European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00028.24A.0416.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger bezieht seit 1. August 2021 eine Korridorpension. In den Monaten September und November 2021 sowie Februar bis August 2022 bezog er ein Erwerbseinkommen, das das nach § 5 Abs 2 ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen überstieg. Meldungen darüber unterließ der auf die Meldepflichten hingewiesene Kläger.
[2] Aufgrund von Mitteilungen des Dachverbands der Sozialversicherungsträger erlangte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt Kenntnis davon, dass der Kläger im November 2021 mehrmals eine geringfügige Beschäftigung ausübte. Informationen über die Höhe des Arbeitsverdienstes aus diesen geringfügigen Beschäftigungen lagen der Beklagten jedoch nicht vor, sodass sie diesbezüglich begann, Erhebungen anzustellen. Zahlreiche Aufforderungsschreiben an den Kläger blieben von diesem unbeantwortet, bis er schließlich aufgrund eines mit der Beklagten geführten Telefonats vom 5. Oktober 2022 sein Einverständnis erklärte, dass diese selbständig Erhebungen über die Höhe seines Einkommens durchführen könne. Unmittelbar danach führte die Beklagte entsprechende Erhebungen durch.
[3] Mit rechtskräftigem Bescheid vom 9. November 2022 stellte die Beklagte die Korridorpension vorsorglich ein.
[4] Mit Bescheid vom 5. Dezember 2022 sprach die Beklagte aus, dass die Korridorpension des Klägers vom 1. bis 30. September 2021, vom 1. bis 30. November 2021 und vom 1. Februar bis 31. August 2022 wegfalle sowie der in dieser Zeit entstandene Überbezug an Pension von 19.689,74 EUR auf die von ihr zu erbringende Geldleistung anzurechnen sei und der Überbezug in Raten von 200 EUR von der monatlichen Leistung abgezogen werde; von den Sonderzahlungen würden 50 % mit dem Überbezug verrechnet.
[5] Die Vorinstanzen wiesen das auf Feststellung des Nichtbestehens einer Rückersatzpflicht gerichtete Klagebegehren ab und verpflichteten den Kläger zur Duldung der im Bescheid erklärten Aufrechnung. Sie bejahten eine schuldhafte Verletzung der Meldepflicht. Ein Ausschluss des Rückforderungsrechts im Sinn des § 107 Abs 2 lit a ASVG liege nicht vor. Die Beklagte sei erst mit dem am 5. Oktober 2022 erklärten Einverständnis des Klägers, dass sie selbst die Einkommensnachweise anfordern könne, in die Lage versetzt worden, die Einkommenshöhe festzustellen. Einem Entfall des Rückersatzes hielt das Berufungsgericht entgegen, dass die Beklagte ohnedies eine Aufrechnung in monatlichen Raten vorgenommen habe und der Kläger keine Gründe aufzeige, warum diesem Abzug (bei einer Korridorpension des Klägers im August 2021 von 2.401,13 EUR) berücksichtigungswürdige Gründe entgegen stünden. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[7] 1.1. Der Kläger bestreitet eine Verletzung der Meldepflichten des § 40 ASVG in der Revision nicht. Er steht auf dem Standpunkt, dass ihn kein Verschulden an dieser Verletzung treffe, weil er von einem „automatischen Datenaustausch“ zwischen der Finanzverwaltung und der Beklagten und daher davon ausgegangen sei, dass der Beklagten das von ihm erzielte Einkommen auch tatsächlich bekannt werde.
[8] 1.2. Ein Rückforderungsanspruch des Sozialversicherungsträgers gemäß § 107 ASVG besteht schon bei leicht fahrlässiger Verletzung der Meldevorschrift des § 40 ASVG. Für den Rückforderungsanspruch gemäß § 107 ASVG muss der Sozialversicherungsträger nur beweisen, dass eine Verletzung der Meldevorschrift des § 40 ASVG vorliegt. Sache des Versicherten ist es, nachzuweisen, dass ihn kein Verschulden an der Verletzung der Meldevorschrift trifft (RS0083641).
[9] 1.3. Dadurch, dass der zu meldende Sachverhalt dem Versicherungsträger schon bekannt ist, wird die Meldepflicht nicht aufgehoben. Nur wenn der Leistungsempfänger aus besonderen Gründen annehmen durfte, dass die Meldung auf das Vorgehen des Versicherungsträgers keinen Einfluss haben würde, wenn also etwa der Versicherungsträger schon zum Ausdruck gebracht hat, dass er die zu meldende Tatsache für nicht erheblich hält, oder wenn er schon ergänzende Erhebungen zu dem zu meldenden, ihm aber schon bekannten Sachverhalt veranlasst hat, muss dem Leistungsempfänger zugebilligt werden, dass er seine Meldung für völlig bedeutungslos hält und er daher davon ausgehen darf, dass er hiezu nicht mehr verpflichtet ist (RS0083623).
[10] 1.4. Die Prüfung der Frage, ob eine schuldhafte Meldepflichtverletzung vorliegt, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich grundsätzlich einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage (10 ObS 60/18y ErwGr 1.2). Die Beurteilung der Vorinstanzen, nach der die Annahme des Klägers, der Beklagten werde das von ihm erzielte Einkommen aufgrund eines „automatischen Datenaustausches“ mit der Finanzverwaltung tatsächlich bekannt, sein Verschulden an der Meldepflichtverletzung nicht aufhebe, ist angesichts der dargestellten Rechtsprechung nicht korrekturbedürftig. Besondere Gründe, aufgrund derer der Kläger von einem (ausreichenden) „automatischen Datenaustausch“ mit der Finanzverwaltung und von der Bedeutungslosigkeit der zu meldenden Umstände für die Beklagte ausgehen hätte dürfen, lassen sich der Revision nicht entnehmen.
[11] 2.1. Der Kläger steht weiters auf dem Standpunkt, dass das Rückforderungsrecht nach § 107 Abs 2 lit a ASVG ausgeschlossen sei, weil die Beklagte bereits im Jahr 2021 aufgrund der Mitteilung des Dachverbands der Sozialversicherungsträger erkennen habe können, dass die Leistung zu Unrecht erbracht worden sei.
[12] 2.2. Die Regelung des § 107 Abs 2 lit a ASVG wird als eine im Interesse des Empfängers geschaffene „Aufgriffsobliegenheit“ des Versicherungsträgers gedeutet (10 ObS 158/21i Rz 13). Es handelt es sich um ein im Interesse des Zahlungs- oder des Leistungsempfängers gegenüber § 1432 letzter Fall ABGB verschärftes Rückforderungsverbot, das schon dann besteht, wenn der Versicherungsträger erkennen musste, dass er Geldleistungen zu Unrecht erbracht hat (RS0084420). Ignoriert der Versicherungsträger eine – sei es durch eine Meldung des Leistungsempfängers, eine Mitteilung des Dachverbands der Sozialversicherungsträger oder auf andere Art – zugekommene Information, aus der er erkennen musste, dass eine Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, und erbringt er diese Leistung weiter, dann besteht das Recht auf Rückforderung der zu Unrecht weiter erbrachten Leistung nicht (RS0084301).
[13] 2.3. Wann der Versicherungsträger erkennen musste, dass eine Leistung zu Unrecht erbracht worden war, ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0084420 [T5]; RS0109340 [T4]), sodass diese Frage in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO bildet (10 ObS 62/13k).
[14] 2.4. Die Korridorpension fällt gemäß § 9 Abs 1 Satz 1 APG (mit den im Satz 2 genannten Ausnahmen) bei Ausübung einer solchen Erwerbstätigkeit weg, die eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung begründet oder aus der ein den in § 5 Abs 2 ASVG genannten Betrag übersteigendes Erwerbseinkommen bezogen wird.
[15] Warum die Beklagte schon aufgrund des Inhalts der ihr zugegangenen Mitteilungen erkennen hätte müssen, dass eine Leistung zu Unrecht erbracht worden sei, legt die Revision nicht offen. Aus der mehrfachen Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung ergibt sich weder die Begründung einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung, noch die Höhe des Erwerbseinkommens. Mit dem bloßen Hinweis auf diese Mitteilungen zeigt die Revision eine aufzugreifende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen somit nicht auf.
[16] 3. Den Ausführungen des Klägers in der Berufung, nach denen die Rückersatzpflicht aufgrund seiner familiären Verhältnisse und seiner bescheidenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu entfallen habe, hielt das Berufungsgericht entgegen, dass ohnedies eine Ratenzahlung in Form eines Abzugs von der laufenden Leistung erfolge und der Kläger nicht aufzeige, warum diesem Abzug (angesichts der Höhe der bezogenen Korridorpension) berücksichtigungswürdige Gründe entgegen stünden. Die im Wesentlichen wortgleiche Wiederholung der Berufungsausführungen in der Revision geht auf diese Argumentation überhaupt nicht ein, sodass schon deswegen keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zur Darstellung gebracht wird (RS0043603 [T9]).
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