OGH 11Os23/24b

OGH11Os23/24b12.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. März 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Drach als Schriftführerin in der Strafsache gegen * R* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 50 Hv 20/21f des Landesgerichts Eisenstadt, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse dieses Gerichts vom 17. Mai 2022 (ON 217 und ON 218) und vom 24. Juni 2022 (ON 222) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00023.24B.0312.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Im Verfahren AZ 50 Hv 20/21f des Landesgerichts Eisenstadt verletzen die Beschlüsse dieses Gerichts vom 17. Mai 2022 (ON 217 und ON 218) und vom 24. Juni 2022 (ON 222) § 17 Abs 1 StPO und § 37 SMG.

Diese Beschlüsse werden ersatzlos aufgehoben.

 

Gründe:

[1] Mit – in der Hauptverhandlung am 30. November 2021 zu I/C/ präzisierter (ON 194 S 17) – Anklageschrift vom 17. August 2021, AZ 11 St 113/20s (ON 167), legte die Staatsanwaltschaft Eisenstadt * R*, P* U* und M* U* – soweit im Folgenden von Relevanz – jeweils ein als Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG beurteiltes Verhalten zur Last.

[2] Danach haben

I/ vorschriftswidrig „Suchtmittel in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge überlassen“, und zwar

A/ * R*, P* U* und M* U* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) in einem noch genauer festzustellenden Zeitraum ab März 2019 an noch festzustellenden Orten noch festzustellenden Abnehmern, und zwar

1/ 2.500 g Speed, beinhaltend eine Reinsubstanz von 262,5 g Amphetamin;

2/ 100 g Kokain, beinhaltend eine Reinsubstanz von 67,63 g Cocain;

3/ 100 Stück XTC‑Tabletten, beinhaltend eine Reinsubstanz von 2,5 g MDMA;

B/ * R*, und zwar

1/ im Zeitraum von Jänner 2019 bis März 2021 in O* zumindest 70 g Cannabisblüten, beinhaltend 0,46 g THC und 6,04 g THCA an * B* zum Grammpreis von 10 Euro;

2/ in einem noch festzustellenden Zeitraum ab 17. Dezember 2020 in K* zumindest 170 g Kokain, beinhaltend eine Reinsubstanz von 114,92 g Cocain an noch festzustellende Abnehmer;

3/ zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt einige Tage vor dem 14. April 2021 in K* 9,5 g Cannabisblüten, beinhaltend 0,06 g THC und 0,82 g THCA zum Preis von 150 Euro an * N*;

C/ P* U* in einem noch genauer festzustellenden Zeitraum ab März 2019 an noch festzustellenden Orten 200 g Cannabisblüten, beinhaltend 1,32 g THC und 17,26 g THCA an * K*.

[3] In der Begründung der Anklageschrift (§ 211 Abs 2 zweiter Satz StPO) führte die Staatsanwaltschaft ua aus, dass

[4] In der am 30. November 2021 zu AZ 50 Hv 20/21f vor dem Landesgericht Eisenstadt als Schöffengericht durchgeführten Hauptverhandlung wurden „Rechtsgespräche“ darüber geführt, dass „in der Anklageschrift der Eigenkonsum nicht dabei“ sei, wobei die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang darauf verwies, dass „der Eigenkonsum zugestanden [worden sei] und es dem Gericht [freistehe], dies rechtlich zu würdigen und unter einen anderen Tatbestand einzuordnen; […] sollte die Weitergabe […] nicht verurteilt werden, so bleibe zumindest ein Eigenkonsum nach § 27 Abs 1 SMG übrig“(ON 194 S 44 f).

[5] Mit am gleichen Tag verkündetem Urteil wurden – soweit hier in Bezug auf die vorgeworfene Suchtgiftdelinquenz von Relevanz – * R* von den (Anklage‑)Vorwürfen I/A/ und I/B/2/, P* U* von den (Anklage‑)Vorwürfen I/A/ und I/C/ und M* U* vom (Anklage‑)Vorwurf I/A/ gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen (ON 194 S 47).

[6] Nach Verkündung dieser Freisprüche hielt die Vorsitzende des Schöffengerichts im Protokoll fest, dass „betreffend * R*, P* U* und M* U* der Tatbestand nach § 27 Abs 1 Z 1 und Abs 2 SMG [verbleibe], weshalb ein Vorgehen nach § 35 SMG zwingend indiziert“ sei (ON 194 S 47).

[7] Im Anschluss an die nach Verkündung des Urteils bereits beendete Hauptverhandlung (vgl RIS‑Justiz RS0125616, RS0098214) teilte die Vorsitzende mit, dass ihres Erachtens hinsichtlich P* U* und M* U* der Anwendungsfall des § 35 Abs 1 SMG, hinsichtlich * R* jener des § 35 Abs 2 SMG vorliege, weswegen die Hauptverhandlung „zur Einholung einer Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde zwecks geplantem Vorgehen nach § 35 SMG […] auf vorerst unbestimmte Zeit vertagt“ wurde (ON 194 S 48).

[8] Das Urteil (ON 195) erwuchs in Rechtskraft (vgl ON 195 S 5; ON 197).

[9] Den Freisprüchen liegen – soweit hier von Relevanz – zusammengefasst folgende (Negativ‑) Feststellungen zugrunde (US 8 bis 10):

[10] Der Angeklagte * R* konsumierte seit dem Jahr 2016/2017 Cannabis, Speed und Kokain, ua auch gemeinsam mit * B*, wobei die beiden einander wechselseitig Cannabis zur Verfügung stellten. Der Genannte war überdies einige Male in der Wohnung des * K*; bei diesen Gelegenheiten konsumierten sie Cannabis.

[11] Der Angeklagte P* U* konsumierte seit seiner letzten Beanstandung nach dem Suchtmittelgesetz immer wieder Cannabis und Speed. Er bezog nur einmal, und zwar im April 2019, 100 g Speed von * K*; dieses konsumierte er in der Folge an seiner Wohnadresse.

[12] Der Angeklagte M* U* konsumierte seit dem Jahr 2019 Cannabis und Speed.

[13] Bei allen drei Angeklagten endete der Konsum am 14. April 2021.

[14] Der Angeklagte R* überließ * B* im Zeitraum Jänner 2019 bis März 2021 in O* zumindest 20 g Cannabisblüten (beinhaltend 0,132 g THC und 6,04 g THCA) sowie * N* einige Tage vor dem 14. April 2021 in K* 9,5 g Cannabisblüten (beinhaltend 0,06 g THC und 0,82 g THCA).

[15] Das Schöffengericht konnte jedoch nicht feststellen, dass

[16] Mit Beschlüssen vom 17. Mai 2022 stellte das Landesgericht Eisenstadt das gegen P* U* (ON 217) und M* U* (ON 218) (jeweils) „wegen § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG“ geführte „Strafverfahren“ „gemäß § 37 SMG iVm § 35 Abs 1 SMG unter Bestimmung einer Probezeit von 2 (zwei) Jahren“ unter gleichzeitiger Erteilung einer Weisung vorläufig ein.

[17] Mit weiterem Beschluss vom 24. Juni 2022 (ON 222) stellte das Landesgericht Eisenstadt (auch) das gegen * R* wegen „§ 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG“ geführte „Strafverfahren“ „gemäß § 37 SMG iVm § 35 Abs 2 SMG unter Bestimmung einer Probezeit von 2 (zwei) Jahren“ unter gleichzeitiger Erteilung einer Weisung vorläufig ein.

[18] Mit (jeweils) am 15. September 2023 gefassten Beschlüssen (ON 240 bis 242; Ausfertigungen dieser Beschlüsse weisen – irrig – das Datum 31. Juli 2023 auf) wurden die „Strafverfahren“ gegen * R* „wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall SMG“ sowie gegen P* U* und M* U* (jeweils) „wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall und Abs 2 SMG“ fortgesetzt.

[19] Über die (rechtzeitige) Beschwerde des P* U* (ON 244) gegen den ihn betreffenden Beschluss (ON 241) hat das Oberlandesgericht Wien (AZ 17 Bs 248/23d) noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

[20] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen die Beschlüsse des Landesgerichts Eisenstadt vom 17. Mai 2022 (ON 217 und ON 218) und vom 24. Juni 2022 (ON 222) mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[21] Gegenstand der Anklage und damit Prozessgegenstand im gegenständlichen Verfahren waren in Bezug auf die hier allein interessierende Delinquenz nach dem SMG – wie sich aus der maßgeblichen Zusammenschau von Anklagetenor und Anklagebegründung (vgl RIS‑Justiz RS0097672, RS0102147, RS0097725 sowie insbesondere auch 11 Os 21/07h) ergibt – die gegen * R*, P* U* und M* U* erhobenen Vorwürfe des – zum (überwiegenden) Teil im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (I/A/), zum Teil von * R* allein (I/B/) und zum Teil von P* U* allein (I/C/) angelasteten – Überlassens von näher bezeichneten Suchtgiften in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge an andere Personen.

[22] Von der Anklage umfasst waren vorliegend aber auch die im objektiven Tatbestand nicht zusammentreffenden – bei anschließender Überlassung identer Quantitäten des gleichen Suchtgifts infolge Subsidiarität in scheinbarer Realkonkurrenz verwirklichten (RIS‑Justiz RS0126213, RS0127080; vgl auch Ratz in WK2 StGB Vorbemerkungen zu §§ 28–31 Rz 26 und 30) Vorwürfe des Besitzes der in der Folge (laut Vorwurf) überlassenen Suchtgifte (zu I/A/ und I/C/ siehe die insoweit eindeutigen Passagen auf S 6 und S 9 in der Begründung der Anklageschrift ON 167) sowie des (von der Staatsanwaltschaft aus den insoweit geständigen Einlassungen der Angeklagten abgeleiteten) Besitzes von Cannabis bzw Speed (Amphetamin) bis zum Eigenkonsum (S 6 f der Anklageschrift ON 167; zum Besitz durch bloß kurzfristige Übernahme zu Zwecken des sofortigen Konsums vgl im Übrigen RIS‑Justiz RS0010122 [T3]).

[23] Eine Ausscheidung von einzelnen die erwähnten Angeklagten betreffenden – vom angeklagten Lebenssachverhalt im vorbeschriebenen Sinn (mit‑)umfassten – Verfahrensteilen mittels einer prozessleitenden Verfügung der Vorsitzenden (§ 35 Abs 2 zweiter Fall StPO; RIS‑Justiz RS0130527) erfolgte bis zum Schluss der Verhandlung (§ 257 erster Satz StPO; ON 194 S 46) nicht.

[24] Jedes strafgerichtliche Urteil hat die gesamte (verfahrensgegenständliche) Anklage entweder durch Schuldspruch oder durch Freispruch zu erledigen (§ 4 Abs 3 StPO; RIS‑Justiz RS0120128; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 523). Für eine vollständige Erledigung der (im Urteilszeitpunkt vorliegenden) Anklage hat daher die Summe der einem bestimmten Angeklagten in der Anklage zur Last gelegten Taten der Summe der im Urteil durch Schuld- (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) oder Freispruch (§ 259 StPO) erledigten zu entsprechen (RIS‑Justiz RS0121607; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 502).

[25] Fallaktuell wurden die drei Angeklagten laut Urteilstenor – soweit hier von Relevanz – von den ihnen in der Anklage unter I/A/ und I/B/2/ und I/C/ explizit zur Last gelegten Tathandlungen des Überlassens von Suchtgift freigesprochen (vgl US 3 bis 5).

[26] Hingegen erfolgte keine (spruchmäßige) Erledigung im Urteilstenor (vgl § 260 Abs 1 StPO; Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 14) in Bezug auf das * R* in der Anklage unter I/B/1/ und I/B/3/angelastete (nach den Urteilsannahmen nicht als Teil einer tatbestandlichen Handlungseinheit erfolgte) Überlassen von Suchtgift sowie den – wie dargestellt – gleichfalls (mit‑)angeklagten (zufolge der entsprechenden Negativfeststellungen zur Weitergabe von identen Quantitäten desselben Suchtgifts – im Vergleich zur ursprünglichen Anklage gar nicht [mehr] scheinbar real konkurrierenden, sondern – allein verwirklichten) Erwerb und Besitz von näher bezeichneten Suchtgiften (bis zu deren Konsum) des * R*, des P* U* und des M* U*.

[27] Wenngleich das Erstgericht von diesen Vorwürfen ersichtlich nicht (zur Gänze) freisprechen, sondern vielmehr nach § 35 Abs 1 SMG (P* U* und M* U*) bzw nach § 35 Abs 1 und Abs 2 SMG (* R*) vorgehen wollte (vgl US 23), kommt die von der Staatsanwaltschaft unbekämpft gebliebene Nichterledigung der Anklage im beschriebenen Umfang – mangels diesbezüglich erfolgter (analog § 27 StPO grundsätzlich möglicher) Verfahrenstrennung vor Schluss der Verhandlung, wodurch die in Rede stehenden Tathandlungen weiterhin verfahrensgegenständlich blieben (Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 12 mwN; 14 Os 70/15y) – einem Freispruch gleich (RIS‑Justiz RS0099646 [T1, T8]); eine neuerliche Strafverfolgung kommt insoweit nicht mehr in Betracht (RIS‑Justiz RS0099646 [T1, T5, T8]; Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 14).

[28] Die in Bezug auf diese Taten dennoch gefassten Beschlüsse des Landesgerichts Eisenstadt vom 17. Mai 2022 (ON 217 und ON 218) und vom 24. Juni 2022 (ON 222) auf [jeweils] vorläufige Einstellung „des Strafverfahrens“ für eine Probezeit von zwei Jahren (unter jeweils gleichzeitiger Erteilung einer Weisung) verletzen daher den in § 17 Abs 1 StPO normierten Grundsatz des Verbots wiederholter Strafverfolgung (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0124619&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False; vgl auch Art 4 des 7. ZPMRK).

[29] Nach § 37 SMG ist eine sinngemäße Anwendung der §§ 35 und 36 SMG durch das Gericht zudem nur bis zum Schluss der Hauptverhandlung zulässig. Die fallaktuell erst nach diesem Zeitpunkt (vgl erneut RIS‑Justiz RS0125616, RS0098214) erfolgte Beschlussfassung verletzt das Gesetz daher auch in dieser Bestimmung.

 

[30] Da sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil der Freigesprochenen auswirken, war deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

[31] Die von der Kassation rechtslogisch abhängigen Entscheidungen und Verfügungen gelten damit gleichfalls als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).

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