OGH 10ObS351/01t

OGH10ObS351/01t15.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Jozo S*****, Kroatien, vertreten durch Dr. Werner Loibl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Elternrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Mai 2001, GZ 7 Rs 176/01f-142, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21. Dezember 2000, GZ 25 Cgs 19/93d-133, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, zurückgewiesen. Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben. Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 24. 9. 1950 geborene Kläger stellte am 2. 4. 1992 bei der beklagten Partei den Antrag auf Zuerkennung einer Elternrente nach seinem am 18. 11. 1971 geborenen und am 13. 2. 1992 bei einem Arbeitsunfall tödlich verunglückten Sohn Perisa S*****. Er sei von seinem Sohn erhalten worden.

Das Erstgericht wies die auf Zuerkennung einer Elternrente gerichtete Klage ab. Nach seinen Feststellungen war eine Bestreitung des Lebensunterhalts des Klägers durch seinen Sohn nicht erweisbar. Das Berufungsgericht gab der vom Kläger (nur) aus dem Berufungsgrund der unrichtigen bzw mangelnden Tatsachenfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung erhobenen Berufung in nichtöffentlicher Sitzung nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis eines mangelfreien Beweisverfahrens und einer nachvollziehbaren, alle Beweisergebnisse berücksichtigenden und ausgewogen wertenden Beweiswürdigung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die unbeantwortete Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsstattgabe. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Vorweg ist zur Frage der Rechtzeitigkeit der Revision Stellung zu nehmen:

Dem Kläger wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 24. 6. 1996 (ON 41) die Verfahrenshilfe nach § 64 Abs 1 Z 1 lit f und Z 3 ZPO bewilligt. Nach dem Inhalt dieses Beschlusses gilt die Beigebung des Rechtsanwalts "für das erstinstanzl. Verfahren und das Rekurs- bzw ein allfälliges späteres Berufungsverfahren". Mit Bescheid vom 26. 6. 1996 wurde RA Dr. Werner J. Loibl zum Vertreter für die klagende Partei bestellt. Im weiteren Verfahren trat für RA Dr. Loibl - ohne dass dieser eine Erklärung über den Umfang der Substitution abgegeben hätte - jeweils RA Mag. Sonja S***** auf. An diese wurden in der Folge auch die für die klagende Partei bestimmten gerichtlichen Zustellungen vorgenommen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts wurde am 11. 7. 2001 unmittelbar an RA Mag. S***** zugestellt. Am 6. 8. 2001 langte beim Erstgericht ein am 31. 7. 2001 zur Post gegebener Verfahrenshilfeantrag des Klägers (vertreten durch einen mit beglaubigter Vollmacht ausgewiesenen kroatischen Rechtsanwalt) ein, in dem "die Bewilligung eines Verfahrenshilfeanwalts für Einbringung und Führung des Revisionsverfahrens" beantragt wurde. Das Erstgericht verständigte daraufhin mit einer mit 7. 8. 2001 datierten Note den Einschreiter, den Verfahrenshelfer und RA Mag. S*****, dass dem Kläger bereits mit Beschluss vom 24. 6. 1996 die Verfahrenshilfe bewilligt worden sei; eine Teilverfahrenshilfe für bestimmte Prozesshandlungen oder Verfahrensabschnitte sei ausgeschlossen, weshalb die bereits bewilligte Verfahrenshilfe auch ein allfälliges Revisionsverfahren umfasse. An den Verfahrenshelfer und an RA Mag. S***** wurde dieses Schreiben am 9. 8. 2001 voraus per Telefax übermittelt; die Zustellung mit Rückschein an RA Mag. S***** erfolgte am 14. 8. 2001.

RA Mag. S***** verfasste unter Berufung auf die Substitutionsvollmacht eine mit 9. 8. 2001 datierte Revisionsschrift, die am 9. 8. 2001 zur Post gegeben wurde und am 10. 8. 2001 beim Erstgericht einlangte. In dem in der Folge vom Erstgericht eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Rechtzeitigkeit der Revision wies Frau RA Mag. S***** darauf hin, dass das Erstgericht erstmals mit der am 9. 8. 2001 im Telefaxweg eingelangten Verständigung zum Ausdruck gebracht habe, dass die bewilligte Verfahrenshilfe auch das Revisionsverfahren umfasse; mit diesem Tag beginne daher die Revisionsfrist, weshalb die Revision rechtzeitig erhoben worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus folgenden Erwägungen als rechtzeitig anzusehen:

Mit der Zivilverfahrens-Novelle 1986 wurde durch die Anfügung des Halbsatzes "§ 31 Abs 2 und 4 sind sinngemäß anzuwenden" an § 64 Abs 1 Z 3 unter anderem klargestellt, dass auch der im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebene Rechtsanwalt sich eines Substituten bedienen darf (Noverka, AnwBl 1986, 398). Da die Substitution kein Vollmachtsverhältnis zwischen der Partei und dem Substituten des Verfahrenshelfers begründet und der Verfahrenshelfer nach außen keine Erklärung über den Umfang der Substitution abgegeben hat, wäre das Erstgericht verpflichtet gewesen, Zustellungen weiterhin an den Verfahrenshelfer (und nicht unmittelbar an dessen Substitutin) vorzunehmen. Die Zustellung der Berufungsentscheidung an den Substituten konnte erst mit dem Zeitpunkt wirksam werden, in dem das Urteil dem Verfahrenshelfer selbst zugekommen ist. Dieser Zeitpunkt ist aus dem Akt nicht feststellbar. Unter Bedachtnahme auf eine übliche Dauer des Postlaufes kann jedoch angenommen werden, dass dies frühestens am 12. 7. 2001 der Fall war, sodass - wie allgemein im Fall eines Zweifels (RIS-Justiz RS0002563) - von der Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels auszugehen ist.

Die nach § 46 Abs 3 Z 3 ASGG zulässige Revision ist jedoch nicht berechtigt.

1. Unter dem Revisionsgrund der Nichtigkeit des Berufungsverfahrens führt der Kläger aus, das Berufungsgericht habe dadurch, dass es keine mündliche Berufungsverhandlung anberaumt und die Berufungsentscheidung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen habe, den Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO verwirklicht. Nach § 492 ZPO können die Parteien auf die Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung verzichten. Wenn keine der Parteien die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragt hat, wird angenommen, dass die Parteien auf die Anordnung einer solchen Verhandlung verzichtet haben. Die Entscheidung über die Berufung erfolgt dann in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung. Das Gericht kann jedoch, wenn dies im Einzelfall erforderlich scheint, eine mündliche Verhandlung anordnen, insbesondere dann, wenn das Berufungsgericht eine Beweisaufnahme für nötig hält (§ 488 ZPO).

Nun ist richtig, dass die Verletzung der Vorschrift des § 492 ZPO Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO iVm § 503 Z 1 ZPO begründet (SSV-NF 7/53 mwN; RIS-Justiz RS0042245). Allerdings muss der Antrag auf Anberaumung einer Berufungsverhandlung grundsätzlich ausdrücklich (SSV-NF 13/75) gestellt werden, was voraussetzt, dass der entsprechende Antrag deutlich erkennbar ist. Diese Voraussetzung ist aber im vorliegenden Fall zu verneinen, weil der Kläger nach Ausführung der Tatsachenrüge lediglich einen Abänderungsantrag, hilfsweise einen Aufhebungsantrag gestellt hat. Die Anfechtung der Beweiswürdigung des Erstrichters vermag jedoch den Antrag auf Anordnung einer Berufungsverhandlung nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0042143). Da der in der Berufung gestellte Antrag auch nicht undeutlich oder unklar war (vgl JBl 1988, 472; RZ 1991/76; RdW 2001/316) und daher kein Anlass bestand, den Berufungswerber in einem Verbesserungsverfahren zu einer eindeutigen Erklärung aufzufordern, wurde seitens des Klägers wirksam auf eine mündliche Berufungsverhandlung verzichtet (§ 492 Abs 1 Satz 2 ZPO). Die Revision ist daher, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, mit Beschluss zurückzuweisen.

2. Liegt ein wirksamer Verzicht auf eine mündliche Berufungsverhandlung vor, ist das Berufungsgericht dennoch verpflichtet, eine Berufungsverhandlung anzusetzen und die Beweise zu wiederholen, soweit es Bedenken gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung hat (JBl 1988, 472). Im konkreten Fall hat das Berufungsgericht jedoch die erstgerichtlichen Feststellungen zur Gänze übernommen und eingehend begründet, warum die Ausführungen zur Beweiswürdigung nicht geeignet seien, konkrete Bedenken gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung zu erwecken.

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt aber auch nicht in Bezug auf die Unterlassung der Parteieneinvernahme des Klägers durch das Erstgericht vor. Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die in der Berufung nicht geltend gemacht worden waren, können im Revisionsverfahren nicht mehr aufgegriffen werden (SSV-NF 5/120; RIS-Justiz RS0043111).

3. Die Revision des Klägers beinhaltet auch eine Rechtsrüge. Nach ständiger Rechtsprechung kann eine im Verfahren zweiter Instanz unterbliebene Rechtsrüge in der Revision nicht mehr nachgeholt werden (RIS-Justiz RS0043573). Auch der Vorwurf des rechtlichen Feststellungsmangels kann nicht erfolgreich erhoben werden, wenn zu einem Thema ohnehin Feststellungen, und seien es "Negativfeststellungen", getroffen wurden, die jedoch den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers zuwiderlaufen (RIS-Justiz RS0043480/T15).

4. Da das Berufungsgericht zu Recht die Voraussetzungen für die Erlangung einer Elternrente verneint hat, ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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