OGH 13Os65/14d

OGH13Os65/14d14.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. August 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Anscheringer als Schriftführer in der Strafsache gegen Zelmach T***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB, AZ 44 Hv 29/12y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile dieses Gerichts als Schöffengericht vom 8. Jänner 2013 (ON 52) und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. Juli 2013 (ON 62) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, und des Verteidigers Dr. Binder zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0130OS00065.14D.0814.000

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 44 Hv 29/12y des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzen die Urteile dieses Gerichts als Schöffengericht vom 8. Jänner 2013 (ON 52) und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. Juli 2013 (ON 62) § 33 Abs 1 StGB.

Das letztgenannte Urteil wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Entscheidung über die Berufung des Zelmach T***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. Jänner 2013 (ON 52) aufgetragen.

Text

Gründe:

Zelmach T***** wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. Jänner 2013 (ON 52) des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB schuldig erkannt. Das Erstgericht verhängte über ihn hiefür eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und wertete bei der Strafbemessung unter anderem „die massive Diskreditierung des Opfers vor Gericht und vor der Polizei durch die haltlose Anschuldigung, Steve Ejeike O***** habe versucht, ihm Suchtgift zu verkaufen“ (ON 52 S 8), als erschwerend.

Nach Zurückweisung der gegen den Schuldspruch erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Zelmach T***** mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 16. Mai 2013 (ON 59) gab das Oberlandesgericht Wien der zugleich gegen den Ausspruch über die Strafe erhobenen Berufung mit Urteil vom 11. Juli 2013 (ON 62) nicht Folge und sprach dabei aus, dass das Erstgericht „die massive Diskreditierung, mithin die Verleumdung des Opfers“, zu Recht als erschwerend gewertet habe (ON 62 S 7).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, stehen die genannten Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien (ON 52) und des Oberlandesgerichts Wien (ON 62) mit dem Gesetz nicht im Einklang:

§ 33 Abs 1 StGB enthält eine demonstrative Aufzählung der besonderen Erschwerungsgründe (arg „insbesondere“), womit bei der konkreten Strafbemessung auch nicht ausdrücklich genannte Gründe Beachtung finden können, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie den gesetzlichen in der Zielsetzung und ihrem Gewicht nach gleichkommen (Ebner in WK² StGB Vor §§ 32‑36 Rz 29; Leukauf/Steininger Komm³ § 33 Rz 14; vgl auch Fabrizy, StGB11 § 33 Rz 1).

Mit Blick auf den hier erschwerend in Anschlag gebrachten Umstand der Belastung des Opfers im Rahmen der Vernehmung als Beschuldigter (und als Angeklagter) zeigt eine Gesamtschau der hier relevanten Regeln über die Strafbemessung, dass das StGB eine Berücksichtigung des Nachtatverhaltens zwar im Rahmen der besonderen Milderungsgründe (§ 34 StGB), nicht jedoch in jenem der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 StGB) und der besonderen Erschwerungsgründe (§ 33 StGB) vorsieht. Hieraus wird in der Lehre zu Recht der Schluss abgeleitet, dass die aggravierende Wertung des Nachtatverhaltens ‑ abgesehen von speziellen, hier nicht relevanten Ausnahmefällen ‑ den dem Abschnitt des StGB über die Strafbemessung zugrunde liegenden Zielsetzungen widerspricht (Ebner in WK² StGB § 32 Rz 37 mwN; vgl auch RIS‑Justiz RS0091109).

Die Berücksichtigung der Verantwortung des (nunmehr) Verurteilten nach der Tat verletzt somit die ‑ wie dargelegt ‑ in § 33 Abs 1 StGB implizit enthaltene Anordnung, nur solche Erschwerungsgründe heranzuziehen, die den gesetzlichen in der Zielsetzung und ihrem Gewicht nach gleichkommen.

Ob die in Rede stehenden Strafbemessungserwägungen ‑ wie von der Generalprokuratur angenommen ‑ die Unschuldsvermutung (§ 8 StPO, Art 6 Abs 2 MRK) verletzen (dem Wortlaut des Ersturteils ist eine solche Verletzung nicht zu entnehmen [ON 52 S 8], das Oberlandesgericht spricht zwar von „Verleumdung“, wirft Zelmach T***** aber ausdrücklich nicht vor, einen anderen „wissentlich“ falsch verdächtigt zu haben [ON 62 S 7]), kann somit dahinstehen, weil das Aussageverhalten eines Beschuldigten (zwar den Tatbestand der Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB erfüllen und solcherart strafrechtlich relevant sein kann, aber) nach dem Gesetz per se nicht als erschwerend gewertet werden darf.

Dies zeigt auch der Vergleich mit den Verfahrensgarantien der StPO, weil andernfalls das Recht des Beschuldigten, seine Verantwortung frei zu wählen (§§ 49 Z 4, 164 Abs 1 und 4, 245 Abs 2 StPO), konterkariert würde.

Da eine dem Verurteilten nachteilige Wirkung der Gesetzesverletzung nicht auszuschließen ist, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Zumal § 292 StPO dem Obersten Gerichtshof nicht die Möglichkeit einräumt, die Vorführung eines (wie hier) verhafteten Angeklagten zum Gerichtstag über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes anzuordnen, kommt dabei die von der Generalprokuratur begehrte Strafneubemessung nicht in Betracht (Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 31).

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