OGH 11Os60/19m

OGH11Os60/19m25.6.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Juni 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Schriftführerin OKontr. Kolar in der Strafsache gegen R***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 9. Oktober 2018, GZ 180 Hv 52/18b‑56, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00060.19M.0625.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde R***** jeweils mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1) sowie Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (2), des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (3), jeweils mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster Satz StGB „teils in der Fassung BGBl 134/2002“ (4), ferner jeweils eines Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 StGB (5) und nach § 107 Abs 1 StGB (6) sowie mehrerer Vergehen der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 Z 1 StGB „teils in der Fassung BGBl 134/2002“ schuldig erkannt.

Danach hat er – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – in G*****

von Anfang 2009 bis Ende 2010 außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen von einer

(1) unmündigen und

(2) mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen

Person an sich vornehmen lassen, indem er seine am ***** geborene Tochter A***** in einer Mehrzahl von Angriffen dazu verleitete, an ihm den Handverkehr vorzunehmen, sowie

(6) am 6. März 2017 P***** mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er mit einer Metallspachtel in der Hand auf sie „losschritt“ und „mehrmals Schlagbewegungen“ „in ihre Richtung ausführte“ (US 6 f).

 

Rechtliche Beurteilung

Ausdrücklich nur gegen diese Schuldsprüche wendet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO erhobene, (verfehlt, jedoch prozessual unschädlich – vgl RIS‑Justiz RS0099067 [insbesondere T15]) als „Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe“ bezeichnete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

 

Schuldspruch 1 (und 2) umfasst eine unbestimmte Mehrzahl bloß pauschal individualisierter gleichartiger Taten (US 4 f; zur Zulässigkeit RIS‑Justiz RS0119552). Weder für die Schuld- noch für die Subsumtionsfrage von Bedeutung – somit nicht entscheidend – ist demnach, ob der Angeklagte mehr als zwei solcher Taten begangen hat (RIS‑Justiz RS0116736 [insbesondere T7]).

Der Einwand der Mängelrüge, das Erstgericht habe verabsäumt, eine diesbezügliche Bekundung der Zeugin A***** (sie wisse nicht mehr, ob „es mehr als zweimal war“; „es“ sei „jedenfalls mehr als einmal gewesen“ – ON 24 S 4) „ausreichend“ zu würdigen (Z 5 zweiter Fall), verfehlt daher den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 391).

Die den betreffenden Anklagevorwurf gänzlich leugnende (von der Beschwerde selbst als „widersprüchlich“ bezeichnete) Verantwortung des Angeklagten wurde – der weiteren Rüge zuwider – gar wohl berücksichtigt (Z 5 zweiter Fall), jedoch als unglaubhaft verworfen (US 9).

Das übrige Vorbringen der Mängelrüge bekämpft die – aus den vom Schöffengericht als glaubhaft erachteten zeugenschaftlichen Angaben der P***** zum Tathergang abgeleiteten (US 11 f) – Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der Drohung laut Schuldspruch 6 und zur diesbezüglichen Ernstlichkeit (US 7).

Der Vorwurf, das Erstgericht habe ein – im Rechtsmittel isoliert hervorgekehrtes – Detail der Zeugenaussage P***** unerwogen gelassen (Z 5 zweiter Fall), wonach sie „einfach so getan“ habe, als würde sie „das“ (vom Schuldspruch 6 umfasste Verhalten des Angeklagten) „auch komisch finden“, und „gequält gelacht“ habe (ON 55 S 26), unterlässt die zur prozessförmigen Ausführung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes gebotene (RIS‑Justiz RS0116504) Betrachtung des relevierten Beweismittels in seiner Gesamtheit. Gab doch diese Zeugin – über Vorhalt der Einlassung des Angeklagten, er habe „gelacht“ und sie habe „auch gelacht“ (ON 55 S 16) – (ebenfalls) an, dies sei „sein schiaches Grinsen, sein hämisches Grinsen“, „aber kein Spaßgrinsen“ gewesen (ON 55 S 26).

Einzelheiten der Verantwortung des Beschwerdeführers wiederum bedurften schon deshalb keiner gesonderten Erörterung (Z 5 zweiter Fall), weil ihr die Tatrichter – insgesamt – nicht folgten (RIS‑Justiz RS0098642 [T1]).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) richtet sich gegen die (rechtliche) Beurteilung der vom Schuldspruch 6 umfassten Drohung als gefährlich (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB).

Indem sie ihre Argumentation nicht auf Basis der Urteilsfeststellungen (US 6 f), sondern aus davon abweichenden Beschwerdeprämissen („kurzfristige Schrecksituation“) entwickelt, verfehlt sie die Ausrichtung nach der Verfahrensordnung (RIS‑Justiz RS0099810).

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

 

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei hinzugefügt, dass das angefochtene Urteil im Schuldspruch 4 mit – nicht geltend gemachter – materieller Nichtigkeit behaftet ist:

Unter Zugrundelegung der dazu getroffenen Tatsachenfeststellungen (US 5 f) verschaffte sich der Angeklagte „im Zeitraum Anfang 2004 bis 6. März 2017“ eine Mehrzahl von (teils die Legaldefinition der lit a, teils jene der lit b des § 207a Abs 4 Z 3 StGB erfüllenden) pornographischen Darstellungen – ausschließlich mündiger – Minderjähriger. Jede dieser Darstellungen besaß er anschließend bis zum 6. März 2017 (dem „Tag seiner polizeilichen Wegweisung“).

Dieses Verhalten subsumierten die Tatrichter als mehrere Vergehen nach (erkennbar gemeint) § 207a Abs 3 erster Satz StGB „teils in der Fassung BGBl 134/2002“ (US 3; vgl US 13).

Vor Inkrafttreten des neu gefassten § 207a StGB mit 1. Mai 2004 (BGBl I 2004/15) jedoch war weder das Sich-Verschaffen noch der Besitz pornographischer Darstellungen mündiger Minderjähriger mit Strafe bedroht (vgl § 1 Abs 1 StGB). § 207a (Abs 3) StGB idF BGBl I 2002/134 pönalisierte bloß das Sich-Verschaffen und den Besitz pornographischer Darstellungen mit Unmündigen (vgl Philipp in WK2 StGB § 207a Rz 3).

Freilich ging das Schöffengericht von einer zahlenmäßig nicht festgelegten Mehrzahl gleichartiger, (nur gegen andere, jedoch) nicht untereinander abgegrenzter Taten aus, sodass ein Wegfall einzelner (der solcherart bloß pauschal individualisierten) Taten nichts am Schuldspruch ändern könnte (RIS‑Justiz RS0117436, RS0115706 [insbesondere T3]). Nach den tatrichterlichen Feststellungen (US 5: „im Zeitraum Anfang 2004 bis 6. März 2017“) ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass sich der Angeklagte sämtliche (und nicht bloß einzelne der) tatverfangenen Darstellungen (bereits) vor dem 1. Mai 2004 – somit zur Zeit der Straflosigkeit dieses Verhaltens – verschafft hat (vgl RIS‑Justiz RS0098557 [T10, T11, T14, T16] zur ausnahmsweise rechtlichen Relevanz der Tatzeit).

Dennoch wurde nicht die Frage nach gerichtlicher Strafbarkeit (Z 9 lit a), sondern (bloß) die Subsumtionsfrage (Z 10) unrichtig gelöst. Dies aus folgenden Gründen:

1. Der erste (Sich‑Verschaffen) und der zweite (Besitz) Fall des § 207a Abs 3 erster Satz StGB bilden – als rechtlich gleichwertige Tatbestandsvarianten – ein alternatives Mischdelikt (Hinterhofer SbgK § 207a Rz 13; Philipp in WK2 StGB § 207a Rz 33).

2. Zwischen den Deliktsfällen bestehen tatbestandsmäßige Überschneidungen: Beginnt der „Besitz“ des Tatobjekts, indem sich der Täter dieses „verschafft“, werden die Tatbestandselemente beider Begehungsformen durch eine (einzige) Tat im materiellen Sinn (zum Begriff Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 1; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 516) erfüllt (vgl die grundsätzliche Deutung strafbaren Besitzes als „Herbeiführung oder Aufrechterhaltung von Gewahrsam“ bei Hochmayr, Strafbarer Besitz von Gegenständen [2005] 56 ff, 85 ff und 145 ff).

3. Strafbarer Besitz (einer pornographischen Darstellung einer minderjährigen Person iSd § 207a Abs 3 erster Satz zweiter Fall StGB) ist – schon nach der Tatbestandsformulierung – als Dauerdelikt aufzufassen (Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 207a Rz 7; 17 Os 4/17t mwN [zu § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG], RIS‑Justiz RS0090573 [T1]; vgl Hochmayr, aaO 63 ff und 149; aA Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 Z 9 Rz 30: Zustandsdelikt).

4. Mehrere Begehungsformen (2) eines alternativen Mischdelikts (1) können – weil sie eine strafbare Handlung bilden – nicht in (Konkurrenz oder) Scheinkonkurrenz zueinander stehen (vgl Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 2 und Oshidari SbgK § 233 Rz 55; vgl auch 13 Os 168/08t, JBl 2009, 733, RIS‑Justiz RS0114037 [T3], zu § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG). Entgegen Teilen des Schrifttums (Kienapfel/Schmoller, BT III Rz 29; Hinterhofer SbgK § 207a Rz 90) „geht“ das Sich-Verschaffen dem (anschließenden) Besitz (3) daher keineswegs (im Sinn dessen Verdrängung im Wege von Scheinkonkurrenz) „vor“.

5. Verschafft sich der Täter eine verpönte Darstellung (als Tatobjekt des § 207a Abs 3 erster Satz StGB) und besitzt er sie anschließend, wird diese – eine strafbare Handlung begründende (4) – eine Tat (2) demnach bis zu dem Zeitpunkt begangen (§ 67 Abs 1 StGB), in dem der Besitz (3) endet (vgl Salimi in WK2 StGB § 67 Rz 10).

6. Erstreckt sich die Tat (5) über den zeitlichen Geltungsbereich verschiedener Normenlagen, ist nach Rechtsprechung (14 Os 108/16p EvBl 2017/63, 428; 12 Os 123/16d, EvBl 2017/128, 876; RIS‑Justiz RS0091813 [insbesondere T3]) und Lehre (Seiler PK‑StGB § 61 Rz 3; Triffterer SbgK § 61 Rz 18 mwN) das für den Günstigkeitsvergleich (§ 61 StGB) maßgebliche Tatzeitrecht jenes, das zu dem Zeitpunkt in Geltung stand, als sie zuletzt begangen wurde.

7. Nach dem Urteilssachverhalt (US 5 f) besaß der Angeklagte sämtliche vom Schuldspruch umfassten verpönten Darstellungen bis zum 6. März 2017. Das für alle betreffenden Taten – mögen sie sich auch über mehrere Rechtsschichten erstreckt haben – maßgebliche Tatzeitgesetz (6) ist demnach § 207a Abs 3 erster Satz StGB in der an jenem Tag geltenden Fassung BGBl I 2015/112 und 154. Seit diesem Zeitpunkt bis zu dem der Urteilsfällung blieb § 207a StGB – im hier bedeutsamen Umfang (vgl BGBl I 2017/117) – unverändert. Ausgehend davon war die Normenlage zum Tatzeitpunkt – in ihrer fallkonkreten Gesamtauswirkung (RIS‑Justiz RS0119085 [T1]) – nicht günstiger (§ 61 zweiter Satz StGB) als das Urteilszeitrecht. Die betreffenden Taten wären daher – ausnahmslos – § 207a Abs 3 erster Satz StGB idgF zu subsumieren gewesen.

 

Angesichts der (zutreffend) auf Basis des § 207 Abs 1 StGB (in Anwendung des § 28 StGB) erfolgten Strafrahmenbildung sowie des Umstands, dass sich die fehlerhafte Subsumtion (Z 10) auch bei der Strafbemessung nicht zum Nachteil des Angeklagten auswirkte (US 13), sah sich der Oberste Gerichtshof jedoch nicht zu amtswegigem Vorgehen veranlasst.

Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO), wobei hinsichtlich des aufgezeigten Rechtsfehlers keine (dem Angeklagten zum Nachteil gereichende) Bindung an den unklar gebliebenen Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO besteht (RIS‑Justiz RS0118870; Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 27/1).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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