BVwG W251 2148344-1

BVwGW251 2148344-14.1.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.130 Abs1 Z3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W251.2148344.1.00

 

Spruch:

W251 2148344-1/18E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX alias XXXX, geb. XXXX alias XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Edward W. DAIGNEAULT, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bezüglich des am 13.10.2015 gestellten Antrags auf internationalen Schutz zur Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

 

A)

 

I. Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.

 

II. Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.

 

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird dem Beschwerdeführer gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wird gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

 

IV. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer stellte am 13.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

 

2. Am 14.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er und seine Brüder von einer Gruppe, die Waffen geliefert und für die Taliban gearbeitet hätten, aufgefordert worden seien sich dieser Gruppe anzuschließen. Da sich der Beschwerdeführer und seine Brüder geweigert hätten, sei einer seiner Brüder umgebracht worden. Die Familie des Beschwerdeführers sei daraufhin nach Pakistan gezogen. Da der Beschwerdeführer illegal in Pakistan aufhältig gewesen und festgenommen worden sei, habe er nach seiner Freilassung Pakistan in Richtung Europa verlassen.

 

3. Da im Zuge eines Termins beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) am 23.10.2015 Zweifel an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers aufkamen, erfolgte am 30.10.2015 die Bestimmung seines Knochenalters durch ein Röntgen der linken Hand, welches darauf hindeutete, dass er bereits volljährig ist.

 

4. Das vom Bundesamt in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung vom 27.04.2016 nennt betreffend den Beschwerdeführer den XXXX als spätestmöglichen "fiktiven" Geburtstag und den 14.03.2015 als spätestmöglichen "fiktiven" 18. Geburtstag, sodass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Asylantragstellung am 13.10.2015 jedenfalls bereits volljährig war.

 

Gestützt auf das Sachverständigengutachten stellte das Bundesamt mit Verfahrens-anordnung vom 23.05.2016 die Volljährigkeit des Beschwerdeführers fest und setzte als Geburtsdatum für das Mindestalter des Beschwerdeführers den XXXX fest.

 

5. Am 15.02.2017 brachte der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter, Säumnisbeschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht ein. Am 21.02.2017 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor. Das Bundesamt brachte vor, dass der seit etwa September 2014 im Wesentlichen andauernde, erhebliche Zustrom von Asylwerbern ein unbeeinflussbares und unüberwindliches Hindernis darstelle, das die Sachverhaltsfeststellungen in einer Anzahl von Verfahren verhindert habe. Das Bundesamt treffe an der Verzögerung der Erledigung des gegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz kein überwiegendes Verschulden.

 

6. Am 10.04.2017 wurde der Beschwerdeführer im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts vor dem Bundesamt niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Der Beschwerdeführer bracht im Wesentlichen vor, dass sein Vater aufgrund von Streitigkeiten mit XXXX (auch XXXX) um ein Grundstück von dessen Sohn getötet worden sei. Daraufhin habe der Bruder des Beschwerdeführers zwei Söhne von XXXX getötet. Es sei zu einer Jirga gekommen und die Familie des Beschwerdeführers habe 400.000 Rubin Entschädigung an die Familie von XXXX (im Folgenden FamilieXXXX) zahlen müssen. Da es jedoch danach weiterhin Probleme mit der Familie XXXX gegeben habe, sei die Familie des Beschwerdeführers nach Jalalabad übersiedelt. Eines Tages sei der älteste Bruder des Beschwerdeführers vom Sohn von XXXX angeschossen worden. Dann seien zwei Söhne von XXXX von der Regierung verhaftet worden, weil sie Waffen für die Taliban gekauft hätten. Die Familie XXXX habe den Beschwerdeführer und seine Brüder verdächtigt, sie an die Regierung verraten zu haben. Der Beschwerdeführer sei deshalb entführt und 19 Tage festgehalten worden. Er sei durch eine Polizeioperation freigekommen, habe sich drei Tage bei seinem Onkel versteckt und habe dann Afghanistan verlassen.

 

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 01.09.2017 und am 04.09.2017 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu und im Beisein des Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde u. a. ausführlich zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat, seinen Fluchtgründen und seiner Integration in Österreich befragt. Ein Vertreter des Bundesamtes nahm an der Verhandlung nicht teil. Den Parteien wurde in der Verhandlung aufgetragen binnen 14 Tagen zu den beigezogenen Länderberichten Stellung zu nehmen.

 

8. Der Beschwerdeführer erstattete keine Stellungnahme. Das Bundesamt nahm Stellung zu den Länderberichten und den Verfahrensergebnissen und führet aus, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers jeder Glaubwürdigkeit entbehre. In Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers (familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan, Arbeitsfähigkeit, Berufserfahrung, finanzielle Unterstützung durch seinen in Österreich lebenden Bruder) und unter Berücksichtigung der aktuellen Länderberichte zu Afghanistan hätten sich keine konkreten Anhaltspunkte ergeben, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Rechten nach Art. 2 oder 3 EMRK verletzt werden würde.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

1.1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX alias XXXX und das Geburtsdatum XXXX alias XXXX. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Volksgruppenangehöriger der Paschtunen und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er ist nicht verheiratet und hat keine Kinder (AS 5, 473; Verhandlungsprotokoll vom 01.09.2017 - OZ 8, S. 7).

 

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Nangarhar, im Distrikt XXXX, im Dorf XXXX geboren und dort mit seinen Eltern, seinen drei Brüdern und seiner Schwester aufgewachsen (AS 475; OZ 8, S. 7). Seine Eltern waren in der Landwirtschaft tätig. Sie verfügen in ihrem Heimatdorf sowie im Dorf XXXX (Provinz Nangarhar, Distrikt XXXX) über insgesamt 10 jerib Grundstücke. Die Familie des Beschwerdeführers besitzt drei Häuser in der Stadt Jalalabad im XXXX, die sie vermietet bzw. verpachtet hat und von deren Einnahmen sie lebt (AS 477 f; OZ 8, S. 8; Verhandlungsprotokoll vom 04.09.2017 - OZ 10, S. 4). Der Beschwerdeführer hat fünf Jahre die Schule in der Stadt Jalalabad besucht und hat in der Landwirtschaft seiner Eltern mitgeholfen (AS 477 f; OZ 8, S. 8).

 

Der Beschwerdeführer verfügt über eine Tante väterlicherseits in der Stadt Jalalabad, zwei Tanten väterlicherseits und fünf Onkel mütterlicherseits im Distrikt XXXX (Provinz Nangarhar). Die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers leben nach wie vor in der Provinz Nangarhar im Distrikt XXXX, nunmehr im Haus eines Onkels des Beschwerde-führers. Die Mutter des Beschwerdeführers und seine Schwester erhalten nach wie vor Einnahmen aus der Vermietung und Verpachtung der drei Häuser. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seinem Onkel mütterlicherseits und seiner Mutter (AS 477, 479; OZ 8, S. 10; OZ 10, S. 18).

 

Es kann weder festgestellt werden, dass die Familie des Beschwerdeführers aufgrund einer angeblichen Blutfehde mit der Familie XXXX nach Jalalabad übersiedelt ist noch, dass die Mutter des Beschwerdeführers ihre landwirtschaftlich genutzten Grundstücke an die Taliban oder die Familie XXXX überschrieben hat noch, dass die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers gemeinsam mit dem Beschwerdeführer aus Afghanistan ausgereist sind.

 

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Strafregisterauszug vom 08.08.2017).

 

Der Beschwerdeführer befindet sich nicht in dauerhafter medikamentöser Behandlung. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten (AS 475; OZ 8, S. 15; Beilage ./A)

 

1.2. Zur maßgeblichen Situation des Beschwerdeführers in Österreich:

 

Der Beschwerdeführer befindet sich seit Oktober 2015 durchgehend im Bundesgebiet und lebt von der Grundversorgung (Beilage ./I). Der Beschwerdeführer geht keiner Erwerbstätigkeit nach.

 

Der Beschwerdeführer ist seit Februar/März 2016 Schüler bei PROSA (Projekt Schule für Alle) um ihn auf den Pflichtschulabschluss vorzubereiten (AS 501, 505; OZ 8, S. 12). Er hat im Zuge dessen bereits den Basisbildungskurs 1 und 2 in Deutsch und Mathematik sowie 2 und 3 in Englisch erfolgreich absolviert (AS 499, 507, 509; OZ 8, S. 12). Der Beschwerdeführer hat auch bereits die Deutschprüfung für die Stufe A2 bestanden (AS 515). Er hat an einem Workshop Möbel bauen sowie an einem IT-Basis-Kurs teilgenommen (OZ 8, S. 12).

 

Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied eines Vereins, hat freundschaftliche Beziehungen zu Afghanen, Somalier und Türken und hat über das Projekt "vielmehr für alle" eine freundschaftliche Beziehung zu seinem aus England stammenden "Vertrauensbuddy" in Österreich aufbauen können (AS 511; OZ 8, S. 13). Bis auf die Kontakte zu seiner Vertrauenslehrerin hat der Beschwerdeführer jedoch keine Kontakte zu Österreichern (OZ 8, S. 14). Der private und familiäre Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers befand sich in Afghanistan, wo er unverändert ein soziales und familiäres Umfeld vorfindet. Der Beschwerdeführer verfügt über einen entfernten Verwandten seines Vaters in Bregenz, den er nicht kennt und zu dem er auch keinen Kontakt hat sowie über einen Bruder in Wien. Diesem Bruder des Beschwerdeführers wurde im Februar 2015 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Mit diesem Bruder trifft sich der Beschwerdeführer 2-3 mal im Monat und hat telefonischen Kontakt. Er steht in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Bruder, dieser kann den Beschwerdeführer jedoch bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch finanziell unterstützen (OZ 8, S. 11, 13 f; OZ 10, S. 19).

 

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

 

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

 

1.3.1. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Familie des Beschwerdeführers in Grundstückstreitigkeiten verwickelt war. Es kann weder festgestellt werden, dass der Vater des Beschwerdeführers wegen Grundstücksstreitigkeiten mit XXXX von dessen Sohn getötet worden ist noch, dass der älteste Bruder des Beschwerdeführers im Zuge dieses Streits zwei Söhne von XXXX erschossen hat. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass der älteste Bruder des Beschwerdeführers von einem Sohn von XXXX angeschossen worden ist. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass es eine Blutfehde zwischen der FamilieXXXX und der Familie des Beschwerdeführers gegeben hat. Es kann zudem nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan geschlagen oder gequält wurde.

 

1.3.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Familie XXXX oder die Taliban den Beschwerdeführer oder seine Familie verdächtigt haben, die Söhne von XXXX an die Regierung verraten zu haben. Weiters kann der Vorfall, wonach der Beschwerdeführer von den Taliban oder der Familie XXXX entführt und 19 Tage festgehalten worden ist, nicht festgestellt werden. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerde-führer oder seine Familienangehörigen Drohbriefe der Taliban erhalten haben oder ins Blickfeld der Taliban geraten sind. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von der Familie XXXX oder von den Taliban oder von anderen Personen in Afghanistan konkret und individuell mit der Ausübung von physischer oder psychischer Gewalt bedroht worden ist.

 

Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine konkrete und individuelle Ausübung von physischer oder psychischer Gewalt durchXXXX oder seinen Familienangehörigen, durch die Taliban oder andere Personen in Afghanistan droht.

 

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

Sicherheitslage:

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist durch eine tief verwurzelte militante Opposition beeinträchtigt. (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 02.03.2017 mit Aktualisierung vom 22.06.2017 - LIB 22.06.2017, S. 24).

 

Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (LIB 22.06.2017, S. 28).

 

Im zweiten Quartal 2017 war die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin volatil, insbesondere in den östlichen und südöstlichen Regionen, die zu den volatilsten zählen (LIB 22.06.2017, S. 6).

 

Nangarhar

 

Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar, im Süden an den Gebirgszug Spinghar. Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 km von Kabul entfernt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.545.448 geschätzt (LIB 22.06.2017, S. 84).

 

Seit dem Auftreten des Islamischen Staates in der bergreichen Provinz Nangarhar kommt es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräfte und IS-Aufständischen. Die Aktivitäten des Islamischen Staates in der Provinz sind auf einige Gebiete in Nangarhar beschränkt. Dies betrifft insbesondere die Distrikte Achin, Kot, Haska Mina, sowie andere abgelegene Distrikte in Nangarhar (LIB 22.06.2017, S. 84).

 

In der Provinz werden regelmäßig Luftangriffe gegen den Islamischen Staat durchgeführt. Auch werden regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien; getötet wurden dabei hochrangige Führer des IS, aber auch Anführer der Taliban. In manchen Teilen der Provinz hat sich die Sicherheitslage aufgrund von militärischen Operationen verbessert. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden weiterhin Druck auf Sympathisanten des IS in Ostafghanistan ausüben, um zu verhindern, dass diese sich in den Distrikten Nangarhars oder anderen Provinzen ausweiten (LIB 22.06.2017, S. 84 f).

 

Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (LIB 22.06.2017, S. 36).

 

Die afghanische Regierung hat die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (LIB 22.06.2017, S. 37). Kabul ist über den internationalen Flughafen Hamid Karzai in Kabul gut erreichbar (LIB 22.06.2017, S. 116, Gutachten Mag. Karl Mahringer vom 05.03.2017, S. 14).

 

Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, wird Kabul nunmehr immer wieder von Attentaten erschüttert. Aufständische Gruppen führen Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund:

afghanische und US-amerikanische Regierungs-einrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungs-organisationen, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren. Auch religiöse Orte, wie z.B. Moscheen werden Ziel von Angriffen (LIB 22.06.2017, S. 8 f, 37). Die genannten Gefährdungsquellen sind in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul nach wie vor als ausreichend sicher zu bewerten ist.

 

Es besteht kein Engpass bei der Lebensmittelversorgung und der Versorgung durch andere Produkte des täglichen Lebens in Afghanistan (Gutachten Mahringer, S. 22). In Kabul ist die Stromversorgung aufgrund der veralteten technischen Infrastruktur und dem Import von Strom aus den Nachbarländern nur beschränkt gesichert (Gutachten Mahringer, S. 31). Die Wasserversorgung ist das ganze Jahr ausreichend gegeben (Gutachten Mahringer, S. 33).

 

Somit ist - auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheits-versorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist - die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in Kabul dennoch zumindest grundlegend gesichert.

 

Medizinische Versorgung:

 

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Die staatlich geförderten öffentlichen Krankenhäuser bieten ihre Dienste zwar umsonst an, jedoch sind Medikamente häufig nicht verfügbar und somit müssen bei privaten Apotheken von den Patient/innen selbst bezahlt werden. Untersuchungen, Labortests sowie Routine Check-Ups sind in den Krankenhäusern umsonst. Da kein gesondertes Verfahren existiert, haben alle Staatsbürger Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Chirurgische Eingriffe können nur in ausgewählten Orten geboten werden, welche zudem meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Diagnostische Ausstattungen wie Computer Tomographie ist in Kabul verfügbar. Eine begrenzte Zahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Um Zugang zu erhalten, benötigt man die afghanische Nationalität (Ausweis/Tazkira). Man kann sich mit seinem Ausweis in jedem afghanischen Krankenhaus registrieren und je nach gesundheitlicher Beschwerde einem Arzt zugewiesen werden. Sollten Operation und Krankenhausaufenthalt nötig sein, wird dem Patienten in dem Krankenhaus ein Bett zur Verfügung gestellt (LIB 22.06.2017, S. 185).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der Region Afghanistan und Pakistan (AfPak-Region) operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (LIB 22.06.2017, S. 10).

 

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (LIB 22.06.2017, S. 27).

 

Taliban und ihre Offensive

 

Die Taliban haben ihr Ziel, großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte durchzuführen um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben, nicht erreicht. Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten. Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan). Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, sind die afghanischen Taliban geschwächt (LIB 22.06.2017, S. 28).

 

Afghanen, die mit ausländischen oder afghanischen Unternehmen kooperieren oder als einfache Arbeiter dort tätig sind, können von den Taliban bestraft oder getötet werden. Ist jemand nur als Arbeiter tätig gewesen und hat an keinen Militäraktionen teilgenommen oder für die Regierung spioniert, ist kein Schaden für die Taliban entstanden, sodass eine Verfolgung des Arbeiters durch die Taliban im gesamten Staatsgebiet auszuschließen ist. Die Taliban sind untereinander im Staatsgebiet gut vernetzt. Sie verfolgen jedoch nur jene Personen, deren Tätigkeit einen Schaden bei ihnen verursacht haben oder wenn sie davon ausgehen, dass die Person weiterhin mit den Organisationen arbeiten, für diese spionieren oder für diese kämpfen werde (Gutachten Dr. Rasuly vom 13.06.2012, betreffend die Verfolgung durch Talibankämpfer).

 

Drohbriefe der Taliban

 

Todesdrohungen - übermittelt durch handgeschriebene Briefe - haben eine lange Tradition in der Region und wurden normalerweise jenen übermittelt, die mit den afghanischen Sicherheitskräften oder den internationalen Kräften (z.B. den US-geführten Truppen) zusammengearbeitet haben. Es wurden deren "Verbrechen" aufgelistet und sie wurden gewarnt, dass die "militärische Kommission" über ihre Strafen entscheidet. Die Schreiben schlossen mit der Warnung, dass die Aufständischen keine Verantwortung für das übernehmen, was passieren werde. Die Taliban haben diese Praxis jedoch aufgegeben. Wenn ein Kämpfer der Taliban nunmehr vermutet, dass jemand mit der Regierung oder den Sicherheitskräften arbeitet, wird die Familie kontaktiert und er aufgefordert, diese Tätigkeit einzustellen. Es werden aber keine Drohbriefe mehr gesendet, weil das nicht (mehr) der Stil der Taliban ist. Die Taliban verwenden auch nur selten das Telefon, wenn sie auf ernsthafte Probleme stoßen (Anfragebeantwortung des BFA vom 28.07.2016 über die Drohbriefe der Taliban und die Bedrohung militärischer Mitarbeiter, S. 1 ff und 4 f).

 

Pashtunwali

 

Das Pashtunwali ist ein Kanon an Gesetzen und Verhaltensregeln und stellt den Rechts- und Ehrenkodex der Pashtunen dar. Pashtunwali übernimmt eine sowohl ideelle als auch physische Schutzfunktion in der Familie, des Stammes, der Nation und der Ehre. Es zählt zu den sogenannten Stammesgesetzen, nach denen die Angehörigen der paschtunischen Volksgruppe leben. Pashtunwali kann als Ansammlung von Normen und Werten gesehen werden, die die soziale Interaktion in der paschtunischen Gesellschaft anleitet (gutachterliche Stellungnahme von Mina ASEF-HAMEED vom 15.04.2015 im Verfahren W156 1428648-1; Dossier der Staatendokumentation, Afghanistan-Pakistan (AfPak) Grundlagen der Stammes und Clanstruktur aus 2016, S. 33).

 

Das Pashtunwali gilt für jeden, der in einem Siedlungsgebiet der Paschtunen lebt. Ein Paschtune, der an einem anderen Ort auf der Welt lebt, müsste sein Leben auch gemäß dem Pashtunwali führen, da er seiner Abstammung nach Paschtune ist; es ist überall gleichermaßen gültig (AfPak Grundlagen der Stammes und Clanstruktur, S. 33)

 

Melmastiya (Gastfreundschaft) ist ein wesentlicher Aspekt des Pashtunwali. Melmastiya bedeutet allen Besuchern Gastfreundschaft und tiefempfundenen Respekt entgegenzubringen, unabhängig von Rasse, Religion, nationaler Zughörigkeit und wirtschaftlichem Status und ohne Erwartung einer Belohnung oder von Vorteilen. Melmastiya verlangt auch, dass dem Gast Sicherheit gewährt wird und hat manchmal Vorrang vor der Badal (Vergeltung) (AfPak Grundlagen der Stammes und Clanstruktur, S. 33).

 

Nang steht für die Ehre. Es geht um die Bewahrung von Mut, Anstand, Großzügigkeit und anderen des im Pashtunwali verkörperten guten Eigenschaften. Dies ist der Kern des Pashtunwali und alle guten Eigenschaften, d.h. Gastfreundschaft, Respekt der Ältesten und der Frauen, Vergebung usw. basieren auf dem Grundsatz des Nang (AfPak Grundlagen der Stammes und Clanstruktur, S. 36).

 

Blutrache

 

Blutrache ist ein Prinzip zur Sühnung von Verbrechen, bei dem Tötungen oder andere verbrechen durch Tötungen gerächt werden. Hierbei straft die Familie des Opfers den Täter und seine Familie oftmals auch aus der Absicht heraus, die vermeintlich verlorene Familienehre wiederherzustellen (gutachterliche Stellungnahme von Mina ASEF-HAMEED).

 

Eine Blutfehde besteht zwischen zwei Familien, wobei Mitglieder der einen Familie solche der anderen zur Vergeltung einer Tat töten. Die Blutrache sei hauptsächlich eine paschtunische Tradition und im paschtunischen Ehrenkodex (Paschtunwali) verankert, werde aber auch von anderen ethnischen Gruppen praktiziert. Auslöser einer Blutfehde könne ein Mord oder eine ungelöste Streitigkeit sein (Schnellrecherche der Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) - Länderanalyse vom 07.06.2017 zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde, S. 1).

 

Für die paschtunische Gesellschaft ist das Tura-Konzept von großer Bedeutung, das auf die Verteidigung der eigenen Interessen gerichtet ist. Diese Umstände fordern ein aggressives und kriegerisches Verhalten vom Paschtunen, mit dem er alles verteidigt, worauf er einen Anspruch zu machen glauben kann. Dabei wird nach Badal, das "Ausgleich" in der Form von "Vergeltung nach dem Prinzip Aug um Aug, Zahn um Zahn, Leben um Leben" bedeutet, gefordert. Bei Verlust eines verteidigungsfähigen Mannes einer Gruppe muss dem Aggressor ebenfalls eine Verminderung seiner Verteidigungsfähigkeit zugefügt werden um das vorher bestehende Ausgangsstadium und Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen. Zwar beinhaltet das Tura-Konzept auch die Forderung nach Nanawate, was Vergebung bzw. Entschuldigung bedeutet. Dies fördert jedoch nur nach erfolgter Vergeltung das Prestige des Paschtunen, da es davor als Zeichen für Feigheit und Verteidigungsunfähigkeit gilt und einen Ehrverlust zur Folge hat (Gutachten von Mag. Zerka MALYAR vom 27.07.2009 vor dem Asylgerichtshof, zitiert vom BVwG im Erkenntnis vom 21.01.2016, W174 1436214-1; Blutrache und Ehrenmorde in Afghanistan - Glossar).

 

Kommt es zu einem Normbruch, so wird dieser vom betroffenen Individuum festgestellt und die weitere Sanktionierung der Tat liegt in seiner Hand. Die Öffentlichkeit schreitet nicht in den Konflikt ein. Befriedungsversuche scheitern meist. Um ihre Ehre wiederherzustellen und sich nicht der Feigheit verdächtig zu machen, bevorzugen meist beide Parteien die Konfliktlösung durch Badal (Vergeltung). Badal stellt eine legitime Reaktion dar, wenn es in seinem Ausmaß der Tat gleichgestellt ist. Das erreichte Badal bedeutet jedoch nicht immer das Ende des Konflikts. Eine Reaktion der Gegenpartei bricht zwar erneut mit der Norm, jedoch ist sie im Sinne des Rechts auf Blutrache legitim und wird auch vom Gemeinwesen anerkannt (Gutachten von Mag. Zerka MALYAR).

 

Die Bestrafung des Täters durch das formale Rechtssystem schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat (ACCORD-Anfragebeantwortung vom 25.08.2014 zu Blutrache, S. 2).

 

Die lokalen Schuras und Dschirgas (Jirga, Ratsversammlungen) sind die einzigen Strukturen, die sich mit der Beilegung von Blutfehden beschäftigen (ACCORD-Anfragebeantwortung vom 25.08.2014, S. 4).

 

Betroffen von Blutrache sind in den paschtunischen Gebieten die männlichen Verwandten ersten Grades, die auf- und absteigende Linie der männlichen Geschwister und deren männliche Abkömmlinge sowie die Onkel und deren Söhne, Cousins und deren Söhne und sogar diejenigen, die dem Feind Schutz gewährt haben. In Norden, Nordosten sowie dem Zentrum des Landes, die von anderen afghanischen Volksgruppen besiedelt sind, ist der Betroffenenkreis auf den Vater, den Bruder und dessen Söhne sowie den Onkel und dessen Söhne beschränkt (Gutachten von Mag. Zerka MALYAR).

 

Zur Annahme einer Kompensationszahlung (Nek) ist die Opfer-Familie im Falle einer Tötung meist nur bereit, wenn sie zu schwach ist, um eine legitime Rache mit den daraus folgenden Reaktionen der gegnerischen Gruppe durchzufechten, denn nur dann wäre die Annahme der Zahlung ohne Prestigeverlust möglich. Auch die Täter-Familie wird in der Regel das Zahlen eines Nek weit von sich weisen, um nicht in den Verdacht der Feigheit zu kommen und mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, Angst vor der Badal-Reaktion der Gegner zu haben (Gutachten von Mag. Zerka MALYAR).

 

Blutrache wird überall in Afghanistan sowie von und zwischen allen Volksgruppen praktiziert. Es ist in Afghanistan auch kein ausschließlich ländliches Phänomen, sondern überall und auch zwischen allen Ethnien möglich (SFH-Länderanalyse vom 07.06.2017, S. 2).

 

Blutfehden sind im Allgemeinen eine seltene Erscheinung und sie folgen zu einem gewissen Ausmaß denselben saisonalen Mustern wie andere Konflikte. Blutrache und Ehrenmorde sind kein alltägliches Phänomen, sondern eher exzeptionell (ACCORD-Anfragebeantwortung vom 25.08.2014, S 2 f).

 

Jirga

 

Die Jirga ist eine Versammlung der Stammesältesten, die zu verschiedensten Gelegenheiten einberufen wird, z.B. zur Beilegung eines Konflikts zwischen Privatpersonen (AfPak Grundlagen der Stammes und Clanstruktur, S. 41; Blutrache und Ehrenmorde in Afghanistan - Glossar).

 

Der Hauptzweck der Jirga ist es, Streitigkeiten oder Konflikte beizulegen, es wird über Verbrechen und Verstöße als Gremium entschieden. Darüber hinaus hat die Jirga die Aufgabe, den Sachverhalt und Standpunkte zu klären, dabei gelten die Grundsätze der Redefreiheit, der Vermittlung, Transparenz, Vertrauen auf die Gemeinschaft, Rechenschafts-pflicht und wiedergutmachendes Recht (AfPak Grundlagen der Stammes und Clanstruktur, S. 43).

 

Im Wesentlichen gibt es vier Arten von Jirgas. Eine stellt die Qaumi oder Ulasi oder große Jirga dar, die von einem oder mehreren Stämmen eingesetzt wird um in Sachen wie Mord, Fehden zwischen verschiedenen Stämmen, fremde Aggression, Entwicklungsprogramme etc. zu entscheiden (AfPak Grundlagen der Stammes und Clanstruktur, S. 42).

 

Sobald die Jirga ihre Entscheidung gefällt hat, kann sie von den Parteien nicht mehr angefochten werden, sie wird für alle verbindlich; die unterlegene Partei kann jedoch noch eine andere Jirga ihrer Wahl anrufen. Die Jirga fordert von den Streitparteien die Waak (Entscheidungsbefugnis). Dadurch wird das Urteil der Jirga für die Streitparteien verbindlich, sie müssen es anerkennen und ausführen, normalerweise ohne Berufungsmöglichkeit. Wenn eine Entscheidung getroffen wurde, schwören die Jirga-Mitglieder entweder auf Malga, Tura oder den heiligen Koran. Wer die Entscheidungen der Jirga nicht befolgt, hat mit ernsthaften Konsequenzen zu rechnen, d. h. Zerstörung oder Abbrennen des Wohnhauses, Geldstrafe, Swara (Verheiratung einer Frau mit einem Verwandten des Opfers als Entschädigung zur Beilegung eines Konflikts) leisten, Verstoß aus der Heimat. Wenn es den lokalen Ältesten und Mitgliedern der Jirga nicht möglich ist, bestimmte Probleme nach den lokalen Bräuchen und Traditionen zu lösen, wendet man sich an das islamische Recht, die Scharia (AfPak Grundlagen der Stammes und Clanstruktur, S. 41 f, 44).

 

Das spirituelle Element der Jirga ist ein Grund, warum ihre Entscheidungen so verbindlich sind und das zu deren wirksamer Durchsetzung beiträgt. Spingrey (Älteste) gelten als Gäste Gottes und wenn man ihre Entscheidung ablehnt, fordert man damit Gottes Fluch heraus (AfPak Grundlagen der Stammes und Clanstruktur, S. 45).

 

2. Beweiswürdigung:

 

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, in Auszüge aus dem Zentralen Melderegister und dem Fremdeninformationssystem, in einen Strafregisterauszug und einen Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem sowie durch Einvernahme des Beschwerdeführers und des Zeugen XXXX (Bruder des Beschwerdeführers) in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./I bis ./XVIII (Konvolut Auszüge ZMR, GVS, Strafregister, Schengener Informationssystem des Beschwerdeführers; GVS Auszug des Zeugen XXXX; Einvernahmeprotokoll XXXX vom 21.11.2012 und 10.01.2013;

Einvernahmeprotokoll XXXX vom 07.02.2013; Verhandlungsniederschrift XXXX vom 06.02.2015; Urteil des BVwG betreffend XXXX vom 16.02.2015;

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan 02.03.2017 mit Aktualisierung vom 22.06.2017; Gutachten Mag Mahringer vom 05.03.2017; Auszug aus einer Karte der Provinz Nangarhar; gutachterliche Stellungnahme Mina ASEF-HAMEED vom 15.04.2015; Gutachten Mag Malyar vom 27.07.2009; Blutrache und Ehrenmorde in Afghanistan - Glossar; Schnellrecherche der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 07.06.2017 zu Blutrache und Blutfehde; ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan über Blutrache vom 25.08.2014; Dossier der Staatendokumentation, AfPak Grundlagen der Stammes und Clanstruktur aus 2016 (Seiten 1-7, 30-80); Anfrage-beantwortung der Staatendokumentation betreffend die Gefährdungslage für Dolmetscher und Regierungsmitarbeiter in Afghanistan vom 11.02.2014; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan - Taliban Drohbriefe, Bedrohungen, militärische Mitarbeiter vom 28.07.2016; gutachterliche Stellungnahme Dr. Rasuly vom 13.06.2012) und Beilage ./A (Kopie eines Arztbriefes vom 29.08.2017).

 

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

 

2.1.1. Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln.

 

Das Gericht verkennt nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurückliegen und der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der geschilderten Ereignisse minderjährig, mindestens jedoch 13 Jahre alt gewesen ist und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Das Alter des Beschwerdeführers findet daher bei der Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers in die Beweiswürdigung Eingang.

 

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen bisherigen Angaben im Verfahren sowie aus dem Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung vom 27.04.2016. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Schulbildung und Berufserfahrung, zu den Eigentums-verhältnissen seiner Familie sowie zu seinem Familienstand und seinem familiären Umfeld gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben. Die erkennende Richterin hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

 

Da die Angaben des Beschwerdeführers zum Fluchtvorbringen nicht glaubhaft sind (siehe Punkt 2.2.) ist es für das Gericht unplausibel, dass die Familie des Beschwerdeführers ihr Heimatdorf verlassen sollte, die Mutter des Beschwerdeführers die landwirtschaftlich genutzten Grundstücke der Familie an die Taliban oder die Familie XXXX überschreiben sollte oder der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester aus Afghanistan ausreisen sollte. Zudem scheint es unplausibel, dass die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers mit nach Pakistan gereist seien, obwohl ihnen doch bekannt gewesen sei, dass man Probleme in Pakistan bekomme, wenn man keinen pakistanischen Identitätsausweis besitze (OZ 10, S. 9). Das Gericht konnte daher weder feststellen, dass die Familie des Beschwerdeführers aufgrund von Problemen mit der Familie XXXX nach Jalalabad übersiedelt ist, noch, dass die Mutter des Beschwerdeführers ihre landwirtschaftlich genutzten Grundstücke an die Taliban oder die Familie XXXX überschrieben hat, noch, dass die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers gemeinsam mit dem Beschwerdeführer aus Afghanistan ausgereist sind.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung, wonach er Augen- sowie Magenprobleme habe und deshalb manchmal Medikamente nehme. Er ist nicht lebensgefährlich krank (AS 475; OZ 8, S. 15). Es ist im Verfahren auch nichts Gegenteiliges hervorgekommen. Dem in der Verhandlung vorgelegten Arztbrief (Beilage ./A) ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer an einer Kurzsichtigkeit mit Hornhautverkrümmung (Myopie mit Astigmatismus), einer Fettstoffwechselstörung (Hypertriglyceridämie), einer schmerzhaften Entzündung der Achillessehne (Achillodynie links) sowie an einer Entzündung der Magenschleimhaut (Gastritis) leide, sodass auch dem Arztbrief keine lebensbedrohlichen Krankheiten zu entnehmen sind.

Befragt nach seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an:

"Ich habe Augenprobleme dafür nehme ich manche Medikamente und ich habe Magenprobleme, da nehme ich manchmal auch Medikamente." (OZ 8, Seite 15). Es ist daher auch diesen Angaben, wonach er nur manchmal Medikamente nehme, keine lebensbedrohlichen Krankheiten und auch keine Erforderlichkeit einer dauerhaften Medikation zu entnehmen.

 

Der Bruder des Beschwerdeführers verneinte die Frage, ob er seinen Bruder finanziell unterstützen könnte, zwar zunächst weil die Fixkosten in Österreich hoch sind. Anschließend gab er jedoch an, dass er ihn doch mit 50-100 Euro unterstützen könnte und er ihn bereits dadurch unterstützt habe, dass er ihm manchmal Kleidung kaufe. Es ist daher davon auszugehen, dass der in Österreich lebende Bruder des Beschwerdeführers diesen auch bei einer Rückreise nach Afghanistan weiterhin unterstützen kann und da er seinen Bruder bereits in Österreich unterstützt hat, dies wohl auch machen würde, wenn der Beschwerdeführer nach Afghanistan zurückkehrt. Da der Beschwerdeführer auch über ein sehr großes Familiennetz in Afghanistan verfügt und seine Familie auch Eigentum in Afghanistan hat, geht das Gericht davon aus, dass er auch von seiner in Afghanistan lebenden Familie bei einer Rückkehr nach Afghanistan ausreichend Unterstützung erhalten wird. Der Bruder des Beschwerdeführers gab bei seiner eigenen Einvernahme an: "Meiner Familie geht es finanziell gut, wir besitzen viele Häuser in der XXXX in der Stadt Jalalabad, die wir vermietet haben, außerdem besitzen wir auch viele Grundstück." (Beilage ./IV Seite 3). Es ist daher davon auszugehen, dass die Familie des Beschwerdeführers eher wohlhabend ist und diese es sich leisten kann, den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan zumindest zu Beginn finanziell zu unterstützen.

 

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

 

Das Hauptvorbringen des Beschwerdeführers lautet, sein Vater sei aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten mitXXXX von dessen Sohn getötet worden, woraufhin der älteste Bruder des Beschwerdeführers zwei Söhne von XXXX erschossen habe. Es sei deshalb zu einer Jirga gekommen, die die Familie XXXX jedoch nicht anerkannt habe. Die Familie des Beschwerdeführers sei deshalb nach Jalalabad gezogen. Ein Sohn von XXXX habe die Familie des Beschwerdeführers in Jalalabad gefunden und den ältesten Bruder des Beschwerdeführers angeschossen, der deshalb eine Niere verloren habe und aufgrund von Nierensteinen einige Monate später verstorben sei. Zwei Stiefsöhne von XXXX seien von der Regierung wegen Waffenhandels verhaftet worden. XXXX habe den Taliban mitgeteilt, dass die Familie des Beschwerdeführers seine Söhne an die Regierung verraten habe. Der Bruder des Beschwerdeführers sei deshalb von den Taliban bedroht worden, weshalb er aus Afghanistan ausgereist sei. Nachdem die zwei Söhne von XXXX freigekommen seien, sei der Beschwerdeführer entführt und 19 Tage festgehalten worden. Aufgrund eines Polizeieinsatzes habe er befreit werden können. Drei Tage danach sei er zuerst nach Pakistan und anschließend nach Österreich geflüchtet.

 

2.2.1. Die wesentlichen Angaben des Beschwerdeführers sind nicht mit den Länderberichten in Einklang zu bringen. Zudem sind in seinen Angaben betreffend seine Fluchtgeschichte erhebliche Widersprüche und Ungereimtheiten enthalten, die seine Angaben unglaubhaft scheinen lassen. Das Gericht geht aufgrund nachstehender Ungereimtheiten und Widersprüche davon aus, dass es sich bei den Angaben des Beschwerdeführers betreffend seine Fluchtgeschichte nicht um tatsächlich Erlebtes handelt:

 

2.2.1.1. Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung an, dass sein Vater ein Grundstück mit einem Weg, der 10 Meter lang und zwei Meter breit gewesen sei, an XXXX verkauft habe. Es sei wegen des Weges zu einem Streit zwischen ihnen gekommen, weil XXXX eine Breite von fünf Meter für den Weg verlangt habe. Während dieses Streits habe der Sohn von XXXX, den Vater des Beschwerdeführers getötet (AS 481; OZ 8, S. 15). Unplausibel scheint, dass der Vater des Beschwerdeführers undXXXX nicht bereits vor dem Verkauf des Grundstücks über den dazugehörigen Weg gesprochen und den Preis dementsprechend verhandelt hätten. Selbst wenn es beim Verkauf dennoch zu Streitigkeiten diesbezüglich gekommen sei, ist es nicht nachvollziehbar, dass der Sohn von XXXX den Vater des Beschwerdeführers sofort getötet habe anstatt vom Kauf des Grundstückes zurückzutreten oder diesbezüglich eine Jirga entscheiden zu lassen.

 

Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung an, dass bei dem Streit um das Grundstück sein Vater sowie sein ältester Bruder, XXXX und dessen Söhne sowie andere Dorfbewohner dabei gewesen seien (OZ 8, S. 17). Der Bruder des Beschwerdeführers gab als Zeuge in der fortgesetzten Verhandlung jedoch an, dass bei dem Streit ihr Vater und ihr ältester Bruder, XXXX und zwei seiner Söhne gewesen seien. Der Zeuge selbst [Anm. BVwG: somit ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers] sei etwas entfernt auch dort gewesen. Ausdrücklich befragt gab er weiter an, dass sonst niemand anwesend gewesen sei (OZ 10, S. 15). Im Widerspruch dazu gab der Bruder des Beschwerdeführers bei seiner eigenen Einvernahme vor dem Bundesamt im Jahr 2013 an, dass außer ihm auch noch andere Personen dort gewesen seien, unter anderem die Enkel von XXXX und er sei daneben gestanden (Beilage ./IV, Seite 9). Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer und sein Bruder die Beteiligten der Situation derart unterschiedlich beschreiben, dies selbst wenn man das junge Alter zum vermeintlichen Vorfallszeitpunkt und die bis dahin vergangene Zeit berücksichtigt. Es hätte sich bei dem Vorfall um den Tod des Vaters und daher um ein besonders entscheidendes und einprägsames Ereignis handeln müssen, das jedenfalls in Erinnerung bleibt. Den Angaben des Beschwerdeführers und des Zeugen kommt keine Glaubhaftigkeit zu.

 

Unplausibel scheint auch, dass der älteste Bruder des Beschwerdeführers als sein Vater getötet worden sei, aus dem Haus der Familie des Beschwerdeführers eine Kalaschnikow geholt habe und daraufhin zwei Söhne von XXXX erschossen habe (OZ 8, S. 15). Selbst wenn das Haus der Familie des Beschwerdeführers zu dem Ort, wo der Streit stattgefunden habe nur ca. 20 bis 25 Meter entfernt gewesen sei (OZ 10, S. 15), muss es einige Zeit gedauert haben, bis der älteste Bruder des Beschwerdeführers die Kalaschnikow geholt habe. So ist es zum einen nicht vorstellbar, dass XXXX und seine Söhne gewartet hätten bis der älteste Bruder wieder aus dem Haus zurückgekommen sei, da der Sohn vonXXXX gerade den Vater des Beschwerdeführers getötet habe, sie auch nicht gewusst haben können, ob der älteste Bruder des Beschwerdeführers überhaupt wiederkomme oder aus Angst geflüchtet sei und ihnen auch bewusst gewesen sein muss, dass wenn er zurückkomme, er ihnen gegenüber nicht friedlich gestimmt sein würde. Zum anderen gab der Bruder des Beschwerdeführers als Zeuge in der fortgesetzten Verhandlung an, dass der Sohn von XXXX eine Pistole gezogen und ihren Vater erschossen habe (OZ 10, S. 13). Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Sohn von XXXX nicht versucht habe mit seiner Pistole den ältesten Bruder des Beschwerdeführers aufzuhalten und es diesem gelungen sei zwei Brüder von XXXX zu erschießen, obwohl die Familie XXXX in der Überzahl gewesen sei und sie auch eine Pistole bei sich gehabt haben.

 

Der Bruder des Beschwerdeführers gab bei seiner eigenen Einvernahme als Partei vor dem Bundesamt an: "Mein Vater und XXXXsind handgreiflich geworden, deshalb ist mein Bruder ins Haus gegangen, der Streit fand unmittelbar vor unserem Haus statt und (er) hat aus dem Zimmer die Kalaschnikow geholt. (...) Mein Vater und XXXX sind handgreiflich geworden, mein Vater hat den XXXX auf den Boden geschmissen, der Sohn von XXXX zuckte die Waffe und sagte meinem Vater, er solle seinen Vater loslassen, ansonsten würde er schießen. In diesem Moment ist mein Bruder ins Haus gelaufen und hat die Kalaschnikow geholt." (Beilage ./IV, Seite 9). Es ist ein erheblicher Widerspruch, dass der Bruder des Beschwerdeführers bei seiner eigenen Einvernahme 2013 angab, dass der Streit unmittelbar vor dem Haus seiner Familie stattgefunden habe und dieser 2017 in der Gerichtsverhandlung angab, dass der Streit auf dem verkauften Grundstück stattgefunden habe und das Grundstück jedoch durch ein anderes Grundstück ca. 20-25 Meter vom Haus getrennt war. Der Beschwerdeführer und sein Bruder konnten daher nicht glaubhaft machen, dass jemals ein Streit um ein Grundstück stattgefunden habe. Es ist von einer erfundenen Fiktion auszugehen, der keine Glaubhaftigkeit zukommt.

 

Der Beschwerdeführer hat im Verfahren immer wieder angegeben, dass die Familie XXXX sehr mächtig und einflussreich sei (AS 483; OZ 8, S. 22; OZ 10, S. 11) und konnte in der mündlichen Verhandlung die Namen der Söhne von XXXX nennen und genau angeben, ob es sich dabei um seinen leiblichen oder seinen Stiefsohn handle. Er wusste auch, dass XXXX zweimal verheiratet gewesen sei (OZ 8, S. 17). Unplausibel scheint daher, dass der Beschwerdeführer zwar diese Einzelheiten nennen konnte, aber weder angeben konnte, welchen Beruf XXXX ausgeübt habe (OZ 11, S. 17) noch wie sein Nachname laute (AS 481), obwohl XXXX doch sehr mächtig und einflussreich und daher auch sehr bekannt gewesen sein müsste (AS 483; OZ 8, S. 22; OZ 10, S. 11).

 

Der Beschwerdeführer gab in der fortgesetzten mündlichen Verhandlung an, dass eine Jirga eingesetzt und diese sowohl von der Familie des Beschwerdeführers als auch von der Familie XXXX bevollmächtigt worden sei um den Streit zwischen ihnen zu lösen (OZ 10, S. 5). Die Jirga habe aufgrund des Todes des Vaters des Beschwerdeführers und des Todes zweier Söhne von XXXX entschieden, dass der älteste Bruder des Beschwerdeführers 400.000 Kaldar als Schadenersatz an die Familie XXXX zu zahlen habe (OZ 8, S. 15; OZ 10, S. 11). Der älteste Bruder des Beschwerdeführers habe den festgesetzten Schadenersatzbetrag noch in der Jirga an die Familie XXXX gezahlt und um Verzeihung gebeten (OZ 8, S. 18). Es scheint daher unplausibel, dass die Familie XXXX das Ergebnis der Jirga nicht anerkannt haben soll, zumal diese den Geldbetrag angenommen hat (OZ 8, S. 18; OZ 10, S. 11). Dies ist insbesondere deshalb unplausibel, weil sich aus den Länderberichten ergibt, dass sobald die Jirga ihre Entscheidung gefällt hat, sie von den Parteien nicht mehr angefochten werden kann und für alle verbindlich wird. Wer die Entscheidungen der Jirga nicht befolgt, hat mit ernsthaften Konsequenzen zu rechnen, d.h. Zerstörung oder Abbrennen des Wohnhauses, Geldstrafe, Swara (Verheiratung einer Frau mit einem Verwandten des Opfers als Entschädigung zur Beilegung eines Konflikts) leisten, Verstoß aus der Heimat. Zwar könnte die unterlegene Partei noch eine andere Jirga ihrer Wahl anrufen (vgl. Punkt II.1.4.), da die Familie XXXX jedoch die Zahlung des Bruders des Beschwerdeführers angenommen hätte (OZ 8, S. 18) und nicht von der Anrufung einer anderen Jirga Gebraucht gemacht hätte, wäre eine Entscheidung der Jirga für sie jedenfalls verbindlich geworden. Die Jirga hätte auch beschlossen, dass nach der Zahlung des Schadenersatzes die Sache jedenfalls erledigt gewesen wäre (OZ 8, S. 18), sodass der Familie XXXX bewusst gewesen hätte sein müssen, dass die Streitigkeiten beendet wären und ein weiterer Racheakt als Verstoß gegen die Entscheidung der Jirga und neuerlicher Angriff gewertet worden wäre. Dass die Familie XXXX die strengen Konsequenzen eines Verstoßes gegen die Entscheidung der Jirga in Kauf nehmen würden, ist auch insbesondere deshalb unplausibel, weil der FamilieXXXX ihr Ruf und ihr Ansehen in der Region sehr wichtig gewesen wären und sie nicht in die Kritik der Dorfbewohner hätte geraten wollen (OZ 8, S. 22).

 

Der Beschwerdeführer gab bei der Vernehmung beim Bundesamt an, dass seine Familie auf Grund der Jirga einen Betrag von 400.000 Rubin gezahlt hätte (AS 481). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer dazu im Widerspruch an, dass seine Familie 400.000 Kaldar habe zahlen müssen (OZ 8, Seite 15). Den Angaben des Beschwerdeführers ist nicht zu glauben.

 

Zudem gab der Beschwerdeführer in der fortgesetzten Verhandlung an, dass die jungen Männer der Familie XXXX die Entscheidung der Jirga bei der Versammlung der Jirga akzeptiert hätten, damit sich die Weißbärtigen [Anm. BVwG: wohl gemeint die Ältesten] nicht gegen ihre Familie stellen würden (OZ 10, S. 11). Sein Bruder gab als Zeuge in der fortgesetzten Verhandlung jedoch an, dass die jungen Männer der Familie XXXX bei der Verkündung der Entscheidung offen kundgetan hätten, dass sie die Entscheidung nicht akzeptieren werden, obwohl die älteren Männer der Familie XXXX [Anm. BVwG: wohl gemeint insbesondere XXXX] zur Akzeptanz ermahnt hätten (OZ 10, S. 14). Dass sich die Söhne von XXXX gegen ihren Vater, der die Entscheidung der Jirga offenkundig akzeptiert habe (OZ 10, S. 11, 14), gestellt hätten, ist insbesondere deshalb unplausibel, weil der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass die Söhne von XXXX lediglich das getan hätten, was ihnen ihr Vater gesagt habe (OZ 8, S. 20). Zudem ist ein derartig respektloses Verhalten von jungen Männern vor der Jirga nicht mit den Länderberichten in Einklang zu bringen. Die paschtunischen Verhaltensregeln sind auch jungen Männern bekannt und werden nach dem Paschtunwalli auch eingehalten. Es kommen den Schilderungen des Beschwerdeführers und seines Bruders keine Glaubhaftigkeit zu.

 

Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Einvernahme an, dass die jungen Männer der Familie XXXX die Jirga nicht akzeptiert hätten, da diese kein Geld haben wollten, sondern ein Mädchen von der Familie des Beschwerdeführers (OZ 8, Seite 11). Der Bruder des Beschwerdeführers gab jedoch befragt an, dass die jungen Männer der Familie XXXX mit der Entscheidung der Jirga nicht einverstanden gewesen wären, da diese statt dem Erhalt von Geld lieber Rache genommen hätten (OZ 10, Seite 14). Der Bruder des Beschwerdeführers erwähnte jedoch mit keinem Wort, dass die andere Familie sich von der Jirga erhofft hätten ein Mädchen der Familie des Beschwerdeführers zu erhalten. Dies wäre jedoch ein besonders einprägsames Detail und steht im Widerspruch zum bloßen Rachegedanken. Den Angaben des Beschwerdeführers und seines Bruders kommt keine Glaubhaftigkeit zu.

 

Sofern der Beschwerdeführer angab, dass das System in Afghanistan so sei, dass Blutrache ausgeübt werden muss (OZ 8, S. 18), ist dies nicht mit den Länderberichten in Einklang zu bringen. Aus den Länderberichten ergibt sich zwar, dass der Verlust eines verteidigungs-fähigen Mannes Vergeltung (Badal) fordert um das Gleichgewicht der Kräfte und die Ehre wiederherzustellen. Jedoch fördert Vergebung (Nanawate) nach erfolgter Vergeltung das Prestige eines Paschtunen. Lediglich vor erfolgter Vergeltung gilt es als Zeichen für Feigheit und Verteidigungsunfähigkeit und hat einen Ehrverlust zur Folge. Da es jedoch sowohl bei der Familie XXXX als auch bei der Familie des Beschwerdeführers Opfer gegeben habe und somit beide Seiten bereits gezeigt hätten, dass sie fähig sind die Ehre ihrer Familie aufrecht zu erhalten bzw. wiederherzustellen, wäre der Vergebung in Form der Jirga kein gesellschaftlicher Druck mehr entgegen gestanden. Im Gegenteil, die Vergebung hätte das Prestige der Jirgabeteiligten gefördert (vgl. Punkt II.1.4.). Es hätte sich auch insbesondere dadurch, dass die Ältesten von beiden Familien mit der Streitbeilegung bevollmächtigt worden wären (OZ 10, S. 5), gezeigt, dass beide Parteien mit der friedlichen Streitbeilegung einverstanden gewesen wären sowie bereit gewesen wären die Blutfehde aufzulösen und auf weitere Vergeltung zu verzichten. Aus den Länderberichten geht auch hervor, dass die Bestrafung des Täters durch das formale Rechtssystem, gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht ausschließt, sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde. Die lokalen Schuras und Dschirgas (Jirga, Ratsversammlungen) sind die einzigen Strukturen, die sich mit der Beilegung von Blutfehden beschäftigen (vgl. Punkt II.1.4.). Dass die Familie XXXX das Ergebnis der Jirga nicht anerkannt haben soll, ist daher absolut nicht nachvollziehbar und nicht mit den Länderfeststellungen in Einklang zu bringen. Den Angaben des Beschwerdeführers und seines Bruders kommt keine Glaubhaftigkeit zu.

 

In diesem Zusammenhang scheint auch unplausibel, dass sich die Familie des Beschwerde-führers nach der Jirga bei weiterhin anhaltenden Problemen mit der Familie von XXXX nicht an die Ältesten gewandt habe und allfällige Verstöße gegen die Entscheidung der Jirga gemeldet habe, sondern deshalb nach Jalalabad gezogen sei (AS 481; OZ 8, S. 18).

 

Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er bei der Jirga dabei gewesen sei. Er sei noch ein kleines Kind gewesen und habe den Tee gebracht. Außerdem seien noch XXXX und dessen zwei Söhne XXXX und XXXX [Anm. BVwG: die nach der vorherigen Ausführung des Beschwerdeführers die Stiefsöhne vonXXXX seien (OZ 8, S. 17)], der ältester Bruder des Beschwerdeführers sowie 15-20 andere Personen wie Dorfälteste und Dorfvorsteher anwesend gewesen (OZ 8, S. 17 f). Der Bruder des Beschwerdeführers gab als Zeuge in der fortgesetzten Verhandlung befragt jedoch an, dass XXXX und seine zwei leiblichen Söhne, der älteste Bruder des Beschwerdeführers, er selbst [Anm. BVwG: somit ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers] sowie der Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers bei der Jirga anwesend gewesen seien. Der Beschwerdeführers sprach daraufhin dem Zeugen während der Einvernahme des Zeugen in der mündlichen Verhandlung etwas auf Paschtu zu, woraufhin der Zeuge seine Aussage dahin korrigierte, dass die Stiefsöhne XXXX und XXXX von XXXX dabei gewesen seien. Nachgefragt gab der Zeuge nunmehr an, dass auch der Beschwerdeführer dabei gewesen sei und Tee gebracht habe. Weitere Personen, wie Dorfbewohner oder -vorsteher erwähnte er jedoch nicht (OZ 10, S. 16). Die Angaben sind daher nicht glaubhaft.

 

Es kann daher auf Grund der oben aufgezeigten Unplausibilitäten und Widersprüche vom Gericht nicht festgestellt werden, dass es überhaupt zu Grundstücksstreitigkeiten oder zu einer Jirga gekommen ist oder, dass überhaupt eine Blutfehde zwischen den Familien bestanden hat. Die Angaben des Beschwerdeführers und seines Bruders sind nicht glaubhaft.

 

Unplausibel scheint zudem, dass die Familie XXXX selbst als die Familie des Beschwerde-führers ihr Heimatdorf verlassen habe und nach Jalalabad gezogen sei, diese weiterhin gesucht und sodann den ältesten Bruder des Beschwerdeführers angeschossen habe. Dies steht zudem im Widerspruch zu den Angaben des Beschwerdeführers, wonach er in Jalalabad ein ruhiges Leben geführt habe (AS 481) und zu den Länderberichten, wonach durch eine Jirga ein derartiger Streit bereinigt gewesen wäre. Die Angaben des Beschwerdeführers sind nicht glaubhaft. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass es zu einer Blutfehde oder zu wechselseitigen Angriffen oder Verletzungen gekommen ist.

 

Da aus den Länderberichten auch hervorgeht, dass von Blutrache auch die männlichen Verwandten ersten Grades, sowie die Onkel und Cousins und deren Söhne und sogar diejenigen, die dem Feind Schutz gewährt haben (vgl. Punkt II.1.4.), betroffen sind, ist es nicht nachvollziehbar, dass die fünf Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers, die ebenfalls in der Provinz Nangarhar im Distrikt XXXX leben, keinerlei Probleme mit der Familie XXXX haben. So handelt es sich zwar um die Verwandten mütterlicherseits, jedoch sind nach den Angaben des ältesten Bruder des Beschwerdeführers, der ja zwei Söhne von XXXX erschossen habe, sowohl die Onkel väter- als auch mütterlicherseits betroffen, weil diesbezüglich keine Unterscheidung vorgenommen werden würde. Darüber hinaus hätte ein Onkel des Beschwerdeführers seiner Mutter und seiner Schwester - somit den angeblichen Feinden der Familie XXXX - Schutz gewährt, sodass dieser alleine deshalb ins Blickfeld der Familie XXXX geraten wäre. Da es dem Onkel und der Mutter des Beschwerdeführers gut gehe und sie nicht von Problemen mit der Familie XXXX berichtet haben (OZ 10, S. 9, 19), ist nicht davon auszugehen, dass es tatsächlich eine Blutfehde oder ein Grundstücksstreit zwischen der Familie des Beschwerdeführers und der Familie XXXX gegeben hat.

 

2.2.1.2. Der Beschwerdeführer führte im Verfahren weiters aus, dass zwei Söhne von XXXX von der Regierung verhaftet worden seien, weil sie Waffen an die Taliban verkauft hätten. XXXX habe deshalb die Familie des Beschwerdeführers verdächtigt, seine Söhne an die Regierung verraten zu haben (AS 481; OZ 8, S. 15). Während der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung ausführte, dass die zwei Söhne vonXXXX deshalb frühzeitig aus der Haft entlassen worden seien, weil die Familie XXXX den Taliban davon berichtet habe und die Taliban Kontakte in der Regierung hätten (OZ 8, S. 19), gab er bei der Einvernahme beim Bundesamt an, dass die Söhne von XXXX freigekommen seien, weil sie aus einer mächtigen Familie stammen (AS 483). Die Angaben sind nicht glaubhaft. Zudem ist nicht nachvollziehbar, weswegen die Familie XXXX davon ausgehen sollte, dass die Familie des Beschwerdeführers die Söhne an die Regierung verraten haben soll.

 

Unplausibel scheint auch, woher der Beschwerdeführer wissen soll, dass XXXX den Taliban berichtet haben soll, dass die Familie des Beschwerdeführers seine Söhne an die Regierung verraten habe. Es fällt in diesem Zusammenhang auf, dass der Beschwerdeführer seine Angaben lediglich auf vage Mutmaßungen und Spekulationen stützt. So gab er in der mündlichen Verhandlung an, dass er weder von jemandem gehört habe noch selbst dabei gewesen sei als XXXX den Taliban gesagt haben soll, dass die Familie des Beschwerdeführers seine Söhne an die Regierung verraten habe. Es sei dem Beschwerde-führer und seiner Familie jedoch "sowieso klar, dass er es den Taliban erzählt" habe (OZ 8, S. 19). Der Beschwerdeführer hat in der fortgesetzten Verhandlung angegeben, dass zwei Söhne von XXXX "von allen Menschen" Waffen gekauft hätten (OZ 10, S. 12), sodass überall bekannt gewesen sei, dass die Söhne von XXXX mit Waffen handeln würden. Der Beschwerdeführer konnte - wie bereits ausgeführt - auch nicht glaubhaft machen, dass eine Blutfehde zwischen seiner Familie und der Familie XXXX bestanden habe. Es ist daher unplausibel, dass die Familie XXXX ausgerechnet die Familie des Beschwerdeführers verdächtigt hätte sie an die Regierung verraten zu haben. Der Beschwerdeführer hat reine Spekulationen vor Gericht präsentiert, denen auch unter Berücksichtigung des jungen Alters und des länger zurückliegenden Zeitraums keine Glaubhaftigkeit zukommt.

 

2.2.1.3. Der Beschwerdeführer gab betreffend seine Entführung nur sehr vage und widersprüchliche Antworten, sodass das Gericht nicht den Eindruck hat, dass es sich bei der Entführung und Gefangenschaft um tatsächliche Erlebnisse des Beschwerdeführers handelt. So hat der Beschwerdeführer obwohl er ca. 19 Tage festgehalten worden sei, nicht gleichbleibend schildern können, an welchem Ort er festgehalten worden sei. Während er beim Bundesamt angegeben hat, dass er sich in einer Qala, also einem Garten mit hohen Mauern, aufgehalten habe (AS 483), gab er in der mündlichen Verhandlung an, dass er in einer großen Burg festgehalten worden sei (OZ 8, S. 16; OZ 10, S. 9). Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass ein mittlerweile Erwachsener, den Ort der Entführung an dem er als ca. 17-Jähriger (Entführung am 19.05.1393 = 10.08.2014) 19 Tage gefangen gehalten worden wäre, gleichbleibend und ohne massive Widersprüche beschreiben kann. Die Angaben des Beschwerdeführers sind nicht glaubhaft.

 

Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung die Marke des Autos und die Anzahl der Mitfahrer, von denen er entführt worden wäre, genannt (OZ 8, S. 16; OZ 10, S. 9), sodass davon auszugehen sei, dass er das Auto kurz vor seiner Entführung bewusst wahrgenommen hätte. Zudem sei der Beschwerdeführer danach betäubt und bewusstlos geworden und erst in einer Qala bzw. einer Burg wieder aufgewacht (OZ 8, S. 16; OZ 10, S. 9), sodass ihm die Marke des Autos sowie die Anzahl der Mitfahrer wohl nicht erst nach dem Ereignis der Entführung aufgefallen sein könnten. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer nicht davon gelaufen sei, obwohl er das Auto und die vermummten Personen (OZ 8, S. 16) bewusst wahrgenommen habe und das Auto vor der Entführung wohl auch angehalten haben müsste (OZ 8, S. 16). Dass der Beschwerdeführer daher einfach betäubt worden sei ohne dass er versucht habe sich zu wehren oder wegzulaufen, ist daher nicht nachvollziehbar. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Entführung waren vage und pauschal und kommen diesen keine Glaubhaftigkeit zu.

 

Es fällt auch auf, dass der Beschwerdeführer die Zuordnung seiner angeblichen Entführer zur Gruppe der Taliban auf lediglich vage Mutmaßungen und Spekulationen stützt. Befragt, warum er glaube, dass er von den Taliban entführt worden sei, gab der Beschwerdeführer in der fortgesetzten Verhandlung an, dass die Taliban Waffenverluste gehabt hätten und man es an ihren Gesichtern erkennen habe können, dass sie von den Taliban gewesen seien. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass man die Taliban erkenne, weil sie lange Haare und lange Bärte hätten (OZ 10, S. 9 f, 11). Es fällt daher auf, dass der Beschwerdeführer gleichwohl jeden langbärtigen Mann mit langen Haaren als Taliban identifiziere, was nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten in Afghanistan übereinstimmt. Dass es sich bei den angeblichen Entführern des Beschwerdeführers um Mitglieder der Taliban gehandelt hätte, ist daher eine bloße Vermutung des Beschwerdeführers. Das Gericht geht davon aus, dass keine Entführung stattgefunden hat. Mag zwar auch der Bruder des Beschwerdeführers bei seiner eigenen Einvernahme am 06.02.2015 bereits von der Entführung des Beschwerdeführers erzählt haben, so geht das Gericht davon aus, dass dies ausschließlich der damals bereits geplanten Einreise und Asylantragstellung des Beschwerdeführers habe dienen sollen, den Schilderungen jedoch kein Wahrheitsgehalt zukommt und der Beschwerdeführer lediglich aus wirtschaftlichen Gründen sein Land verlassen hat.

 

Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass sein Onkel mütterlicherseits einen Polizisten in der Kommandantur, der sein ehemaliger Schüler gewesen sei, um Hilfe gebeten habe. Die Polizei habe daraufhin den Stützpunkt der Taliban in der Provinz Nangarhar im Distrikt XXXX überfallen, wodurch der Beschwerdeführer freigekommen sei. Der Beschwerdeführer gab befragt, woher die Polizei gewusst habe, wo er festgehalten werde, an, dass sein Onkel der Polizei die Adresse von XXXX gegeben habe (AS 485). Es ist absolut nicht nachvollziehbar, dass sich an der Adresse der Familie XXXX ein Stützpunkt der Taliban befinde. Der Beschwerdeführer hat während des gesamten Verfahrens auch stets den Eindruck vermittelt, dass die Familie XXXX ebenfalls im Heimatdorf des Beschwerdeführers, jedenfalls jedoch im Distrikt XXXX (Provinz Nangarhar) lebe, zumal die Familie des Beschwerdeführers aufgrund von anhaltenden Problemen mit der Familie XXXX nach Jalalabad übersiedelt sei (AS 481; OZ 8, S. 15). Es ist daher völlig unplausibel, dass die Polizei aufgrund der Adresse der Familie XXXX den Stützpunkt der Taliban im Distrikt XXXX angreifen würde. Ebenso ist nicht plausibel, dass die gesamte Polizei samt Streitkräften lediglich aufgrund eines Verdachts des Onkels des Beschwerdeführers eine Polizeioperation an einer ihnen genannten Adresse durchführen würde (OZ 8, S. 16).

 

Der Beschwerdeführer konnte trotz mehrfacher Nachfrage nicht angeben, wie viele Polizisten bei der Befreiungsaktion dabei waren und gab nur pauschale und ausweichende Antworten, die auf das Gericht den Eindruck machten, dass der Beschwerdeführer eine erfundene Geschichte präsentiert:

 

"R: Wie viele Polizeikräfte waren bei Ihrer Befreiung dabei?

 

BF: Unzählige Polizisten, sehr viele Polizisten waren dabei.

 

R: 5, 10, 100?

 

BF: Ich habe nicht gezählt, 9 oder 10 Autos waren es." (OZ 10, Seite 11)

 

Unplausibel ist auch, dass die zwei Söhne von XXXX, die im 8. Monat 1390 (Oktober/November 2011) festgenommen worden seien (AS 487; OZ 8, S. 18; OZ 10, S. 6) und nach zwei Jahren [Anm. BVwG: somit ca. im

8. Monat 1392 (Oktober/November 2013)] wieder freigekommen seien (AS 483; OZ 8, S. 21), sich im 5. Monat 1393 (Juli/August 2014), somit erst über ein halbes Jahr nach ihrer Entlassung, am Beschwerdeführer für ihre Haftzeit gerächt haben sollen, indem sie ihn am 19.05.1393 (durch die Taliban) entführt haben sollen (AS 483; OZ 8, S. 21). In diesem Zusammenhang ist auch unplausibel, dass der Beschwerde-führer nicht schon während der Haftzeit der Söhne von XXXX entführt worden sei, weil er doch von den Taliban entführt worden sei (OZ 10, S. 9) und diese nicht im Gefängnis festgehalten worden seien, sodass sich die Taliban in der Zwischenzeit sehr wohl am Beschwerdeführer hätten rächen und eine Entschädigung ihrer Waffenverluste hätten verlangen können.

 

Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt und vor Gericht auch an, dass anstatt des hohen geforderten Schadenersatzbetrages und zur Befreiung des Beschwerdeführers, seine Mutter ihre landwirtschaftlich genutzten Grundstücke an die Familie XXXX überschreiben habe sollen (AS 483; OZ 8, S. 22). Der Beschwerdeführer gab zwar in der mündlichen Verhandlung an, dass die Familie XXXX nicht in ihrem eigenen Namen, sondern im Namen der Taliban Schadenersatz verlangt habe, das Geld bzw. die Grundstücke hätte aber nach den Angaben des Beschwerdeführers die Familie XXXX erhalten (AS 483; OZ 8, S. 22). Unplausibel ist jedoch, dass obwohl den Taliban ein Schaden durch den Verlust der Waffen zugefügt worden sei (OZ 8, S. 19, 23), der Familie XXXX und nicht den Taliban das Geld bzw. die Grundstücke als Schadenersatz für die Waffen zugutegekommen wären.

 

In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass selbst wenn in den angeblichen Briefen der Taliban nicht ausdrücklich gestanden hätte, dass der Schadenersatz an die FamilieXXXX zu bezahlen wäre (OZ 8, S. 23), spätestens im Vertrag, der der Mutter des Beschwerdeführers nach seiner Entführung übermittelt worden wäre, angeführt sein hätte müssen, wem die Mutter des Beschwerdeführers ihre Grundstücke überlasse (OZ 8, S. 16). Die Familie des Beschwerdeführers hätte daher durchaus einen Beweis für die Drohungen der Familie XXXX gehabt. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum die Familie des Beschwerdeführers sich nicht an die Regierung gewandt hätte, hätte diese Drohung und die Entführung tatsächlich stattgefunden (OZ 8, S. 23).

 

Es wird auch angemerkt, dass der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine etwaige Entführung seitens der Taliban mit keinem Wort erwähnt hat. Diesbezüglich wird weder die seitens der Rechtsprechung der Höchstgerichte des öffentlichen Rechts hierüber bereits aufgezeigten Bedenken gegen die Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung (vgl etwa VfGH vom 20. Februar 2014, U 1919/2013-15, U 1921/2013-16, und E vom 28.Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018) übersehen noch, dass sich die Erstbefragung gemäß § 19 Abs. 1 AsylG nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Dennoch scheint fraglich, warum der Beschwerdeführer seine Entführung und Gefangennahme durch die Taliban in der Erstbefragung nicht einmal in einem Satz erwähnt hat.

 

2.2.1.4. Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung an, dass er einen Brief der Taliban erhalten habe, den ihm der Mullah gegeben habe, in dem er aufgefordert worden sei Schadenersatz zu zahlen, weil den Taliban ein Schaden in Höhe von 8 Millionen Kaldar wegen dem Verlust der Waffen entstanden sei. Er habe keine weiteren Briefe erhalten, es könne jedoch sein, dass sein Bruder weitere Briefe erhalten habe (OZ 8, S. 19, 23). Der Bruder des Beschwerdeführers gab als Zeuge in der fortgesetzten Verhandlung an, dass die Taliban ihm Briefe geschickt hätten, in denen ihm die Taliban mit dem Tod gedroht hätten, weil die Regierung ihre Waffen beschlagnahmt habe (OZ 10, S. 16 f). Unplausibel ist, dass sie den Bruder des Beschwerdeführers nicht zur Schadenersatzzahlung aufgefordert, sondern sogleich mit dem Tod gedroht haben sollen. Die Angaben sind nicht glaubhaft.

 

Unplausibel und lebensfremd ist auch, dass die Taliban generell mit einer solchen Schrift schreiben würden, dass es nur ein Mullah lesen könne (OZ 8, S. 23).

 

Auch bezüglich der Drohbriefe zeigt sich, dass der Beschwerdeführer die Zuordnung des Absenders der Briefe lediglich auf vage Mutmaßungen stützt, da er in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass er gewusst habe, dass die einzige Gruppe, die seine Familie wegen dem Schadenersatz auffordern würde, die Taliban seien (OZ 8, S. 23). Dies ist jedoch insbesondere deshalb nicht nachvollziehbar, weil der Beschwerdeführer zuvor in der mündlichen Verhandlung noch ausgeführt hat, dass die Familie XXXX auch Schadenersatz verlangt habe (OZ 8, S. 22).

 

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er und sein Bruder Drohbriefe erhalten haben sollen, ist auch nicht mit den Länderberichten in Einklang zu bringen. So ergibt sich aus der Anfragebeantwortung des Bundesamtes vom 28.07.2016, dass die Taliban keine Drohbriefe mehr schicken, weil sie diese Praxis aufgegeben haben und dies nicht ihr Stil ist (vgl. Punkt II.1.4.). Hätten die Taliban daher tatsächlich Schadenersatz für den Verlust der Waffen gefordert, wäre die Familie des Beschwerdeführers persönlich von Mitgliedern der Taliban aufgefordert worden den Geldbetrag zu zahlen.

 

2.2.1.5. Darüber hinaus fällt auf, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zwar immer wieder angegeben hat, bedroht worden zu sein, diese Bedrohungen jedoch nicht näher ausführen konnte und auch auf Nachfrage lediglich vage sowie ausweichende Antworten gegeben hat. So gab er zunächst an, dass er bedroht worden sei, sich nicht frei bewegen habe könne und in Angst gelebt habe (OZ 8, S. 19). Nachgefragt gab der Beschwerdeführer lediglich ausweichend an: "Als XXXX [der nunmehr in Österreich lebende Bruder des Beschwerdeführers] dort gelebt hat, war er diesen Bedrohungen ausgesetzt. Nach seiner Ausreise nach Afghanistan habe ich die Bedrohungen bekommen." (OZ 8, S. 19). Darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer sein Vorbringen so erzählen möge, dass es nachvollziehbar ist, gab er wiederum nur unzusammenhängend an: "Ich wurde von den Söhnen von XXXX geschlagen und gequält. Die Moschee ist ein heiliger Platz. Ich konnte die Moschee nicht besuchen, weil ich Angst hatte." Selbst auf erneute Befragung nach konkreten Situationen und Handlungen gab der Beschwerdeführer lediglich an:

"Sie haben den Zettel dem Mullah gegeben. Sie haben unsere Grundstücke besetzt, sie haben uns bedroht. Danach haben sie mich entführt." (OZ 8, S. 20).

 

Sofern der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass er von der Familie bzw. von den Söhnen von XXXX mit dem Tod bedroht sowie von ihnen geschlagen und gequält worden sei (OZ 8, S. 20), ist dies insbesondere deshalb unplausibel, weil der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung auf mehrfaches konkretes Nachfragen angegeben hat, dass er einmal mit einem Sohn von XXXX, jedoch nie mit XXXX persönlich gesprochen habe (OZ 8, S. 20). Das Gespräch mit dem Sohn von XXXX schilderte der Beschwerdeführer so, dass es eine zufällige Begegnung gewesen sei und auch andere Jungs dabei gewesen seien. "Er sagte zu mir, du gehst hier noch immer frei herum, wir werden uns wiedersehen. Ich habe darauf geantwortet, ja wir werden sehen." (OZ 8, S. 21). Eine konkrete Drohung mit dem Tod kann darin vom Gericht nicht erkannt werden und habe es der Beschwerdeführer selbst wohl ebenfalls nicht als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen, zumal er ihm mit den gleichen Worten geantwortet habe. Unplausibel ist in diesem Zusammenhang, wann der Beschwerdeführer von den Söhnen XXXX geschlagen und gequält worden sein soll, wenn er doch nur einmal dieses kurze Gespräch mit einem Sohn von XXXX gehabt habe. Auch diesen Angaben des Beschwerdeführers kommt keine Glaubhaftigkeit zu.

 

Betreffend die Bedrohung durch die Taliban gab der Beschwerdeführer in der fortgesetzten Verhandlung befragt an, dass seine Familie keine Probleme mit den Taliban, sondern mit XXXX gehabt habe. XXXX habe die Taliban informiert, die dem Beschwerdeführer und seiner Familie sodann Probleme bereitet hätten. Auf mehrfache Nachfrage gab der Beschwerdeführer schließlich an, dass auch sein nunmehr in Österreich lebender Bruder Probleme mit den Taliban gehabt habe. Wäre der jüngere Bruder des Beschwerdeführers das Familienoberhaupt gewesen, hätte auch er Probleme mit den Taliban gehabt. Die Probleme mit den Taliban hätten sich darin geäußert, dass der nunmehr in Österreich lebende Bruder des Beschwerdeführers Drohbriefe erhalten habe und von den Taliban geschlagen sowie gesucht worden sei (OZ 10, S. 6). Der Bruder des Beschwerde-führers gab als Zeuge an, dass er von den Taliban gequält worden sei, womit er meine, dass sie ihm Briefe geschickt, nach ihm gesucht und mit dem Tod gedroht hätten (OZ 10, S. 16). Dass er von den Taliban geschlagen worden sei, gab er jedoch nicht an. Dass er vergessen habe dies zu erwähnen, ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung völlig unplausibel, weil doch gerade Schläge und der persönliche Kontakt mit den Taliban jedenfalls in Erinnerung geblieben wären.

 

Da der Beschwerdeführer - wie bereits ausgeführt - weder glaubhaft machen konnte, dass seine Familie Drohbriefe von den Taliban erhalten hätte noch dass er entführt worden wäre sowie er die Bedrohung durch die Taliban derart vage geschildert habe, hat das Gericht nicht den Eindruck, dass die Taliban auf die Familie des Beschwerdeführers jemals aufmerksam geworden sind oder diese jemals Kontakt zu den Taliban hatten, sondern, dass der Beschwerdeführer aus wirtschaftlichen Gründen sein Land verlassen hat.

 

2.2.1.6. Lediglich am Rande wird auch angemerkt, dass der Beschwerdeführer bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes angegeben hat, dass er und seine Brüder von einer Gruppe, die Waffen geliefert und für die Taliban gearbeitet hätten, aufgefordert worden seien sich dieser Gruppe anzuschließen. Da sich der Beschwerdeführer und seine Brüder geweigert hätten, sei einer seiner Brüder umgebracht worden (AS 15). Nach Vorhalt seines Vorbringens bei der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer in der fortgesetzten Verhandlung an: "die Versuche dieser Gruppe waren uns unter Druck zu setzen. Sowohl von der Seite der Taliban als auch von der Regierung. Wir haben nie mit ihnen kooperiert. Ursprünglich wollten sie sich an uns rächen." (OZ 10, S. 8). Diese Aussage des Beschwerdeführers ist absolut nicht mit seinen Aussagen im Verfahren beim Bundesamt und beim Bundesverwaltungsgericht in Einklang zu bringen, wo er eine Gruppe, die den Beschwerdeführer und seine Brüder zum Anschluss aufgefordert habe, auch auf ausdrückliche Nachfrage (AS 485) nicht erwähnt hat. Warum nun auch die Regierung den Beschwerdeführer unter Druck zu setzen versucht habe, führte der Beschwerdeführer nicht näher aus und erschließt sich dem Gericht vor dem Hintergrund seiner bisherigen Aussagen auch nicht.

 

Es wird im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung des Beschwerdeführers gemäß § 19 Abs. 1 AsylG nicht in erster Linie auf seine Fluchtgründe bezog und diese nur in aller Kürze angegeben sowie protokolliert wurden. Dass der Beschwerdeführer dennoch einen im Kern anderen Fluchtgrund angab sowie die - erst in weiterer Folge geäußerte - angebliche Blutfehde mit der Familie XXXX und damit einen wesentlichen Teil seiner Fluchtgründe sowie seine Verfolger zunächst nicht einmal ansatzweise erwähnte, ist für das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht nachvollziehbar. Vor dem Hintergrund des insgesamt nicht glaubhaften Fluchtvorbringens, stellt die Widersprüchlichkeit seiner Angaben ein weiteres Indiz für die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers dar.

 

2.2.3. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Die Angaben des Beschwerdeführers waren jedoch derart vage und unplausibel. Wie oben dargestellt ergaben sich auch gravierende Widersprüche in wesentlichen Punkten der Aussage des Beschwerdeführers. Es ist dem Beschwerdeführer daher nicht gelungen, sein Verfolgungsvorbringen glaubhaft zu machen. Es konnte somit das Verfolgungsvorbringen nicht festgestellt werden.

 

Hier ist auch anzumerken, dass dem Bruder des Beschwerdeführers im Jahr 2015 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde. Es sind Asylverfahren jedoch Einzelfallprüfungen. Diese sind daher stets gesondert zu prüfen und gibt es keine Bindungswirkungen. Es hat sich auf Grund der im gegenständlichen Verfahren beigezogenen aktuellen Länderberichten, nämlich des Dossiers des Staatendokumentation aus 2016 (Beilage ./XV) und der Gegenüberstellung der Aussagen des Beschwerdeführers und der Aussagen des Bruders des Beschwerdeführers in der Verhandlung im Jahr 2017, sohin auf Grund von Beweismitteln die erst nach dem Abschluss des Asylverfahrens des Bruders des Beschwerdeführers hervorgekommen sind, ergeben, dass in den Angaben des Beschwerdeführers und seines Bruders erhebliche Unplausibilitäten und Widersprüche enthalten sind. Der Beschwerdeführer konnte daher in seinem Asylverfahren weder eine begründete Furcht noch eine konkret oder individuell gegen ihn gerichtete psychische oder physische Bedrohung in Afghanistan glaubhaft machen.

 

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

 

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat, welche den Parteien im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung sowie in der mündlichen Verhandlung vorgehalten und denen in weiterer Folge nicht substantiiert entgegengetreten wurde, stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Säumnisbeschwerde

 

Die Behörden sind gemäß § 73 Abs 1 AVG iVm § 17 VwGVG iVm § 22 AsylG verpflichtet über Anträge von Parteien ohne unnötigen Aufschub, spätestens jedoch binnen 15 Monaten nach deren Einlangen, den Bescheid zu erlassen. Gemäß § 8 VwGVG kann eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungsfrist erst nach Ablauf der Entscheidungsfrist erhoben werden. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

 

Der Beschwerdeführer erhob betreffend seinen Antrag auf internationalen Schutz vom 13.10.2015 am 15.02.2017 eine Säumnisbeschwerde gemäß § 8 VwGVG. Zwischen der Antragstellung und dem Erheben der Säumnisbeschwerde liegt ein Zeitraum von über 16 Monaten.

 

Wie sich aus dem Verwaltungsakt des Bundesamtes und aus dem oben dargestellten Verfahrensgang ergibt, sind nach der niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 14.10.2015 bis zur Erhebung der Säumnisbeschwerde durch den Beschwerdeführer am 15.02.2017 lediglich Schritte zur Altersfeststellung jedoch keinerlei weitere Ermittlungsschritte getätigt worden. Das Bundesamt leitete die Säumnis-beschwerde samt Akten an das Bundesverwaltungsgericht weiter und merkte an, dass das Bundesamt aufgrund der explosionsartigen Antragsentwicklung sowie der zusätzlichen Auswirkungen auf das gesamte Asylverfahren einer außergewöhnlichen Arbeitsüberlastung ausgesetzt war und daher nicht alle Verfahren in der gesetzlich vorgeschrieben Frist erledigen habe können. Zum Zeitpunkt der Erhebung der Säumnisbeschwerde lag jedoch sohin eine Untätigkeit von mehr als 16 Monaten vor, wobei keine Anhaltspunkte hervorkamen, wonach die Säumnis des Bundesamts nicht auf ein überwiegendes Verschulden dieser Verwaltungsbehörde zurückzuführen wäre. Die vom Bundesamt getätigten Ausführungen betreffen lediglich Gründe, die bereits im Rahmen der Verlängerung der Entscheidungsfrist von sechs auf fünfzehn Monate hinreichend Berücksichtigung gefunden haben (vgl. dazu auch VwGH 22.06.2017, Ra 2017/20/0133).

 

Die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht war daher berechtigt.

 

In Folge der zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde ist die Zuständigkeit, über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 13.10.2015 zu entscheiden, auf das Bundesverwaltungsgericht übergegangen (VwGH vom 27.05.2015, Ra 2015/19/0075).

 

Zu A)

 

3.2. Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.):

 

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Begründete Furcht liegt vor, wenn diese objektiv nachvollziehbar ist und sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation ebenfalls aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370).

 

Unter Verfolgung ist ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Eine Verfolgungshandlung ist nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt wurde, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen, infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt, nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256 mwN). Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private kann asylrechtlichen Charakter haben, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH vom 19.10.2017, Ra 2017/20/0069).

 

3.2.2. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu den behaupteten Fluchtgründen kommt keine Glaubwürdigkeit zu (vgl. Punkt II.2.2.). Es konnte weder eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte noch eine begründete Furcht festgestellt werden.

 

Der Antrag des Beschwerdeführers vom 13.10.2015 auf internationalen Schutz war daher hinsichtlich der Gewährung von Asyl gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abzuweisen.

 

3.3. Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.):

 

3.3.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

 

3.3.2. Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht werden (vgl. EGMR vom 06.02.2001, Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH vom 21.08.2001, 2000/01/0443).

 

Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen. Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung daher dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG). Die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative muss dem Fremden - im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums - zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort); für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/ Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG 2005, K15).

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016 mwN).

 

Für den hier in Rede stehenden Herkunftsstaat Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof jüngst mehrfach auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, 18.03.2016, Ra 2015/01/0255, 13.09.2016, Ra 2016/01/0096).

 

In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134; VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016 mwN).

 

3.3.3. Der EGMR geht gestützt auf die Afghanistan-Richtlinien des UNHCR davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistans zumutbar ist, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder den Stamm am Zielort verfügbar ist; alleinstehenden Männern und Kleinfamilien ist es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben. Wegen des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Zusammenhalts in Afghanistan, der durch jahrzehntelange Kriege, massive Flüchtlingsströme und Landflucht verursacht worden ist, ist aber eine Prüfung jedes einzelnen Falles notwendig (VfGH 13.09.2013, U 370/2012 mit Verweis auf EGMR, 13.10.2011, Fall Husseini, App. 10.611/09, Z 96; 09.04.2013, Fall H. und B., Appl. 70.073/10 und 44.539/11, Z 45 und 114).

 

3.3.4. Für den vorliegenden Fall ist daher Folgendes festzuhalten:

 

3.3.4.1. Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Nangarhar, welche sich - den Länderberichten zufolge (vgl. Punkt II.1.4.) - in Bezug auf die Sicherheitslage als volatil darstellt und davon aufgrund von regelmäßig geführten Luftangriffen und militärischen Operationen auch die Zivilbevölkerung betroffen ist.

 

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohen würde.

 

3.3.4.2. Trotz der weiterhin als instabil zu bezeichnenden allgemeinen Sicherheitslage erscheint eine Rückkehr nach Afghanistan im Hinblick auf die regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedliche Sicherheitslage nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Der Beschwerdeführer kann nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan, den Länderberichten (vgl. Punkt II.1.4.) - in Zusammenschau mit den vom Beschwerdeführer glaubhaft dargelegten persönlichen Lebensumständen (vgl. Punkt II.2.1.) - aus folgenden Gründen in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile Afghanistans, konkret in die Hauptstadt Kabul verwiesen werden:

 

Was die Sicherheitslage betrifft, wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die Länderfeststellungen zwar nicht verkannt, dass die Situation (auch) in der Stadt Kabul nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren hat. Darüber hinaus ist Kabul eine über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens gut erreichbare Stadt. Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass Anschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, in Kabul nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Hierzu ist auszuführen, dass die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen vermag, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde bzw. für den Betroffenen unzumutbar wäre. Die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge ereignen sich - wie sich aus einer Gesamtschau der Länderberichte und dem notorischen Amtswissen ableiten lässt - hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Die genannten Gefährdungsquellen sind in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul nach wie vor als ausreichend sicher zu bewerten ist.

 

Auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur eingeschränkt möglich ist, so ist die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in Kabul dennoch zumindest grundlegend gesichert.

 

3.3.4.3. Wie festgestellt wurde, leidet der Beschwerdeführer an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten und ist im erwerbsfähigen Alter. Er verfügt zudem über eine 5jährige Schulausbildung sowie über Berufserfahrung in der Landwirtschaft. Weiters hat der Beschwerdeführer den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht, spricht Dari, eine der Landessprachen Afghanistans, als Muttersprache sowie Faris und Paschtu (ebenfalls Landessprachen Afghanistans) und ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut. Der Beschwerdeführer hat zwar bislang noch nicht in Kabul gelebt und verfügt dort über keine sozialen bzw. familiären Anknüpfungspunkte. Er ist jedoch Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen sunnitischen Glaubens, die die Mehrheitsbevölkerung Afghanistans stellen und in deren Kulturkreis auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird. Angesichts der stark ausgeprägten, mit Rechten und Pflichten einhergehenden Stammesstruktur der Paschtunen (Pashtunwali) könnte der Beschwerde-führer in Kabul auf die Gastfreundschaft (Melmastiya) der Paschtunen, das einen wesentlichen Aspekt des Pashtunwali darstellt, zurückgreifen.

 

Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer nach wie vor über seine Mutter und Schwester sowie seine Onkel und Tanten in Afghanistan und steht in regelmäßigem Kontakt mit seiner Mutter und seinem Onkel. Die Familie des Beschwerdeführers verfügt über Häuser in Jalalabad, die von seiner Familie vermietet und verpachtet werden. Der Beschwerdeführer könnte somit auf die regelmäßigen Einnahmen sowie auf das vorhandene Vermögen seiner Familie zurückgreifen. Er kann im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan somit mit finanzieller Unterstützung durch seine in der Provinz Nangarhar lebenden Familie rechnen. Weiters kann der Beschwerdeführer auch von seinem in Österreich lebenden Bruder finanziell unterstützt werden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine räumliche Trennung die Angehörigen des Beschwerdeführers außer Stande setzen sollte, ihn finanziell zu unterstützen. Es ist deshalb nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten würde. Zudem gehört der Beschwerdeführer keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.

 

Dem Beschwerdeführer ist es daher aufgrund der dargelegten Umstände auch ohne unmittelbar in Kabul bestehende soziale bzw. familiäre Anknüpfungspunkte möglich, sich dort - etwa auch durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten, wobei ihm seine Schulbildung und Berufserfahrung in der Landwirtschaft zu Gute kommt - eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern sowie eine (einfache) Unterkunft zu finden. Dafür, dass der Beschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.

 

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in der Stadt Kabul in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer eine Ansiedlung in der Stadt Kabul möglich und auch zumutbar ist.

 

Auch der im Arztbrief beschriebene Gesundheitszustand - Kurzsichtigkeit mit Hornhautverkrümmung (Myopie mit Astigmatismus), einer Fettstoffwechselstörung (Hypertriglyceridämie), einer schmerzhaften Entzündung der Achillessehne (Achillodynie links) sowie an einer Entzündung der Magenschleimhaut (Gastritis) - stellt keine Gefahr dar, wonach der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte erleiden würde. In Kabul sind mehrere Spitäler vorhanden, sodass eine grundsätzliche gesundheitliche Versorgung gewährleistet ist.

 

3.3.5. Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz war daher hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG abzuweisen.

 

3.4. Rückkehrentscheidung - Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III.)

 

Gemäß § 10. Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

 

3.4.1. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß dem 7. Hauptstück des AsylG

 

Gemäß dem 7. Hauptstück des AsylG kann an einen Drittstaatangehörigen aus berücksichtigungswürdigen Gründen ein "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK" (§ 55 AsylG), ein "Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Gründen" (§ 56 AsylG) oder eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" (§ 57 AsylG) erteilt werden.

 

3.4.1.1 Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs 1 AsylG

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist einem im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen,

(...),

 

2. wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel erforderlich ist oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthalts-berechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, da der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder gemäß § 46a FPG geduldet ist noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

3.4.1.2. Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK iVm § 55 AsylG

 

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist einem im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen:

 

1. wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und,

 

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 5 Abs. 2 ASVG erreicht wird.

 

Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

 

Weder hat der Beschwerdeführer das Erfüllen des 1. Moduls der Integrationsvereinbarung behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor. Der Beschwerdeführer übt auch keine Erwerbstätigkeit aus, mit der er über ein Einkommen verfügt, dass über der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze liegt. Das Erteilen einer Aufenthaltsberechtigung ist auch im Sinne des Art 8 EMRK iVm § 9 Abs 2 BFA-VG nicht geboten (siehe dazu Ausführungen unter 3.4.2.)

 

3.4.1.3. Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG

 

Gemäß § 56 Abs 1 AsylG kann einem im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, (...), eine "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige jedenfalls zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist (Z1), davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, seines festgestellten durchgängigen Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig gewesen ist (Z2) und das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z3).

 

Weder hat der Beschwerdeführer behauptet einen Antrag gemäß § 56 AsylG gestellt zu haben, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Antrages im Ermittlungsverfahren hervor. Der Beschwerdeführer verfügt zudem über keinen 5-jährigen Aufenthalt im Bundesgebiet, sodass ihm auch aus diesem Grund keine Aufenthaltsberechtigung nach dieser Bestimmung zu erteilen war.

 

3.4.2. Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs. 2 Z 2 FPG

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger. Der Beschwerdeführer gab nicht an, über ein Aufenthaltsrecht aus anderen gesetzlichen Bestimmungen (außerhalb des Asylrechts) zu verfügen. Mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz endet das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG mit der Erlassung dieser Entscheidung.

 

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG).

 

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet abzusprechen, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann von Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre (§ 9 Abs. 3 BFA-VG).

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80; EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80; EuGRZ 1983, 215; VfGH vom 12.03.2014, U 1904/2013). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.

 

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva v. Lettland, EuGRZ 2006, 554).

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516; VwGH vom 26.06.2007, 2007/01/0479).

 

Der Beschwerdeführer hält sich seit etwas mehr als 2 Jahren (seit Oktober 2015) im Bundesgebiet auf und ist illegal in das Bundesgebiet eingereist. Er hat seinen Aufenthalt auf einen letztlich unbegründet gebliebenen Asylantrag gestützt.

 

Der Beschwerdeführer hat in der Zeit seines Aufenthaltes Deutschkenntnisse erworben und eine Prüfung auf dem Niveau A2 abgelegt. Der Beschwerdeführer wurde in der Verhandlung kurz auf Deutsch befragt, wo er die dort an ihn in Deutsch gestellten einfachen Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet hat. Der Beschwerdeführer hat an einigen Kursen teilgenommen, die ihn auf den Pflichtschulabschluss vorbereiten sollen, den er jedoch noch nicht abgeschlossen hat.

 

Der Beschwerdeführer hat im Gegensatz zum Bundesgebiet stärkere Anknüpfungspunkte zu seinem Herkunftsstaat Afghanistan, zumal er dort ein soziales und familiäres Umfeld vorfindet und zu seiner Familie in Afghanistan in Kontakt steht. Der Beschwerdeführer verfügt in Afghanistan auch zweifelsohne über die besseren Sprachkenntnisse im Vergleich zum Bundesgebiet und er hat den weit überwiegenden Teil seines Lebens - nämlich ca. 17 Jahre - in Afghanistan verbracht. Aufgrund der nach wie vor bestehenden Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat Afghanistan und der relativ kurzen Ortsabwesenheit kann nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer seinem Kulturkreis völlig entrückt wäre und sich in Afghanistan überhaupt nicht mehr zu Recht finden würde.

 

Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet, außer zu seiner Vertrauenslehrerin während der Lernstunden, noch freundschaftliche Beziehungen zu seinem "Vertrauensbuddy" sowie zu Afghanen, Somaliern und Türken. Der Beschwerdeführer verfügt auch über einen ebenfalls volljährigen Bruder in Wien, mit dem er sich zwar regelmäßig trifft, zu dem jedoch keine entsprechende Beziehungsintensität und auch kein gemeinsamer Wohnsitz oder ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis vorliegen. Der Beschwerdeführer hat auch einen entfernten Verwandten seines Vaters in Bregenz, den er jedoch nicht kennt und zu dem er keinen Kontakt hat. Er ist kein Mitglied eines Vereins und bestreitet seinen Lebensunterhalt durch die Grundversorgung. Darüber hinaus besitzt der Beschwerdeführer keine sozialen oder wirtschaftlichen Anknüpfungspunkte. Es ist daher keine ausgeprägte Integration in Österreich erkennbar und wurde das Vorliegen eines nachhaltigen Privat- oder Familienlebens in Österreich auch im Verlauf der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer nicht behauptet.

 

Ist ein Fremder nicht straffällig geworden, so bewirkt dies keine relevante Verstärkung seiner persönlichen Interessen. Vielmehr stellt die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme dar (vgl. VwGH vom 27.02.2003, 2003/18/0020)

 

Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren () jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte" (vgl. VwGH vom 26.06.2007, 2007/10/0479). Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 maN).

 

Bei einer Zusammenschau all dieser Umstände überwiegen im vorliegenden Fall jene Umstände, die für eine Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat sprechen, wobei neben dem relativ kurzen Aufenthalt, der illegalen Einreise in Österreich und seiner nicht sonderlich ausgeprägten Integration in Österreich und dem in Afghanistan vorhandenen Familienbezug besonderes Gewicht zukommt.

 

Es überwiegen daher die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie des Schutzes des österreichischen Arbeitsmarktes, die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet (vgl. VfSlg. 17.516/2005; VwGH vom 26.6.2007, 2007/01/0479).

 

Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrages unterlassen, bzw. nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ihrer Obliegenheit zum Verlassen des Bundesgebietes entsprechen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip ["no one can profit from his own wrongdoing"], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden darf [vgl. VwGH vom 11.12.2003, 2003/07/0007]).

 

Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und die Rückkehrentscheidung ist nicht unverhältnismäßig.

 

3.4.3. Zulässigkeit Abschiebung gemäß § 52 Abs 9 FPG

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 leg.cit. in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Gemäß § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist eine Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG).

 

Gemäß § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Der Antrag des Beschwerdeführers wurde sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen, sodass weder ein Fall des § 8 Abs. 3a noch des § 9 Abs. 2 AsylG vorliegt (siehe dazu Ausführungen zu Punkt 3.3. und Punkt 3.4.). Eine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte besteht für Afghanistan nicht.

 

3.4.4. Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 8 Abs 3a und § 9 Abs 2 AsylG:

 

Gemäß § 8 Abs 3a und § 9 Abs 2 AsylG ist eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig, wenn dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Eine Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat würde weder eine Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK noch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten (siehe Ausführungen unter Punkt 3.4.).

 

3.4.5. Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung

 

Gemäß § 10. Abs. 1 Z 3 AsylG war die Entscheidung des Bundesamtes daher mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden und ist die Rückkehrentscheidung jedenfalls zulässig. Eine Abschiebung nach Afghanistan ist im gegenständlichen Fall zulässig.

 

Es liegen somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

 

3.5. Ausreisefrist § 55 Abs 1 bis 3 FPG (Spruchpunkt IV.)

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gemäß § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Umstände weder vom Beschwerdeführer behauptet worden sind noch im Ermittlungsverfahren hervorgekommen sind, war die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festzulegen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen sowohl auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als auch auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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