OGH 10ObS110/06h

OGH10ObS110/06h17.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Albert Ullmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz R*****, vertreten durch Mag. Markus Hager, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. März 2006, GZ 12 Rs 15/06x-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. Dezember 2005, GZ 8 Cgs 205/04h-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger gegen die Ablehnung seines Antrags auf Invaliditätspension durch die beklagte Pensionsversicherung. Diese Ablehnung ist nur noch insoweit strittig, als sie von den Vorinstanzen mit seiner Verweisbarkeit auf kaufmännische Tätigkeiten begründet wird.

Feststeht, dass der am 19. 1. 1954 geborene Kläger nach 9 Klassen Schulbesuch die dreijährige Berufsschule in Kombination mit einer Lehre als Bäcker absolvierte. Er legte die Lehrabschlussprüfung und 1978 auch die Meisterprüfung zum Bäcker erfolgreich ab. Nach Ableistung des Präsenzdienstes und kurz dauernden Arbeitsverhältnissen als Bürokraft, Maschinenarbeiter, Konditor-Filialbetreuer und kaufmännischer Angestellter (Lebensversicherungsberater) war er ab Mai 1981 durchgehend bis Dezember 2002 bei verschiedenen Firmen (E*****fabrik L*****, M***** AG, A*****) als Fahrverkäufer im Außendienst beschäftigt. Seine Tätigkeit umfasste den Vertrieb von Backmitteln und Hefeprodukten für Bäcker und Konditoreien. Zu diesem Zweck führte er die Kunden- und Verkaufsberatung durch, nahm die Bestellungen auf, stellte die Produkte an Bäckereien bzw Konditoreien zu und führte das Inkasso durch. Bei diesen Verkaufstätigkeiten konnte er seine als Bäcker erworbenen Kenntnisse nützen. Er war dabei immer als typischer Fahrverkäufer beschäftigt. Diese Tätigkeit ist dem Kläger aufgrund seines eingeschränkten Leistungskalküls nicht mehr möglich. Der Kläger hat im Rahmen seiner Meisterausbildung im Bäckereiberuf aber auch kaufmännische Kenntnisse erworben. Ohne Überschreitung seiner Leistungsfähigkeit wäre er aufgrund dieser Ausbildung in der Lage, auch Sachbearbeitertätigkeiten mit der Wertigkeit der Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages für Handelsangestellte zu verrichten, beispielsweise in der Fakturierung, im Rechnungswesen oder in der Kalkulation sowie in der Angebotslegung. Auch in seiner letzten kaufmännischen Tätigkeit als Fahrverkäufer bei der Firma A***** von Jänner 1998 bis Dezember 2002 war der Kläger in der Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages für Handelsangestellte eingestuft. Er könnte ebenso einfachere kaufmännische Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 verrichten, etwa im Belegwesen, in einer Ablage und Evidenz oder im Mahnwesen.

Das Berufungsgericht begründete den Ausspruch über die Revisionszulässigkeit damit, dass zur Verweisbarkeit eines gelernten Arbeiters, der zuletzt ([allenfalls auch] berufsschutzerhaltend) als Verkäufer oder Berater im Angestelltenverhältnis tätig war, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Die Revision gesteht ausdrücklich zu, dass ein Versicherter, der mehrfach Berufsschutz genieße (ob als Angestellter oder als qualifizierter Arbeiter) grundsätzlich in allen Berufsparten verwiesen werden dürfe, auf die sich sein Berufsschutz erstrecke (RIS-Jusztiz RS0084393 [T2] bzw RS0084523 [T4]). Dieser Judikatur seien aber stets Fälle zugrunde gelegen, in denen der Versicherte im Beobachtungszeitraum durch die Ausübung verschiedener, von einander unabhängiger Tätigkeiten einen mehrfachen Berufsschutz erlangt habe, und durch die Tätigkeit als Angestellter ein eigener, von einer anderen erlernten oder angelernten Tätigkeit unabhängiger Berufsschutz erworben worden sei, der bei Prüfung der Berufsunfähigkeit (Invalidität) ein zusätzliches Verweisungsfeld bilde. Hier werde allerdings ein von der erlernten Tätigkeit „abhängiger" Berufsschutz behauptet, weil die kaufmännische Tätigkeit des Klägers im Beobachtungszeitraum zugleich für die zuvor „ausgeübte und erlernte" Tätigkeit als Bäcker berufsschutzerhaltend gewesen sei. Letzteres hätte von den Vorinstanzen näher geprüft werden müssen. Wenn eine solche Tätigkeit nach stRsp als berufsschutzerhaltend gewertet werde, hätte der Kläger auch nur auf Tätigkeiten in seinem erlernten Beruf bzw auf berufsschutzerhaltende Angestelltentätigkeiten, nicht aber auf alle sonstigen kaufmännischen Tätigkeiten verwiesen werden dürfen. Es hätten auch Feststellungen getroffen werden müssen, ob die Tätigkeit als Fahrverkäufer berufsgruppenschutzbegründend für die Tätigkeit eines kaufmännischen Angestellten gewesen sei. Die abgelegte Meisterprüfung allein könne diese Qualifikation nicht rechtfertigen. Es fehle dem Kläger eine allgemeine und umfangreiche kaufmännische Ausbildung, sodass er einen Berufsschutz als kaufmännischer Angestellter nicht erworben habe. Ein solcher Berufsschutz sei auch durch seine Tätigkeit als Außendienstverkäufer nicht begründet worden, weil er dabei nur einen kleinen, spezifischen Teil dieses Berufes ausgeübt habe. Der Erwerb eines solchen Berufsgruppenschutzes wäre aber erforderlich, um einen mehrfachen Berufsschutz und ein weiteres Verweisungsfeld zu begründen. Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes Vorinstanzen würde selbst bei berufsschutzerhaltenden (Angestellten-)Tätigkeiten der Berufsschutz als Facharbeiter verloren gehen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem - das Revisionsgericht nicht bindenden (§ 508a ZPO) - Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig, weil eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht vorliegt:

Den Revisionsausführungen ist zunächst zu erwidern, dass der Kläger im Beobachtungszeitraum und auch davor in seinem erlernten Beruf als Bäcker gar nicht tätig war, sondern - durchgehend - als typischer Fahrverkäufer gearbeitet hat. Wenn er bei den Verkaufstätigkeiten (auch) seine Kenntnisse als gelernter Bäcker nutzen konnte, so hat er für diese Beschäftigung doch primär die - im Rahmen seiner Meisterausbildung - erworbenen kaufmännischen Kenntnisse benötigt, die ihn offenbar auch dazu befähigten, zunächst (in kurz dauernden Arbeitsverhältnissen) unter anderem als Bürokraft, Konditoreifilialbetreuer und kaufmännischer Angestellter (Lebensversicherungsberater) tätig zu sein. Nach den getroffenen Feststellungen ist also auch hier von der Ausübung einer, vom erlernten Beruf unabhängigen kaufmännischen Tätigkeit auszugehen. Davon abgesehen hat sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage der Verweisbarkeit eines Facharbeiters, dessen im erlernten Beruf erworbene Kenntnisse bei seiner zuletzt (durchgehend) ausgeübten Angestelltentätigkeit von wesentlicher Bedeutung waren, erst jüngst (E vom 17. 8. 2006, 10 ObS 71/06y und 10 ObS 93/06h) ausführlich auseinandergesetzt und dabei unter anderem Folgendes ausgesprochen:

„Voraussetzung für den Berufsschutz als Angestellter nach § 273 ASVG ist entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht die Absolvierung einer bestimmten Ausbildung, sondern allein der Umstand, dass der Versicherte Tätigkeiten verrichtet, die als kaufmännische, höhere nicht kaufmännische oder Kanzleidienste im Sinn des § 1 AngG anzusehen sind (10 ObS 211/98x = SSV-NF 12/86). Für den Berufsschutz der Angestellten ist auch nicht erforderlich, dass in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend eine Angestelltentätigkeit ausgeübt haben. Voraussetzung für einen Berufsschutz eines gelernten (angelernten) Arbeiters nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG ist hingegen, dass sie während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag einen oder mehrere gelernte oder angelernte Berufe in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate ausgeübt haben. Der Angestellte bzw der gelernte (angelernte) Arbeiter darf nicht auf eine Tätigkeit verwiesen werden, durch deren Ausübung er den Berufsschutz verlieren würde. Es darf daher ein Angestellter nicht auf eine Tätigkeit als Arbeiter verwiesen werden, durch die er den Berufsschutz nach § 273 ASVG verlieren würde (10 ObS 85/95 = SSV-NF 9/48 mwN ua; RIS-Justiz RS0084837). Dem gegenüber hält die Rechtsprechung die Verweisung eines gelernten (angelernten) Arbeiters auf Angestelltentätigkeiten grundsätzlich für zulässig, weil der berufliche Aufstieg besonders qualifizierte Facharbeiter in Angestelltenpositionen bringe und diese Verweisung zu keinem Verlust des Berufsschutzes führe, da die Ausübung dieses Verweisungsberufes einen Berufsschutz nach § 273 ASVG begründe (10 ObS 178/94 = SSV-NF 8/75, 10 ObS 2088/96y = SSV-NF 10/58).

....

Soweit der Kläger in seinen Revisionsausführungen nunmehr geltend macht, es müsse im Rahmen der nach § 273 ASVG zu beurteilenden Frage seiner Verweisbarkeit auch auf seine erlernte und ausgeübte Tätigkeit als ... [Schriftsetzer und Druckvorstufentechniker bzw Fleischer] ... Bedacht genommen werden, weil die dabei erworbenen Kenntnisse für seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Angestellter im Außendienst von wesentlicher Bedeutung gewesen seien, ist ihm entgegen zu halten, dass nach den dargelegten Grundsätzen für die Frage der Verweisbarkeit nach § 273 ASVG die von ihm zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübte kaufmännische Angestelltentätigkeit maßgebend ist und für die Beurteilung in dieser Frage seine Arbeitertätigkeit als Fleischer außer Betracht zu bleiben hat (vgl 10 ObS 216/01i = ARD 5295/26/2002). Es ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass ein einmal erworbener Berufsschutz durch die Aufgabe der bisherigen Tätigkeit und Ausübung anderer Tätigkeiten auch wieder verloren gehen kann und der Kläger durch die Ausübung seiner kaufmännischen Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter einen eigenen und von einer anderen erlernten oder angelernten Tätigkeit unabhängigen Berufsschutz nach § 273 Abs 1 ASVG erworben hat (vgl 10 ObS 79/01t = ARD 5277/8/2002).

Die Beurteilung der Vorinstanzen, der Kläger könne noch auf die erwähnten kaufmännischen Tätigkeiten im Innendienst verwiesen werden und er sei daher nicht berufsunfähig im Sinn des § 273 Abs 1 ASVG, ist daher zutreffend."

Diesen Grundsätzen wurde entsprochen, wenn die Vorinstanzen die Verweisbarkeit des Klägers im Rahmen der von ihm durchgehend ausgeübten kaufmännischen Tätigkeit bejaht haben, ohne weiter darauf einzugehen, ob ihr auch eine berufsschutzerhaltende Wirkung für seinen erlernten (aber nicht mehr ausgeübten) Beruf zukam. Die Revision ist daher mangels erheblicher, für die Entscheidung des Verfahrens relevanter Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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