Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Die „Berufung wegen Schuld" wird zurückgewiesen.
Hingegen wird der Berufung (wegen des Ausspruchs über die Strafe) dahin Folge gegeben, dass die über Harald U***** verhängte Freiheitsstrafe auf zwei Jahre herabgesetzt wird.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last;
II. den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthaltenden Urteil wurde Harald U***** des Verbrechens des (versuchten) schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 206 Abs 2 StGB (I./) und der Verbrechen des (versuchten) sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 2 StGB (II./) schuldig erkannt.
Danach hat er, um sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, versucht, in Wien unmündige Personen zu verleiten,
I./ eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung an sich selbst vorzunehmen, nämlich am 12. Februar 2008 die am 2. Oktober 1998 geborene Anna F***** durch telefonische Aufforderung dazu, sich den Finger in „den Popo" zu stecken und mit dem Finger in ihrer Scheide „herumzustierln";
II./ geschlechtliche Handlungen, nämlich zumindest ein Betasten von Geschlechtsteilen, an sich selbst vorzunehmen, und zwar
1./ am 1. Februar 2008 die am 3. Oktober 1997 geborene Julia H***** und den am 1. Oktober 2000 geborenen Thomas H***** durch die telefonische Aufforderung, ihre Ober- und Unterhosen auszuziehen,
2./ am 16. Jänner 2008 den am 28. Februar 1999 geborenen Paul P***** durch die telefonische Aufforderung, sich auszuziehen, verbunden mit der Frage, wie oft er schon onaniert habe,
3./ am 7. Februar 2008 den am 26. Februar 2000 geborenen Dimitri T***** durch die telefonische Aufforderung, sich auszuziehen und seinen Penis abzumessen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die - nur den Schuldspruch zu I./ bekämpfende - auf § 281 Abs 1 Z 10 (der Sache nach auch Z 5) StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die eine Unterstellung der Tat unter § 207 Abs 2 StGB anstrebt; sie schlägt fehl.
Soweit die Beschwerde zunächst (der Sache nach aus Z 5 vierter Fall) behauptet, es lägen keine Verfahrensergebnisse für die Feststellungen zur Aufforderung eines „Herumstierlns" vor, zumal der Angeklagte dieses Wort nicht verwendet habe, zeigt sie keinen Begründungsmangel auf, übersieht sie doch, dass - worauf sich die Tatrichter aktenkonform stützten - die Mutter des Tatopfers als Zeugin aussagte, dem Bericht ihrer Tochter zufolge habe der Beschwerdeführer sie aufgefordert, mit dem Finger in der Scheide „herumzufahren" (S 13 in ON 5 in ON 9; Hauptverhandlung [ON 50, S 27]: „den Finger einzuführen"), und weiters der Angeklagte, der sich in der Hauptverhandlung vollinhaltlich schuldig bekannt hatte (ON 50, S 5), auf die Frage des Vorsitzenden, ob er das Mädchen dazu aufgefordert habe, es solle in der Scheide „rumstierln", dies zugestand (ON 50, S 13).
Zutreffend hat der Oberste Gerichtshof zu AZ 13 Os 107/77 (= JBl 1978, 161) - anders als im angefochtenen Urteil - die telefonische Aufforderung an eine Unmündige, einen Finger in die eigene Scheide einzuführen, lediglich als Verbrechen der versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 dritter Fall StGB (aF) beurteilt. Indem die Subsumtionsrüge (Z 10) daraus Schlüsse für den konkreten Fall zieht, vernachlässigt sie, dass § 206 StGB in der damals geltenden Stammfassung des StGB (BGBl 1974/60) ausschließlich den außerehelichen Beischlaf mit Unmündigen unter Strafe gestellt hat, während die in Rede stehende geschlechtliche Handlung von § 207 Abs 1 StGB (aF) erfasst wurde (dritter Fall: „Verleitung zu einer unzüchtigen Handlung an sich selbst"). Die Verleitung zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung an sich selbst wurde erst durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1998, BGBl I 1998/153, eigens typisiert, und zwar als letzter Fall des § 206 Abs 2 StGB, sodass mit der auf der früheren Rechtslage beruhenden Judikatur für die nach aktueller Rechtslage zu beurteilende Frage nichts zu gewinnen ist.
Als Beleg für einen behaupteten Subsumtionsirrtum führt die Beschwerde weiters die in der Literatur vertretene Ansicht ins Treffen, es sei „problematisch", die Vornahme von dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlungen an sich selbst § 206 StGB zu unterstellen (§ 206 Abs 2 letzter Fall StGB), weil sich die besondere Intensität des Beischlafs aus der engen Verbindung zweier Personen ergebe und einer geschlechtlichen Handlung an sich selbst diese Intensität nicht zukomme (Kienapfel/Schmoller StudB BT III² Vorbem §§ 201 ff RN 50; Hinterhofer in SbgK § 206 Rz 34; Schick in WK² § 206 Rz 14). Während Kienapfel/Schmoller als einzigen Anwendungsfall für § 206 Abs 2 letzter Fall StGB nur das intensive Einführen eines Gegenstands in die Vagina in Betracht ziehen, vertreten Hinterhofer und Schick die Meinung, für eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung an sich selbst gebe es überhaupt keinen Anwendungsfall.
Letztere These, der Gesetzgeber habe somit eine zur Gänze unanwendbare bzw zwecklose Bestimmung geschaffen, bedarf mangels Orientierung an den allgemein anerkannten Grundsätzen der Auslegung von Gesetzen (vgl Kramer, Juristische Methodenlehre2, 76 ff [94]) keiner weiteren Erörterung.
Doch auch die Ansicht, nur die Penetration mit einem Gegenstand, nicht aber mit dem Finger, stelle eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung dar, ist unzutreffend.
§ 201 StGB erfasst seit der Strafgesetznovelle 1989, BGBl 1989/242, in Abs 1 sowohl den Beischlaf als auch die „dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung". Unter Letztere fällt jede auf Befriedigung des Geschlechtstriebs gerichtete Form einer oralen, vaginalen oder analen Penetration. Entscheidend ist, dass die geschlechtlichen Handlungen nach der Summe ihrer Auswirkungen und Begleiterscheinungen mit einem Beischlaf vergleichbar sind (RIS-Justiz RS0094905). Für eine Abgrenzung dieser „qualifizierten geschlechtlichen Handlungen" von den „einfachen geschlechtlichen Handlungen" des § 202 Abs 1 StGB sind primär äußere Kriterien wie Ähnlichkeit mit einem Geschlechtsverkehr in der Vornahme der Handlung (Involvierung eines primären Geschlechtsteils, geschlechtsverkehrsähnliche Bewegungen) und in der Intensität der Inanspruchnahme der Sexualsphäre des Opfers heranzuziehen (Schick in WK² § 201 Rz 23 ff). Die Intensität dieser Involvierung, die einem Beischlaf ähnlich sein muss, ergibt sich aus der Gesamtbetrachtung der geschlechtlichen Handlung von Täter- und Opferseite her. Die äußere Tatseite muss dem sozialen Bedeutungsgehalt eines Beischlafs entsprechen (WK2 § 201 Rz 28 f).
In Angleichung an die mit der Strafgesetznovelle 1989 erfolgte Änderung der §§ 201 und 202 StGB ist seit Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetz 1998, BGBl I 1998/153, auch beim sexuellen Kindesmissbrauch die Tatbegehung durch eine dem Beischlaf im Sinn der obigen Ausführungen gleichzusetzende geschlechtliche Handlung jener durch Beischlaf rechtlich gleichgestellt (§ 206 StGB).
Für die Erfüllung des letztgenannten Tatbestands in der aktuellen Fassung ist es - Kienapfel/Schmoller zuwider - unerheblich, mit welchem Mittel die vaginale oder anale Penetration erfolgt, sofern die Penetration in ihrer Intensität der sexuellen Inanspruchnahme des Opfers dem Beischlaf gleichwertig ist, was regelmäßig schon bei einer bloß einmaligen Digitalpenetration anzunehmen ist (1230 BlgNR 20. GP , 21).
Vorliegend kommt es somit auf die Beantwortung der Frage an, ob jene geschlechtliche Handlung, die das Opfer an sich selbst vornehmen soll, eine solche darstellt, die dem Beischlaf gleichzusetzen ist.
Der Oberste Gerichtshof sieht keinen Anlass von seiner ständigen Rechtsprechung abzugehen, wonach in der digitalen Vaginalpenetration bei einem neunjährigen Mädchen in einer fallspezifischen Gesamtbetrachtung regelmäßig eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung zu erblicken ist (RIS-Justiz RS0116530, RS0095004).
Die digitale Analpenetration, zu der Anna F***** nach den Urteilsfeststellungen ebenfalls verleitet werden sollte, steht im Übrigen einer vaginalen Penetration weder in der Intensität der sexuellen Inanspruchnahme noch in der Schwere des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers nach und ist demnach im Vergleich zum Beischlaf genauso als diesem gleichzusetzende und gleich sozial schädliche Form sexuellen Missbrauchs anzusehen (RIS-Justiz RS0073566, RS0115232, RS0073118).
Entgegen der mit Rechtsprechung zu § 206 Abs 1 StGB argumentierenden Behauptung, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung erfordere eine Berührung zwischen Täter und Opfer, ist bei den Verleitungstatbeständen des § 206 Abs 2 StGB die Anwesenheit des Täters am Unzuchtsort für die Tatbildverwirklichung nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0095305 [schon zu § 207 Abs 1 dritter Fall StGB aF]; Schick in WK² § 206 Rz 14 zweiter Absatz), vielmehr ist bei den Verleitungstatbeständen der §§ 206 Abs 2 letzter Fall und 207 Abs 2 letzter Fall StGB das Kriterium der Fremdberührung durch jenes der Selbstberührung (arg: „an sich selbst") zu ersetzen.
Da dem Erstgericht somit kein Subsumtionsfehler unterlaufen ist, war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.
Die angemeldete „Berufung wegen Schuld" (S 41 in ON 50) war als unzulässig zurückzuweisen, weil sie im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehen ist (§ 283 Abs 1 StPO).
Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach § 206 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren und wies ihn gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein.
Zudem widerrief es beschlussmäßig die dem Angeklagten durch das Landesgericht St. Pölten am 9. November 2006 zu AZ 15 BE 200/06v gewährte bedingte Entlassung aus einer zweijährigen Freiheitsstrafe (mit einem offenen Strafrest von zwei Monaten).
Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen von vier Verbrechen und eine einschlägige Vorstrafe als erschwerend, als mildernd hingegen das reumütige Geständnis und den Umstand, dass es jeweils beim Versuch geblieben ist.
Zutreffend weist die Berufung darauf hin, dass dem Angeklagten überdies zugute zu halten ist, dass seine Opfer bei den Taten nicht in persönlichen, sondern nur in telefonischen Kontakt mit ihm kamen. Darüber hinaus hat aber auch die schuldmindernde Persönlichkeitsstörung des Angeklagten als mildernd zu wirken (vgl Ebner in WK2 § 34 Rz 3).
Unter Rücksichtnahme auf alle für und wider den Angeklagten sprechenden Umstände erachtete der Oberste Gerichtshof eine zweijährige Freiheitsstrafe für angemessen und - im Zusammenhalt mit der nicht angefochtenen Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB - den anzustellenden Präventionserwägungen Rechnung tragend, sodass die vom Schöffengericht gefundene Sanktion entsprechend zu reduzieren war.
Der Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss zuwider bedarf es jedoch schon im Hinblick auf die spezifische Einschlägigkeit des Rückfalls in mehreren Fällen zusätzlich des Vollzugs des offenen Strafrests, um Harald U***** in Hinkunft zu einem deliktsfreien Lebenswandel anzuhalten.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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