AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:L502.2117158.1.00
Spruch:
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , staatenlos, vertreten durch die BH St. Pölten, Abteilung Rechtsvertretung Minderjähriger, als gesetzliche Vertretung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2015, FZ. 1057880603-150340360, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG idgF iVm § 34 Abs. 4 AsylG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der - noch minderjährige - Beschwerdeführer (BF), gemäß eigener Angaben ein in XXXX geborener Angehöriger der palästinensischen Volksgruppe, der vor seiner Ausreise im Irak gelebt habe, stellte gemeinsam mit seinem zugleich eingereisten Bruder (vgl. BVwG XXXX ) am 04.04.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen ihrer Erstbefragungen vom 04.04.2015 an der LPD NÖ gaben der BF und sein Bruder an, dass der Irak ein furchtbares Land sei und sie dort Hunger leiden mussten. Es gäbe dort viele Konflikte (nicht näher genannter Art) und seien Angehörige der palästinensischen Volksgruppe im Irak generell nicht erwünscht. Überdies verwiesen sie darauf, dass sich ihre Eltern aktuell als Asylwerber in der Türkei befänden.
Der BF legte als Beweismittel ein irakisches Identitätsdokument für Angehörige der palästinensischen Volksgruppe, ausgestellt am 09.12.2013 und gültig bis 09.12.2018, ein UNHCR-Flüchtlingszertifikat seine Person, seine Mutter und seine Geschwister betreffend, und eine Bestätigung der palästinensischen Botschaft im Irak vor.
2. Mit Schreiben vom 16.04.2015 teilte die BH Baden, Kinder- und Jugendhilfe, als gesetzlicher Vertreter und Obsorgeberechtigter des minderjährigen BF dem BFA mit, dass der - volljährige - Bruder des BF mit dessen Pflege und Erziehung betraut wurde.
3. Der BF und sein Bruder wurden nach Zulassung ihrer Verfahren am 08.09.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion NÖ, einvernommen.
Übereinstimmend gaben die Brüder dabei an, dass ihre Mutter mit ihrer Schwester vor fünf Tagen nach Österreich gelangt sei und beide in der Erstaufnahmestelle-Ost des BFA untergebracht seien. Den Vater hätte die Familie bei ihrer Reise verloren, er hätte sich aber inzwischen aus der Türkei gemeldet und würde bald nach Österreich kommen.
Zusätzlich zu den bisherigen Aussagen über allgemeine Schikanen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur palästinensischen Volksgruppe gaben sie zu ihren Antragsgründen ergänzend an, dass der Vater im Irak entführt und geschlagen worden sei. Die Familie habe daraufhin binnen achtundvierzig Stunden ihre Wohnung räumen müssen und in weiterer Folge den Irak verlassen.
4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2015 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 20.10.2016 erteilt (Spruchpunkt III).
In gleicher Weise wurde über den Antrag auf internationalen Schutz des Bruders des BF entschieden.
5. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 20.10.2015 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.
6. Gegen den der gesetzlichen Vertretung des BF am 21.10.2015 zugestellten Bescheid des BFA erhob der BF hinsichtlich des Spruchpunktes I mit Unterstützung seines Rechtsberaters und vertreten durch seine (namentlich genannte) Mutter am 10.11.2015 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
In dieser wurde u.a. darauf verwiesen, dass der BF bereits erstinstanzlich auf die Anwesenheit seiner Mutter im Bundesgebiet aufmerksam gemacht habe. Er lebe mit dieser auch seit einiger Zeit mit dieser im gemeinsamen Haushalt. Dennoch sei der bekämpfte Bescheid vom 20.10.2015 am 21.10.2015 der Jugendwohlfahrtsbehörde als gesetzlicher Vertretung des BF zugestellt worden, was sich im Lichte des Gesagten als rechtswidrig darstelle. Der bekämpfte Bescheid sei im Weiteren von der belangten Behörde am 03.11.2015 nochmals der Mutter des BF zugestellt worden. In der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides sei im Übrigen eine Beschwerdefrist von vier Wochen eingeräumt worden, die gg. Beschwerde stelle sich daher als fristgerecht eingebracht dar.
7. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 13.11.2015 beim BVwG ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren in der Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des BVwG zugewiesen.
8. Am 24.11.2015 langte beim BVwG über den Diakonie-Flüchtlingsdienst eine Beschwerdeergänzung des BF, vertreten durch seine Mutter, ein.
In dieser wurde u.a. darauf hingewiesen, dass die belangte Behörde den maßgeblichen Sachverhalt insofern nicht hinreichend ermittelt habe, als sie die bereits zum Entscheidungszeitpunkt im Bundesgebiet aufhältige Mutter des BF nicht ebenfalls zu den - für alle Familienangehörigen relevanten - Ausreisegründen näher befragt habe.
9. Eine Anfrage des BVwG beim BFA vom 01.12.2015 hinsichtlich des avisierten erstinstanzlichen Verfahrensverlaufs die Anträge auf internationalen Schutz der Mutter, der Schwester und allenfalls des Vaters des BF betreffend ergab, dass die Mutter erst für den 01.06.2016 zur Einvernahme geladen sei, der Vater des BF befinde sich noch im Zulassungsverfahren an der EAST-Ost des BFA, eine Einvernahme desselben sei noch nicht absehbar.
10. Das BVwG erstellte aktuelle Datenbankauszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Grundversorgungsinformationssystem und dem Zentralen Fremdenregister den BF sowie seine in Österreich aufhältigen Familienangehörigen betreffend.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.
Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.
Mit Datum 1.1.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 70/2015.
Mit dem BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) als Rechtsnachfolger des vormaligen Bundesasylamtes eingerichtet. Gemäß § 3 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) obliegt dem BFA u.a. die Vollziehung des AsylG 2005 idgF.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheides des Bundesamtes.
Zu A)
1. Feststellungen:
Der oben wiedergegebene Verfahrensgang steht fest.
Fest steht insbesondere, dass der BF im April 2015 gemeinsam mit seinem volljährigen Bruder in Österreich eingereist ist, am 04.04.2015 ebenso wie dieser einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und nach der Zulassung des Verfahrens in diesem von der zuständigen Jugendwohlfahrtsbehörde als seine gesetzliche Vertretung vertreten wurde. Diese betraute in der Folge den volljährigen Bruder mit der Pflege und Erziehung des BF.
Die Mutter des BF und seine minderjährige Schwester stellten im Gefolge ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 04.09.2015 Anträge auf internationalen Schutz und sind deren Verfahren nach ihrer Zulassung aktuell erstinstanzlich beim BFA anhängig.
Seit 02.10.2015 sind der BF, seine Mutter und seine Geschwister an einer gemeinsamen Meldeadresse in Österreich wohnhaft.
Der Vater des BF stellte im Gefolge seiner Einreise in das Bundesgebiet am 27.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und ist dessen Verfahren nach seiner Zulassung aktuell erstinstanzlich beim BFA anhängig.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den gg. Verwaltungsakt der belangten Behörde sowie den Verfahrensakt des Bruders des BF und die Erstellung der og. Auszüge der relevanten Datenbanken.
Der für die gegenständliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergab sich zweifelsfrei aus der Aktenlage.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Stellt gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 idgF ein Familienangehöriger (§ 2 Abs. 1 Z 22) von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idgF hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).
Gemäß § 34 Abs. 3 AsylG 2005 idgF hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist; gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 idgF Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen (§ 34 Abs. 4 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I 122/2009).
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 idgF ist im Sinne dieses Bundesgesetzes Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden
Aus der Wendung in § 34 Abs. 4 zweiter Satz AsylG, Familienverfahren seien "unter einem" zu führen, ist abzuleiten, dass diese von derselben Behörde zu führen sind. Demgemäß gehen die Materialien zum AsylG 2005 davon aus, dass es das Ziel der Bestimmungen des § 34 AsylG sei, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne ihnen ein Verfahren im Einzelfall zu verwehren. Wenn einem Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, solle "dieser allen anderen Familienmitgliedern - im Falle von offenen Verfahren zur gleichen Zeit von der gleichen Behörde - zuerkannt werden" (Erläuterungen zur RV, 952 BlgNR XXII. GP ; vgl. zu § 10 Abs. 5 AsylG 1997 - bezogen auf die Frage der Zulassung - auch VwGH 18.10.2005, Zahl 2005/01/0402).
Die Bestimmungen des AsylG 2005 über das Familienverfahren im Inland knüpfen im Wesentlichen an die Vorgängerbestimmungen im AsylG 1997, wie sie durch die AsylG-Novelle 2003, BGBl I 2003/101, geschaffen wurden, an. Zu diesen Bestimmungen im AsylG 1997 hat der VwGH bereits ausgeführt, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist, um einen gleichförmigen Verfahrensausgang sicherzustellen (vgl dazu VwGH 28. 10. 2009, 2007/01/0532 bis 0535, mwN). Dies trifft auch auf die Rechtslage nach dem AsylG 2005 zu. Die (mit § 10 Abs 5 AsylG 1997 nahezu wortgleiche) Bestimmung des § 34 Abs 4 AsylG 2005, wonach alle Familienangehörigen entweder den gleichen Schutzumfang erhalten oder alle Anträge "als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen" sind, ist daher dahingehend zu verstehen, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist. Ist daher der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, so sind entweder alle Anträge zurückzuweisen oder alle Anträge abzuweisen. Diese Gleichförmigkeit des Familienverfahrens, das letztlich der Verfahrensbeschleunigung und somit der Verfahrensökonomie dient (vgl VfGH 3. 9. 2009, U 804/09), wird dabei nicht nur durch § 34 Abs 4 AsylG 2005, sondern auch durch die (mit § 32 Abs 7 AsylG 1997 im Wesentlichen übereinstimmende) Bestimmung des § 36 Abs 3 AsylG 2005 zum Ausdruck gebracht, wonach selbst bei nur einer Berufung eines betroffenen Familienmitglieds diese auch als Berufung gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen gilt und keine dieser Entscheidungen dann der Rechtskraft zugänglich ist (vgl zum Ganzen die insoweit auf die Rechtslage nach dem AsylG 2005 übertragbaren Ausführungen in VwGH 28. 10. 2009, 2007/01/0532 bis 0535; s. weiters Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 497 f). In diesem Sinne hat der VwGH zu § 34 Abs 4 AsylG 2005 - in Fortsetzung der Judikatur zum AsylG 1997 - bereits erkannt, dass bei Aufhebung (nur) eines Bescheides eines Familienangehörigen dies (infolge der ex tunc-Wirkung einer Aufhebung nach § 42 Abs 3 VwGG) auch auf die Bescheide der übrigen Familienangehörigen durchschlägt (vgl VwGH 26. 6. 2007, 2007/20/0281).
Nach den Erläuterungen (zur Einführung des Familienverfahrens mit der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003) sollen Familienverfahren zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkannt und geführt werden. Daher hat die Behörde, sobald ein Familienangehöriger im Sinn des § 1 Z. 6 AsylG einen Asylantrag im Sinn des § 3 AsylG oder einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes im Sinn des § 10 AsylG stellt, jedenfalls die Bestimmungen über das Familienverfahren anzuwenden
(VwGH vom 28.10.2009, Zl. . 2007/01/0532).
Der Verfassungsgerichtshof hat jüngst im Erkenntnis vom 18.09.2015, E 1174/2014-18, unter Verweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, festgehalten:
"Vor allem aber hat das Bundesverwaltungsgericht nicht erkannt, dass das Verfahren des Beschwerdeführers ab dem Zeitpunkt des Asylantrages des Vaters des Beschwerdeführers, dessen Verfahren im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht abgeschlossen gewesen ist, gemäß § 34 AsylG 2005 zwingend gemeinsam mit dem des Vaters (und dessen weiteren Kindern und seiner nunmehrigen Ehefrau) als Familienverfahren durchzuführen war (vgl. etwa auch VwGH 9.4.2008, 2008/19/0205). Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher den bei ihm angefochtenen Bescheid des BAA im Spruchpunkt der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten aufzuheben und die Durchführung eines Familienverfahrens mit der Familie des Vaters anzuordnen gehabt".
3.2. Im gegenständlichen Fall ist das Bundesverwaltungsgericht nicht in der Lage, die Verfahren über die Anträge der betroffenen Familienangehörigen gemäß § 34 Abs. 4 iVm Abs. 5 AsylG 2005, unter einem zu führen. Zwar sind die Verfahren des BF sowie seines Bruders bereits erstinstanzlich entschieden worden und nunmehr aufgrund der Beschwerde gegen die den dort jeweils bekämpften Spruchpunkt I der Bescheide des BFA im Beschwerdeverfahren vor dem BVwG anhängig. Über die Anträge der beiden Elternteile sowie der Schwester des BF wurde jedoch erstinstanzlich noch nicht entschieden bzw. sind diese noch vor dem BFA anhängig. Auch der Verfassungsgerichtshof hat zuletzt in seiner oben zitierten Entscheidung vom 18.09.2015, E 1174/2014, (unter Hinweis auf VwGH 09.04.2008, 2008/19/0205) die Bedeutung des § 34 AsylG 2005 betont und ausgesprochen, dass es dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt ist, über einen Familienangehörigen zu entscheiden, solange ein anderer Familienangehöriger noch beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig ist. Ab dem Zeitpunkt der Stellung des Asylantrages sind die Verfahren gemäß § 34 AsylG 2005 zwingend gemeinsam zu führen. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar ausgesprochen, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist (§ 34 Abs. 4 AsylG 2005). Unabhängig von der konkreten Formulierung ist jeder Antrag eines Familienangehörigen überdies in erster Linie auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gerichtet und sind daher für jeden Antragsteller allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln. Nur wenn solche - nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren - nicht hervorkommen, ist dem Antragsteller jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (VwGH 24.03.2015, Ra 2014/19/0063).
Gerade bei Familienmitgliedern können sich die Fluchtgründe überschneiden und haben sowohl der BF als auch sein Bruder konkret als Ausreisegrund genannt, dass der Vater verfolgt wurde und habe die Familie in weiterer Folge binnen 48 Stunden die Wohnung verlassen müssen. Grundsätzlich hätte im gegenständlichen Fall das Vorbringen des BF und seines Bruders daher nur in der Zusammenschau mit dem Vorbringen der Eltern beurteilt werden dürfen.
Zu Frage der Berücksichtigung der Minderjährigkeit eines Antragstellers im Rahmen der Beweiswürdigung hat der Verwaltungsgerichtshof wiederum ausgesprochen, dass in diesem Falle eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich ist und die Dichte dieses Vorbringens nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden darf. Es muss sich aus der Entscheidung erkennen lassen, dass solche Umstände in die Beweiswürdigung Eingang gefunden haben und dass darauf Bedacht genommen wurde, aus welchem Blickwinkel die Schilderung der Fluchtgeschichte erfolgte (vgl. VwGH 14.12.2006, 2006/01/0362).
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde daher auf der Grundlage und unter Einbeziehung des Ergebnisses der Einvernahmen der Eltern des BF das Vorbringen (auch) des BF zu würdigen haben.
Jedenfalls ist das Verfahren der betroffenen Familienmitgliedern - der BF fällt aufgrund seiner Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung noch unter die Definition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 - "unter einem" zu führen.
3.3. Die Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG folgt konzeptionell dem § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Insoweit erscheinen auch die von der höchstgerichtlichen Judikatur - soweit sie nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung betrifft - anwendbar, weshalb unter Bedachtnahme auf die genannten Einschränkungen die im Erkenntnis des VwGH vom 16.12.2009, Zl. 2007/20/0482 dargelegten Grundsätze gelten, wonach die Behörde an die Beurteilung im Behebungsbescheid gebunden ist. Mängel abseits jener der Sachverhaltsfeststellung legitimieren das Gericht nicht zur Behebung aufgrund § 28 Abs. 3, 2. Satz (Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167; vgl. auch Fischer/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).
In seiner Entscheidung vom 26.06.2014 zu Zl. 2014/03/0063 formulierte der VwGH die maßgeblichen Kriterien für die Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG, wo er u.a. ausführte:
"Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I Nr 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte - auch zur Vermeidung von "Kassationskaskaden" - grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Ausgehend davon wurde, wie aus den Gesetzesmaterialien zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013, BGBl I Nr 33/2013 (vgl RV 2009 BlgNR XXII. GP , Seite 7) ersichtlich, die Regelung des § 28 VwGVG 2014 getroffen. Daraus ergibt sich, dass durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 nicht nur die Errichtung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz erfolgte, sondern damit auch ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte festgelegt wurde.
Angesichts des in § 28 VwGVG 2014 insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs 3 VwGVG 2014 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG 2014 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden."
Nach Maßgabe dieser Kriterien gelangte das BVwG in Ansehung des oben dargestellten erstinstanzlichen Verfahrensablaufs zum Ergebnis, dass durch die Vorgehensweise des BFA der Grundsatz der Wahrung der Familieneinheit im Asylverfahren verletzt und von der Behörde ihren Ermittlungspflichten nicht gesetzmäßig entsprochen wurde.
4. Es war somit in Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG der angefochtene Bescheid spruchgemäß aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.
5. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der Bescheid im angefochtenen Umfang aufzuheben waren.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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