0118581) ‑ Regelungsbereich des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO zu (12 Os 119/06a, EvBl 2007/130, 700 [verst Senat]; RIS‑Justiz RS0122137, RS0122138).

Soweit sich die Tatsachenrüge (Z 5a) auf nämliche Thematik bezieht, gilt Entsprechendes.

Indem die Rüge aus den ‑ mängelfrei erörterten (US 5 bis 7) ‑ Skype‑Kontakten zwischen dem Beschwerdeführer und Denise L***** (ON 14 S 6 iVm ON 2 S 237 bis 277) anhand eigener Beweiswerterwägungen den Schluss ableitet, die Unmündigkeit des Opfers im Tatzeitpunkt sei ‑ entgegen den Urteilsfeststellungen (US 4) ‑ nicht vom Vorsatz umfasst gewesen, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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