European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00024.24P.0709.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 502,70 EUR (darin enthalten 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin hat im Jahr 1997 die Pädagogische Akademie für Volksschullehrer abgeschlossen und ist Diplompädagogin für das Lehramt für Volksschulen. Weiters hat sie einen (vom Land Salzburg angebotenen) Lehrgang „Früherziehung: Elementarpädagogik der ersten Jahre von 0–4“ absolviert.
[2] Von August 1998 bis März 2022 war die Klägerin im Bundesland Salzburg an unterschiedlichen Standorten als Volksschullehrerin oder als pädagogische Fachkraft für Kleinkindgruppen (Elementarpädagogin) für Kinder im Alter von null bis drei Jahren tätig, wobei sie teilweise auch Gruppenführerin war. Zuletzt arbeitete sie von 4. Jänner 2019 bis 31. März 2022 als Kindergartenpädagogin für Kinder im Alter von null bis drei Jahren.
[3] In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. Mai 2022) war die Klägerin in mehr als 90 Pflichtversicherungsmonaten als Elementarpädagogin und in 30 Pflichtversicherungsmonaten als Volksschullehrerin tätig.
[4] Aufgrund ihres derzeitigen Leistungskalküls ist sie nicht mehr in der Lage, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Elementarpädagogin weiter auszuüben; sie kann auch nicht mehr als Volksschullehrerin, als Elementarpädagogin mit anderen Altersgruppen oder als freigestellte Leiterin eines Kindergartens arbeiten. Ihr zumutbare Verweisungstätigkeiten, die ihrer Ausbildung und den von ihr ausgeübten Tätigkeiten entsprechen, sind nicht ermittelbar. Sie ist jedoch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Reihe von Tätigkeiten auszuüben.
[5] Mit Bescheid vom 25. August 2022 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab, weil Berufsunfähigkeit nicht dauerhaft vorliege, und sprach aus, dass kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld oder Maßnahmen der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation bestehe.
[6] Das Erstgericht gab der auf Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß gerichteten Klage statt. Die Klägerin verfüge über die Kenntnisse und Fähigkeiten einer ausgebildeten pädagogischen Fachkraft für Kleinkindgruppen (iSd § 28 Abs 3 Sbg Kinderbildungs- und ‑betreuungsgesetz 2019 [KBBG 2019]), sodass ihr in diesem Bereich Berufsschutz zukomme.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die von der Klägerin zuletzt ausgeübte Tätigkeit unterliege nicht dem Angestelltenbegriff, sodass ihr Anspruch nach § 255 ASVG zu beurteilen sei. Der Klägerin komme zwar Berufsschutz als Volksschullehrerin zu, der durch ihre Tätigkeit als pädagogische Assistentin in Kleinkindgruppen bis Vollendung des dritten Lebensjahres auch erhalten geblieben sei. Dennoch sei die Sache noch nicht entscheidungsreif, weil die negative Anspruchsvoraussetzung des § 254 Abs 1 Z 2 bzw § 271 Abs 1 Z 2 ASVG bislang nicht geprüft worden sei.
[8] Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob der Berufsschutz als Volksschullehrerin durch eine Tätigkeit als pädagogische Assistentin in Kleinkindgruppen bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres erhalten werden könne, noch nicht Stellung genommen habe.
[9] Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten, mit dem sie eine (abweisende) Entscheidung in der Sache anstrebt. Hilfsweise begehrt sie, die Sache auch zur Feststellung des Berufsbildes und der Ausbildung einer Volksschullehrerin an das Erstgericht zurückzuverweisen.
[10] Die Klägerin beantragt, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, eventualiter ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Rekurs ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
[12] 1. In ihrer Rekursbeantwortung zieht die Klägerin die Ansicht des Berufungsgerichts, dass ihr Anspruch nicht nach § 273 ASVG sondern nach (analog) § 255 ASVG zu beurteilen ist (vgl RS0083723 [insb T4, T5]; RS0084837 [T4]), nicht in Zweifel. Diese Beurteilung ist der Entscheidung daher zugrundezulegen und nicht (mehr) zu prüfen.
[13] 2. Nach der ständigen Rechtsprechung ist im Zusammenhang mit der Prüfung der Verweisbarkeit eines Versicherten nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG zu unterscheiden, ob ein Berufsschutz im Sinn eines erlernten oder angelernten Berufs erst zu erwerben ist oder ob ein bereits erworbener Berufsschutz durch später ausgeübte Teiltätigkeiten erhalten bleibt (RS0116791; 10 ObS 93/18a [ErwGr 3.3.] ua). Die Frage des Erhalts des Berufsschutzes stellt sich dabei erst, wenn ein solcher zuvor erworben wurde (RS0116791 [T1]; 10 ObS 70/23a Rz 10 ua).
[14] Die Beklagte wendet sich nicht gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die Klägerin einen Berufsschutz als Volksschullehrerin erworben hat. Sie bekämpft lediglich die darauf aufbauende (weiterführende) Beurteilung, wonach die Klägerin diesen Berufsschutz durch die Tätigkeit als pädagogische Assistentin in Kleinkindgruppen erhalten habe.
[15] Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 (iVm § 519 Abs 2) ZPO spricht sie damit aber nicht an.
[16] 3. Ein einmal erworbener Berufsschutz geht nicht verloren, wenn die im Rahmenzeitraum vor dem Stichtag ausgeübte Tätigkeit in ihrer Gesamtheit noch als Ausübung des erlernten (angelernten) Berufs anzusehen ist (RS0084497 [T1]; 10 ObS 151/22m Rz 11). Dafür müssen zumindest quantitativ und qualitativ nicht ganz unbedeutende Teiltätigkeiten des erlernten Berufs ausgeübt werden (RS0084497 [insb T3, T10]; 10 ObS 123/22v Rz 9 ua). Entscheidend ist, ob ein Kernbereich der Ausbildung auch bei der Ausübung der Teiltätigkeit oder spezialisierten Tätigkeit verwertet werden muss (RS0084497 [T15]; 10 ObS 78/21z Rz 6).
[17] Ob bestimmte Tätigkeiten in diesem Sinn berufsschutzerhaltend sind, kann immer nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RS0084497 [T26]; 10 ObS 124/23t Rz 6 ua). Die Beantwortung dieser Frage erfordert die genaue Feststellung der konkret ausgeübten Tätigkeiten (RS0112425) sowie der dafür verwertbaren Teile der Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten des erlernten oder angelernten Berufs (10 ObS 58/23m Rz 17; 10 ObS 119/20b Rz 27 ua).
[18] 4. Fasst man die detaillierten Feststellungen des Erstgerichts zusammen, war die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit als Elementarpädagogin für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern im Alter von null bis drei Jahren, die Planung von Elternabenden, Gesprächen, Veranstaltungen sowie Ausflügen zuständig und hat damit – wie das Erstgericht feststellt – „klassische Tätigkeiten“ einer pädagogischen Fachkraft für Kleinkinder ausgeführt. Zwar hat das Erstgericht keine Feststellungen zur Frage getroffen, inwieweit die Klägerin dabei ihre Ausbildung und Kenntnisse im erlernten Beruf (als Volksschullehrerin) verwerten konnte. Allerdings hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung als notorisch zugrundegelegt, dass ein ganz wesentlicher Teil der Ausbildung zur Volksschullehrerin im Erwerb pädagogischer Fähigkeiten im Umgang mit Kindern undzur Förderung ihrer Entwicklung besteht und die Klägerin diese Kenntnisseim Rahmen ihrer Tätigkeit als pädagogische Fachkraft für Kleinkindgruppen auch regelmäßig verwerten konnte.
[19] 5. Auf Basis dieser im Rekurs nicht bemängelten (vgl RS0040219 [T2, T3, T15]) Sachverhaltsergänzung zeigt die Beklagte nicht auf, dass sich die Entscheidung des Berufungsgerichts außerhalb des von der Rechtsprechung gezogenen Rahmens bewegt.
[20] 5.1. Ihre Ansicht, eine abschließende Beurteilung des (Erhalts des) Berufsschutzes könne nur erfolgen, wenn nicht bloß die verwertbaren Teile der Ausbildung, Fähigkeiten und Kenntnisse, sondern auch das genaue Berufsbild des erlernten Berufs feststehen, trifft in dieser Form nicht zu (oben 3.).
[21] 5.2. Das Vorbringen, die Klägerin habe bei ihren Tätigkeiten keine pädagogischen Aufgaben erfüllt, weil sie als bloße „Assistenzkraft“ (womit möglicherweise auf § 29 Sbg KBBG 2019 Bezug genommen wird) nur für das Zubereiten von Speisen, Hilfestellung bei der Einhaltung der Mittagsruhe, Reinigung der Räumlichkeiten etc, zuständig gewesen sei, weicht vom festgestellten Sachverhalt ab.
[22] 5.3. Das (einzige) wesentliche Argument, Kernkompetenz eines Volksschullehrers sei es, Kindern der ersten bis vierten Schulstufe einen vorgegebenen Lehrplan qualifiziert zu vermitteln, was bei Kleinkindern bis drei Jahren wegen ihres intellektuellen Entwicklungsstandes gar nicht möglich sei, überzeugt nicht, weil die Beklagte damit Fähigkeiten und Kenntnisse von Volksschullehrern entgegen den tatsächlichen Annahmen des Berufungsgerichts auf die Vermittlung von reinem Lehrstoff reduziert. Dass die vom Berufungsgericht als relevant erachteten grundlegende(n) pädagogischen Kompetenz(en), mit Kindern altersgerecht umzugehen, sie zu fördern und ihre Entwicklung positiv zu beeinflussen, bloß untergeordnete Teilaspekte des Berufsbildes des Volksschullehrers wären, behauptet die Beklagte zu Recht nicht. Es bedarf dazu nur des Hinweises, dass nach § 28 Abs 3 iVm Abs 2 Z 7 Sbg KBBG 2019 gerade diese durch die Ausbildung zum Volksschullehrer erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten für eine Tätigkeit als pädagogische Fachkraft in Kleinkindgruppen qualifizieren.
[23] 5.4. Wenn das Berufungsgericht daher davon ausgeht, dass durch die Tätigkeit als pädagogische Fachkraft in Kleinkindgruppen bis zu drei Jahren der Berufsschutz als Volksschullehrerin erhalten geblieben ist, entspricht das der Rechtsprechung. Nach dieser ist allein deshalb, weil im Rahmen einer Beschäftigung nicht alle Kenntnisse und Fähigkeiten des erlernten Berufs im vollen Umfang gefragt sind bzw verwertet werden können, noch nicht von einer unqualifizierten Tätigkeit auszugehen (vgl RS0084497 [T11]).
[24] 6. Die darauf aufbauende Ansicht, der Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension setzte vor allem das Vorliegen der Voraussetzungen des § 254 Abs 1 Z 2 bzw § 271 Abs 1 Z 2 ASVG voraus, ist weder strittig, noch zu beanstanden. Ob die dazu angeordnete Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht prüfen (RS0042179).
[25] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Im Zwischenstreit über die mangels Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist die Kostenentscheidung nicht nach § 52 ZPO vorzubehalten (RS0123222). Die Klägerin hat auf die fehlende Zulässigkeit des Rekurses hingewiesen und daher Anspruch auf Kostenersatz (RS0123222 [T8, T14]).
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