AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2210195.1.00
Spruch:
I403 2210195-1/7EI403 2210196-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, und XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, gesetzlich vertreten durch ihren Vater XXXX , beide vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 21.10.2018, Zl. XXXX und Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.01.2021 zu Recht:
A)
Die Beschwerden werden mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die in Spruchpunkt VI. gewährte Frist für die freiwillige Ausreise auf zwei Monate verlängert wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (Beschwerdeführer) reiste gemeinsam mit seiner Tochter XXXX (Beschwerdeführerin) und seinem Sohn XXXX in das Bundesgebiet ein. Alle stellten am 28.06.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer begründete diesen damit, dass es Erbstreitigkeiten in seiner Familie gegeben habe und dass man eine andere Tochter namens XXXX (Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.02.2021, I403 2196511-1/14E) nach dem Tod ihres Ehemannes zu einem Witwenritual zwingen wollte, was der Beschwerdeführer als Pastor nicht erlaubt habe. Die Angehörigen des Verstorbenen würden die Familie des Beschwerdeführers dann mit „Hexerei und Voodoo“ bekämpft haben. Die minderjährige Beschwerdeführerin brachte keine eigenen Fluchtgründe vor.
2. Mit Bescheiden vom 21.10.2018 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer (sowie von XXXX ) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich erteilte die belangte Behörde den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
3. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Am 26.11.2018 legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakten vor.
4. Die gegen den abweisenden Bescheid von XXXX erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.11.2018, Zl. I403 22101917-1/3E als unbegründet abgewiesen, weil das Fluchtvorbringen nicht glaubhaft war. Auch der am 25.07.2019 gestellte Folgeantrag von XXXX wurde zurückgewiesen und dies mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.11.2019, Zl. I401 2210197-2/5E bestätigt. Am XXXX 2019 heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin.
5. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin am 01.10.2020 zugeteilt.
6. Am 25.01.2021 wurde eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit der Beschwerdeführer, einer für den Rahmen der Verhandlung bevollmächtigten Rechtsvertretung und einer Vertreterin der belangten Behörde sowie unter Heranziehung einer Dolmetscherin für die englische Sprache abgehalten. In der Verhandlung wurden auch die Ehefrau des Beschwerdeführers und seine Tochter XXXX befragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den Beschwerdeführern:
XXXX (Beschwerdeführer) ist am XXXX geboren, stammt aus Benin City und ist nigerianischer Staatsbürger christlichen Glaubens. Seine Identität steht fest. Er machte eine Ausbildung zum Schlosser, war vor seiner Ausreise in Nigeria aber als Pastor tätig. Er hat aus früheren Beziehungen zwei Söhne ( XXXX , XXXX ) und vier Töchter ( XXXX , XXXX , XXXX und die Beschwerdeführerin) sowie zwei adoptierte Töchter ( XXXX und XXXX ). Er ist seit dem XXXX 2011 mit einer österreichischen Staatsbürgerin mit nigerianischen Wurzeln verheiratet, welche elf Kinder hat. Seine Ehefrau hielt sich von 13.07.2011 bis 20.07.2011 und dann wieder von 25.03.2012 bis 02.04.2012 sowie vom 19.12.2015 bis 24.12.2015 in Nigeria auf.
Nach seiner Eheschließung mit XXXX (im Folgenden: B.S.) stellte der Beschwerdeführer im Dezember 2011 bei der Österreichischen Botschaft einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz für den Zweck „Familienangehöriger“, um zu seiner Ehefrau nach Wien zu ziehen. Von Seiten der Botschaft war die Dokumentenprüfung 2012 abgeschlossen, nur die Bestätigung der Deutschprüfung A1 fehlte noch. Nachdem diese bis Juni 2015 nicht vorgelegt wurde (Der Beschwerdeführer hatte die Prüfung am XXXX -Institut weder am 21.06.2012 noch am 03.07.2013 bestanden und war danach nicht mehr angetreten.), wurden die Unterlagen nach Wien zur Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde geschickt. Diese wies den Antrag wegen der fehlenden Voraussetzungen eines Nachweises über die Deutschkenntnisse mit Bescheid vom 26.01.2016 (Amt der XXXX Landesregierung, XXXX ) zurück.
Im Juni 2016 verließen die Beschwerdeführer zusammen mit fünf weiteren Kindern des Beschwerdeführers Nigeria und reisten über Libyen nach Europa. In Libyen wurde die Familie getrennt. Seine Tochter XXXX gelangte gemeinsam mit ihrer Tochter XXXX bereits im August 2016 nach Österreich und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Beschwerdeführer dagegen wurden erst am 19.06.2017 in Reggio Calabria und am 22.06.2017 in Bologna registriert. Den Ausgang des Verfahrens über ihre in Italien gestellten Anträge auf internationalen Schutz warteten sie nicht ab, sondern begaben sie sich (gemeinsam mit XXXX , dem ältesten Sohn des Beschwerdeführers) nach Österreich, wo sie am 28.06.2017 neuerlich Anträge auf internationalen Schutz stellten und Unterkunft bei der Ehefrau des Beschwerdeführers nahmen. Wo die Beschwerdeführer die Zeit zwischen August 2016 und Juni 2017 verbrachten, kann nicht abschließend festgestellt werden.
Ein weiterer Sohn des Beschwerdeführers, XXXX , gelangte am 16.08.2017 in das Bundesgebiet und stellte ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz. Sein Antrag wurde wegen der Zuständigkeit Italiens zurückgewiesen und er nach Italien ausgewiesen (Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.10.2018, W165 2193319-1/7E); er wurde nach Italien überstellt und hält sich aktuell dort auf.
Der Antrag von XXXX auf internationalen Schutz (Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.11.2018, Zl. I403 22101917-1/3E wurde ebenso wie ein Folgeantrag (Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.11.2019, Zl. I401 2210197-2/5E abgewiesen bzw. zurückgewiesen. Nach der inzwischen erfolgten Eheschließung mit einer Österreicherin stellte er einen Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels, über welchen noch nicht entschieden wurde.
Der Aufenthalt der anderen Kinder des Beschwerdeführers ist unbekannt.
Die Anträge auf internationalen Schutz der Tochter des Beschwerdeführers XXXX und ihrer Tochter XXXX wurden von der belangten Behörde abgewiesen, die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.02.2021, Zl. I403 2196511-1/14E und I403 2196515-1/11E als unbegründet abgewiesen. Es bestehen daher rechtskräftige Rückkehrentscheidungen gegen seine Tochter und Enkelin.
Die Beschwerdeführer leben gemeinsam mit der Ehefrau des Beschwerdeführers, seiner Tochter XXXX und deren Tochter, der Ehefrau des Beschwerdeführers und deren Kindern gemeinsam in einer Wohnung.
XXXX (Beschwerdeführerin) ist am XXXX geboren, stammt aus Benin City und ist nigerianische Staatsbürgerin christlichen Glaubens. Ihre Identität steht nicht fest. Sie ist die Tochter des Beschwerdeführers. Ihre Mutter XXXX verließ die Familie, als die Beschwerdeführerin etwa fünf oder sechs Jahre alt war, ihr Aufenthaltsort ist unbekannt. Sie hat umfassende Deutschkenntnisse erworben und besucht eine Fachmittelschule.
Die Beschwerdeführer sind gesund und leiden an keinen schweren gesundheitlichen Problemen. Der Beschwerdeführer ist erwerbsfähig.
Der Beschwerdeführer engagiert sich in Österreich in einer Freikirche. Er spricht Deutsch auf Niveau A1.
Beide Beschwerdeführer sind unbescholten. Sie beziehen Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Die Ehefrau des Beschwerdeführers geht seit 2014 keiner Arbeit mehr nach und lebt von der Notstandshilfe.
1.2 Zur Rückkehrsituation der Beschwerdeführer:
Die Beschwerdeführer kehren gemeinsam mit der Tochter des Beschwerdeführers nach Nigeria zurück. Es besteht ein enger Familienverbund, bestand doch immer, so auch aktuell, ein gemeinsamer Wohnsitz. Der Beschwerdeführer hat eine Ausbildung zum Schlosser absolviert und als Pastor gearbeitet; ihm ist zuzumuten, wieder eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen und sich um eine Unterstützung durch die Kirche zu bemühen. Die Beschwerdeführer werden daher bei einer Rückkehr in keine finanzielle Notlage geraten.
1.3. Zur Frage, ob die Beschwerdeführer in Nigeria verfolgt werden:
Die Beschwerdeführer werden in Nigeria nicht verfolgt. Ihnen droht im Falle einer Rückkehr nach Nigeria keine Verfolgung durch die Familie des früheren Lebensgefährten der Tochter XXXX . Ebenso besteht keine Gefahr, dass der Beschwerdeführer durch die Brüder seines Vaters wegen einer Erbstreitigkeit bedroht ist. Auch dieses Vorbringen ist nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer trat im Juni 2016 die Reise nach Österreich an, um bei seiner Ehefrau in Österreich zu leben, und nicht, um vor einer Verfolgung zu fliehen. Seine Versuche, über eine Familienzusammenführung nach dem NAG nach Österreich zu gelangen, waren vorher wegen mangelnder Deutschkenntnisse gescheitert.
Die Beschwerdeführerin wird in Nigeria ebenfalls nicht verfolgt. Für sie wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.
1.4. Zur Lage in Nigeria:
1.4.1. Zur allgemeinen Situation
Zur Lage im Herkunftsstaat werden die für das gegenständliche Verfahren relevanten Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria vom 23.11.2020 festgestellt:„COVID-19
Letzte Änderung: 23.11.2020
Die COVID-19-Situation in Nigeria ist nach wie vor angespannt. Die veröffentlichten absoluten Zahlen an bisherigen Infizierten (rund 62.000) geben angesichts der geringen Durchtestung der 200-Millionen-Bevölkerung ein verzerrtes Bild. Aussagekräftiger ist der Anteil der positiven Fälle gemessen an der Zahl der durchgeführten Tests. Dieser lag im Oktober 2020 landesweit bei mehr als drei Prozent, in der Metropole Lagos hingegen bei etwa 30 Prozent. Die Zahlen berücksichtigen noch nicht die Auswirkung der #EndSARS-Proteste, bei denen von den Demonstrierenden praktisch keine Schutzvorkehrungen gegen COVID-19 getroffen worden sind. Ein Anstieg an positiven Fällen ist hauptsächlich in der Südwestzone des Landes zu beobachten. In einigen Bundesstaaten herrscht überhaupt Skepsis an der Notwendigkeit von COVID-19-Maßnahmen. Die allgemeine Risikowahrnehmung und die Nachfrage nach Tests sind gering (ÖB 10.2020).
In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020). Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis vier Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).
Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abzuschätzen (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um Prozent gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 Prozent erwartet (WKO 14.9.2020).
Quellen:
Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/ , Zugriff 13.10.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 5.10.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_ÖB_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (25.9.2020): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria.html , Zugriff 13.10.2020
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (14.9.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 13.10.2020
Politische Lage
Letzte Änderung: 17.11.2020
Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2019; vgl.AA16.1.2020; GIZ 9.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 9.2020a; vgl.AA16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 9.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 16.1.2020).
Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem starken exekutiven Präsidenten (Präsidialsystem nach US-Vorbild) (AA24.5.2019a). Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020).
Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 16.1.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 4.3.2020).
Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 9.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 9.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Abubakar focht das Ergebnis vor dem Obersten Gerichtshof aufgrund von Unregelmäßigkeiten an (GIZ 9.2020a).
Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat mit 109 Mitgliedern und Repräsentantenhaus mit 360 Mitgliedern (AA 24.5.2019b). Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei „All Progressives‘ Congress" (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die „People’s Democratic Party" (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 16.1.2020).
Auf subnationaler Ebene regiert die APC in 20 der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020). Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 9.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).
Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein. Dieser Einfluss wird von der jüngeren Generation aber zunehmend in Frage gestellt (AA 24.5.2019a).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844 , Zugriff 30.9.2020
AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019b): Nigeria - Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeria/205786 , Zugriff 30.9.2020
BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3 , Zugriff 12.4.2019
DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by ’systemic failings’, https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a- 47858131 , Zugriff 9.4.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html , Zugriff 30.9.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 30.9.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/governor/2019 , Zugriff 9.4.2020
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 23.11.2020
Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt" kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra") bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).
Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).
Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).
In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).
In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/lo- cal/2025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_- abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_- 2019),_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
AA-Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 ,16.4.2020
BBC News (26.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys ’all resources’ amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345 , Zugriff 28.10.2020
CFR - Council on Foreign Relations (2020): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483 , Zugriff 8.10.2020
DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft , Zugriff 28.10.2020
EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_C OI_Nigeria_SecuritySituation.pdf , Zugriff 16.4.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html , Zugriff 30.9.2020
Garda - Gardaworld (23.6.2020): Nigeria: Gunmen attack village in Zamfara State on June 20, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/353501/nigeria-gunmen-attack-viNage-in-zamfara-state-on-june-20 , Zugriff 8.10.2020 (siehe „context“)
Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-killings-and-brutality , Zugriff 28.10.2020
UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office (26.9.2020): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 8.10.2020
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 23.11.2020
Die am 29.5.1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen. Das in Art. 33 der Verfassung gewährte Recht auf körperliche Unversehrtheit wird z.B. unter den Vorbehalt gestellt, dass die betroffene Person nicht bei der Anwendung legal ausgeübter staatlicher Gewalt zur „Unterdrückung von Aufruhr oder Meuterei" ihr Leben verloren hat. In vielen Bereichen bleibt die Umsetzung der zahlreich eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen weiterhin deutlich hinter internationalen Standards zurück. Zudem wurden völkerrechtliche Verpflichtungen zum Teil nur lückenhaft in nationales Recht umgesetzt. Einige Bundesstaaten haben Vorbehalte gegen einige internationale Vereinbarungen geltend gemacht und verhindern regional eine Umsetzung. Selbst in Bundesstaaten, welche grundsätzlich eine Umsetzung befürworten, ist die Durchsetzung garantierter Rechte häufig nicht gewährleistet (AA 16.1.2020).
Die Menschenrechtssituation hat sich seit Amtsantritt einer zivilen Regierung 1999 zum Teil erheblich verbessert (AA 24.5.2019a; vgl. GIZ 9.2020a), vor allem im Hinblick auf die Freilassung politischer Gefangener und die Presse- und Meinungsfreiheit (GIZ 9.2020a). Allerdings kritisieren Menschenrechtsorganisationen den Umgang der Streitkräfte mit Boko Haram-Verdächtigen, der schiitischen Minderheit, Biafra-Aktivisten und Militanten im Nigerdelta. Schwierig bleiben die allgemeinen Lebensbedingungen, die durch Armut, Analphabetismus, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, ein ineffektives Justizwesen und die Scharia-Rechtspraxis im Norden des Landes beeinflusst werden. Die Gleichstellung von Angehörigen sexueller Minderheiten wird gesetzlich verweigert, homosexuelle Handlungen sind mit schweren Strafen belegt (AA 24.5.2019a). Es gibt viele Fragezeichen hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte, wie z.B. die Praxis des Scharia-Rechts (Tod durch Steinigung), Entführungen und Geiselnahmen im Nigerdelta, Misshandlungen und Verletzungen durch Angehörige der nigerianischen Polizei und Armee sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen (GIZ 9.2020a). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen gehören zudem u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Inhaftierung sowie substanzielle Eingriffe in die Rechte auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit (USDOS 11.3.2020).
Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Die Regierung bekennt sich ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, und diese sind auch in der Verfassung als einklagbar verankert. Dessen ungeachtet bleiben viele Probleme ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2019).
Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv (GIZ 9.2020a).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localZ2 025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_2019) ,_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt .de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844http://www.auswaertiges-amt.de/DE /Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html , Zugriff 30.9.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 30.9.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_ÖB_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 9.4.2020
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 23.11.2020
Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet. Zahlreiche von Militär und Polizei betriebene Checkpoints bleiben aufrecht (USDOS 11.3.2020).
Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 11.3.2020). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 16.1.2020). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 3.2019).
In den vergangenen Jahrzehnten hat durch Wanderungsbewegungen und interethnische Ehen eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern"-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind.
Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2019). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 16.1.2020).
Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 11.3.2020).
Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen i.d.R. pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 9.2020d).
Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis 4 Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2 025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_2019) ,_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020d): Nigeria-Alltag, https://www.liportal.de/nigeria/alltag/ , Zugriff 5.10.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_ÖB_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/ system/uploads/attachment_data/file/794323/CPIN_-_Nigeria_-_Intemal_relocation.PDF , Zugriff 29.4.2020
USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 9.4.2020
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (25.9.2020): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/co ronavirus-info-nigeria.html , Zugriff 13.10.2020
Grundversorgung
Letzte Änderung: 17.11.2020
Nigeria ist die größte Volkswirtschaft Afrikas. Die Erdölproduktion ist der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Aufgrund des weltweiten Verfalls der Erdölpreise rutschte Nigeria 2016 jedoch in eine schwere Rezession, die bis zum zweiten Quartal 2017 andauerte (GIZ 6.2020). 2018 wuchs die nigerianische Wirtschaft erstmals wieder um 1,9 Prozent (GIZ 6.2020; vgl. AA 24.5.2019c). Getragen wurde das Wachstum vor allem durch die positive Entwicklung von Teilen des Nicht-Öl-Sektors (Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe). Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abschätzbar (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um 4,4 % gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 % erwartet (WKO 14.9.2020).
Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 16.1.2019). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat - gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 6.2020). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 16.1.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 6.2020). Vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport ist die Infrastruktur weiterhin mangelhaft und gilt als ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung (AA 24.5.2019c).
Über 60 Prozent (AA 24.5.2019c) bzw. nach anderen Angaben über 70 Prozent (GIZ 6.2020) der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 6.2020; vgl. AA 24.5.2019c). Die unterentwickelte Landwirtschaft ist jedoch nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken (AA 24.5.2019c). Einerseits ist das Land nicht autark, sondern auf Importe - v.a. von Reis - angewiesen. Andererseits verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten wegen fehlender Transportmöglichkeiten (ÖB 10.2019). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen - in der Regel in Subsistenzwirtschaft (AA 24.5.2019c).
Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Insgesamt hat sich der Prozentsatz an Unterernährung in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegt nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen aber weiterhin zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2019). Im Jahr 2019 benötigten von der Gesamtbevölkerung von 13,4 Millionen Menschen, die in den Staaten Borno, Adamawa und Yobe leben, schätzungsweise 7,1 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Davon sind schätzungsweise 80 Prozent Frauen und Kinder (IOM 17.3.2020).
Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 9.2020b). 87 Millionen Nigerianer (40 Prozent der Bevölkerung) leben in absoluter Armut, d.h. sie haben weniger als 1 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (GIZ 6.2020). 48 Prozent der Bevölkerung Nigerias bzw. 94 Millionen Menschen leben in extremer Armut mit einem Durchschnittseinkommen von unter 1,90 US-Dollar pro Tag (ÖB 10.2019). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 9.2020b). Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 6.2020).
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 9.2020b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent - in erster Linie unter 30-jährige - mit großen regionalen Unterschieden. Die Chancen, einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und vor allem über Beziehungen (ÖB 10.2019). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020).
Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als „self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 9.2020b). Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).
Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2019). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).
Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensmittelpreise variieren nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2019).
Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup", „garri" oder „pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m2 Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/wirtschaft/205790 , Zugriff 5.10.2020
BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 18.5.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 5.10.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria, Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 2.10.2020
IOM Nigeria - International Organization for Migration (17.3.2020): Emergency Response, 2019 Annual Reports, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/2019_annua l_report_-_iom_nigeria_emergency_responsefinal.pdf , Zugriff 15.4.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (14.9.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 13.10.2020
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 23.11.2020
Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 9.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 7.9.2020). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 9.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).
In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).
Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019). Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 16.1.2020). Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater (AJ 2.10.2019), nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019). Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (AJ 2.10.2019; vgl. HRW 11.11.2019).
Nach anderen Angaben gibt es insgesamt für die inzwischen annähernd (VAÖB 23.1.2019) 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 16.1.2020).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen (Punch 22.12.2017) der 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).
Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 9.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2019). Eine medizinische Grundversorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 16.1.2020). Gemäß Angaben einer anderen Quelle werden Tests und Medikamente an staatlichen Gesundheitseinrichtungen dann unentgeltlich abgegeben, wenn diese überhaupt verfügbar sind. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).
In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weitverbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).
Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 9.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists" und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).
In Nigeria gibt es wie in anderen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (7.9.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www. auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 , Zugriff 5.10.2020
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2 025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_2019) ,_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/ , Zugriff 13.10.2020
AJ - Al Jazeera (2.10.2019): Nigeria has a mental health problem, https://www.aljazeera.com/ajimpact/nigeria-mental-health-problem-191002210913630.html , Zugriff 16.4.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_ÖB_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria, Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 2.10.2020
HRW - Human Rights Watch (11.11.2019). Nigeria: People With Mental Health Conditions Chained, Abused, https://www.hrw.org/news/2019/11/11/nigeria-people-mental-health-conditions-chained-abused , Zugriff 16.4.2020
Punch (22.12.2017): NHIS: Health insurance still elusive for many Nigerians, https://punchng.com/nhis-health-insurance-still-elusive-for-many-nigerians/ , Zugriff 16.4.2020
VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme
VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme
Rückkehr
Letzte Änderung: 15.06.2020
Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).
Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33" nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay" angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
Dokumente, Staatsbürgerschaft, Meldewesen
Letzte Änderung: 17.11.2020
Zwar existiert mit der 'National Identity Database (NID) eine Art Datenbank für nigerianische und nicht-nigerianische Bürger, die in Nigeria wohnhaft sind, jedoch nur, sofern diese sich in der Datenbank registriert haben (bislang nur 39 Millionen Menschen). Auch im Zusammenhang mit der nigerianischen Lebenswirklichkeit kann dies nicht als lückenlose Registrierung und damit flächendeckendes Meldewesen gesehen werden (AA 16.1.2020).
Mit der Einführung des elektronischen Passes (mit elektronisch gespeicherten Fingerabdrücken) im Jahr 2007 haben die Behörden einen wichtigen Schritt unternommen, die Dokumentensicherheit zu erhöhen. Es sind auch so gut wie keine gefälschten nigerianischen Pässe im Umlauf. Allerdings ist es aufgrund des nicht vorhandenen Meldewesens, verbreiteter Korruption in den Passbehörden sowie Falschangaben der Antragsteller ohne weiteres möglich, einen nigerianischen Reisepass zu erhalten, der zwar echt, aber inhaltlich falsch ist - u.a. unter Vorlage gefälschter Dokumente (AA 16.1.2020). Mangels eines geordneten staatlichen Personenstandwesens ist die Überprüfung der Echtheit von Dokumenten durch nigerianische Behörden mit einem großen Aufwand verbunden. Angesichts der in Nigeria allgemein nicht gegebenen Dokumentensicherheit ist die bloß formale Bestätigung der Echtheit einer Unterschrift oder eines Siegels eines nigerianischen Ministeriums nicht dazu geeignet, eine Beglaubigung unter Einhaltung der gesetzlichen notariellen Sorgfaltspflicht und im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen vorzunehmen (ÖB 10.2019).
Gefälschte Dokumente (Geburts- und Heiratsurkunden, Zeugnisse von Schulen und Universitäten etc.) sind in Lagos und anderen Städten ohne Schwierigkeiten zu erwerben. Sie sind professionell gemacht und von echten Dokumenten kaum zu unterscheiden. Inhaltlich unwahre, aber von den zuständigen Behörden ausgestellte (Gefälligkeits-)Bescheinigungen sowie Gefälligkeitsurteile in Familiensachen kommen vor. Vorgelegte angebliche Fahndungsersuchen nigerianischer Sicherheitsbehörden sind in der Form oft fehlerhaft oder enthalten falsche Darstellungen behördlicher Zuständigkeiten und sind dadurch als Fälschungen zu erkennen. Aufrufe von Kirchengemeinden - z.B. genannten Asylbewerbern Zuflucht und Schutz zu gewähren - sind oft gefälscht (AA 16.1.2020).
Kinder leiten ihre Staatsbürgerschaft von ihren Eltern ab (USDOS 11.3.2020). Geburten werden insbesondere im ländlichen Raum, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt, kaum registriert (ÖB 10.2019). Es gibt keine Vorschrift zur Registrierung von Geburten. Der Großteil der Geburten wird nicht registriert; Daten zeigen dass landesweit bei den Kindern unter 5 Jahren nur jede dritte Geburt ordnungsgemäß registriert ist (USDOS 11.3.2020). Nach der nigerianischen Verfassung vom 5.5.1999 soll der Verzicht auf die nigerianische Staatsangehörigkeit nach Artikel 29 durch Abgabe einer formgebundenen Verzichtserklärung und durch die anschließende Registrierung des Verzichtes eintreten (AA 16.1.2020). Demzufolge ist die einzig zuständige Behörde betreffend Zurücklegung der nigerianischen Staatsangehörigkeit das nigerianische Innenministerium. Bei Genehmigung eines derartigen Antrages stellt das nigerianische Innenministerium ein „Certificate of Renunciation" aus. Anfällige Bestätigungen nigerianischer Vertretungsbehörden über das erfolgte Ausscheiden aus dem nigerianischen Staatsverband entfalten folglich keine Rechtswirkung (ÖB 7.8.2019; vgl. ÖB 8.5.2020). Die genaue Vorgehensweise zur Zurücklegung lautet:
Der Antragsteller richtet ein Schreiben an den „Permanent Secretary, Federal Ministry of Interior, Abuja". Dem Schreiben sind folgende Dokumente beizufügen (siehe auch beiliegende Liste):
Antrag (siehe Anhang, oder zum Beispiel auf der Webseite der nigerianischen Botschaft Berlin unter: https://nigeriaembassygermany.org/Forms---Fees.htm )
Lichtbild
Geburtsurkunde
Die ersten fünf Seiten des nigerianischen Reisepasses (inklusive der Datenseite)
Eidesstattliche Erklärung des Antragstellers, wonach dieser die nigerianische Staatsangehörigkeit zurücklegen möchte
Erklärung der zuständigen österreichischen Einbürgerungsbehörde, dass bei Zurücklegung der nigerianischen Staatsangehörigkeit, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden kann.
Abstammungsurkunde der örtlichen Landesregierung mit einem weiteren Lichtbild
Bestätigung des „Sekretärs" der entsprechenden nigerianischen Landesregierung
Gleichzeitig mit der persönlichen Antragstellung z.B. bei der zuständigen nigerianischen Botschaft, muss auch eine Antragstellung online erfolgen. Dazu muss sich der Antragsteller auf der Webpage des nigerianischen Innenministeriums registrieren (https://ecitibiz.interior.gov.ng/account/Register/ ) und der Antrag samt Beilagen muss auf die Webpage hochgeladen werden.
Die Konsulargebühren betragen:
NGN 30.000,00 Antragsgebühr (zahlbar bei Antragstellung)
NGN 50.000,00 Genehmigungsgebühr (zahlbar bei Genehmigung) (ÖB 15.5.2019)
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (8.5.2020): Nigeria, Staatsbürgerschaft: Anfrage der MA 35 zu Entlassungsverfahren
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (7.8.2019): Nigeria, Ausscheiden aus dem nigerianischen Staatsverband
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (15.5.2019): STB; Prüfung Staatsbürgerschaft
USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 9.4.2020
Frauen
Letzte Änderung: 23.11.2020
Auch wenn die Verfassung Gleichberechtigung vorsieht (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 16.1.2020), kommt es zu beachtlicher ökonomischer Diskriminierung von Frauen (USDOS 11.3.2020). Frauen werden in der patriarchalen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias in vielen Rechts¬ und Lebensbereichen benachteiligt, v.a. dort, wo traditionelle Regeln gelten (AA 16.1.2020).
So sind Frauen in vielen Landesteilen aufgrund von Gewohnheitsrecht von der Erbfolge nach ihrem Ehemann ausgeschlossen (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Vor allem im Osten des Landes müssen sie entwürdigende und die persönliche Freiheit einschränkende Witwen-zeremonien über sich ergehen lassen. Z.B. werden sie gezwungen, sich den Kopf zu rasieren oder das Haus für einen bestimmten Zeitraum nicht zu verlassen oder sind rituellen Vergewaltigungen ausgesetzt. Darüber hinaus können Frauen im Norden zum Teil keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen (AA 16.1.2020). Die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Rechtssystem konnte allerdings reduziert werden (BS 2020; vgl. LHRL 9./10.2019).
Frauen ist es in Nigeria gesellschaftlich nicht zugedacht, Karriere zu machen. Männer gelten als Versorger der Familie (WRAPA 9./10.2019). Auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) spielen Frauen kaum eine Rolle. Jene mit Sekundär- und Tertiärbildung haben Zugang zu Ar-beitsplätzen in staatlichen und öffentlichen Institutionen. Immer mehr Frauen finden auch Arbeit im expandierenden Privatsektor (z.B. Banken, Versicherungen, Medien). Einige Frauen besetzen prominente Posten in Regierung und Justiz, z.B. eine Richterin beim Obersten Gerichtshof und die Finanzministerin (BS 2020).
Üblicherweise ist es für Frauen und alleinstehende Mütter möglich, Arbeit zu finden (WRAPA 9.10.2019; vgl. EMB A 9./10.2019; EMB B 9./10.2019). Die Art der Arbeit hängt von der Bildung ab (EMB A9./10.2019). Demgegenüber stehen eine hohe Arbeitslosigkeit und ein geringes Job-angebot (WRAPA 9./10.2019; vgl. EMB B 9./10.2019). Rechtlich ist keine Vorschrift vorhanden, die gleiche Bezahlung für Frauen und Männer für gleichwertige Tätigkeiten festschreibt. Es gibt auch kein Diskriminierungsverbot bei der Einstellung von Angestellten. Im formalen Sektor bleiben Frauen unterrepräsentiert, während sie in der informellen Wirtschaft eine bedeutende Rolle spielen (Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Märkte, Handel) (USDOS 11.3.2020).
Das Gesetz Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP) befasst sich mit sexueller, kör-perlicher, psychologischer und sozioökonomischer Gewalt sowie mit schädlichen traditionellen Praktiken. Laut dem VAPP stellen häusliche Gewalt, gewaltsames Hinauswerfen des Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung, erzwungene finanzielle Abhängigkeit, verletzende Witwenzeremonien, Genitalverstümmelung (FGM/C) usw. Straftatbestände dar. Opfer haben Anspruch auf umfassende medizinische, psychologische, soziale und rechtliche Unterstützung. Mit Stand September 2019 ist das Gesetz in neun Bundesstaaten ratifiziert worden. Es ist im Federal Capital Territory (FCT) und den Bundesstaaten Anambra, Benue, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, Kaduna und Oyo gültig, in anderen Bundesstaaten erst, sobald es dort verabschiedet wird (USDOS 11.3.2020). Bis dato [Stand: Oktober 2019] wurde noch kein Fall unter Anwendung des VAPP vor Gericht gebracht (WRAPA 9./10.2019).
Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird sozial akzeptiert, die Polizei schreitet oft nicht ein. In ländlichen Gebieten zögern Polizei und Gerichte, in Fällen aktiv zu werden, in welchen die Gewalt das traditionell akzeptierte Ausmaß des jeweiligen Gebietes nicht übersteigt. Ge-schlechtsspezifische Gewalt ist in Nigeria auf nationaler Ebene nicht unter Strafe gestellt. Einige Bundesstaaten, hauptsächlich im Süden gelegene, haben Gesetze, die geschlechtsspezifische Gewalt verbieten oder versuchen, bestimmte Rechte zu schützen. Für häusliche Gewalt sieht das VAPP eine Haftstrafe von maximal drei Jahren, eine Geldstrafe von höchstens 200.000 Naira oder eine Kombination von Haft- und Geldstrafe vor (USDOS 11.3.2020). Im Falle von häuslicher Gewalt kann sich das Opfer an die Polizei wenden, jedoch besteht das Risiko, dass die Betroffene wieder nach Hause geschickt wird (LHRL 9./10.2019; vgl. LNGO A 9./10.2019). Sollte eine Frau hingegen verletzt sein, würde der Ehemann inhaftiert werden (LHRL9./10.2019). Abuja verzeichnet die höchste Rate von häuslicher Gewalt, auch aus diesem Grund gibt es aber in Abuja viele von Frauen geführte Haushalte. Auch in anderen Städten wie Lagos oder Port Harcourt sind Frauen nun besser sensibilisiert und verlassen Beziehungen, in denen Missbrauch vorkommt. Sie können allerdings vermehrt Stalking, Gewalt oder gar Ermordung durch den Ex-Partner ausgesetzt sein. In ländlichen Gegenden ist die Sensibilisierung der Frauen weniger vorangeschritten und es ist für sie schwieriger, sich Gewalt in der Beziehung zu entziehen (WRAPA 9./10.2019).
Vergewaltigung steht unter Strafe. Gemäß dem VAPP beträgt das Strafmaß zwischen zwölf Jahren und lebenslänglicher Haft für Straftäter, die älter als 14 Jahre alt sind. Es sieht auch ein öffentliches Register von verurteilten Sexualstraftätern vor. Auf lokaler Ebene sorgen Schutzbeamte, die sich mit Gerichten koordinieren, dafür, dass die Opfer relevante Unterstützung bekommen. Das Gesetz enthält auch eine Bestimmung, welche Gerichte dazu ermächtigt, Vergewaltigungsopfern eine angemessene Entschädigung zuzusprechen. Da das VAPP bis dato aber nur in wenigen Bundesstaaten ratifiziert wurde, gelten in den meisten Vergewaltigungs-fällen bundesstaatliche strafrechtliche Regelungen. Vergewaltigungen bleiben weitverbreitet. Aus einer Studie geht hervor, dass eines von vier Mädchen und einer von zehn Buben vor dem 18. Geburtstag sexueller Gewalt ausgesetzt war (USDOS 11.3.2020).
Das Bundesgesetz kriminalisiert seit 2015 weibliche Genitalverstümmlung (FGM/C) auf nationaler Ebene (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; GIZ 9.2020b), dieses Gesetz ist aber bisher nur in einzelnen Bundesstaaten umgesetzt worden (AA 16.1.2020), nach anderen Angaben gilt es bis dato nur im FCT. 13 andere Bundesstaaten haben ähnliche Gesetze verabschiedet (US-DOS 11.3.2020; vgl. EASO 11.2018b). Die Regierung unternahm im Jahr 2019 keine Anstrengungen, FGM/C zu unterbinden (USDOS 11.3.2020). Andererseits wird mit unterschiedlichen Aufklärungskampagnen [Anm.: seitens NGOs] versucht, einen Bewusstseinswandel einzuleiten. Bei der Verbreitung gibt es erhebliche regionale Unterschiede. In einigen - meist ländlichen - Regionen im Südwesten und in der Region Süd-Süd ist die Praxis weit verbreitet, im Norden eher weniger (AA 16.1.2020). Die Verbreitung von FGM ist jedenfalls zurückgegangen (NHRC 9./10.2019; vgl. LHRL 9./10.2019; WRAPA 9./10.2019). Während im Jahr 2013 der Anteil beschnittener Mädchen und Frauen noch bei 24,8 Prozent lag, waren es 2017 nur noch 18,4 Prozent (EASO 11.2018b).
Für Opfer von FGM/C bzw. für Frauen und Mädchen, die von FGM/C bedroht sind, gibt es Schutz und/oder Unterstützung durch staatliche Stellen und NGOs, wie wohl davon auszugehen ist, dass es schwierig ist, außerhalb des FCT staatlichen Schutz zu erhalten. Die Verfassung und Gesetze sehen interne Bewegungsfreiheit für alle vor, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Die Bewegungsfreiheit der Frauen und Kindern aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt (UKHO 8.2019). Je gebildeter die Eltern, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie ihre Kinder beschneiden lassen. Wenn der Vater die Mutter bei ihrer Weigerung, das gemeinsame Kind beschneiden zu lassen, unterstützt, dann können die Eltern dies auch verhindern. Allerdings gab es v.a. in der Vergangenheit Einzelfälle, wo Großeltern ein Kind beschneiden ließen (NHRC 9./10.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2 025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_2019) ,_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 18.5.2020
• EASO - European Asylum Support Office (11.2018b): Country of Origin Information Report - Nigeria - Targeting of individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001375/2018_EAS O_COI_Nigeria_TargetingIndividuals.pdf , Zugriff 11.4.2019, S129ff
• EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf , Zugriff 20.4.2020
• EMB A - westliche Botschaft A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• EMB B - westliche Botschaft B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria - Ge-sellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 2.10.2020
• Iroko - Assoziazione onlus (21.3.2018): Oba of Benin (Edo State) revokes curses on victims of trafficking, http://www.associazioneiroko.org/slide-en/oba-of-benin-edo-state-re vokes-curses-on-victims-of-trafficking/ , Zugriff 20.4.2020
• LHRL - Lokaler Menschenrechtsanwalt (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• LNGO A- Repräsentantin der lokalen NGO A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• NHRC - National Human Rights Commission (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ec oi.net/en/file/local/2021612/NIGR_ÖB_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
• UKHO - United Kingdom Home Office (8.2019): Country Information and Guidance Nigeria: Nigeria:Female Genital Mutilation (FGM), https://assets.publishing.service.gov.uk/gover nment/uploads/system/uploads/attachment_data/file/825243/Nigeria_-_FGM_-_CPIN_- _v2.0__August_2019_.pdf , Zugriff 21.4.2020
• USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practi ces 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 20.4.2020
• Vanguard (10.3.2019): Our gods will destroy you; Oba of Benin curse human traffickers, https://www.vanguardngr.com/2018/03/gods-will-destroy-oba-benin-curse-human-traffick ers/ , Zugriff 20.4.2020
• WRAPA-AnisaAri, Snr. Program Coordinator; Umma Rimi, Programme Officer, NGO Wo- men’s Rights Advancement and Protection Alternative (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
(Alleinstehende) Frauen: interne Relokation, Rückkehr, Menschenhandel
Letzte Änderung: 15.06.2020
Gemäß zweier Quellen müssen Frauen, um einen Mietvertrag abzuschließen, einen männlichen Bürgen beibringen (WRAPA 9/10.2019; vgl. LNGO A 9/10.2019). Dies kann ein Freund, ein Kollege, oder ein Verwandter sein (WRAPA 9/10.2019). Gemäß einer anderen Quelle ist es für Frauen in Abuja kein Problem, alleine zu leben oder zu arbeiten (LNGO B 9/10.2019). Auch andere Quellen bestätigen, dass es für alleinstehende Frauen möglich ist, alleine zu leben und eine Wohnung zu mieten (EMB D 9./10.2019; vgl. EMB B 9/10.2019). Die Situation für alleinstehende Frauen ist allerdings schwierig. Sozialer Druck in Hinblick auf ein traditionelles
Rollenbild besteht (WRAPA 9./10.2019). Üblicherweise ist es für Frauen und alleinstehende Mütter möglich, Arbeit zu finden (WRAPA 9.10.2019; vgl. EMB A9./10.2019; EMB B 9./10.2019). Die Art der Arbeit hängt von der Bildung ab (EMB A 9./10.2019). Demgegenüber stehen eine hohe Arbeitslosigkeit und ein geringes Jobangebot (WRAPA 9.10.2019; vgl. EMB B).
Nigeria verfügt über eine Anzahl staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen, insbesondere die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP), die sich um die Re-habilitierung und psychologische Betreuung rückgeführter Frauen annehmen und in jeder der sechs geopolitischen Zonen Regionalbüros unterhalten. NAPTIP kann als durchaus effektive nigerianische Institution angesehen werden und kooperiert mit mehreren EU-Staaten bei der Reintegration (ÖB 10.2019). Die Agentur ist außerdem für die Bekämpfung des Menschen-schmuggels zuständig, hat seit ihrer Gründung 2003 bis Ende 2018 die Verurteilung von 388 Schleppern erreicht sowie bis Ende 2018 13.533 Opfern von Menschenhandel geholfen (AA 16.1.2020). NAPTIP ist eine zentrale Anlaufstelle für Rückkehrerinnen und bietet unter anderem um 2.000 US-Dollar mehrmonatige Rehabilitierung (psychologische Betreuung) und Berufstraining für ehemalige Zwangsprostituierte an (ÖB 10.2019). Es gibt außerdem einige NGOs, die für zurückkehrende Frauen Unterstützung anbieten (EMB D 9./10.2019). Generell gibt es neben NAPTIP noch andere NGOs, welche über Frauenhäuser verfügen. Meist liegt der Fokus aber auf Menschenhandel (NHRC 9./10.2019). NAPTIP verfügt in Nigeria über mehrere Shelter, ver-mittelt Frauen aber auch an andere Organisationen - etwa MeCAHT oder WOTCLEF - weiter (NAPTIP 9./10.2019).
Vom Office of the Special Adviser to the President on Relations with Civil Society erhielt die österreichische Botschaft eine Liste mit 203 auf Seriosität/Bonität geprüften NGOs, die sich um Rehabilitierung, Fortbildung und medizinische Betreuung/Versorgung sämtlicher Bevölkerungsgruppen des Staates bemühen. Darin werden regionale bzw. das ganze Staatsgebiet umfassende Organisationen aufgelistet, die sich um Witwen, Vollwaisen, minderjährige Mütter, alleinstehende Frauen, Albinos, HIV-Positive, Ex-Häftlinge, Häftlinge, Prostituierte, Alphabetisierung, FGM oder Opfer häuslicher Gewalt bemühen. Diese Organisationen betreiben Wohn- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen, Waisen sowie körperlich und geistig Behinderte. Zusätzlich unterstützen Gattinnen der Gouverneure eigene „pet projects". Die bekannteste Vertreterin ist Dr. Amina Titi Atiku Abubakar, Gründerin und Vorsitzende der NGO WOTCLEF, die es bis zur Akkreditierung durch die UN gebracht hat und zahlreiche Projekte im Frauenbereich unterstützt (ÖB 10.2019).
Im traditionell konservativen Norden, aber auch in anderen Landesteilen, sind alleinstehende Frauen oft erheblichem Druck der Familie ausgesetzt und können diesem häufig nur durch Umzug in eine Stadt entgehen, in der weder Familienangehörige noch Freunde der Familie leben. Im liberaleren Südwesten des Landes - und dort vor allem in den Städten - werden alleinstehende oder allein lebende Frauen eher akzeptiert (AA 16.1.2020). Die Verfassung und
Gesetze sehen interne Bewegungsfreiheit für alle vor, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Die Bewegungsfreiheit der Frauen und Kindern aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt (UKHO 8.2019). Auch im Allgemeinen dürfte der Wechsel des Wohnortes für alleinstehende Frauen ohne Zugang zu einem unterstützenden Netzwerk schwieriger sein (UKHO 3.2019).
Eine Auswahl spezifischer Hilfsorganisationen für Frauen:
African Women Empowerment Guild (AWEG): 29, Airport Road, Benin City, Edo State Tel.: 08023514832, 08023060147, Email: info@awegng.org (AWEG o.d.a). Die AWEG ist eine ausschließlich weibliche, nicht profitorientierte NGO. Zielgruppe sind Frauen und Jugendliche. Spezielle Programme zielen darauf ab, Frauen beim Erwerb von Fähigkeiten im Bildungsbereich sowie im sozialen, ökonomischen und politischen Bereich zu unterstützen. AWEG führt Studien zu geschlechtsspezifischer Gewalt durch (AWEG o.D.b).
Women Aid Collective (WACOL), No 9 Matthias Ilo Avenue, New Haven Extension byAkanu Ibia Airport Flyover, Enugu State. Tel: +234-8095757590, +234-9091333000, Email: wacoln ig@gmail.com , wacolnig@yahoo.com , wacolenugu@wacolnigeria.org . WACOL ist eine Wohltätigkeitsorganisation und bietet verschiedene Unterstützung an: Schulungen, Forschung, Rechtsberatung, Unterkunft, kostenloser Rechts- und Finanzbeistand, Lösung familieninterner Konfliktsituationen, Informationen und Bücherdienste (WACOL o.D.).
Women Advocates Research and Documentation Center (WARDC), 9b james Oluleye Crescent (Harmony Enclave), offAdeniyi Jones by Koko bus stop, Ikeja, Lagos State, (+234) 818 005 6401, Email: womenadvocate@yahoo.com (WARDC o.d.a). WARDC ist eine Frauenrechts-NGO für weibliche Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt und anderer Menschenrechtsverletzungen. Ca. sechs Frauen pro Woche werden diesbezüglich in rechtlicher und sozialer Hinsicht beraten (WARDC o.d.b.).
Womens Health and Equal Rights Initiative (WHER), Adresse nicht online verfügbar, +234 818 645 7675, Email: wher@whernigeria.org (WHER o.d.a): WHER ist eine NGO zur Unterstützung von Frauen, die Angehörige einer sexuellen Minderheit sind (WHER o.d.b).
The Women’s Consortium of Nigeria (WOCON): 13 Okesuna Street, Off Igbosere Road, Lagos, Nigeria, Tel: +234 8033188767, +234 8037190133, +234 8033347896, Email: wocon95@yahoo .com , info@womenconsortiumofnigeria.org (WOCON o.D.a). WOCON ist eine gemeinnützige NGO, die sich der Durchsetzung der Frauenrechte und der Erzielung von Gleichheit, persönli-cher Entwicklung und Frieden widmet. Ziel ist die Aufklärung bezüglich Menschenhandel und der Kampf gegen den Menschenhandel (WOCON o.D.b).
Women’s Rights Advancement and Protection Alternative (WRAPA): 19, Monrovia Street, Off Aminu Kano Way, Wuse II Abuja, Tel.: 08188699961, 08172125692, 07063807887, Email:
Wrapa399@gmail.com , wrapa399@yahoo.com . WRAPA ist eine Organisation, die bundesweit für Frauenrechte eintritt. Aktivitäten umfassen kostenfreie Rechtsberatung, Ausbildung, Mobilisation, Sensibilisierung und Meinungsbildung bezüglich rechtlicher Reformen. Jede Frau, die in irgendeiner Form einen Eingriff in ihre Rechte bzw. eine Diskriminierung erlitten hat, kann in den Genuss der Unterstützung von WRAPA kommen (WRAPA, o.D.).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
• AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.a): AWEG - Contact Information, http: //www.awegng.org/contactus.htm , Zugriff 21.4.2020
• AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.b): AWEG - About Us, http://www.aw egng.org/aboutus.htm , Zugriff 21.4.2020
• EMB A - westliche Botschaft A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• EMB B - westliche Botschaft B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• EMB D - westliche Botschaft D (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• LNGO A- Repräsentantin der lokalen NGO A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• LNGO B - Repräsentantinnen der lokalen NGO B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• NAPTIP - National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (9/10.2019): Inter-view im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• NHRC - National Human Rights Commission (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
• UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/ system/uploads/attachment_data/file/794323/CPIN_-_Nigeria_-_Internal_relocation.PDF , Zugriff 21.4.2020
• UKHO - United Kingdom Home Office (8.2019): Country Information and Guidance Nigeria:
Nigeria:Female Genital Mutilation (FGM), https://assets.publishing.service.gov.uk/gover nment/uploads/system/uploads/attachment_data/file/825243/Nigeria_-_FGM_-_CPIN_- _v2.0 August_2019_.pdf , Zugriff 21.4.2020
• WACOL - Women Aid Collective (o.D.): Homepage, https://wacolnigeria.org/ , Zugriff 21.4.2020
• WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.a): WARDC - Contact us, http://wardcnigeria.org/contact-us/ , Zugriff 27.4.2020
• WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.b): WARDC - About us, http://wardcnigeria.org/what-we-do/ , Zugriff 27.4.2020
• WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.a): WHER - Contact, https: //whernigeria.org/contact/, Zugriff 21.4.2020
• WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.b): WHER - About us, https: //whernigeria.org/about/, Zugriff 21.4.20120
• WOCON - Women’s Consortium of Nigeria (o.D.a): WOCON - Contact, http://womencon sortiumofnigeria.org/?q=content/contact , Zugriff 21.4.2020
• WOCON - Women’s Consortium of Nigeria (o.D.b): WOCON - About us, http://womenc onsortiumofnigeria.org/?q=about-us , Zugriff 21.4.2020
• WRAPA - Women’s Rights Advancement and Protection Alternative (o.D.): FAQ, https: //wrapanigeria.org/faq/, Zugriff 21.4.2020
Kinder
Letzte Änderung: 15.06.2020
Die Rechte des Kindes werden in Nigeria nur unzureichend gewährleistet. Der Child Rights Act, mit dem die UN-Kinderrechtskonvention in nationales Recht umgesetzt werden soll, wurde bislang lediglich von 24 (AA 16.1.2020), nach anderen Angaben von 25 der 36 Bundesstaaten ratifiziert (USDOS 11.3.2020). Insbesondere die nördlichen Bundesstaaten sehen in einigen Bestimmungen (Rechte des Kindes gegenüber den eigenen Eltern, Mindestalter für Eheschließungen) einen Verstoß gegen die Scharia (AA 16.1.2020).
Der Child Rights Act sieht bei einer Eheschließung ein Mindestalter von 18 Jahren vor. Vor allem die nördlichen Bundesstaaten halten sich nicht an das offizielle Mindestalter auf Bundesebene (USDOS 11.3.2020). Kinderehen, in denen Mädchen in jungen Jahren mit zumeist älteren Männern verheiratet werden, sind folglich vor allem im Norden des Landes verbreitet. Insgesamt heiraten schätzungsweise 43 Prozent der Mädchen unter 18 Jahren und 17 Prozent unter 15 Jahren (AA 16.1.2020). Im Fall einer Kinderehe ist kein staatlicher Schutz verfügbar, nicht einmal im Süden, wo die Fallzahlen niedriger sind (INGO 9./10.2019).
Mit traditionellen Glaubensvorstellungen verbundene Rituale und der in Bevölkerungsteilen verbreitete Glaube an Kinderhexen, führen zu teils schwersten Menschenrechtsverletzungen (Ausgrenzung, Aussetzung, Mord) an Kindern, insbesondere an Kindern mit Behinderungen (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Entsprechende Fälle werden überwiegend aus der südlichen Hälfte Nigerias berichtet, besonders gehäuft aus dem Südosten und den Bundesstaaten Akwa Ibom und Edo (AA 16.1.2020).
Gesetzlich sind die meisten Formen der Zwangsarbeit verboten, auch die von Kindern, und es sind ausreichend harte Strafen vorgesehen. Die Durchsetzung der Gesetze bleibt jedoch in weiten Teilen des Landes ineffektiv. Daher ist Zwangsarbeit - u.a. bei Kindern - weit verbreitet. Frauen und Mädchen müssen als Hausangestellte, Buben als Straßenverkäufer, Diener, Minenarbeiter, Steinbrecher, Bettler oder in der Landwirtschaft arbeiten (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
• INGO E - Repräsentantin der internationalen NGO E (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• UNICEF - United Nations International Children’s Emergency Fund (o.D.): The situation, https://www.unicef.org/nigeria/protection.html , Zugriff 21.4.2020
• USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practi- ces 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 20.4.2020“
1.4.2. Zur Situation von Witwen in Nigeria
Witwenrituale unterscheiden sich in Nigeria von Ort zu Ort und zwischen den Ethnien und sind auch von Faktoren wie Alter, Einkommen und Bildung abhängig. So ergab eine Untersuchung bei den Yoruba im Südwesten des Landes, dass die Rituale, denen eine Witwe unterworfen wird, weniger intensiv sind, wenn ihr sozialer Status höher ist.
In den folgenden Gebieten Nigerias wird, so Quellen aus 2010/2012, das Ritual, das eine Witwe das Wasser trinkt, mit dem der Leichnam ihres Mannes gewaschen wurde, noch praktiziert: Edo State, Delta State, einige östliche Staaten, im Südwesten des Landes; bei den Igbo und Yoruba. Allerdings gibt es auch Berichte darüber, dass diese Rituale nicht mehr so verbreitet sind wie in der Vergangenheit.
Mit diesem Ritual soll die Witwe beweisen, dass sie nicht für den Tod des Ehemannes verantwortlich ist. Wenn die Familie des Verstorbenen die Witwe verdächtigt, kontaktiert sie den Priester oder Ortsvorsteher und informiert über den Verdacht. Eine Weigerung, das Wasser zu trinken, würde als Geständnis der Witwe gewertet. Die Konsequenzen eines solchen Verhaltens hängen davon ab, ob die Witwe über männliche Verwandte verfügt, die sie schützen können. Hat sie solche nicht, ist ihr Leben in Gefahr und müsste sie den Ort verlassen, um ihr Leben und das ihrer Kinder zu retten.
Christliche Kirchen können Witwen teilweise vor diesen Ritualen unterstützen und schützen.
Quelle:
Immigration and Refugee Board of Canada: Nigeria: Ritual whereby a widow drinks the water used to clean her husband's corpse; consequences for a widow's refusal to drink the water; whether a widow's refusal is interpreted by others as responsibility for her husband's death [NGA104217.E], 6. November 2012
https://www.ecoi.net/de/dokument/1332697.html (Zugriff am 27. Jänner 2021)
In einem weiteren Bericht des Immigration and Refugee Board of Canada wird zwar bestätigt, dass Frauen nach dem Tod ihres Mannes Ritualen unterworfen werden können, wie etwa einer rasur ihrer Haare oder dem Trinken der „Körperflüssigkeit“ des Leichnams ihres toten Mannes, um ihre Unschuld zu beweisen, doch wird dies der Volksgruppe der Ibo in Anambra State zugeordnet.
Quelle:
Immigration and Refugee Board of Canada: Nigeria: Whether Yoruba and Ibo cleansing rituals for women in their thirties include circumcision in the states of Ogun, Niger, Anambra, and Adamawa; whether women who have been accused of killing a family member through witchcraft would be circumcised during a cleansing ritual (2012-April 2013) [NGA104392.E], 29 April 2013
https://www.ecoi.net/en/document/1109519.html (accessed on 27 January 2021)
Die Möglichkeiten für Witwen in Abuja eine Unterkunft und Beschäftigung zu finden, hängt vom ethnischen Hintergrund, der sozialen Schicht, dem Bildungshintergrund und davon ab, ob die Frau aus einem städtischen oder ländlichen Umfeld kommt. Einige Witwen könnten sehr vulnerabel sein und verletzenden traditionellen Praktiken unterworfen werden, wie etwa Zwangsheirat, Verlust des ihr zustehenden Erbes, etc.
Quelle:
Immigration and Refugee Board of Canada: Nigeria: Situation of single women living alone in Abuja, including ability to access employment and housing; threat of violence; support services available to them (2015 - June 2016), 30. Juni 2016, Responses to Information Requests - Immigration and Refugee Board of Canada (irb-cisr.gc.ca) (Zugriff am 27. Jänner 2021)
In einigen traditionellen südlichen Gemeinden stehen Witwen in Verdacht ihre Ehemänner getötet zu haben. Um ihre Unschuld zu beweisen, werden sie gezwungen, das Wasser zu trinken, mit dem der Leichnam ihres Mannes gereinigt wurde.
Quelle:
US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, 11. März 2020https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html (Zugriff am 23. November 2020)
Auch ein 2015 veröffentlichter Bericht eines nigerianischen Geschichteprofessors bestätigt, dass bei den Yoruba Witwenrituale eine lange Tradition hätten. Von einer Witwe würde erwartet, dass sie schwarze Kleidung trägt und weint und sich für sieben Tage zurückzieht und in dieser Zeit kein Bad nimmt und ihre Kleider nicht wechselt. Nach 40 Tagen, 3 Monaten oder 4 Monaten würden die finalen Riten an der Witwe vollzogen, etwa eine Waschung. Bei den Yorubas komme es auch vor, dass eine Witwe beschuldigt wird, für den Tod des Mannes verantwortlich zu sein; es könne dann von ihr verlangt werden auf die Bibel zu schwören oder das Wasser, mit dem der Leichnam gewaschen wurde, zu trinken, um ihre Unschuld zu beweisen.
Inwieweit diese Rituale noch praktiziert würden, hänge aber auch vom Bildungsniveau der Frau und ihrer Einbindung in eine moderne Arbeitswelt ab.
Quelle:
Dr. Joseph Olukayode Akinbi, Widowhood Practices in Some Nigerian Societies: A Retrospective Examination
in: International Journal of Humanities and Social Science Vol. 5, No. 4; April 2015, abrufbar unter: http://www.ijhssnet.com/journals/Vol_5_No_4_April_2015/7.pdf (Zugriff am 27.01.2021)
In einem Artikel von CNN von März 2020 wird berichtet, dass eine Frau nach dem Begräbnis ihres Mannes im Süden Nigerias von dessen Verwandten gezwungen wurde, sich verschiedenen Ritualen zu unterziehen, wie etwa sich den Kopf und das Schamhaar zu rasieren und sich in der Nähe des Grabes zu entkleiden. Als sie sich anfänglich weigerte, wurde ihr gesagt, dass sie dann die Ortschaft in Delta State gemeinsam mit ihren Kindern verlassen müsse.
Der 2015 verabschiedete Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP), welcher eine Strafe von maximal zwei Jahren oder 500.000 Naira für "Harmful Widowhood Practices" vorsieht, ist noch nicht in allen Bundesstaaten umgesetzt.
Quelle:
Bukola Adebayo, CNN, Her husband died. Then his family shaved her head and made her strip beside his grave, https://edition.cnn.com/2020/03/27/africa/as-equals-nigeria-widow-rites-intl/index.html
1.4.3. Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses ).
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei etwa 80% der Betroffenen leicht bzw. symptomlos und bei ca. 20% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Sehr schwere oder tödliche Krankheitsverläufe treten am häufigsten bei Risikogruppen auf, zum Beispiel bei älteren Personen und Personen mit medizinischen Problemen oder Vorerkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses ).
Die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung listet die medizinischen Gründe (Indikationen) für die Zugehörigkeit einer Person zur COVID-19-Risikogruppe. Auf Grundlage dieser Indikationen darf eine Ärztin/ein Arzt ein COVID-19-Risiko-Attest ausstellen. Diese medizinischen Hauptindikationen werden in der Verordnung weiter unterteilt und genau beschrieben (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen/FAQ--Risikogruppen.html ).
In Österreich gibt es mit Stand 01.02.2021 insgesamt 410.985 positiv getestete Fälle, aktuell 21.513 aktive Fälle und 7.653 gemeldete Todesfälle (https://info.gesundheitsministerium.at/dashboard_Epidem.html?l=de ).
Nigeria hat mit Stand 01.02.2021 aktuell insgesamt 130.557 bestätigte Fälle, 1.883 aktive Fälle und 1.578 Tote zu verzeichnen (https://covid19.who.int/region/afro/country/ng ).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Erstbeschwerdeführerin vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria mit Stand 23.11.2020. Zudem wurde eine mündliche Verhandlung abgehalten.
Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt.
2.2. Zu den Beschwerdeführern:
Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Familie, Lebensumständen in Nigeria und Glaubenszugehörigkeit basieren auf den Angaben der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde und im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 25.01.2021.
Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund einer Kopie in den Unterlagen, die von der erkennenden Richterin von der Österreichischen Botschaft in Abuja zum Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels eingeholt wurden, fest. Da die Beschwerdeführerin den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht ihre Identität nicht fest. Aus diesen Unterlagen zum Verfahren XXXX -01 ergibt sich sein – auch in der Verhandlung bestätigter - Versuch ab Dezember 2011 mittels eines Aufenthaltstitels nach Österreich zu gelangen.
Die Eheschließung des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer im Akt einliegenden Heiratsurkunde (AS 75). Die Aufenthalte seiner Ehefrau in Nigeria ergeben sich aus einer im Akt einliegenden Passkopie.
Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer gesund sind, gründet sich auf den persönlich gewonnenen Eindruck der erkennenden Richterin und auf ihre Aussagen in der mündlichen Verhandlung. In Bezug auf den Beschwerdeführer wurde mit der Beschwerde ein ärztliches Attest eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 02.11.2018 vorgelegt, wonach dieser wegen den Diagnosen PTSD, chron. CVS und Lumbalgie in Behandlung sei. Aktuellere Befunde wurden allerdings nicht vorgelegt und erklärte er in der Verhandlung explizit, gesund zu sein. Die Beschwerdeführerin gab in der Verhandlung an, in der Nacht manchmal geschrien zu haben und deswegen in Therapie gewesen zu sein; die Beschwerden habe sie seit Libyen. Seit Sommer 2020 besuche sie aber keine Therapie mehr und gehe es ihr besser. Aus diesen Angaben und dem Umstand, dass keine aktuellen Befunde vorgelegt wurden, schließt das Bundesverwaltungsgericht, dass beide Beschwerdeführer gesund sind bzw. jedenfalls an keinen schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden. Eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers ist nicht erkennbar.
Die Feststellungen zu ihrer Familie ergeben sich aus ihren Aussagen in der mündlichen Verhandlung und den Erkenntnissen bzw. Bescheiden zu den Asylverfahren der restlichen Familienmitglieder.
Dass der Sohn des Beschwerdeführers, XXXX , nach Italien überstellt wurde, ergibt sich aus einem Auszug des Informationsverbundes Zentrales Fremdenregister (IZR). Dass die Beschwerdeführer gemeinsam mit der Ehefrau des Beschwerdeführers, seiner Tochter XXXX und deren Tochter sowie den Kindern seiner Ehefrau zusammenwohnen, ergibt sich aus dem Zentralen Melderegister und ihren Aussagen in der mündlichen Verhandlung. Dass XXXX geheiratet hat und ein Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels läuft, ergibt sich ebenso wie die rechtskräftige Abweisung seines Asylantrages aus dem IZR. Dass die Ehefrau des Beschwerdeführers seit 2014 keiner Arbeit mehr nachgeht und österreichische Staatsbürgerin ist, ergibt sich aus dem Auszug der Sozialversicherungsdatenbank.
Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführer ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich. Die Feststellungen zu ihrem Bezug der Grundversorgung ergeben sich aus einem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.
Das Engagement des Beschwerdeführers für eine Freikirche ( XXXX ) ergibt sich aus einem Empfehlungsschreiben vom 13.08.2018 und seinen Aussagen in der Verhandlung. Die Feststellung über den Besuch von Deutschkursen ergibt sich aus Teilnahmebestätigungen; dass er die A1-Prüfung nicht bestanden hat, aus einem entsprechenden Zertifikat vom 28.06.2018 und seinen Angaben in der Verhandlung.
Dass die Beschwerdeführerin ausgezeichnet Deutsch spricht, ergibt sich aus dem in der Verhandlung gewonnenen Eindruck und dem Umstand, dass sie eine Mittelschule besucht (Jahres- und Abschlusszeugnis vom 03.07.2020).
2.3. Zur Rückkehrsituation der Beschwerdeführer:
Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um einen gesunden, erwerbsfähigen Mann und seine 16jährige Tochter. Es besteht ein enger Familienverbund, auch zur Tochter XXXX , gegen welche ebenfalls eine aufrechte Rückkehrentscheidung vorliegt. Die Beschwerdeführer werden daher als Familie nach Nigeria zurückkehren, wodurch auch der Beschwerdeführerin ein stabiles Umfeld geboten wird. Der Beschwerdeführer kann nach seiner Rückkehr wieder eine berufliche Tätigkeit aufnehmen und für seine Tochter sorgen.
Aufgrund der genannten Faktoren liegen insgesamt keine derart exzeptionellen Umstände vor, welche die reale Gefahr nahelegen würden, dass die Beschwerdeführer in eine existentielle Notlage geraten würden.
2.4. Zur Frage, ob die Beschwerdeführer in Nigeria verfolgt werden:
Der Beschwerdeführer hatte zwei Problemkreise in Nigeria genannt. Einerseits, und dies sei der Hauptgrund der Ausreise gewesen, habe er Nigeria verlassen müssen, weil die Familie des Lebensgefährten seiner Tochter XXXX diese beschuldigt habe, an dessen Tod schuld zu sein; man habe sie zwingen wollen, ein „Witwenritual“ zu durchlaufen, dies habe er als christlicher Pastor abgelehnt, woraufhin die Angehörigen des Lebensgefährten die Familie des Beschwerdeführers umbringen wollte. Dass dieses Vorbringen nicht glaubhaft ist, ergibt sich aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zum Verfahren der betreffenden Tochter des Beschwerdeführers (I403 2196511-1); diese hatte in ihrer Erstbefragung das Witwenritual noch mit keinem Wort erwähnt, steigerte das Vorbringen dann vor dem Bundesverwaltungsgericht gegenüber ihrem Vorbringen vor der belangten Behörde noch weiter (indem der Bruder ihres Lebensgefährten Verbindungen zu einem Geheimkult und zur Regierungspartei hätte) und war sie zudem nicht in der Lage, plausibel darzulegen, wie es zum Tod ihres Lebensgefährten gekommen war.
Zudem finden sich Unterschiede im Vorbringen der jeweiligen Familienmitglieder: Der Beschwerdeführer erklärte in der Erstbefragung, dass die Familie des Toten seine Tochter verdächtigt habe, ihn getötet zu haben und deswegen die ganze Familie der Erstbeschwerdeführerin habe umbringen wollen. Sein Sohn XXXX dagegen sagte in seiner Erstbefragung, dass sein Vater den Ehemann seiner Schwester habe christlich bestatten wollen, dies habe dessen Familie abgelehnt und den Vater mit einem Juju-Fluch belegt. Seine Tochter XXXX wiederum sprach davon, dass die Familie des Toten sie verdächtigt habe, ihren Lebensgefährten getötet zu haben und sie deswegen zu einem Witwenritual zwingen wollte. Auch diese unterschiedlichen Varianten einer Grundgeschichte legen nahe, dass es sich um ein konstruiertes Fluchtvorbringen handelt. Erst in der niederschriftlichen Einvernahme am 14.08.2018 erwähnte der Beschwerdeführer, dass seine Tochter einem Witwenritual unterzogen werden sollte und passte er somit sein Vorbringen dem seiner Tochter an. Doch auch wenn man die Divergenzen in den Erstbefragungen unter Berücksichtigung des § 19 Abs 1 AsylG außer Acht lässt, bleiben die Widersprüche zwischen dem Vorbringen des Beschwerdeführers und seiner Tochter bestehen: Während er der belangten Behörde erklärte, dass die Familie des Lebensgefährten seine Familie mit Voodoo belegt habe, dass er einen Dämon gesehen habe und seine Tochter krank geworden sei, schilderte diese die Bedrohungen durch die Familie des Lebensgefährten als reale Gewaltakte. Erst in der Verhandlung am 25.01.2021 passte er sein Vorbringen wiederum dem seiner Tochter an und sprach er davon, dass er von der Familie des Lebensgefährten niedergeschlagen worden sei.
Der Vollständigkeit halber sei auch darauf verwiesen, dass der Sohn des Beschwerdeführers, XXXX , in seinem Verfahren, konkret in seiner Einvernahme am 14.08.2018, das Geschehen wiederum ganz anders geschildert hatte; so sei zwischen Februar (und damit Monate vor dem angeblichen Tod des Lebensgefährten der Tochter) und Juni 2016 immer wieder bei der Familie eingebrochen worden. Sein Verfahren wurde bereits rechtskräftig entschieden und sein Antrag abgewiesen; das Vorbringen rund um das angebliche Witwenritual wurde für nicht glaubhaft befunden.
Im Übrigen versuchte der Beschwerdeführer in der Einvernahme am 14.08.2018 einen Konnex zu seinem zweiten Fluchtvorbringen herzustellen: Es habe Erbstreitigkeiten gegeben. Seine Onkel würden um das Erbe seines Vaters gestritten und deswegen seine zwei Brüder umgebracht haben. Als der Lebensgefährte seiner Tochter XXXX gestorben sei, würde sich sein Onkel mit den Angehörigen des Lebensgefährten zusammengetan haben und habe den Beschwerdeführer dann mit Voodoo verfolgt. Eine Bedrohung durch Voodoo kann vom Bundesverwaltungsgericht nicht als reale Bedrohung festgestellt werden. Darüber hinaus wurde diese Verbindung zwischen der Familie des Lebensgefährten seiner Tochter und der Familie des Beschwerdeführers von ihm in der Verhandlung auch nicht mehr erwähnt und sagte auch seine Tochter dazu kein Wort. Außerdem erscheint es wenig plausibel, dass es erst 10 Jahre nach dem Tod des Vaters des Beschwerdeführers im Jahr 2006 zu Erbstreitigkeiten gekommen sein soll.
Auch der zeitliche Ablauf spricht dafür, dass die Ausreise im Juni 2016 lang geplant war und dazu diente, den auf anderem Wege nicht erreichten Familiennachzug zur Ehefrau des Beschwerdeführers in Wien umzusetzen. So versuchte der Beschwerdeführer, wie er in der Verhandlung selbst angab, zuvor bereits jahrelang erfolglos, eine Aufenthaltsberechtigung zu erhalten, um bei seiner Ehefrau in Österreich zu leben. Sein Antrag für einen Aufenthaltstitel wurde am 26.01.2016 zurückgewiesen. Dies scheint der auslösende Moment für die Familie gewesen zu sein, sich andere Wege zu überlegen, nach Österreich zu kommen.
Zusammengefasst kommt das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass das Fluchtvorbringen konstruiert wurde. Es ist nicht glaubwürdig, dass die Tochter des Beschwerdeführers ihren Lebensgefährten bei einem Unfall verloren hat und dessen Familie dann versuchte, sie zu einem Witwenritual zwingen. Bei einer Rückkehr nach Nigeria würde der Beschwerdeführer ebenso wie seine Familie nicht von diesen Personen bedroht werden. Dabei wird nicht verkannt, dass, wie unter Punkt 1.4.2. gezeigt wurde, es in Nigeria durchaus Rituale gibt, zu denen Witwen, abhängig von ihrem sozialen Status, ihrer Bildung und ihrer Einbindung in ein eigenes Familiennetzwerk, gezwungen werden können. Im vorliegenden Fall ist es allerdings aufgrund der gezeigten Unstimmigkeiten (welche im Erkenntnis, mit dem die Abweisung des Asylantrages der Tochter XXXX bestätigt wurde, noch detaillierter ausgeführt werden) nicht glaubhaft, dass XXXX tatsächlich damit konfrontiert war und daraus eine Bedrohung für sie und die Beschwerdeführer erwachsen ist. Auch das Vorbringen des Beschwerdeführers rund um die angebliche Bedrohung durch seinen Onkel ist nicht glaubhaft.
Für die Beschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, auch in der Verhandlung nicht. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes besteht daher auch im Falle der Beschwerdeführerin keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung.
2.5. Zum Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria vom 23.11.2020 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Die Feststellungen zur Covid 19 Pandemie bzw. zu Witwenritualen in Nigeria beruhen auf den zitierten Quellen.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Die Beschwerdeführer sind Vater und minderjährige Tochter und erfüllen daher jedenfalls die Familieneigenschaft des AsylG 2005, weswegen die Verfahren unter einem zu führen sind.
3.1. Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide):
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Die Beschwerdeführer brachten in der Beschwerde vor, in Nigeria aus religiösen/politischen Gründen bzw. wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt zu werden und erklärten: „Die Beschwerdeführer waren infolge eines Konfliktes mit ihren Verwandten und den Verwandten des verstorbenen Ehegatten der Tochter des Erstbeschwerdeführers schweren Verfolgungshandlungen ausgesetzt (…)“. Es wurde im gegenständlichen Verfahren aber festgestellt, dass diese Konflikte bzw. die daraus resultierenden Verfolgungshandlungen nicht der Wahrheit entsprechen, sondern von der Familie als Fluchtgrund konstruiert wurden.
Für die Beschwerdeführerin selbst wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht bzw. wurde vom Beschwerdeführer als gesetzlichem Vertreter bei der Antragstellung explizit erklärt, dass keine eigenen Fluchtgründe vorliegen würden. Auch in der Beschwerde wurde keine konkrete Verfolgung der Beschwerdeführerin in Nigeria behauptet. Das bloße Zitieren eines Berichts zu Genitalverstümmelung vermag keine wohlbegründete Furcht vor einer konkreten Verfolgung darzulegen, da davon weder in der Einvernahme noch in der Verhandlung je die Rede war. Aus dem in der Beschwerde zitierten Bericht (der im Übrigen nicht ordentlich zitiert wurde, von der erkennenden Richterin aber dennoch im Internet gefunden wurde: Annals of Medical and Health Sciences Research, An Overview of Female Genital Mutilation in Nigeria, 2012, abrufbar unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3507121/ ) ergibt sich auch nicht, dass jede Frau in Nigeria Opfer einer Genitalverstümmelung wird; dieser Bericht stammt zudem aus dem Jahr 2012 und wurde daher im gegenständlichen Erkenntnis der aktuellere Auszug aus dem Länderinformationsblatt zur Genitalverstümmelung wiedergegeben – auch aus diesem ergibt sich keine reale Gefahr, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Nigeria dieser Praktik unterzogen werden sollte. Die Beschwerdeführerin kehrt außerdem nicht alleine, sondern mit ihrem Vater und ihrer älteren Stiefschwester nach Nigeria zurück.
Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass den Beschwerdeführern im Herkunftsstaat Nigeria keine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide abzuweisen ist.
3.2. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide):
Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In Nigeria kann auf Basis der Länderfeststellungen von keiner derart prekären Sicherheitslage gesprochen werden, dass jeder Rückkehrende tatsächlich Opfer eines Gewaltaktes sein wird. Auch die minderjährige Beschwerdeführerin, die als vulnerabler einzuschätzen ist als ihr Vater, steht nicht in der realen Gefahr, Opfer einer Gewalttat zu werden, kehrt sie doch nicht alleine nach Nigeria zurück, sondern gemeinsam mit ihrem Vater.
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann aber auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH, 26.06.2019, Ra 2019/20/0050 bis 0053).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. zum Ganzen VwGH, 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
Die belangte Behörde argumentierte, dass dem Beschwerdeführer einer Rückkehr zumutbar sei, weil es sich bei ihm um einen gesunden Mann im arbeitsfähigen Alter handle. In Bezug auf die Beschwerdeführerin wurde von der belangten Behörde darauf hingewiesen, dass sie gemeinsam mit ihrem gesetzlichen Vertreter nach Nigeria zurückkehren wird und dieser sich weiterhin um sie kümmern wird.
In der Beschwerde wurde dagegen behauptet, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihrer Entwurzelung und des Fehlens jeglichen Auffangnetzes keinerlei Existenzmöglichkeit mehr hätten. Zudem würden Frauen in Nigeria systematisch benachteiligt und diskriminiert. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht anerkennt, dass die Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen in Nigeria weitaus schlechter sind als in Europa, reicht dies aber nicht aus, um aufzuzeigen, dass die Beschwerdeführerin, die im Familienverbund nach Nigeria zurückkehren kann, derart diskriminiert würde, dass sie sich keine Existenz sichern könnte. Sie wird von ihrem Vater unterstützt werden. Dieser ist, wie zu Recht von der belangten Behörde ausgeführt wurde, arbeitsfähig und gesund. Er hat eine Ausbildung zum Schlosser gemacht und als Pastor gearbeitet. Er wird auch auf die Unterstützung der Kirche zurückgreifen können. Insgesamt wurden die vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung geforderten exzeptionellen Umstände nicht aufgezeigt, die annehmen ließen, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in eine Notlage geraten würden.
Eine konkrete Darlegung, warum eine Rückkehr nach Nigeria für die Beschwerdeführer zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen sollte, erfolgte nicht, auch nicht im Beschwerdeschriftsatz. Es würde aber ihnen obliegen, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (Beschluss des VwGH vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden Nr. 61204/09; sowie Erkenntnis des VwGH vom 25.02.2016, Ra 2016/19/0036 sowie vom 13.09.2016, Ra 2016/01/0096-3). Derartige Beweise wurden nicht vorgelegt.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt auch nicht, dass nach Nigeria zurückkehrende alleinstehende Frauen teilweise mit Stigmatisierung zu rechnen haben; im Fall der Beschwerdeführerin steht dem aber entgegen, dass sie gemeinsam mit ihrem Vater und ihrer Stiefschwester nach Nigeria zurückkehrt und daher nicht in diese Gruppe von Frauen fällt.
Es ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat auch aufgrund des Umstandes, dass sie gemeinsam nach Nigeria zurückkehren, ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
Der Vollständigkeit halber ist aufgrund der aktuellen Situation festzuhalten, dass auch die Ausbreitung des Coronavirus einer Rückkehr nicht entgegensteht. So sind die Beschwerdeführer beide physisch gesund und gehören zu keiner Risikogruppe. Auch die offiziellen Zahlen der an COVID-19 Erkrankten in Nigeria (s. insbes. https://covid19.ncdc.gov.ng/ ) zeigen aktuell kein für eine Schutzgewährung hinreichend signifikantes Risiko für die Beschwerdeführer auf. Es liegen daher auch im Hinblick auf die bloße Möglichkeit einer COVID-19-Erkrankung nicht solche exzeptionellen Umstände vor, die bei Außerlandesschaffung der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellten (vgl. etwa VwGH, 05.08.2020, Ra 2020/14/0199-8).
Es ergibt sich insgesamt kein reales Risiko, dass es durch die Rückführung der Beschwerdeführer nach Nigeria zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde, sodass die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide abzuweisen ist.
3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide):
Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG wurde von den Beschwerdeführern nicht behauptet und auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keinerlei Hinweise, die nahe legen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht käme.
Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.
3.4. Zur Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt IV. und V. der angefochtenen Bescheide):
Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lauten:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,4. der Grad der Integration,5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Beide Beschwerdeführer halten sich seit dreieinhalb Jahren im Bundesgebiet auf. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von - wie vorliegend - weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt und in Fällen, in denen eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vorliegt, regelmäßig erwartet wird, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. etwa VwGH 15.4.2020, Ra 2019/14/0420, mwN). Eine derart außergewöhnliche Integration liegt im Fall der Beschwerdeführer nicht vor. Der Beschwerdeführer verfügt nur über rudimentäre Deutschkenntnisse; er engagiert sich in einer Freikirche, sonstige integrationsverstärkende Elemente sind hinsichtlich seines Privatlebens nicht gegeben. Die Beschwerdeführerin hat sich offensichtlich auch angesichts ihres Alters weitaus besser integriert; sie spricht gut Deutsch und besucht eine Fachmittelschule, da sie den Besuch einer weiterführenden Schule anstrebt. Doch auch in ihrem Fall ist die Integration nicht als derart außergewöhnlich anzusehen, als dass aus diesem Grund trotz der kurzen Aufenthaltsdauer eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären wäre.
Zu überprüfen ist aber noch, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig in das Familienleben der Beschwerdeführer eingreifen würde. Im gegenständlichen Fall verfügen die Beschwerdeführer zunächst über ein Familienleben durch ihre Beziehung zueinander. Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, so greift sie wohl in das Privatleben der Familienmitglieder ein, nicht aber in ihr Familienleben (EGMR, 9.10.2003, 48321/99, Slivenko gg Lettland, EGMR, 16.6.2005, 60654/00 Sisojeva gg Lettland). Soweit beide ein Interesse an der Fortführung des Familienlebens mit XXXX (der Adoptivtochter des Beschwerdeführers) und deren Tochter haben, ist darauf hinzuweisen, dass gegen beide Rückkehrentscheidungen vorliegen, so dass nicht von der Möglichkeit der Fortführung des Familienlebens in Österreich auszugehen ist. Zu XXXX (dem Sohn des Beschwerdeführers) besteht kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis, verfügt er doch über einen eigenen Wohnsitz. Gegen ihn liegt zudem ebenfalls eine aufrechte Rückkehrentscheidung vor – über seinen Antrag auf Aufenthaltsberechtigung wegen der Eheschließung mit einer Österreicherin wurde noch nicht entschieden.
Allerdings führen die Beschwerdeführer auch ein Familienleben mit B.S., der Ehefrau des Beschwerdeführers und Stiefmutter der Beschwerdeführerin. Dass das Familienleben in Nigeria fortgesetzt werden könnte, ist nicht anzunehmen, da die Ehefrau österreichische Staatsbürgerin hat und ihre Kinder hier leben. Allerdings führten die Ehepartner bereits zwischen 2011 und 2017 eine Ehe auf Distanz; die Ehefrau besuchte den Beschwerdeführer in diesem Zeitraum gerade zweimal für jeweils eine Woche. Es besteht daher erst seit dreieinhalb Jahren ein gemeinsamer Wohnsitz. Es wird auch nicht verkannt, dass die Ehefrau angibt, seit der Ankunft ihres Ehemannes und dessen Kinder gesundheitlich eine Verbesserung zu verspüren. Dies reicht aber nicht aus, um den Umstand vergessen zu lassen, dass das Asylverfahren missbraucht wurde, um den vom Beschwerdeführer seit Jahren geplanten, aber nie erfolgreich umgesetzten Familiennachzug zu ermöglichen. Er war unter anderem an der erfolgreichen Absolvierung eines Deutschkurses gescheitert. Der Verwaltungsgerichtshof hat in solchen Fällen, in denen ein Fremder seinen in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen nachgereist war und einen Antrag auf internationalen Schutz bzw. auf Erteilung eines Aufenthaltstitels missbräuchlich zur von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug gestellt hatte, festgehalten, dass in solchen Konstellationen das öffentliche Interesse besonders schwer wiegt, zumal von den Beteiligten nicht von einem (rechtmäßigen) Verbleib in Österreich ausgegangen werden konnte (vgl. VwGH, 21.02.2020, Ra 2020/18/0047-6 und VwGH, 23.01.2019, Ra 2018/19/0683, mwN). Im vorliegenden Fall muss dem Beschwerdeführer die Trennung von seiner Ehefrau zugemutet werden, konnte er doch nie davon ausgehen, eine Aufenthaltsberechtigung in Österreich zu erlangen. Sein Versuch, eine solche über das Asylwesen faktisch zu erzwingen, ist eine Umgehung der Regeln über den Familiennachzug. Es bestehen daher große öffentliche Interessen an einer Beendigung seines Aufenthaltes in Österreich.
Auch wenn davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin eine enge Bindung zu ihrer Stiefmutter entwickelt hat, ist auch in ihrem Fall festzustellen, dass diese von Beginn an auf einem unsicheren Aufenthalt beruhte. Es wird nicht verkannt, dass es für die Beschwerdeführerin schwierig sein wird, sich wieder ein Leben in Nigeria aufzubauen, doch ist ihre Abwesenheit nicht als übermäßig lang zu beurteilen und wird sie wieder an ihr früheres Leben anknüpfen können, da in ihrem Alter auch die Erinnerung an das Leben vor Österreich vorhanden ist. Es ist ihrem Vater anzulasten, dass er sie aus ihrem gewohnten Leben in Nigeria herausgerissen hatte und für sie einen letztlich unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz stellte, wodurch sie nunmehr wieder ihr gewohntes Umfeld verlieren wird. Insgesamt sind ihre durchaus berücksichtigungswürdigen Interessen an der Fortführung ihres Lebens in Österreich aber nicht derart stark (insbesondere auch weil sie sich psychisch stabilisiert hat), dass sie das Interesse des öffentlichen Staates an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden.
Es sind - unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK – aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaigen wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. dazu VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Situation liegt aber nicht vor, da von einer gemeinsamen Rückkehr auszugehen ist.
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass die im angefochtenen Bescheid angeordnete Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt.
Soweit von der Rechtsvertretung in der mündlichen Verhandlung auf die Entscheidung des VwGH, 15.04.2020, Ra 2019/18/0270 verwiesen wurde, ist dem entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Fall das Absehen von der mündlichen Verhandlung als nicht gerechtfertigt ansah; im gegenständlichen Fall wurde aber eine mündliche Verhandlung abgehalten. Soweit in dem genannten Erkenntnis des VwGH darauf hingewiesen wurde, „dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner rezenten Judikatur eine Trennung von einem österreichischen oder in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehepartner in der Regel nicht alleine wegen eines unrechtmäßigen Aufenthalts, sondern im Ergebnis nur dann für gerechtfertigt erachtete, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden (vgl. VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0162, mwN)“, ist davon der gegenständliche Fall zu unterscheiden, in dem der Beschwerdeführer seiner Ehefrau nachgereist war und einen Antrag auf internationalen Schutz bzw. auf Erteilung eines Aufenthaltstitels missbräuchlich zur von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug gestellt hatte. Es steht dem Beschwerdeführer offen, nunmehr ein weiteres Verfahren von Nigeria aus zu führen. Der Kontakt kann für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auch im Falle der Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat durch elektronische Medien oder – wie in der Vergangenheit - Kurzbesuche aufrechterhalten werden. Nachdem der Beschwerdeführer angegeben hatte, dass er früher aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse an den Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung als Familienangehöriger seiner Ehefrau gescheitert war, verfügt er nunmehr über bessere Ausgangsvoraussetzungen und ist es ihm zuzumuten, den Ausgang des Verfahrens in Nigeria abzuwarten. Grundsätzlich ist gemäß § 21 Abs. 1 NAG der Erstantrag auf einen Aufenthaltstitel vor Einreise persönlich bei der für den Wohnsitz zuständigen österreichischen Vertretungsbehörde (Botschaft oder Generalkonsulat) zu stellen und die Entscheidung im Ausland abzuwarten. Familienangehörige müssen gemäß § 21a NAG iVm § 9b NAG-Durchführungsverordnung bei der erstmaligen Beantragung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ Deutschkenntnisse auf A1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen nachweisen; der Beschwerdeführer hat inzwischen in Österreich ein Sprachdiplom Deutsch A1 absolviert.
Die österreichische Botschaft in Abuja bearbeitet (nach telefonischer Terminvereinbarung) trotz der Pandemie Anträge auf Aufenthaltstitel (vgl. dazu https://www.bmeia.gv.at/en/austrian-embassy-abuja/ ).
Nach § 11 Abs. 1 Z 3 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 NAG eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist; es liegt an den Beschwerdeführern ihrer Ausreiseverpflichtung nachzukommen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass den Beschwerdeführern mit der gegenständlichen Entscheidung eine längere Frist für die freiwillige Ausreise zugestanden wurde, um pandemiebedingten Schwierigkeiten bei der Ausreise gerecht zu werden.
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass die im angefochtenen Bescheid angeordnete Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellen.
Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes IV. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.
Zur Feststellung, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist (§ 52 Abs. 9 FPG 2005), ist auf die obenstehenden Ausführungen unter Punkt 3.2. zu verweisen. Es war daher auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. gemäß § 28 Abs 2. VwGVG als unbegründet abzuweisen.
3.5. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI. der angefochtenen Bescheide):
In den angefochtenen Bescheiden wurde gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Nach § 55 Abs. 3 FPG kann bei Überwiegen besonderer Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, gegenüber den Gründen, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden.
Gegenständlich liegen besondere Gründe vor: Der Beschwerdeführer ist in Österreich verheiratet und strebt einen Familiennachzug an; um es ihm zu ermöglichen, zeitgerecht auszureisen und damit einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 NAG zu stellen, muss berücksichtigt werden, dass Reisepässe bei der nigerianischen Botschaft zu organisieren sein werden und dass aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie mit erschwerten Reisebedingungen zu rechnen ist. Es wäre daher in der gegenwärtigen Situation und ohne Reisedokument eine Ausreise innerhalb von 14 Tagen nur schwer zu realisieren. Dadurch würde dann aber das Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 NAG geschaffen werden. Den durch die Corona-Pandemiebedingten besonderen Umständen war durch die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise Rechnung zu tragen.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides erweist sich daher mit der Maßgabe als unbegründet, dass die Frist für die freiwillige Ausreise auf zwei Monate anzuheben war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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