VwGH 2007/20/0482

VwGH2007/20/048216.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofrätin Dr. Pollak, die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Dr. Wurdinger sowie die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hahnl, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. Jänner 2007, Zl. 266.542/6/7E-II/04/07, betreffend Behebung eines auf §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 gestützten Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG (mitbeteiligte Partei: R), zu Recht erkannt:

Normen

32003R0343 Dublin-II Art16 Abs1 lite;
32003R0343 Dublin-II Art3 Abs1;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 2005 §5a Abs1;
AsylG 2005 §5a Abs4;
AsylG 2005 §8 Abs2;
AVG §56;
AVG §66 Abs2;
AVG §68 Abs1 impl;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §63 Abs1;
VwRallg;
32003R0343 Dublin-II Art16 Abs1 lite;
32003R0343 Dublin-II Art3 Abs1;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 2005 §5a Abs1;
AsylG 2005 §5a Abs4;
AsylG 2005 §8 Abs2;
AVG §56;
AVG §66 Abs2;
AVG §68 Abs1 impl;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §63 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Ein Aufwandersatz findet nicht statt.

Begründung

Der Mitbeteiligte ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit. Er reiste gemeinsam mit seinen Brüdern R und I in das Bundesgebiet ein und beantragte am darauf folgenden Tag Asyl. Sein Vater sei im Jänner 2003 widerrechtlich festgenommen worden und seither verschwunden. Aus diesem Grunde drohe auch dem Mitbeteiligten Verfolgung.

Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom 20. November 2005 gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) zurück, stellte gemäß Artikel 13 iVm Artikel 16 Abs. 1 lit c der Dublin-Verordnung die Zuständigkeit Polens für die Prüfung des Asylantrages fest und wies den Mitbeteiligten gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG dorthin aus.

In Erledigung der dagegen erhobenen Berufung behob die belangte Behörde mit Bescheid vom 20. Dezember 2005 die erstinstanzliche Entscheidung und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Begründend führte sie aus, die zuständige polnische Behörde habe - entgegen den Ausführungen des Bundesasylamtes - der Wiederaufnahme des Mitbeteiligten gemäß Art. 16 Abs. 1 lit e Dublin-Verordnung zugestimmt; diese Bestimmung beziehe sich aber auf die Wiederaufnahme eines Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag der zur Aufnahme verpflichtete Staat abgelehnt habe. Sollte ein früherer Asylantrag des Mitbeteiligten in Polen bereits rechtskräftig abgewiesen worden sein, wäre eine neuerliche Antragstellung in Österreich wegen der aus Art. 3 Abs. 1 Dublin-Verordnung erfließenden, § 68 Abs. 1 AVG vergleichbaren Sperrwirkung als unzulässig zu erachten.

Das Bundesasylamt wies daraufhin mit Bescheid vom 22. Dezember 2005 den Asylantrag neuerlich gemäß § 5 Abs. 1 AsylG zurück, stellte die Zuständigkeit Polens für die Prüfung des Asylantrages gemäß Artikel 13 iVm Artikel 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung fest und wies den Mitbeteiligten gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG dorthin aus.

Mit Bescheid vom 20. Februar 2006 behob die belangte Behörde diese erstinstanzliche Entscheidung und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt. Die belangte Behörde verwies in diesem Bescheid auf die Begründung in ihrem Bescheid vom 20. Dezember 2005. Das Bundesasylamt habe entschieden, ohne der im Bescheid vom 20. Dezember 2005 ausgedrückten bindenden Rechtsansicht Rechnung zu tragen. Die erstinstanzliche Entscheidung werde daher neuerlich aus den bereits im Berufungsbescheid vom 20. Dezember 2005 angeführten Gründen behoben.

Mit Bescheid vom 11. Jänner 2007 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab, stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig sei, und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

In Erledigung der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung hob die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid den erstinstanzlichen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende

Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde stützte die Aufhebung tragend auf zwei

Gründe:

1. Die belangte Behörde trug der erstinstanzlichen Behörde mit dem angefochtenen Bescheid auf, sich mit dem "jüngsten Ermittlungsstand" auseinander zu setzen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, Zl. 2006/20/0771, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargelegt hat, sind die gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen, welche in den Verfahren, auf die in dem angefochtenen Bescheid pauschal verwiesen wird, erstattet wurden (also der im angefochtenen Bescheid bezeichnete "jüngste Ermittlungsstand"), nicht nachvollziehbar. Sie sind in sich widersprüchlich und insgesamt nicht geeignet, die zusammenfassende Behauptung der Sachverständigen hinsichtlich der Verfolgungswahrscheinlichkeit eines beliebigen Tschetschenen zu tragen.

Mangelhafte Gutachten bilden aber keinen "Ermittlungsstand", der vom Bundesasylamt zu beachten und zu dessen Behandlung eine mündliche Verhandlung unvermeidlich ist (vgl. das Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, Zlen. 2007/20/0210, 0211 und 0228).

2. Ergänzend verwies die belangte Behörde darauf, eine meritorische Erledigung des dem Verfahren zu Grunde liegenden Antrages erfordere (wie schon im Berufungsbescheid vom 20. Februar 2006 "überdeutlich festgehalten"), dass der vom Mitbeteiligten bereits früher in Polen gestellte Asylantrag dort noch nicht rechtskräftig erledigt worden sei. Es sei nicht ersichtlich, dass das Bundesasylamt in diese Richtung Ermittlungen angestellt habe. Auch aus diesem Grunde sei die neuerliche Behebung unvermeidlich.

Abweisende ausländische Asylentscheidungen stehen der Durchführung eines inhaltlichen Asylverfahrens in Österreich nicht entgegen (vgl. das zum Dubliner Übereinkommen ergangene, in der Argumentation auch auf die Dublin-Verordnung zutreffende Erkenntnis vom 26. Mai 2009, Zl. 2006/20/0414). Die gegenteilige Rechtsansicht hat die belangte Behörde aber bereits in den unbekämpften Aufhebungsbescheiden vom 20. Dezember 2005 und 20. Februar 2006 geäußert. Die in der Begründung rechtskräftiger Aufhebungsbescheide nach § 66 Abs. 2 AVG zum Ausdruck kommende, die Aufhebung und Zurückverweisung tragende Rechtsansicht der Berufungsbehörde ist, solange die dafür maßgebliche Sach- und Rechtslage keine Veränderung erfährt, im weiteren Verfahren - auch für die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts - bindend (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 66 Rz 26 ff mwN). Ausgehend von dieser Bindung kann die inhaltlich unzutreffende Rechtsansicht der belangten Behörde ("Sperrwirkung" ausländischer Asylentscheidungen) im angefochtenen Bescheid nicht mehr aufgegriffen werden.

3. Entspricht ein die Aufhebung gemäß § 66 Abs. 2 AVG tragendes Begründungselement nicht dem Gesetz, führt dies - wegen der Bindungswirkung auch dieses Begründungselementes für das weitere Verfahren - zur Rechtswidrigkeit des Behebungsbescheides (vgl. Erkenntnis vom 15. November 2001, Zl. 2001/07/0067). Da das oben zu 1. erörterte Begründungselement gesetzwidrig ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Ein Aufwandersatz findet gemäß § 47 Abs. 4 VwGG nicht statt.

Wien, am 16. Dezember 2009

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