AsylG 2005 §55
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W159.2253431.1.00
Spruch:
W159 2253431-1/6EIM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom 23.02.2022, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die mj. Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige des Kosovo, wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren. Sie ist die leibliche Tochter von XXXX , geb. XXXX , ebenfalls St.A des Kosovo. XXXX ist die gesetzliche Vertreterin der mj. Beschwerdeführerin. Die mj. Beschwerdeführerin hat keine eigene Begründung für die Erlangung eines Aufenthaltsstatus vorgebracht. Im Verfahren wird sie durch Rechtsanwalt Mag. Michael-Thomas Reichenvater, 8010 Graz vertreten.
Der Antrag der Mutter der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 AsylG wurde mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2021, Zl. XXXX , abgewiesen und es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen.
Der dagegen eingebrachten Beschwerde wurde keine Folge gegeben und mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.12.2021, GZ XXXX als unbegründet abgewiesen. Das Verfahren der Mutter erwuchs am 17.12.2021 in Rechtskraft. Die Mutter der mj. Beschwerdeführerin sei weder der Ausreiseverpflichtung nachgekommen noch habe sie der Einladung der BBU-Rückehrberatung Folge geleistet.
In der rechtzeitig eingebrachten Beschwerde der mj. Beschwerdeführerin durch ihre rechtliche Vertretung, Mag. Michael-Thomas Reichenvater wurde vorgebracht, dass es u.a. nicht ersichtlich sei, worin die Interessensabwägung der erstinstanzlichen Behörde bestehen hätte sollen. In Folge sei der Bescheid willkürlich erlassen worden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 25.08.2022, Ra 2022/17/0117-6 die Revision zurückgewiesen, nachdem mit Beschluss des VfGH vom 29.04.2022, Zl. E 261/2022-5 die Beschwerde an den VwGH abgetreten wurde. Mit der Rüge, das angefochtene Erkenntnis widerspreche der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in ähnlich gelagerten Fällen, zeige die Mutter der Beschwerdeführerin keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person der Beschwerdeführerin wird Folgendes festgestellt:
Die Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX , ist minderjährig und Staatsangehörige des Kosovo. Sie wurde während eines illegalen Aufenthalts ihrer Mutter im Bundesgebiet, in XXXX geboren. Ihre Mutter ist ebenfalls Staatsangehörige des Kosovo.
Ihre Mutter stellte einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel für Österreich. Dieser Antrag wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.12.2021 XXXX rechtsgültig abgewiesen. Die Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom vom 25.08.2022, Ra 2022/17/0117-6 zurückgewiesen, nachdem der VfGH mit Beschluss vom 29.04.2022, Zl. E261/2022-5 die Beschwerde an den VwGH abgetreten hatte.
Die Beschwerdeführerin hat keine eigenen Gründe für einen Aufenthalt in Österreich vorgebracht.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben: durch den vorliegenden Verwaltungsakt der Beschwerdeführerin IFA XXXX sowie durch Einsichtnahme in einerseits das die Mutter der Beschwerdeführerin betreffende Erkenntnis durch das Bundesverwaltungsgericht und andererseits den die Mutter der Beschwerdeführerin betreffenden Beschluss durch den Verwaltungsgerichtshof.
Der Antrag der Mutter auf einen Aufenthaltsstatus in Österreich wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.12.2021, XXXX rechtsgültig abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 25.08.2022, Ra 2022/17/0117-6 die Revision zurückgewiesen, nachdem zuvor die Beschwerde vom VfGH an den VwGH abgetreten wurde.
Es war nicht erforderlich, eigene Länderfeststellungen zu treffen. Eigene aufenthaltsbegründende Angaben wurden nicht vorgebracht.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu A)
Zu Spruchteil I.
§ 57 AsylG 2005 lautet:
„§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.“
Die Beschwerdeführerin befindet sich seit dem XXXX (seit der Geburt) im österreichischen Bundesgebiet. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist weder zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist die Beschwerdeführerin Opfer von Gewalt geworden. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen somit nicht vor, zumal auch dies weder im Verfahren noch in den Beschwerden behauptet wurde.
Zu Spruchteil II.
§ 55 AsylG 2005 lautet:
"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK
§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."
Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-,
Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in
dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 und § 52 Abs. 3 FPG 2005 ist die Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 grundsätzlich mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG 2005 in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG).
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung zuletzt etwa VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0034, Rn 9, mwN).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, Solomon v. Niederlande, Appl. 44328/98; EGMR 09.10.2003, Slivenko v. Lettland, Appl. 48321/99; EGMR 22.04.2004, Radovanovic v. Österreich, Appl. 42703/98; EGMR 31.01.2006, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande, Appl. 50435/99; EGMR 31.07.2008, Darren Omoregie ua v. Norwegen, Appl. 265/07).
Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).
Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der Verwaltungsgerichtshof stellen in ihrer Rechtsprechung darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist (VwGH 30.04.2009, 2009/21/086, VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721 und die dort zitierte EGMR-Judikatur).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung unter Bezugnahme auf Judikatur des EGMR bereits Folgendes ausgesprochen: Soweit Kinder bzw. Minderjährige von einer Rückkehrentscheidung betroffen sind, sind die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. dazu etwa die Urteile des EGMR vom 18. Oktober 2006, Üner gegen die Niederlande, Beschwerde Nr. 46410/99, Randnr. 58, und vom 6. Juli 2010, Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 41615/07, Randnr. 146). Maßgebliche Bedeutung hat der EGMR dabei in seiner Rechtsprechung den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Randnr. 66, vom 17. Februar 2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Randnr. 60, und vom 24. November 2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Randnr. 46) befinden (vgl. zum Ganzen etwa VwGH vom 21. April 2011, 2011/01/0132).
Führt die Überprüfung des Kriteriums nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG zu dem Ergebnis, dass eine Minderjährige zum Heimatland keine oder nur mehr äußerst geringe Bindungen aufweist, wird das - vorausgesetzt, sie ist unbescholten und hat in Österreich einen ausreichenden Grad an Integration erreicht - in der Regel dafür sprechen, ihr den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, und zwar jedenfalls dann, wenn nicht - in zumutbarer Weise - erwartet werden kann, dass sie sich im Falle einer Rückführung an die Verhältnisse im Heimatland, etwa das Erlernen der dortigen Sprache, den Aufbau neuer Kontakte, die Fortsetzung einer begonnenen Ausbildung, usw., wieder anpassen kann.
In einem solchen Fall kommt auch bei einer verhältnismäßig kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich den fehlenden Bindungen der Minderjährigen zum Heimatstaat im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung großes Gewicht zu. Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien darstellt, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. etwa VwGH vom 30. Juli 2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058). Allerdings hat er auch betont, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (siehe das soeben zitierte Erkenntnis; weiters etwa VwGH vom 21. Jänner 2016, Ra 2015/22/0119, vom 10. Mai 2016, Ra 2015/22/0158, und vom 15. März 2016, Ra 2016/19/0031).
Wie bereits festgestellt, wurde die Beschwerdeführerin am XXXX in XXXX geboren. Diese hält sich sohin seit ihrer Geburt durchgehend im Bundesgebiet auf. Eine Mutter-Kind-Beziehung wird vom EGMR aufgrund des biologischen Bandes ab dem Zeitpunkt der Geburt als Familienleben qualifiziert, ohne dass weitere Aspekte der Intensität geprüft werden müssten (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx gegen Belgien, Nr. 6833/74, Z. 31). Die Beziehung zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter stellt somit ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK dar. Der Mutter der Beschwerdeführerin kommt die Obsorge für ihr Kund zu und ist die Beschwerdeführerin auf die Betreuung und Pflege durch die Mutter angewiesen.
Unbeschadet dessen ist es – der Rechtsprechung des EGMR folgend – Kindern in einem jungen oder anpassungsfähigem Alter ohne unbillige Härte zumutbar, mit ihren Eltern in deren Herkunftsstaat zurückzukehren. Dies auch angesichts des Umstandes, dass diesen die dortige Kultur nicht vertraut ist und sie dort nie gelebt haben (vgl. EGMR 26.01.1999, Sarumi, Zl. 43279/98 [Kinder im Alter von sieben und elf Jahren]).
Eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, ist im Ergebnis nur dann gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug (vgl. VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0199, mwN [Trennung von einem österreichischen Ehepartner]; 23.02.2017, Ra 2016/21/0235 [Trennung von der in Österreich asylberechtigten Ehefrau und asylberechtigten minderjährigen Kindern]; 24.09.2019, Ra 2019/20/0446).
Der EGMR hat zwar in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass eine biologische Verwandtschaft zwischen einem leiblichen Elternteil und einem Kind allein – d.h. ohne weitere rechtliche oder tatsächliche Merkmale, die auf das Vorliegen einer engen persönlichen Beziehung hindeuten – nicht ausreiche, um unter den Schutz von Art. 8 EMRK zu fallen. In der Regel ist das Zusammenleben eine Voraussetzung für eine Beziehung, die einem Familienleben gleichkommt. Ausnahmsweise können auch andere Faktoren als Nachweis dafür dienen, dass eine Beziehung beständig genug ist, um faktische „familiäre Bindungen“ zu schaffen. Ferner hat der Gerichtshof die Auffassung vertreten, dass auch ein beabsichtigtes Familienleben ausnahmsweise unter Art. 8 EMRK fallen kann, und zwar vor allem dann, wenn der Umstand, dass das Familienleben noch nicht vollständig hergestellt war, nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen ist. Sofern es die Umstände rechtfertigen, muss sich das „Familienleben“ insbesondere auch auf die potentielle Beziehung erstrecken, die sich zwischen einem nichtehelichen Kind und dessen leiblichem Vater entwickeln kann. Zu den maßgeblichen Kriterien für das tatsächliche und praktische Vorliegen enger persönlicher Bindungen in diesen Fällen gehören unter anderem die Art der Beziehung zwischen den leiblichen Eltern sowie das nachweisbare Interesse des Vaters an dem Kind und sein Bekenntnis zu ihm sowohl vor als auch nach der Geburt (vgl. EGMR 15.09.2011, Fall Schneider, Appl. 17.080/07 mwN).
Abgesehen davon, dass die Mutter der Beschwerdeführerin zunächst die Existenz des Kindes bewusst vor dem BFA verschwiegen hat und auch zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens den Kindesvater genannt hat und auch die Geburtsurkunde keine Hinweise darauf aufweist, befindet sich die ein Jahr alte Tochter in einem anpassungsfähigen Alter und ist ihre Mutter der Hauptbezugspunkt, sodass davon ausgegangen werden kann, dass es für das Kind zumutbar ist, mit seiner Mutter in den Herkunftsstaat zurückzureisen.
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541).
Aufgrund des geringen Alters des Kindes konnte ein Privatleben außerhalb der Mutter-Kind-Beziehung auch noch nicht entstehen und konnten auch keinerlei integrative Leistungen erwartet werden.
In Anbetracht der rechtskräftigen und auch durch eine Entscheidung eines Höchstgerichtes nicht mehr abänderbaren Rückkehrentscheidung der Mutter ist es auch für die Tochter zumutbar, gemeinsam mit ihrer Mutter in den Herkunftsstaat zurückzukehren.
Den privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG überwiegt das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der mj. Beschwerdeführerin mit ihrer Mutter im Bundesgebiet ihre persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG 2005 stellt sohin keine Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist ebenfalls nicht geboten.
Zu Spruchpunkt III. und IV. des angefochtenen Bescheides:
Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in einen bestimmten Staat zulässig ist.
Nach § 50 Abs. 1 FPG 2005 ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs. 2 FPG 2005 ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Nach § 50 Abs. 3 FPG 2005 ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Ausgehend von den vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dargestellten allgemeinen Länderberichten zum Herkunftsstaat besteht kein Grund davon auszugehen, dass jeder zurückgekehrte Staatsangehöriger der Republik Kosovo einer reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Beschwerdeführerin hat auch weder ein ausreichend substantiiertes Vorbringen in diese Richtung geäußert, noch sind notorische gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sprechende Umstände erkennbar (vgl. VwGH 24.5.2016, Ra 2016/21/0101).
Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation der mj. Beschwerdeführerin ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass diese im Fall einer Abschiebung in den Kosovo in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würden, eine Verletzung ihrer durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass eine Rückkehr in den Kosovo für die mj. Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Mutter möglich ist.
Es liegen keine exzeptionellen Umstände vor, die ein reales Risiko einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würden. Eine Abschiebung der mj. Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Mutter ist daher zulässig.
Zu Spruchteil IV (Festlegung einer Frist von 2 Wochen für die freiwillige Ausreise) wurde kein Beschwerdevorbringen erstattet und war daher auch dieser Spruchteil zu bestätigen.
Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 12.03.2012, Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
Die die minderjährige Beschwerdeführerin betreffenden Rechtsfragen wurden bereits großteils in dem ihre Mutter betreffenden Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.12.2021, XXXX abgehandelt und hat der Verwaltungsgerichtshof (nach Abtretung der ursprünglich an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde) die Revision mit Beschluss vom 25.08.2022 Ra 2022/17/0117-6 zurückgewiesen und ist daher dieses Erkenntnis nicht nur rechtskräftig, sondern auch keiner Behebung durch die Höchstgerichte mehr zugänglich. Die gerade ein Jahr alte Beschwerdeführerin hätte auch nicht selbst einvernommen werden können und hat der Verwaltungsgerichtshof auch in der Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Mutter der Beschwerdeführerin keinen Verfahrensmangel gesehen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte daher von der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung absehen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Wie unzweifelhaft der rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den gegenständlichen Fall als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen vor.
Vielmehr wurden die in dem vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen auf Basis der bisherigen Judikatur der Höchstgerichte entschieden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
