OGH 11Os148/24k

OGH11Os148/24k21.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Jänner 2025 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz, Dr. Oberressl, Dr. Brenner und Mag. Riffel in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Müller BSc als Schriftführerin in der Strafsache gegen * F* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Geschworenengericht vom 16. September 2024, GZ 9 Hv 43/24m‑271, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0110OS00148.24K.0121.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Der Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden, angefochtenen Urteil wurde * F* im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten 11 Os 140/23g) des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie am 2. August 2022 in * F* ihren Ehemann P* zu töten versucht, indem sie dem im Bett schlafenden Genannten mit einem Cuttermesser, einer Rasierklinge, einem Skalpell oder einem vergleichbaren Gegenstand mit scharfer Klinge einen etwa 18 Zentimeter langen, mittig gelegenen, waagrechten Schnitt in den Hals zufügte, wobei es beim Versuch geblieben ist, weil keine tiefergehende Gefäßverletzung eintrat.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 9 und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.

[4] Das Zeugnisverweigerungsrecht bei Selbst- oder Angehörigenbezichtigungsgefahr nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO ist – wie die Beschwerdeführerin ohnedies einräumt – nicht ausdrücklich mit Nichtigkeit bewehrt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 226).

[5] Als Gegenstand der Verfahrensrüge (Z 4) – die das Unterbleiben einer aus ihrer Sicht gebotenen, entsprechenden Belehrung zweier in der Hauptverhandlung vernommener Zeugen behauptet – kommt es daher von vornherein nicht in Betracht (RIS‑Justiz RS0124907 [T2]).

[6] Der weitere Einwand, einer dieser Zeugen wäre (als Bruder des anderen Zeugen) überdies „nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO zu belehren gewesen“, ist – weil Angehörigeneigenschaft (§ 72 StGB) desselben gegenüber der (hier) Angeklagten (worauf die angesprochene Bestimmung abstellt) gar nicht in Rede steht – schlicht unverständlich.

[7] Soweit für die Erledigung des auf Z 9 gestützten Beschwerdevorbringens von Bedeutung, bejahten die Geschworenen die anklagekonform gestellte Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes (§§ 15, 75 StGB) und verneinten die nach dem Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch (§ 16 StGB) gestellte Zusatzfrage. Ein Auftrag zur Verbesserung des Wahrspruchs (§ 332 Abs 4 StPO) wurde den Geschworenen nicht erteilt.

[8] Dem (insoweit unsubstantiierten) Beschwerdevorwurf zuwider ist die Antwort der Geschworenen – mit anderen Worten die Feststellungsebene – keineswegs undeutlich (Z 9 erster Fall). Indem die Rüge – der Sache nach – Undeutlichkeit bloß auf der Begründungsebene, nämlich in Bezug auf den Inhalt der in § 331 Abs 3 StPO bezeichneten Niederschrift „hinsichtlich der Zusatzfrage“, einwendet, macht sie keine Nichtigkeit geltend (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 66 ff [insbesondere Rz 71]; RIS-Justiz RS0118546 [insbesondere T2]).

[9] Als bei der Strafbemessung erschwerend wertete das Geschworenengericht „das Nachtatverhalten, indem [die Angeklagte] ihre zum Tatzeitpunkt minderjährige 13-jährige Tochter als Täterin verdächtigte […] und somit ua einer massiven psychischen Belastung und einem enormen gesellschaftlichen Druck aussetzte“ (US 3).

[10] Entgegen der Sanktionsrüge (Z 13 zweiter Fall) liegt darin – auf der Basis des Urteilssachverhalts – keine aggravierende Bewertung grundrechtlich geschützten Verteidigungsverhaltens („leugnende Verantwortung“) der Beschwerdeführerin:

[11] Dass der Angeklagten aus ihrem Aussage- und sonstigen Prozessverhalten im Strafverfahren prinzipiell (auch bei der Sanktionsfindung) kein Nachteil erwachsen darf (RIS-Justiz RS0090897 [insbesondere T2]; 13 Os 13/15h; Riffel in WK2 StGB § 32 Rz 43), folgt aus dem – verfassungsrechtlich aus Art 6 Abs 2 MRK abzuleitenden (Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 138; Harrendorf/König/Voigt in HK-EMRK5 Art 6 Rz 152 ff je mwN), einfachgesetzlich in § 7 Abs 2 erster Satz StPO ausdrücklich normierten – Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo-tenetur-Grundsatz) und aus dem Recht des Beschuldigten, seine Verantwortung (überhaupt) frei zu wählen (§ 49 Z 4, § 164 Abs 1 und 4, § 245 Abs 2 StPO).

[12] Im Zusammenhang mit unwahren Angaben findet das angesprochene Verteidigungsrecht der Angeklagten – auf das sich die Rüge allein beruft – aber jedenfalls dort seine Grenze, wo sich die Angeklagte nicht mehr bloß auf die Abwehr der sie belastenden Tatsachen beschränkt, sondern ihre Stellung als Tatverdächtige zur Verletzung der Rechte anderer benützt (Haslwanter, WK-StPO § 7 Rz 40; RIS-Justiz RS0097595). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie im Rahmen ihrer wahrheitswidrigen Verantwortung – wie nach dem festgestellten (Strafzumessungs-)Sachverhalt (US 3) – eine andere Person wider besseres Wissen bezichtigt, die Tat begangen zu haben, derer sie selbst verdächtig ist (Pilnacek/Swiderski in WK2 StGB § 297 Rz 43; 11 Os 21/94; RIS-Justiz RS0096638).

[13] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO sei hinzugefügt, dass die bekämpfte Strafzumessungserwägung aber (nicht aus dem von der Beschwerde genannten Grund [vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 586 und § 290 Rz 1 f], sondern) aus anderen Gründen rechtlich verfehlt ist:

[14] 1. Nachtatverhalten darf – abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmefällen – per se nicht als erschwerend gewertet werden (Riffel in WK2 StGB § 32 Rz 37 ff mwN; 13 Os 65/14d, 66/14a; 11 Os 108/18v; vgl auch RIS-Justiz RS0091109).

[15] 2. Greift das Gericht bei der Strafbemessung auf die Begehung einer (hier allenfalls: nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB zu beurteilenden – vgl zur Tatbestandsmäßigkeit der Verleumdung Unmündiger Pilnacek/Swiderski in WK2 StGB § 297 Rz 15 mN) Straftat als tatsächlichen Anknüpfungspunkt zurück, die nicht Gegenstand des im angefochtenen Urteil gefällten oder eines sonstigen, rechtskräftigen Schuldspruchs ist, wird dadurch die Unschuldsvermutung (§ 8 StPO; Art 6 Abs 2 MRK) verletzt (11 Os 108/18v mwN; RIS-Justiz RS0132357).

[16] Im Hinblick darauf, dass der betreffende Sachverhalt („ihre […] Tochter als Täterin verdächtigte“) kein Gegenstand (irgend-)eines Schuldspruchs der Beschwerdeführerin ist, war dies hier der Fall.

[17] Der darin gelegenen Nichtigkeit nach Z 13 zweiter Fall (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 713) kann im Rahmen der Berufungsentscheidung Rechnung getragen werden (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 29; RIS-Justiz RS0122140).

[18] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – wie auch die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend ausführte – gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[19] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i StPO).

[20] Der Kostenausspruch gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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