AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2196515.1.00
Spruch:
I403 2196511-1/16EI403 2196515-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, und XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, gesetzlich vertreten durch ihre Mutter XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 15.04.2018, Zl. XXXX und Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.01.2021 zu Recht:
A)
Die Beschwerden werden mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die in Spruchpunkt IV. gewährte Frist für die freiwillige Ausreise auf zwei Monate verlängert wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (Erstbeschwerdeführerin) stellte am 07.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie damit begründete, dass es für ihren Vater ein Problem gewesen sei, dass sie ein uneheliches Kind erwarte und dass sie Angst vor Boko Haram habe. Wenige Tage nach ihrer Ankunft zog die Erstbeschwerdeführerin zu der in Wien lebenden Stiefmutter. Am XXXX wurde ihre Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, geboren; am 30.08.2016 wurde für sie ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt und bekannt gegeben, dass sie keine eigenen Fluchtgründe habe.
2. Mit Bescheiden vom 13.01.2017 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz – ohne in die Sache einzutreten – wegen der Zuständigkeit Italiens als unzulässig zurück. Es wurde die Außerlandesbringung angeordnet und die Abschiebung nach Italien für zulässig erklärt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.09.2017, Zl. W165 2146655-1/14E und W165 2146657-1/9E wurden diese Bescheide behoben, da die Zweitbeschwerdeführerin bei ihrer Versorgung aufgrund der instabilen psychischen Verfassung der Erstbeschwerdeführerin auf die Unterstützung der Stiefmutter der Erstbeschwerdeführerin angewiesen sei. Die Verfahren wurden zugelassen.
3. Am 22.03.2018 wurde die Erstbeschwerdeführerin von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Sie gab nun an, dass sie in Nigeria von der Familie ihres verstorbenen Lebensgefährten bedroht worden sei. Zudem sei sie in Libyen Opfer sexueller Gewalt geworden. Mit Stellungnahme vom 05.04.2018 wurden Länderberichte zur Situation von Witwen in Nigeria ins Verfahren eingebracht.
4. Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 15.04.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich erteilte die belangte Behörde den Beschwerdeführerinnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.). Aufgrund verschiedener Unstimmigkeiten wurde das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin nicht für glaubhaft befunden.
5. Gegen diese Bescheide richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 22.05.2018, in der das Fluchtvorbringen wiederholt wurde. Am 25.05.2018 legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakten vor. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin am 01.10.2020 zugeteilt.
6. Am 25.01.2021 wurde eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit der Erstbeschwerdeführerin, einer für den Rahmen der Verhandlung bevollmächtigten Rechtsvertretung und einer Vertreterin der belangten Behörde sowie unter Heranziehung einer Dolmetscherin für die englische Sprache abgehalten. In der Verhandlung wurden auch der Vater der Erstbeschwerdeführerin, dessen Ehefrau und die Stiefschwester der Erstbeschwerdeführerin befragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Anmerkung: XXXX ist nicht der leibliche Vater der Erstbeschwerdeführerin, diese wurde von ihm adoptiert und nahm seinen Namen an. Entsprechend wird er im gegenständlichen Erkenntnis als Vater der Erstbeschwerdeführerin bezeichnet und werden die Kinder von XXXX als Stiefgeschwister der Erstbeschwerdeführerin bezeichnet.
1.1. Zu den Beschwerdeführerinnen:
XXXX (Erstbeschwerdeführerin) ist am XXXX geboren, stammt aus Benin City und ist nigerianische Staatsbürgerin christlichen Glaubens. Ihre Identität steht fest. Ihre leibliche Schwester XXXX wurde 2005 oder 2006 geboren, deren Aufenthalt ist unbekannt. Ihr Vater verstarb früh, sie wuchs bei ihrer Mutter auf, die ab 2009 oder 2010 eine Beziehung mit XXXX (im Folgenden: A.S.) führte. Dieser adoptierte die Erstbeschwerdeführerin und sorgte auch nach dem Tod ihrer Mutter im April 2011 für sie. Im Juli 2011 ehelichte er die aus Nigeria stammende österreichische Staatsbürgerin XXXX (im Folgenden: B.S.), die von der Erstbeschwerdeführerin als Stiefmutter bezeichnet wird. A.S. versuchte in der Folge eine Aufenthaltsberechtigung für Österreich zu erlangen, um gemeinsam mit der Erstbeschwerdeführerin und zwei weiteren Töchtern zu seiner Ehefrau nach Wien zu ziehen. Dieses Vorhaben scheiterte daran, dass A.S. die für die Erteilung des Aufenthaltstitels notwendige Deutschprüfung A1 nicht bestand. Sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG für den Zweck „Familienangehöriger“ wurde mit Bescheid der MA35 vom 26.01.2016 zurückgewiesen.
Die Erstbeschwerdeführerin selbst führte in Nigeria eine Beziehung mit einem Mann namens XXXX , welcher der Vater ihrer drei Töchter (2011 oder 2012, 2015 und 2016 geboren) ist. Sie besuchte sechs Jahre die Grundschule und dann sechs Jahre eine weiterführende Schule. Sie machte eine Ausbildung zur Frisörin und wurde von ihrem Vater und ihrem Lebensgefährten finanziell unterstützt. Sie wohnte mit ihrem Vater, ihrer Schwester, einer Halbschwester und Stiefgeschwistern zusammen im Haus der Familie und hielt sich daneben zeitweise auch im Haus ihres Lebensgefährten auf.
Die Erstbeschwerdeführerin verließ Nigeria im Juni 2016 gemeinsam mit ihrem Vater und ihren Stiefgeschwistern. In Libyen wurde die Erstbeschwerdeführerin Opfer sexueller Gewalt und kam es zu einer Trennung der Familie. Ihr Vater und drei Stiefgeschwister gelangten erst im Sommer 2017 nach Österreich. Der Aufenthalt weiterer Stiefgeschwister ist unbekannt.
Die Erstbeschwerdeführerin selbst kam Anfang August 2016 nach Österreich, am XXXX wurde ihre Tochter XXXX , die Zweitbeschwerdeführerin, geboren. Bereits vor der Geburt der Zweitbeschwerdeführerin und somit unmittelbar nach ihrer Ankunft in Österreich zog die Erstbeschwerdeführerin zu ihrer Stiefmutter.
Der Antrag eines Stiefbruders auf internationalen Schutz (Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.11.2018, Zl. I403 22101917-1/3E) wurde ebenso wie ein Folgeantrag (Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.11.2019, Zl. I401 2210197-2/5E) abgewiesen bzw. zurückgewiesen. Nach der inzwischen erfolgten Eheschließung mit einer Österreicherin stellte er einen Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels, über welchen noch nicht entschieden wurde. Der Antrag eines weiteren Stiefbruders wurde wegen der Zuständigkeit Italiens zurückgewiesen und er nach Italien ausgewiesen (Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.10.2018, Zl. W165 2193319-1/7E); er wurde nach Italien überstellt und hält sich aktuell dort auf.
Die Anträge des Vaters und der Stiefschwester der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz wurden von der belangten Behörde abgewiesen, die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.02.2021, Zl. I403 2210195-1, I403 2210196-1) als unbegründet abgewiesen. Es bestehen daher rechtskräftige Rückkehrentscheidungen gegen den Vater und die Stiefschwester der Erstbeschwerdeführerin.
Die Beschwerdeführerinnen leben gemeinsam mit dem Vater und der Stiefschwester der Erstbeschwerdeführerin bei der Stiefmutter der Erstbeschwerdeführerin. In der Wohnung leben zudem noch acht Kinder der Stiefmutter.
Die Zweitbeschwerdeführerin wurde am XXXX in Österreich geboren, sie ist Staatsangehörige von Nigeria und die Tochter der Erstbeschwerdeführerin. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin ist ein nigerianischer Staatsbürger; es kann nicht festgestellt werden, ob dieser noch lebt bzw. wo er sich aufhält. Die Zweitbeschwerdeführerin besucht einen Kindergarten und wird von ihrer Mutter, aber auch von der Stiefmutter der Erstbeschwerdeführerin versorgt.
Die zwei weiteren minderjährigen Töchter der Erstbeschwerdeführerin leben in Lagos bei der Tante der Erstbeschwerdeführerin. Diese hat ein gutes Verhältnis zu der Tante und steht mit ihr über WhatsApp in Kontakt. Die Erstbeschwerdeführerin hat in Nigeria auch Freunde und Bekannte.
Die Beschwerdeführerinnen sind gesund und leiden an keinen schweren gesundheitlichen Problemen. Die Erstbeschwerdeführerin ist erwerbsfähig.
Die Erstbeschwerdeführerin ist in Österreich nicht vorbestraft. Die Erstbeschwerdeführerin geht, ebenso wie ihr Vater, in Österreich keiner Beschäftigung nach und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Ihre Stiefmutter geht seit 2014 keiner Arbeit mehr nach und lebt von der Notstandshilfe.
Die Erstbeschwerdeführerin hat gute Deutschkenntnisse erworben, die B1-Prüfung abgelegt und würde gerne eine Ausbildung zur Krankenschwester bzw. Heimhilfe besuchen. Es besteht eine enge Bindung zu ihrem Vater und ihrer Stiefmutter. Die Erstbeschwerdeführerin hat in Österreich auch Bekanntschaften geschlossen.
1.2 Zur Rückkehrsituation der Beschwerdeführerinnen:
Die Beschwerdeführerinnen kehren gemeinsam mit dem Vater und der Stiefschwester der Erstbeschwerdeführerin nach Nigeria zurück. Es besteht ein enger Familienverbund, war die Erstbeschwerdeführerin vor ihrer Ausreise aus Nigeria doch zumindest teilweise bei ihrem Vater wohnhaft und besteht auch aktuell ein gemeinsamer Wohnsitz. Die Erstbeschwerdeführerin würde daher nicht alleine zurückkehren, sondern im Familienverbund; zudem könnten alle zunächst bei der Schwester des Vaters Unterkunft nehmen, bei welcher aktuell auch die zwei Töchter der Erstbeschwerdeführerin leben. Selbst wenn diese, wie vom Vater der Erstbeschwerdeführerin behauptet, inzwischen in Ghana leben sollte, wird die Familie gemeinsam in der Lage sein, sich wieder eine Existenz aufzubauen. Die Beschwerdeführerinnen werden daher bei einer Rückkehr in keine existenzielle Notlage geraten.
1.3. Zur Frage, ob die Beschwerdeführerinnen in Nigeria verfolgt werden:
Die Erstbeschwerdeführerin wird in Nigeria nicht verfolgt. Ihr droht im Falle einer Rückkehr nach Nigeria keine Verfolgung durch die Familie ihres früheren Lebensgefährten. Die Erstbeschwerdeführerin verließ Nigeria gemeinsam mit ihrer Familie aus wirtschaftlichen Gründen.
Die Zweitbeschwerdeführerin wird in Nigeria ebenfalls nicht verfolgt. Für sie wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.
1.4. Zur Lage in Nigeria:
1.4.1. Zur allgemeinen Situation
Zur Lage im Herkunftsstaat werden die für das gegenständliche Verfahren relevanten Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria vom 23.11.2020 festgestellt:„COVID-19
Letzte Änderung: 23.11.2020
Die COVID-19-Situation in Nigeria ist nach wie vor angespannt. Die veröffentlichten absoluten Zahlen an bisherigen Infizierten (rund 62.000) geben angesichts der geringen Durchtestung der 200-Millionen-Bevölkerung ein verzerrtes Bild. Aussagekräftiger ist der Anteil der positiven Fälle gemessen an der Zahl der durchgeführten Tests. Dieser lag im Oktober 2020 landesweit bei mehr als drei Prozent, in der Metropole Lagos hingegen bei etwa 30 Prozent. Die Zahlen berücksichtigen noch nicht die Auswirkung der #EndSARS-Proteste, bei denen von den Demonstrierenden praktisch keine Schutzvorkehrungen gegen COVID-19 getroffen worden sind. Ein Anstieg an positiven Fällen ist hauptsächlich in der Südwestzone des Landes zu beobachten. In einigen Bundesstaaten herrscht überhaupt Skepsis an der Notwendigkeit von COVID-19-Maßnahmen. Die allgemeine Risikowahrnehmung und die Nachfrage nach Tests sind gering (ÖB 10.2020).
In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020). Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis vier Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).
Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abzuschätzen (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um Prozent gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 Prozent erwartet (WKO 14.9.2020).
Quellen:
Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/ , Zugriff 13.10.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 5.10.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_ÖB_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (25.9.2020): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria.html , Zugriff 13.10.2020
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (14.9.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 13.10.2020
Politische Lage
Letzte Änderung: 17.11.2020
Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2019; vgl.AA16.1.2020; GIZ 9.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 9.2020a; vgl.AA16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 9.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 16.1.2020).
Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem starken exekutiven Präsidenten (Präsidialsystem nach US-Vorbild) (AA24.5.2019a). Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020).
Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 16.1.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 4.3.2020).
Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 9.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 9.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Abubakar focht das Ergebnis vor dem Obersten Gerichtshof aufgrund von Unregelmäßigkeiten an (GIZ 9.2020a).
Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat mit 109 Mitgliedern und Repräsentantenhaus mit 360 Mitgliedern (AA 24.5.2019b). Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei „All Progressives‘ Congress" (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die „People’s Democratic Party" (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 16.1.2020).
Auf subnationaler Ebene regiert die APC in 20 der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020). Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 9.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).
Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein. Dieser Einfluss wird von der jüngeren Generation aber zunehmend in Frage gestellt (AA 24.5.2019a).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844 , Zugriff 30.9.2020
AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019b): Nigeria - Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeria/205786 , Zugriff 30.9.2020
BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3 , Zugriff 12.4.2019
DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by ’systemic failings’, https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a- 47858131 , Zugriff 9.4.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html , Zugriff 30.9.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 30.9.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/governor/2019 , Zugriff 9.4.2020
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 23.11.2020
Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt" kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra") bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).
Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).
Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).
In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).
In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/lo- cal/2025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_- abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_- 2019),_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
AA-Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 ,16.4.2020
BBC News (26.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys ’all resources’ amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345 , Zugriff 28.10.2020
CFR - Council on Foreign Relations (2020): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483 , Zugriff 8.10.2020
DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft , Zugriff 28.10.2020
EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_C OI_Nigeria_SecuritySituation.pdf , Zugriff 16.4.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html , Zugriff 30.9.2020
Garda - Gardaworld (23.6.2020): Nigeria: Gunmen attack village in Zamfara State on June 20, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/353501/nigeria-gunmen-attack-viNage-in-zamfara-state-on-june-20 , Zugriff 8.10.2020 (siehe „context“)
Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-killings-and-brutality , Zugriff 28.10.2020
UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office (26.9.2020): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 8.10.2020
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 23.11.2020
Die am 29.5.1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen. Das in Art. 33 der Verfassung gewährte Recht auf körperliche Unversehrtheit wird z.B. unter den Vorbehalt gestellt, dass die betroffene Person nicht bei der Anwendung legal ausgeübter staatlicher Gewalt zur „Unterdrückung von Aufruhr oder Meuterei" ihr Leben verloren hat. In vielen Bereichen bleibt die Umsetzung der zahlreich eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen weiterhin deutlich hinter internationalen Standards zurück. Zudem wurden völkerrechtliche Verpflichtungen zum Teil nur lückenhaft in nationales Recht umgesetzt. Einige Bundesstaaten haben Vorbehalte gegen einige internationale Vereinbarungen geltend gemacht und verhindern regional eine Umsetzung. Selbst in Bundesstaaten, welche grundsätzlich eine Umsetzung befürworten, ist die Durchsetzung garantierter Rechte häufig nicht gewährleistet (AA 16.1.2020).
Die Menschenrechtssituation hat sich seit Amtsantritt einer zivilen Regierung 1999 zum Teil erheblich verbessert (AA 24.5.2019a; vgl. GIZ 9.2020a), vor allem im Hinblick auf die Freilassung politischer Gefangener und die Presse- und Meinungsfreiheit (GIZ 9.2020a). Allerdings kritisieren Menschenrechtsorganisationen den Umgang der Streitkräfte mit Boko Haram-Verdächtigen, der schiitischen Minderheit, Biafra-Aktivisten und Militanten im Nigerdelta. Schwierig bleiben die allgemeinen Lebensbedingungen, die durch Armut, Analphabetismus, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, ein ineffektives Justizwesen und die Scharia-Rechtspraxis im Norden des Landes beeinflusst werden. Die Gleichstellung von Angehörigen sexueller Minderheiten wird gesetzlich verweigert, homosexuelle Handlungen sind mit schweren Strafen belegt (AA 24.5.2019a). Es gibt viele Fragezeichen hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte, wie z.B. die Praxis des Scharia-Rechts (Tod durch Steinigung), Entführungen und Geiselnahmen im Nigerdelta, Misshandlungen und Verletzungen durch Angehörige der nigerianischen Polizei und Armee sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen (GIZ 9.2020a). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen gehören zudem u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Inhaftierung sowie substanzielle Eingriffe in die Rechte auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit (USDOS 11.3.2020).
Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Die Regierung bekennt sich ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, und diese sind auch in der Verfassung als einklagbar verankert. Dessen ungeachtet bleiben viele Probleme ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2019).
Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv (GIZ 9.2020a).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localZ2 025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_2019) ,_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt .de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844http://www.auswaertiges-amt.de/DE /Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html , Zugriff 30.9.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 30.9.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_ÖB_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 9.4.2020
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 23.11.2020
Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet. Zahlreiche von Militär und Polizei betriebene Checkpoints bleiben aufrecht (USDOS 11.3.2020).
Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 11.3.2020). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 16.1.2020). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 3.2019).
In den vergangenen Jahrzehnten hat durch Wanderungsbewegungen und interethnische Ehen eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern"-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind.
Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2019). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 16.1.2020).
Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 11.3.2020).
Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen i.d.R. pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 9.2020d).
Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis 4 Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2 025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_2019) ,_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020d): Nigeria-Alltag, https://www.liportal.de/nigeria/alltag/ , Zugriff 5.10.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_ÖB_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/ system/uploads/attachment_data/file/794323/CPIN_-_Nigeria_-_Intemal_relocation.PDF , Zugriff 29.4.2020
USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 9.4.2020
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (25.9.2020): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/co ronavirus-info-nigeria.html , Zugriff 13.10.2020
Grundversorgung
Letzte Änderung: 17.11.2020
Nigeria ist die größte Volkswirtschaft Afrikas. Die Erdölproduktion ist der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Aufgrund des weltweiten Verfalls der Erdölpreise rutschte Nigeria 2016 jedoch in eine schwere Rezession, die bis zum zweiten Quartal 2017 andauerte (GIZ 6.2020). 2018 wuchs die nigerianische Wirtschaft erstmals wieder um 1,9 Prozent (GIZ 6.2020; vgl. AA 24.5.2019c). Getragen wurde das Wachstum vor allem durch die positive Entwicklung von Teilen des Nicht-Öl-Sektors (Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe). Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abschätzbar (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um 4,4 % gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 % erwartet (WKO 14.9.2020).
Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 16.1.2019). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat - gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 6.2020). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 16.1.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 6.2020). Vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport ist die Infrastruktur weiterhin mangelhaft und gilt als ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung (AA 24.5.2019c).
Über 60 Prozent (AA 24.5.2019c) bzw. nach anderen Angaben über 70 Prozent (GIZ 6.2020) der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 6.2020; vgl. AA 24.5.2019c). Die unterentwickelte Landwirtschaft ist jedoch nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken (AA 24.5.2019c). Einerseits ist das Land nicht autark, sondern auf Importe - v.a. von Reis - angewiesen. Andererseits verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten wegen fehlender Transportmöglichkeiten (ÖB 10.2019). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen - in der Regel in Subsistenzwirtschaft (AA 24.5.2019c).
Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Insgesamt hat sich der Prozentsatz an Unterernährung in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegt nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen aber weiterhin zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2019). Im Jahr 2019 benötigten von der Gesamtbevölkerung von 13,4 Millionen Menschen, die in den Staaten Borno, Adamawa und Yobe leben, schätzungsweise 7,1 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Davon sind schätzungsweise 80 Prozent Frauen und Kinder (IOM 17.3.2020).
Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 9.2020b). 87 Millionen Nigerianer (40 Prozent der Bevölkerung) leben in absoluter Armut, d.h. sie haben weniger als 1 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (GIZ 6.2020). 48 Prozent der Bevölkerung Nigerias bzw. 94 Millionen Menschen leben in extremer Armut mit einem Durchschnittseinkommen von unter 1,90 US-Dollar pro Tag (ÖB 10.2019). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 9.2020b). Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 6.2020).
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 9.2020b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent - in erster Linie unter 30-jährige - mit großen regionalen Unterschieden. Die Chancen, einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und vor allem über Beziehungen (ÖB 10.2019). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020).
Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als „self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 9.2020b). Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).
Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2019). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).
Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensmittelpreise variieren nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2019).
Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup", „garri" oder „pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m2 Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/wirtschaft/205790 , Zugriff 5.10.2020
BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 18.5.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 5.10.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria, Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 2.10.2020
IOM Nigeria - International Organization for Migration (17.3.2020): Emergency Response, 2019 Annual Reports, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/2019_annua l_report_-_iom_nigeria_emergency_responsefinal.pdf , Zugriff 15.4.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (14.9.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 13.10.2020
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 23.11.2020
Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 9.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 7.9.2020). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 9.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).
In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).
Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019). Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 16.1.2020). Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater (AJ 2.10.2019), nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019). Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (AJ 2.10.2019; vgl. HRW 11.11.2019).
Nach anderen Angaben gibt es insgesamt für die inzwischen annähernd (VAÖB 23.1.2019) 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 16.1.2020).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen (Punch 22.12.2017) der 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).
Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 9.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2019). Eine medizinische Grundversorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 16.1.2020). Gemäß Angaben einer anderen Quelle werden Tests und Medikamente an staatlichen Gesundheitseinrichtungen dann unentgeltlich abgegeben, wenn diese überhaupt verfügbar sind. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).
In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weitverbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).
Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 9.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists" und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).
In Nigeria gibt es wie in anderen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (7.9.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www. auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 , Zugriff 5.10.2020
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2 025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_2019) ,_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/ , Zugriff 13.10.2020
AJ - Al Jazeera (2.10.2019): Nigeria has a mental health problem, https://www.aljazeera.com/ajimpact/nigeria-mental-health-problem-191002210913630.html , Zugriff 16.4.2020
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_ÖB_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria, Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 2.10.2020
HRW - Human Rights Watch (11.11.2019). Nigeria: People With Mental Health Conditions Chained, Abused, https://www.hrw.org/news/2019/11/11/nigeria-people-mental-health-conditions-chained-abused , Zugriff 16.4.2020
Punch (22.12.2017): NHIS: Health insurance still elusive for many Nigerians, https://punchng.com/nhis-health-insurance-still-elusive-for-many-nigerians/ , Zugriff 16.4.2020
VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme
VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme
Rückkehr
Letzte Änderung: 15.06.2020
Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).
Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33" nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay" angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
Dokumente, Staatsbürgerschaft, Meldewesen
Letzte Änderung: 17.11.2020
Zwar existiert mit der 'National Identity Database (NID) eine Art Datenbank für nigerianische und nicht-nigerianische Bürger, die in Nigeria wohnhaft sind, jedoch nur, sofern diese sich in der Datenbank registriert haben (bislang nur 39 Millionen Menschen). Auch im Zusammenhang mit der nigerianischen Lebenswirklichkeit kann dies nicht als lückenlose Registrierung und damit flächendeckendes Meldewesen gesehen werden (AA 16.1.2020).
Mit der Einführung des elektronischen Passes (mit elektronisch gespeicherten Fingerabdrücken) im Jahr 2007 haben die Behörden einen wichtigen Schritt unternommen, die Dokumentensicherheit zu erhöhen. Es sind auch so gut wie keine gefälschten nigerianischen Pässe im Umlauf. Allerdings ist es aufgrund des nicht vorhandenen Meldewesens, verbreiteter Korruption in den Passbehörden sowie Falschangaben der Antragsteller ohne weiteres möglich, einen nigerianischen Reisepass zu erhalten, der zwar echt, aber inhaltlich falsch ist - u.a. unter Vorlage gefälschter Dokumente (AA 16.1.2020). Mangels eines geordneten staatlichen Personenstandwesens ist die Überprüfung der Echtheit von Dokumenten durch nigerianische Behörden mit einem großen Aufwand verbunden. Angesichts der in Nigeria allgemein nicht gegebenen Dokumentensicherheit ist die bloß formale Bestätigung der Echtheit einer Unterschrift oder eines Siegels eines nigerianischen Ministeriums nicht dazu geeignet, eine Beglaubigung unter Einhaltung der gesetzlichen notariellen Sorgfaltspflicht und im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen vorzunehmen (ÖB 10.2019).
Gefälschte Dokumente (Geburts- und Heiratsurkunden, Zeugnisse von Schulen und Universitäten etc.) sind in Lagos und anderen Städten ohne Schwierigkeiten zu erwerben. Sie sind professionell gemacht und von echten Dokumenten kaum zu unterscheiden. Inhaltlich unwahre, aber von den zuständigen Behörden ausgestellte (Gefälligkeits-)Bescheinigungen sowie Gefälligkeitsurteile in Familiensachen kommen vor. Vorgelegte angebliche Fahndungsersuchen nigerianischer Sicherheitsbehörden sind in der Form oft fehlerhaft oder enthalten falsche Darstellungen behördlicher Zuständigkeiten und sind dadurch als Fälschungen zu erkennen. Aufrufe von Kirchengemeinden - z.B. genannten Asylbewerbern Zuflucht und Schutz zu gewähren - sind oft gefälscht (AA 16.1.2020).
Kinder leiten ihre Staatsbürgerschaft von ihren Eltern ab (USDOS 11.3.2020). Geburten werden insbesondere im ländlichen Raum, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt, kaum registriert (ÖB 10.2019). Es gibt keine Vorschrift zur Registrierung von Geburten. Der Großteil der Geburten wird nicht registriert; Daten zeigen dass landesweit bei den Kindern unter 5 Jahren nur jede dritte Geburt ordnungsgemäß registriert ist (USDOS 11.3.2020). Nach der nigerianischen Verfassung vom 5.5.1999 soll der Verzicht auf die nigerianische Staatsangehörigkeit nach Artikel 29 durch Abgabe einer formgebundenen Verzichtserklärung und durch die anschließende Registrierung des Verzichtes eintreten (AA 16.1.2020). Demzufolge ist die einzig zuständige Behörde betreffend Zurücklegung der nigerianischen Staatsangehörigkeit das nigerianische Innenministerium. Bei Genehmigung eines derartigen Antrages stellt das nigerianische Innenministerium ein „Certificate of Renunciation" aus. Anfällige Bestätigungen nigerianischer Vertretungsbehörden über das erfolgte Ausscheiden aus dem nigerianischen Staatsverband entfalten folglich keine Rechtswirkung (ÖB 7.8.2019; vgl. ÖB 8.5.2020). Die genaue Vorgehensweise zur Zurücklegung lautet:
Der Antragsteller richtet ein Schreiben an den „Permanent Secretary, Federal Ministry of Interior, Abuja". Dem Schreiben sind folgende Dokumente beizufügen (siehe auch beiliegende Liste):
Antrag (siehe Anhang, oder zum Beispiel auf der Webseite der nigerianischen Botschaft Berlin unter: https://nigeriaembassygermany.org/Forms---Fees.htm )
Lichtbild
Geburtsurkunde
Die ersten fünf Seiten des nigerianischen Reisepasses (inklusive der Datenseite)
Eidesstattliche Erklärung des Antragstellers, wonach dieser die nigerianische Staatsangehörigkeit zurücklegen möchte
Erklärung der zuständigen österreichischen Einbürgerungsbehörde, dass bei Zurücklegung der nigerianischen Staatsangehörigkeit, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden kann.
Abstammungsurkunde der örtlichen Landesregierung mit einem weiteren Lichtbild
Bestätigung des „Sekretärs" der entsprechenden nigerianischen Landesregierung
Gleichzeitig mit der persönlichen Antragstellung z.B. bei der zuständigen nigerianischen Botschaft, muss auch eine Antragstellung online erfolgen. Dazu muss sich der Antragsteller auf der Webpage des nigerianischen Innenministeriums registrieren (https://ecitibiz.interior.gov.ng/account/Register/ ) und der Antrag samt Beilagen muss auf die Webpage hochgeladen werden.
Die Konsulargebühren betragen:
NGN 30.000,00 Antragsgebühr (zahlbar bei Antragstellung)
NGN 50.000,00 Genehmigungsgebühr (zahlbar bei Genehmigung) (ÖB 15.5.2019)
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (8.5.2020): Nigeria, Staatsbürgerschaft: Anfrage der MA 35 zu Entlassungsverfahren
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (7.8.2019): Nigeria, Ausscheiden aus dem nigerianischen Staatsverband
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (15.5.2019): STB; Prüfung Staatsbürgerschaft
USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 9.4.2020
Frauen
Letzte Änderung: 23.11.2020
Auch wenn die Verfassung Gleichberechtigung vorsieht (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 16.1.2020), kommt es zu beachtlicher ökonomischer Diskriminierung von Frauen (USDOS 11.3.2020). Frauen werden in der patriarchalen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias in vielen Rechts¬ und Lebensbereichen benachteiligt, v.a. dort, wo traditionelle Regeln gelten (AA 16.1.2020).
So sind Frauen in vielen Landesteilen aufgrund von Gewohnheitsrecht von der Erbfolge nach ihrem Ehemann ausgeschlossen (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Vor allem im Osten des Landes müssen sie entwürdigende und die persönliche Freiheit einschränkende Witwen-zeremonien über sich ergehen lassen. Z.B. werden sie gezwungen, sich den Kopf zu rasieren oder das Haus für einen bestimmten Zeitraum nicht zu verlassen oder sind rituellen Vergewaltigungen ausgesetzt. Darüber hinaus können Frauen im Norden zum Teil keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen (AA 16.1.2020). Die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Rechtssystem konnte allerdings reduziert werden (BS 2020; vgl. LHRL 9./10.2019).
Frauen ist es in Nigeria gesellschaftlich nicht zugedacht, Karriere zu machen. Männer gelten als Versorger der Familie (WRAPA 9./10.2019). Auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) spielen Frauen kaum eine Rolle. Jene mit Sekundär- und Tertiärbildung haben Zugang zu Ar-beitsplätzen in staatlichen und öffentlichen Institutionen. Immer mehr Frauen finden auch Arbeit im expandierenden Privatsektor (z.B. Banken, Versicherungen, Medien). Einige Frauen besetzen prominente Posten in Regierung und Justiz, z.B. eine Richterin beim Obersten Gerichtshof und die Finanzministerin (BS 2020).
Üblicherweise ist es für Frauen und alleinstehende Mütter möglich, Arbeit zu finden (WRAPA 9.10.2019; vgl. EMB A 9./10.2019; EMB B 9./10.2019). Die Art der Arbeit hängt von der Bildung ab (EMB A9./10.2019). Demgegenüber stehen eine hohe Arbeitslosigkeit und ein geringes Job-angebot (WRAPA 9./10.2019; vgl. EMB B 9./10.2019). Rechtlich ist keine Vorschrift vorhanden, die gleiche Bezahlung für Frauen und Männer für gleichwertige Tätigkeiten festschreibt. Es gibt auch kein Diskriminierungsverbot bei der Einstellung von Angestellten. Im formalen Sektor bleiben Frauen unterrepräsentiert, während sie in der informellen Wirtschaft eine bedeutende Rolle spielen (Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Märkte, Handel) (USDOS 11.3.2020).
Das Gesetz Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP) befasst sich mit sexueller, kör-perlicher, psychologischer und sozioökonomischer Gewalt sowie mit schädlichen traditionellen Praktiken. Laut dem VAPP stellen häusliche Gewalt, gewaltsames Hinauswerfen des Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung, erzwungene finanzielle Abhängigkeit, verletzende Witwenzeremonien, Genitalverstümmelung (FGM/C) usw. Straftatbestände dar. Opfer haben Anspruch auf umfassende medizinische, psychologische, soziale und rechtliche Unterstützung. Mit Stand September 2019 ist das Gesetz in neun Bundesstaaten ratifiziert worden. Es ist im Federal Capital Territory (FCT) und den Bundesstaaten Anambra, Benue, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, Kaduna und Oyo gültig, in anderen Bundesstaaten erst, sobald es dort verabschiedet wird (USDOS 11.3.2020). Bis dato [Stand: Oktober 2019] wurde noch kein Fall unter Anwendung des VAPP vor Gericht gebracht (WRAPA 9./10.2019).
Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird sozial akzeptiert, die Polizei schreitet oft nicht ein. In ländlichen Gebieten zögern Polizei und Gerichte, in Fällen aktiv zu werden, in welchen die Gewalt das traditionell akzeptierte Ausmaß des jeweiligen Gebietes nicht übersteigt. Ge-schlechtsspezifische Gewalt ist in Nigeria auf nationaler Ebene nicht unter Strafe gestellt. Einige Bundesstaaten, hauptsächlich im Süden gelegene, haben Gesetze, die geschlechtsspezifische Gewalt verbieten oder versuchen, bestimmte Rechte zu schützen. Für häusliche Gewalt sieht das VAPP eine Haftstrafe von maximal drei Jahren, eine Geldstrafe von höchstens 200.000 Naira oder eine Kombination von Haft- und Geldstrafe vor (USDOS 11.3.2020). Im Falle von häuslicher Gewalt kann sich das Opfer an die Polizei wenden, jedoch besteht das Risiko, dass die Betroffene wieder nach Hause geschickt wird (LHRL 9./10.2019; vgl. LNGO A 9./10.2019). Sollte eine Frau hingegen verletzt sein, würde der Ehemann inhaftiert werden (LHRL9./10.2019). Abuja verzeichnet die höchste Rate von häuslicher Gewalt, auch aus diesem Grund gibt es aber in Abuja viele von Frauen geführte Haushalte. Auch in anderen Städten wie Lagos oder Port Harcourt sind Frauen nun besser sensibilisiert und verlassen Beziehungen, in denen Missbrauch vorkommt. Sie können allerdings vermehrt Stalking, Gewalt oder gar Ermordung durch den Ex-Partner ausgesetzt sein. In ländlichen Gegenden ist die Sensibilisierung der Frauen weniger vorangeschritten und es ist für sie schwieriger, sich Gewalt in der Beziehung zu entziehen (WRAPA 9./10.2019).
Vergewaltigung steht unter Strafe. Gemäß dem VAPP beträgt das Strafmaß zwischen zwölf Jahren und lebenslänglicher Haft für Straftäter, die älter als 14 Jahre alt sind. Es sieht auch ein öffentliches Register von verurteilten Sexualstraftätern vor. Auf lokaler Ebene sorgen Schutzbeamte, die sich mit Gerichten koordinieren, dafür, dass die Opfer relevante Unterstützung bekommen. Das Gesetz enthält auch eine Bestimmung, welche Gerichte dazu ermächtigt, Vergewaltigungsopfern eine angemessene Entschädigung zuzusprechen. Da das VAPP bis dato aber nur in wenigen Bundesstaaten ratifiziert wurde, gelten in den meisten Vergewaltigungs-fällen bundesstaatliche strafrechtliche Regelungen. Vergewaltigungen bleiben weitverbreitet. Aus einer Studie geht hervor, dass eines von vier Mädchen und einer von zehn Buben vor dem 18. Geburtstag sexueller Gewalt ausgesetzt war (USDOS 11.3.2020).
Das Bundesgesetz kriminalisiert seit 2015 weibliche Genitalverstümmlung (FGM/C) auf nationaler Ebene (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; GIZ 9.2020b), dieses Gesetz ist aber bisher nur in einzelnen Bundesstaaten umgesetzt worden (AA 16.1.2020), nach anderen Angaben gilt es bis dato nur im FCT. 13 andere Bundesstaaten haben ähnliche Gesetze verabschiedet (US-DOS 11.3.2020; vgl. EASO 11.2018b). Die Regierung unternahm im Jahr 2019 keine Anstrengungen, FGM/C zu unterbinden (USDOS 11.3.2020). Andererseits wird mit unterschiedlichen Aufklärungskampagnen [Anm.: seitens NGOs] versucht, einen Bewusstseinswandel einzuleiten. Bei der Verbreitung gibt es erhebliche regionale Unterschiede. In einigen - meist ländlichen - Regionen im Südwesten und in der Region Süd-Süd ist die Praxis weit verbreitet, im Norden eher weniger (AA 16.1.2020). Die Verbreitung von FGM ist jedenfalls zurückgegangen (NHRC 9./10.2019; vgl. LHRL 9./10.2019; WRAPA 9./10.2019). Während im Jahr 2013 der Anteil beschnittener Mädchen und Frauen noch bei 24,8 Prozent lag, waren es 2017 nur noch 18,4 Prozent (EASO 11.2018b).
Für Opfer von FGM/C bzw. für Frauen und Mädchen, die von FGM/C bedroht sind, gibt es Schutz und/oder Unterstützung durch staatliche Stellen und NGOs, wie wohl davon auszugehen ist, dass es schwierig ist, außerhalb des FCT staatlichen Schutz zu erhalten. Die Verfassung und Gesetze sehen interne Bewegungsfreiheit für alle vor, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Die Bewegungsfreiheit der Frauen und Kindern aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt (UKHO 8.2019). Je gebildeter die Eltern, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie ihre Kinder beschneiden lassen. Wenn der Vater die Mutter bei ihrer Weigerung, das gemeinsame Kind beschneiden zu lassen, unterstützt, dann können die Eltern dies auch verhindern. Allerdings gab es v.a. in der Vergangenheit Einzelfälle, wo Großeltern ein Kind beschneiden ließen (NHRC 9./10.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2 025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_2019) ,_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 18.5.2020
• EASO - European Asylum Support Office (11.2018b): Country of Origin Information Report - Nigeria - Targeting of individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001375/2018_EAS O_COI_Nigeria_TargetingIndividuals.pdf , Zugriff 11.4.2019, S129ff
• EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf , Zugriff 20.4.2020
• EMB A - westliche Botschaft A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• EMB B - westliche Botschaft B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria - Ge-sellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 2.10.2020
• Iroko - Assoziazione onlus (21.3.2018): Oba of Benin (Edo State) revokes curses on victims of trafficking, http://www.associazioneiroko.org/slide-en/oba-of-benin-edo-state-re vokes-curses-on-victims-of-trafficking/ , Zugriff 20.4.2020
• LHRL - Lokaler Menschenrechtsanwalt (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• LNGO A- Repräsentantin der lokalen NGO A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• NHRC - National Human Rights Commission (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ec oi.net/en/file/local/2021612/NIGR_ÖB_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
• UKHO - United Kingdom Home Office (8.2019): Country Information and Guidance Nigeria: Nigeria:Female Genital Mutilation (FGM), https://assets.publishing.service.gov.uk/gover nment/uploads/system/uploads/attachment_data/file/825243/Nigeria_-_FGM_-_CPIN_- _v2.0__August_2019_.pdf , Zugriff 21.4.2020
• USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practi ces 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 20.4.2020
• Vanguard (10.3.2019): Our gods will destroy you; Oba of Benin curse human traffickers, https://www.vanguardngr.com/2018/03/gods-will-destroy-oba-benin-curse-human-traffick ers/ , Zugriff 20.4.2020
• WRAPA-AnisaAri, Snr. Program Coordinator; Umma Rimi, Programme Officer, NGO Wo- men’s Rights Advancement and Protection Alternative (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
(Alleinstehende) Frauen: interne Relokation, Rückkehr, Menschenhandel
Letzte Änderung: 15.06.2020
Gemäß zweier Quellen müssen Frauen, um einen Mietvertrag abzuschließen, einen männlichen Bürgen beibringen (WRAPA 9/10.2019; vgl. LNGO A 9/10.2019). Dies kann ein Freund, ein Kollege, oder ein Verwandter sein (WRAPA 9/10.2019). Gemäß einer anderen Quelle ist es für Frauen in Abuja kein Problem, alleine zu leben oder zu arbeiten (LNGO B 9/10.2019). Auch andere Quellen bestätigen, dass es für alleinstehende Frauen möglich ist, alleine zu leben und eine Wohnung zu mieten (EMB D 9./10.2019; vgl. EMB B 9/10.2019). Die Situation für alleinstehende Frauen ist allerdings schwierig. Sozialer Druck in Hinblick auf ein traditionelles
Rollenbild besteht (WRAPA 9./10.2019). Üblicherweise ist es für Frauen und alleinstehende Mütter möglich, Arbeit zu finden (WRAPA 9.10.2019; vgl. EMB A9./10.2019; EMB B 9./10.2019). Die Art der Arbeit hängt von der Bildung ab (EMB A 9./10.2019). Demgegenüber stehen eine hohe Arbeitslosigkeit und ein geringes Jobangebot (WRAPA 9.10.2019; vgl. EMB B).
Nigeria verfügt über eine Anzahl staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen, insbesondere die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP), die sich um die Re-habilitierung und psychologische Betreuung rückgeführter Frauen annehmen und in jeder der sechs geopolitischen Zonen Regionalbüros unterhalten. NAPTIP kann als durchaus effektive nigerianische Institution angesehen werden und kooperiert mit mehreren EU-Staaten bei der Reintegration (ÖB 10.2019). Die Agentur ist außerdem für die Bekämpfung des Menschen-schmuggels zuständig, hat seit ihrer Gründung 2003 bis Ende 2018 die Verurteilung von 388 Schleppern erreicht sowie bis Ende 2018 13.533 Opfern von Menschenhandel geholfen (AA 16.1.2020). NAPTIP ist eine zentrale Anlaufstelle für Rückkehrerinnen und bietet unter anderem um 2.000 US-Dollar mehrmonatige Rehabilitierung (psychologische Betreuung) und Berufstraining für ehemalige Zwangsprostituierte an (ÖB 10.2019). Es gibt außerdem einige NGOs, die für zurückkehrende Frauen Unterstützung anbieten (EMB D 9./10.2019). Generell gibt es neben NAPTIP noch andere NGOs, welche über Frauenhäuser verfügen. Meist liegt der Fokus aber auf Menschenhandel (NHRC 9./10.2019). NAPTIP verfügt in Nigeria über mehrere Shelter, ver-mittelt Frauen aber auch an andere Organisationen - etwa MeCAHT oder WOTCLEF - weiter (NAPTIP 9./10.2019).
Vom Office of the Special Adviser to the President on Relations with Civil Society erhielt die österreichische Botschaft eine Liste mit 203 auf Seriosität/Bonität geprüften NGOs, die sich um Rehabilitierung, Fortbildung und medizinische Betreuung/Versorgung sämtlicher Bevölkerungsgruppen des Staates bemühen. Darin werden regionale bzw. das ganze Staatsgebiet umfassende Organisationen aufgelistet, die sich um Witwen, Vollwaisen, minderjährige Mütter, alleinstehende Frauen, Albinos, HIV-Positive, Ex-Häftlinge, Häftlinge, Prostituierte, Alphabetisierung, FGM oder Opfer häuslicher Gewalt bemühen. Diese Organisationen betreiben Wohn- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen, Waisen sowie körperlich und geistig Behinderte. Zusätzlich unterstützen Gattinnen der Gouverneure eigene „pet projects". Die bekannteste Vertreterin ist Dr. Amina Titi Atiku Abubakar, Gründerin und Vorsitzende der NGO WOTCLEF, die es bis zur Akkreditierung durch die UN gebracht hat und zahlreiche Projekte im Frauenbereich unterstützt (ÖB 10.2019).
Im traditionell konservativen Norden, aber auch in anderen Landesteilen, sind alleinstehende Frauen oft erheblichem Druck der Familie ausgesetzt und können diesem häufig nur durch Umzug in eine Stadt entgehen, in der weder Familienangehörige noch Freunde der Familie leben. Im liberaleren Südwesten des Landes - und dort vor allem in den Städten - werden alleinstehende oder allein lebende Frauen eher akzeptiert (AA 16.1.2020). Die Verfassung und
Gesetze sehen interne Bewegungsfreiheit für alle vor, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Die Bewegungsfreiheit der Frauen und Kindern aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt (UKHO 8.2019). Auch im Allgemeinen dürfte der Wechsel des Wohnortes für alleinstehende Frauen ohne Zugang zu einem unterstützenden Netzwerk schwieriger sein (UKHO 3.2019).
Eine Auswahl spezifischer Hilfsorganisationen für Frauen:
African Women Empowerment Guild (AWEG): 29, Airport Road, Benin City, Edo State Tel.: 08023514832, 08023060147, Email: info@awegng.org (AWEG o.d.a). Die AWEG ist eine ausschließlich weibliche, nicht profitorientierte NGO. Zielgruppe sind Frauen und Jugendliche. Spezielle Programme zielen darauf ab, Frauen beim Erwerb von Fähigkeiten im Bildungsbereich sowie im sozialen, ökonomischen und politischen Bereich zu unterstützen. AWEG führt Studien zu geschlechtsspezifischer Gewalt durch (AWEG o.D.b).
Women Aid Collective (WACOL), No 9 Matthias Ilo Avenue, New Haven Extension byAkanu Ibia Airport Flyover, Enugu State. Tel: +234-8095757590, +234-9091333000, Email: wacoln ig@gmail.com , wacolnig@yahoo.com , wacolenugu@wacolnigeria.org . WACOL ist eine Wohltätigkeitsorganisation und bietet verschiedene Unterstützung an: Schulungen, Forschung, Rechtsberatung, Unterkunft, kostenloser Rechts- und Finanzbeistand, Lösung familieninterner Konfliktsituationen, Informationen und Bücherdienste (WACOL o.D.).
Women Advocates Research and Documentation Center (WARDC), 9b james Oluleye Crescent (Harmony Enclave), offAdeniyi Jones by Koko bus stop, Ikeja, Lagos State, (+234) 818 005 6401, Email: womenadvocate@yahoo.com (WARDC o.d.a). WARDC ist eine Frauenrechts-NGO für weibliche Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt und anderer Menschenrechtsverletzungen. Ca. sechs Frauen pro Woche werden diesbezüglich in rechtlicher und sozialer Hinsicht beraten (WARDC o.d.b.).
Womens Health and Equal Rights Initiative (WHER), Adresse nicht online verfügbar, +234 818 645 7675, Email: wher@whernigeria.org (WHER o.d.a): WHER ist eine NGO zur Unterstützung von Frauen, die Angehörige einer sexuellen Minderheit sind (WHER o.d.b).
The Women’s Consortium of Nigeria (WOCON): 13 Okesuna Street, Off Igbosere Road, Lagos, Nigeria, Tel: +234 8033188767, +234 8037190133, +234 8033347896, Email: wocon95@yahoo .com , info@womenconsortiumofnigeria.org (WOCON o.D.a). WOCON ist eine gemeinnützige NGO, die sich der Durchsetzung der Frauenrechte und der Erzielung von Gleichheit, persönli-cher Entwicklung und Frieden widmet. Ziel ist die Aufklärung bezüglich Menschenhandel und der Kampf gegen den Menschenhandel (WOCON o.D.b).
Women’s Rights Advancement and Protection Alternative (WRAPA): 19, Monrovia Street, Off Aminu Kano Way, Wuse II Abuja, Tel.: 08188699961, 08172125692, 07063807887, Email:
Wrapa399@gmail.com , wrapa399@yahoo.com . WRAPA ist eine Organisation, die bundesweit für Frauenrechte eintritt. Aktivitäten umfassen kostenfreie Rechtsberatung, Ausbildung, Mobilisation, Sensibilisierung und Meinungsbildung bezüglich rechtlicher Reformen. Jede Frau, die in irgendeiner Form einen Eingriff in ihre Rechte bzw. eine Diskriminierung erlitten hat, kann in den Genuss der Unterstützung von WRAPA kommen (WRAPA, o.D.).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
• AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.a): AWEG - Contact Information, http: //www.awegng.org/contactus.htm , Zugriff 21.4.2020
• AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.b): AWEG - About Us, http://www.aw egng.org/aboutus.htm , Zugriff 21.4.2020
• EMB A - westliche Botschaft A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• EMB B - westliche Botschaft B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• EMB D - westliche Botschaft D (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• LNGO A- Repräsentantin der lokalen NGO A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• LNGO B - Repräsentantinnen der lokalen NGO B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• NAPTIP - National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (9/10.2019): Inter-view im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• NHRC - National Human Rights Commission (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
• UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/ system/uploads/attachment_data/file/794323/CPIN_-_Nigeria_-_Internal_relocation.PDF , Zugriff 21.4.2020
• UKHO - United Kingdom Home Office (8.2019): Country Information and Guidance Nigeria:
Nigeria:Female Genital Mutilation (FGM), https://assets.publishing.service.gov.uk/gover nment/uploads/system/uploads/attachment_data/file/825243/Nigeria_-_FGM_-_CPIN_- _v2.0 August_2019_.pdf , Zugriff 21.4.2020
• WACOL - Women Aid Collective (o.D.): Homepage, https://wacolnigeria.org/ , Zugriff 21.4.2020
• WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.a): WARDC - Contact us, http://wardcnigeria.org/contact-us/ , Zugriff 27.4.2020
• WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.b): WARDC - About us, http://wardcnigeria.org/what-we-do/ , Zugriff 27.4.2020
• WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.a): WHER - Contact, https: //whernigeria.org/contact/, Zugriff 21.4.2020
• WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.b): WHER - About us, https: //whernigeria.org/about/, Zugriff 21.4.20120
• WOCON - Women’s Consortium of Nigeria (o.D.a): WOCON - Contact, http://womencon sortiumofnigeria.org/?q=content/contact , Zugriff 21.4.2020
• WOCON - Women’s Consortium of Nigeria (o.D.b): WOCON - About us, http://womenc onsortiumofnigeria.org/?q=about-us , Zugriff 21.4.2020
• WRAPA - Women’s Rights Advancement and Protection Alternative (o.D.): FAQ, https: //wrapanigeria.org/faq/, Zugriff 21.4.2020
Kinder
Letzte Änderung: 15.06.2020
Die Rechte des Kindes werden in Nigeria nur unzureichend gewährleistet. Der Child Rights Act, mit dem die UN-Kinderrechtskonvention in nationales Recht umgesetzt werden soll, wurde bislang lediglich von 24 (AA 16.1.2020), nach anderen Angaben von 25 der 36 Bundesstaaten ratifiziert (USDOS 11.3.2020). Insbesondere die nördlichen Bundesstaaten sehen in einigen Bestimmungen (Rechte des Kindes gegenüber den eigenen Eltern, Mindestalter für Eheschließungen) einen Verstoß gegen die Scharia (AA 16.1.2020).
Der Child Rights Act sieht bei einer Eheschließung ein Mindestalter von 18 Jahren vor. Vor allem die nördlichen Bundesstaaten halten sich nicht an das offizielle Mindestalter auf Bundesebene (USDOS 11.3.2020). Kinderehen, in denen Mädchen in jungen Jahren mit zumeist älteren Männern verheiratet werden, sind folglich vor allem im Norden des Landes verbreitet. Insgesamt heiraten schätzungsweise 43 Prozent der Mädchen unter 18 Jahren und 17 Prozent unter 15 Jahren (AA 16.1.2020). Im Fall einer Kinderehe ist kein staatlicher Schutz verfügbar, nicht einmal im Süden, wo die Fallzahlen niedriger sind (INGO 9./10.2019).
Mit traditionellen Glaubensvorstellungen verbundene Rituale und der in Bevölkerungsteilen verbreitete Glaube an Kinderhexen, führen zu teils schwersten Menschenrechtsverletzungen (Ausgrenzung, Aussetzung, Mord) an Kindern, insbesondere an Kindern mit Behinderungen (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Entsprechende Fälle werden überwiegend aus der südlichen Hälfte Nigerias berichtet, besonders gehäuft aus dem Südosten und den Bundesstaaten Akwa Ibom und Edo (AA 16.1.2020).
Gesetzlich sind die meisten Formen der Zwangsarbeit verboten, auch die von Kindern, und es sind ausreichend harte Strafen vorgesehen. Die Durchsetzung der Gesetze bleibt jedoch in weiten Teilen des Landes ineffektiv. Daher ist Zwangsarbeit - u.a. bei Kindern - weit verbreitet. Frauen und Mädchen müssen als Hausangestellte, Buben als Straßenverkäufer, Diener, Minenarbeiter, Steinbrecher, Bettler oder in der Landwirtschaft arbeiten (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
• INGO E - Repräsentantin der internationalen NGO E (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• UNICEF - United Nations International Children’s Emergency Fund (o.D.): The situation, https://www.unicef.org/nigeria/protection.html , Zugriff 21.4.2020
• USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practi- ces 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 20.4.2020“
1.4.2. Zur Situation von Witwen in Nigeria
Auf Basis der in der Stellungnahme vom 05.04.2018 vorgelegten Berichte
Witwenrituale unterscheiden sich in Nigeria von Ort zu Ort und zwischen den Ethnien und sind auch von Faktoren wie Alter, Einkommen und Bildung abhängig. So ergab eine Untersuchung bei den Yoruba im Südwesten des Landes, dass die Rituale, denen eine Witwe unterworfen wird, weniger intensiv sind, wenn ihr sozialer Status höher ist.
In den folgenden Gebieten Nigerias wird, so Quellen aus 2010/2012, das Ritual, das eine Witwe das Wasser trinkt, mit dem der Leichnam ihres Mannes gewaschen wurde, noch praktiziert: Edo State, Delta State, einige östliche Staaten, im Südwesten des Landes; bei den Igbo und Yoruba. Allerdings gibt es auch Berichte darüber, dass diese Rituale nicht mehr so verbreitet sind wie in der Vergangenheit.
Mit diesem Ritual soll die Witwe beweisen, dass sie nicht für den Tod des Ehemannes verantwortlich ist. Wenn die Familie des Verstorbenen die Witwe verdächtigt, kontaktiert sie den Priester oder Ortsvorsteher und informiert über den Verdacht. Eine Weigerung, das Wasser zu trinken, würde als Geständnis der Witwe gewertet. Die Konsequenzen eines solchen Verhaltens hängen davon ab, ob die Witwe über männliche Verwandte verfügt, die sie schützen können. Hat sie solche nicht, ist ihr Leben in Gefahr und müsste sie den Ort verlassen, um ihr Leben und das ihrer Kinder zu retten.
Christliche Kirchen können Witwen teilweise vor diesen Ritualen unterstützen und schützen.
Quelle:
Immigration and Refugee Board of Canada: Nigeria: Ritual whereby a widow drinks the water used to clean her husband's corpse; consequences for a widow's refusal to drink the water; whether a widow's refusal is interpreted by others as responsibility for her husband's death [NGA104217.E], 6. November 2012
https://www.ecoi.net/de/dokument/1332697.html (Zugriff am 27. Jänner 2021)
In einem weiteren Bericht des Immigration and Refugee Board of Canada wird zwar bestätigt, dass Frauen nach dem Tod ihres Mannes Ritualen unterworfen werden können, wie etwa einer rasur ihrer Haare oder dem Trinken der „Körperflüssigkeit“ des Leichnams ihres toten Mannes, um ihre Unschuld zu beweisen, doch wird dies der Volksgruppe der Ibo in Anambra State zugeordnet.
Quelle:
Immigration and Refugee Board of Canada: Nigeria: Whether Yoruba and Ibo cleansing rituals for women in their thirties include circumcision in the states of Ogun, Niger, Anambra, and Adamawa; whether women who have been accused of killing a family member through witchcraft would be circumcised during a cleansing ritual (2012-April 2013) [NGA104392.E], 29 April 2013
https://www.ecoi.net/en/document/1109519.html (accessed on 27 January 2021)
Die Möglichkeiten für Witwen in Abuja eine Unterkunft und Beschäftigung zu finden, hängt vom ethnischen Hintergrund, der sozialen Schicht, dem Bildungshintergrund und davon ab, ob die Frau aus einem städtischen oder ländlichen Umfeld kommt. Einige Witwen könnten sehr vulnerabel sein und verletzenden traditionellen Praktiken unterworfen werden, wie etwa Zwangsheirat, Verlust des ihr zustehenden Erbes, etc.
Quelle:
Immigration and Refugee Board of Canada: Nigeria: Situation of single women living alone in Abuja, including ability to access employment and housing; threat of violence; support services available to them (2015 - June 2016), 30. Juni 2016, Responses to Information Requests - Immigration and Refugee Board of Canada (irb-cisr.gc.ca) (Zugriff am 27. Jänner 2021)
Aktuelle und ergänzende Berichte
In einigen traditionellen südlichen Gemeinden stehen Witwen in Verdacht ihre Ehemänner getötet zu haben. Um ihre Unschuld zu beweisen, werden sie gezwungen, das Wasser zu trinken, mit dem der Leichnam ihres Mannes gereinigt wurde.
Quelle:
US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, 11. März 2020https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html (Zugriff am 23. November 2020)
Auch ein 2015 veröffentlichter Bericht eines nigerianischen Geschichteprofessors bestätigt, dass bei den Yoruba Witwenrituale eine lange Tradition hätten. Von einer Witwe würde erwartet, dass sie schwarze Kleidung trägt und weint und sich für sieben Tage zurückzieht und in dieser Zeit kein Bad nimmt und ihre Kleider nicht wechselt. Nach 40 Tagen, 3 Monaten oder 4 Monaten würden die finalen Riten an der Witwe vollzogen, etwa eine Waschung. Bei den Yorubas komme es auch vor, dass eine Witwe beschuldigt wird, für den Tod des Mannes verantwortlich zu sein; es könne dann von ihr verlangt werden auf die Bibel zu schwören oder das Wasser, mit dem der Leichnam gewaschen wurde, zu trinken, um ihre Unschuld zu beweisen.
Inwieweit diese Rituale noch praktiziert würden, hänge aber auch vom Bildungsniveau der Frau und ihrer Einbindung in eine moderne Arbeitswelt ab.
Quelle:
Dr. Joseph Olukayode Akinbi, Widowhood Practices in Some Nigerian Societies: A Retrospective Examination
in: International Journal of Humanities and Social Science Vol. 5, No. 4; April 2015, abrufbar unter: http://www.ijhssnet.com/journals/Vol_5_No_4_April_2015/7.pdf (Zugriff am 27.01.2021)
In einem Artikel von CNN von März 2020 wird berichtet, dass eine Frau nach dem Begräbnis ihres Mannes im Süden Nigerias von dessen Verwandten gezwungen wurde, sich verschiedenen Ritualen zu unterziehen, wie etwa sich den Kopf und das Schamhaar zu rasieren und sich in der Nähe des Grabes zu entkleiden. Als sie sich anfänglich weigerte, wurde ihr gesagt, dass sie dann die Ortschaft in Delta State gemeinsam mit ihren Kindern verlassen müsse.
Der 2015 verabschiedete Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP), welcher eine Strafe von maximal zwei Jahren oder 500.000 Naira für "Harmful Widowhood Practices" vorsieht, ist noch nicht in allen Bundesstaaten umgesetzt.
Quelle:
Bukola Adebayo, CNN, Her husband died. Then his family shaved her head and made her strip beside his grave, https://edition.cnn.com/2020/03/27/africa/as-equals-nigeria-widow-rites-intl/index.html (Zugriff 27.01.2021)
1.4.3. Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses ).
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei etwa 80% der Betroffenen leicht bzw. symptomlos und bei ca. 20% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Sehr schwere oder tödliche Krankheitsverläufe treten am häufigsten bei Risikogruppen auf, zum Beispiel bei älteren Personen und Personen mit medizinischen Problemen oder Vorerkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses ).
Die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung listet die medizinischen Gründe (Indikationen) für die Zugehörigkeit einer Person zur COVID-19-Risikogruppe. Auf Grundlage dieser Indikationen darf eine Ärztin/ein Arzt ein COVID-19-Risiko-Attest ausstellen. Diese medizinischen Hauptindikationen werden in der Verordnung weiter unterteilt und genau beschrieben (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen/FAQ--Risikogruppen.html ).
In Österreich gibt es mit Stand 01.02.2021 insgesamt 410.985 positiv getestete Fälle, aktuell 21.513 aktive Fälle und 7.653 gemeldete Todesfälle (https://info.gesundheitsministerium.at/dashboard_Epidem.html?l=de ).
Nigeria hat mit Stand 01.02.2021 aktuell insgesamt 130.557 bestätigte Fälle, 1.883 aktive Fälle und 1.578 Tote zu verzeichnen (https://covid19.who.int/region/afro/country/ng ).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Erstbeschwerdeführerin vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria mit Stand 23.11.2020. Zudem wurde eine mündliche Verhandlung abgehalten.
Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt.
2.2. Zu den Beschwerdeführerinnen:
Die Feststellungen zu ihren Lebensumständen, ihrer Herkunft, ihrer Glaubenszugehörigkeit, ihrer Schulbildung sowie ihrer Staatsangehörigkeit gründen sich auf die Angaben der Erstbeschwerdeführerin vor der belangten Behörde und im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 25.01.2021.
Die Identität der Erstbeschwerdeführerin steht aufgrund der von der Österreichischen Botschaft Abuja übermittelten Unterlagen, konkret der darin enthaltenen Reisepasskopie, fest.
Die Feststellungen zur Person der Zweitbeschwerdeführerin basieren auf der vorgelegten Geburtsurkunde. Die Feststellungen zum Vater der Zweitbeschwerdeführerin ergeben sich aus den Aussagen der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung. In Bezug auf ihre in Nigeria lebenden Töchter nannte die Erstbeschwerdeführerin hinsichtlich der älteren Tochter unterschiedliche Geburtsjahre (gegenüber dem BFA 2011, in der Verhandlung dagegen 2012). Während sie in der Verhandlung den Kontakt zu ihnen eher eingeschränkt darstellte (sie sei mit der Tante manchmal über Whatsapp in Kontakt), gab sie gegenüber dem BFA am 22.03.2018 noch an, dass sie mehrmals in der Woche mit ihnen telefoniere. Dass der Kontakt besteht, wurde aber nie bestritten.
Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerinnen gesund sind, gründet sich auf den persönlich gewonnenen Eindruck der erkennenden Richterin und auf die Aussage der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung, wonach sie und ihre Tochter gesund seien. In Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin wurden im Vorverfahren (W165 2146655-1) fachärztliche Stellungnahmen vom 15.02.2017, 07.03.2017, 07.08.2017 und vom 21.03.2018 vorgelegt, wonach sie zu diesem Zeitpunkt an einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Einer psychotherapeutischen Bestätigung des Vereins XXXX vom 19.10.2020 ist zu entnehmen, dass die Erstbeschwerdeführerin von September 2017 bis Anfang 2020 in psychotherapeutischer Behandlung gewesen sei, dass diese aber beendet werden habe können, weil sie gute Copingstrategien entwickelt habe und in ihrer Familie gut sozial eingebettet sei. Die Erstbeschwerdeführerin bestätigte in der Verhandlung, dass sie ihre Psychotherapie vor etwa einem Jahr beendet habe, um sich auf die geplante (aber aufgrund von Covid-19 nicht begonnene) Ausbildung zur Krankenschwester konzentrieren zu können. Sie gab zudem an, Schlafmittel zu nehmen. Aus diesen Angaben und dem Umstand, dass keine aktuellen Befunde vorgelegt wurden, schließt das Bundesverwaltungsgericht, dass beide Beschwerdeführerinnen gesund sind bzw. jedenfalls an keinen schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden. Eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit der Erstbeschwerdeführerin ist nicht erkennbar.
Die Feststellungen zu ihrer Familie ergeben sich aus ihren Aussagen in der mündlichen Verhandlung und den Erkenntnissen bzw. Bescheiden zu den Asylverfahren ihrer Verwandten.
Dass ihr Stiefbruder XXXX nach Italien überstellt wurde, ergibt sich aus einem Auszug des Informationsverbundes Zentrales Fremdenregister (IZR). Dass die Beschwerdeführerinnen gemeinsam mit ihrer Stiefmutter, dem Vater der Erstbeschwerdeführerin und ihrer jüngeren Stiefschwester sowie den Kindern ihrer Stiefmutter zusammenwohnen, ergibt sich aus dem Zentralen Melderegister und den Aussagen der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung. Dass ihr Stiefbruder XXXX geheiratet hat und ein Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels läuft, ergibt sich ebenso wie die rechtskräftige Abweisung seines Asylantrages aus dem IZR. Dass die Stiefmutter der Erstbeschwerdeführerin seit 2014 keiner Arbeit mehr nachgeht und österreichische Staatsbürgerin ist, ergibt sich aus dem Auszug der Sozialversicherungsdatenbank. Die Eheschließung zwischen dem Vater der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Stiefmutter ergibt sich aus einer im Akt einliegenden nigerianischen Heiratsurkunde. Dass die beiden älteren Töchter der Erstbeschwerdeführerin bei deren Tante (der Schwester ihres Vaters) in Nigeria leben, ergibt sich aus ihrer Aussage in der mündlichen Verhandlung. Die Erstbeschwerdeführerin gab zudem an, dass es eine Zeit gegeben habe, als diese Tante nach Ghana übersiedeln wollte; ihr Vater sprach in der Verhandlung dagegen davon, dass dies bereits erfolgt sei. Es wäre aber davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin davon informiert werden würde, wenn ihre Kinder ihr Heimatland verlassen, zumal sie mit dieser Tante per WhatsApp in Kontakt steht und angibt, ein gutes Verhältnis mit ihr zu haben. Das Gericht geht daher davon aus, dass sich diese Tante noch in Lagos befindet.
Soweit die Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung angab, abgesehen von ihrer Tante zu niemandem in Nigeria in Kontakt zu stehen, ist dies nicht glaubhaft. Zunächst war es ihr nicht möglich, dies glaubhaft zu begründen, wollte sie dies doch damit erklären, dass sie ihren Aufenthaltsort niemanden verraten wollte, weil sie niemandem vertraue. Nachdem, wie unter Punkt 2.4. gezeigt wird, nicht glaubhaft ist, dass sie in Nigeria verfolgt wird, ist es auch nicht plausibel, dass sie jeglichen Kontakt zu Freunden abgebrochen hat, weil sie ihren Aufenthaltsort geheimhalten will. Tatsächlich findet sich auf „Facebook“ ein Konto einer Frau mit den beiden Vornamen und dem Nachnamen der Erstbeschwerdeführerin, demselben Geburtsort (Benin City) und demselben Aufenthaltsort (Wien). Das Gericht geht davon aus, dass es sich um das Konto der Erstbeschwerdeführerin handelt; diese hat 31 „Freunde“, wobei ein großer Teil in Nigeria lebt. Das Gericht geht daher davon aus, dass die Erstbeschwerdeführerin in Nigeria Freunde und Bekannte hat.
Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Erstbeschwerdeführerin ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich. Die Feststellungen zu ihrem Bezug der Grundversorgung ergeben sich aus einem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.
Dass nicht festgestellt werden kann, ob der Vater der Zweitbeschwerdeführerin am Leben ist bzw. wo er sich aufhält, ergibt sich daraus, dass, wie unter Punkt 2.4. gezeigt wird, die von der Erstbeschwerdeführerin rund um den Tod ihres Lebensgefährten – des Vaters der Zweitbeschwerdeführerin – getätigten Aussagen nicht glaubhaft sind.
Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen der Erstbeschwerdeführerin ergeben sich aus dem B1-Integrationszeugnis und dem in der Verhandlung gewonnenen Eindruck. Dass die Erstbeschwerdeführerin eine enge Beziehung zu ihrem Vater und ihrer Stiefmutter hat, ergibt sich aus ihren Aussagen in der mündlichen Verhandlung und einer Stellungnahme vom 21.10.2020. Dass sie Freunde und Bekannte in Österreich gewonnen hat, ergibt sich durch vorgelegte Empfehlungsschreiben. Der Kindergartenbesuch der Zweitbeschwerdeführerin ergibt sich aus einer Bestätigung vom 19.05.2020.
2.3. Zur Rückkehrsituation der Beschwerdeführerinnen:
Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine alleinerziehende Mutter mit einer vier Jahre alten Tochter. Zwei weitere Töchter leben in Lagos bei einer Verwandten. Ob die Erstbeschwerdeführerin Unterstützung vom Vater ihrer Kinder zu erwarten hat bzw. ob dieser noch lebt, kann nicht festgestellt werden. Generell ist die Situation für eine alleinstehende Frau mit drei Kindern in Nigeria schwierig. Im konkreten Fall ist die Erstbeschwerdeführerin aber in einen engen Familienverbund integriert. Ihr Vater kümmert sich seit Jahren finanziell und emotional um sie. Auch aus dem in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck wurde deutlich, dass eine sehr enge Beziehung zwischen der Erstbeschwerdeführerin, ihrem Vater und dessen Familie besteht. Gegen den Vater und ihre Stiefschwester wird zeitgleich eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Abschiebung nach Nigeria für zulässig erklärt. Die Beschwerdeführerinnen werden daher nicht alleine nach Nigeria zurückkehren, sondern in einem starken familiären Verbund, der sich zunächst auch bei der Tante in Lagos niederlassen kann.
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin über soziale Medien (entgegen ihren Angaben) noch Kontakt nach Nigeria aufrechterhält. Diese Kontakte würden aber nicht ausreichen, um ihr und ihrer Tochter die notwendige Unterstützung zu sichern. Mit der Hilfe ihres Vaters und dem dahinterstehenden familiären Netzwerk geht das Gericht aber davon aus, dass die Beschwerdeführerinnen nicht auf sich alleine gestellt sein werden und auch in keine Notlage geraten werden.
Das Gericht verkennt auch nicht, dass Frauen, die alleine und ohne Vermögen nach Nigeria zurückkommen, stigmatisiert und diskriminiert werden, da ihnen eine Tätigkeit in der Prostitution unterstellt wird. Auch diese Situation ist bei der Erstbeschwerdeführerin, die gemeinsam mit Vater und Stiefschwester in ihr Heimatland zurückkommen wird, nicht gegeben.
Soweit in einer Stellungnahme vom 05.04.2018 erklärt wird, dass minderjährige Mädchen ohne schützendes soziales und/oder familiäres Netz zu den vulnerabelsten Personengruppen in Nigeria zählen, wird diese Sicht geteilt, doch ist dies bei der Zweitbeschwerdeführerin, die mit ihrer Mutter, aber auch mit ihrem Großvater und ihrer Tante nach Nigeria zurückkehren wird, nicht der Fall.
Aufgrund der genannten Faktoren liegen insgesamt keine derart exzeptionellen Umstände vor, welche die reale Gefahr nahelegen würden, dass die Beschwerdeführerinnen in eine existentielle Notlage geraten würden.
2.4. Zur Frage, ob die Beschwerdeführerinnen in Nigeria verfolgt werden:
Die Erstbeschwerdeführerin hatte – auf das Wesentliche zusammengefasst – behauptet, dass ihr Lebensgefährte Ende April 2016 bei einem Autounfall verstarb. Daraufhin habe die Familie ihres Lebensgefährten sie beschuldigt, an dessen Tod schuld zu sein; man habe sie zwingen wollen, ein „Witwenritual“ zu durchlaufen, bei dem sie unter anderem Wasser trinken müsste, mit dem der Leichnam des Lebensgefährten gewaschen wurde. Sie habe dies als Tochter eines christlichen Pastors abgelehnt, woraufhin die Familie begonnen habe, sie zu bedrohen.
Dieses ganze Vorbringen ist nicht glaubhaft, wie im Folgenden gezeigt wird:
Zunächst hatte die Erstbeschwerdeführerin ihre Furcht vor Verfolgung in der Erstbefragung noch damit begründet, dass es für ihren Vater ein Problem gewesen sei, dass sie ein uneheliches Kind erwarte und dass sie Angst vor Boko Haram habe. Das Gericht verkennt nicht, dass die Erstbefragung nicht der näheren Erörterung der Fluchtgründe dient – der Umstand, dass das spätere Vorbringen hier aber keinerlei Niederschlag fand, ist sehr wohl als Indiz gegen die Glaubwürdigkeit des Vorbringens zu werten. Im Übrigen hatte die Erstbeschwerdeführerin auch sonst falsche Angaben gemacht, hatte sie bei der Erstbefragung doch behauptet, dass sich ihr Vater in Nigeria befinden würde, obwohl sie das Land doch mit ihm gemeinsam verlassen hatte.
Die belangte Behörde hatte im angefochtenen Bescheid behauptet, dass die Änderung des Vorbringens erfolgt sei, nachdem ihr Vater ebenfalls in Österreich angekommen war. Dem wurde in der Beschwerde entgegengetreten und darauf verwiesen, dass dies aktenwidrig sei, weil bereits in einer Stellungnahme vom 17.02.2017 die wahren Fluchtgründe offengelegt worden seien. Eine Stellungnahme mit diesem Datum findet sich im Akt aber nicht. Der Eindruck, dass das Fluchtvorbringen zwischen den Familienmitgliedern abgesprochen wurde, liegt daher sehr wohl nahe.
Darüber hinaus konnte die Erstbeschwerdeführerin keine Angaben zu dem Unfall machen; so konnte sie etwa weder Ort des Autounfalls noch die von ihrem Lebensgefährten erlittenen Verletzungen nennen. Auch wenn sie keine Augenzeugin des Unfalls war und nur durch einen Telefonanruf darüber informiert wurde, wäre davon auszugehen, dass sie in den folgenden Tagen und Wochen versuchen würde, Näheres über den Unfallhergang und die von ihrem Lebensgefährten erlittenen Verletzungen zu erfahren. Sie wusste etwa auch nicht, in welches Krankenhaus der Leichnam gebracht wurde oder ob er inzwischen begraben wurde oder nicht.
Die Erstbeschwerdeführerin will unmittelbar nach dem Anruf zum Haus ihres Vaters gefahren sein; nachdem sie dort gebetet hätten, sei sie wieder zurück zu ihrem Haus, in dem sie bereits von der Familie ihres Lebensgefährten erwartet wurde. Auch dieser Teil des Geschehens ist wenig plausibel: Kurz vorher hatte die Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung noch behauptet, dass sie nicht fix bei ihrem Lebensgefährten gewohnt, sondern sich, wenn dieser arbeitsbedingt unterwegs gewesen sei, bei ihrem Vater aufgehalten habe. In der Einvernahme durch die belangte Behörde am 22.03.2018 hatte sie überhaupt behauptet, dass sie gemeinsam mit ihrem Vater und ihren Geschwistern im Haus der Familie gelebt habe. Dadurch wird es wenig plausibel, dass sie dann in der Verhandlung meinte, sie habe sich im Haus des Lebensgefährten aufgehalten und dort den Anruf entgegengenommen, obwohl der Lebensgefährte an diesem Tag ja offensichtlich nicht zuhause war. Insbesondere erscheint es aber wenig plausibel, dass sie, obwohl es gar nicht ihr fester Wohnsitz war, vom Haus ihrer Familie nach dieser Todesnachricht alleine in das leerstehende Haus ihres Lebensgefährten zurückgekehrt sein will. Bei der Schilderung dieses Tages fällt im Übrigen auch auf, dass die Erstbeschwerdeführerin mit keinem Wort ihre beiden Töchter erwähnte, die zu dem Zeitpunkt ein und drei Jahre alt waren. Bei der Erinnerung an tatsächlich Erlebtes wäre davon auszugehen, dass die beiden Kinder irgendwo Erwähnung gefunden hätten, etwa durch die Verwendung des Personalpronomens im Plural. Die Erstbeschwerdeführerin sprach in der Verhandlung aber immer nur davon, was sie selbst getan habe („Nach dem Anruf rannte ich zu meinem Vater…“), auch dies spricht gegen die Glaubwürdigkeit des Vorbringens.
Die weiteren Geschehnisse sind ebenfalls nicht nachvollziehbar: Die Erstbeschwerdeführerin sei dann eben wieder in das Haus des Lebensgefährten zurückgekehrt, wo die Familie ihres Lebensgefährten dessen Sachen bereits zusammengepackt hätte. Dann hätten sie der Erstbeschwerdeführerin vorgeworfen, eine Hexe zu sein und ihren Lebensgefährten getötet zu haben. Aus Sicht der erkennenden Richterin ist vollkommen unklar, warum die Familie die Erstbeschwerdeführerin beschuldigen sollte, wenn offenbar ein Autounfall kausal für den Tod des Lebensgefährten war. Dass die Familie die Erstbeschwerdeführerin immer abgelehnt habe, scheint dafür kaum ausreichend. In der mündlichen Verhandlung wurde dazu auch erstmals vorgebracht, dass die Familie nicht gewollt habe, dass die Kinder der Erstbeschwerdeführerin etwas erben. Dazu fällt auf, dass das vorher nie erwähnt wurde, zugleich aber auch, dass es dann wenig logisch erscheint, dass die Erstbeschwerdeführerin ausgerechnet diese zwei Kinder, welche ja im Fokus der Familie des Lebensgefährten gestanden wären, in Nigeria zurückließ.
Das Vorbringen wurde in der Verhandlung auch noch weiter gesteigert, wurde doch erstmals behauptet, dass einer der Brüder des Lebensgefährten sehr einflussreich und Mitglied eines geheimen Kultes sei. Nähere Informationen dazu konnte die Erstbeschwerdeführerin aber auch nicht geben, sie führte nur an, dass es ein gefährlicher Geheimbund sei, in dem Menschen getötet würden. Die Erstbeschwerdeführerin bestätigte auf Nachfrage in der Verhandlung, dass sie von diesem Kult bei einer Rückkehr nach Nigeria verfolgt werden würde; aus Sicht der erkennenden Richterin spricht der Umstand, dass sie diesen Kult im ganzen Verwaltungsverfahren und auch nicht in der Beschwerde erwähnte, dagegen, dass sie ein wahres Vorbringen erstattet. Auch wenn sie, wie sie in der Verhandlung zu ihrer Verteidigung vorbrachte, bei der Erstbefragung gestresst und nicht sie selbst gewesen sei, kann dies nicht erklären, warum sie nicht vor der belangten Behörde oder in der Beschwerde erwähnte, dass ihre Verfolger Verbindungen zu einem Geheimkult hätten. Im weiteren Verlauf der Verhandlung war im Übrigen dann auch plötzlich die Rede davon, dass dieser mächtige Bruder des Lebensgefährten sogar Verbindungen zur Regierungspartei hätte. Auch dies ist als Steigerung des Vorbringens zu werten.
Zum weiteren Geschehen meinte die Erstbeschwerdeführerin, dass nach dem Tod des Lebensgefährten die Mitglieder seiner Familie dann immer wieder „bis Mai bzw. Ende Juni“ (VH-Niederschrift vom 25.01.2021) gekommen seien. Ihr diesbezügliches Vorbringen blieb aber vage; so meinte sie in der Einvernahme durch die belangte Behörde am 22.03.2018: „Sie griffen dann unser Haus an. Sie haben das Haus mit Steinen beworfen und hatten auch Macheten. Als mein Vater aus dem Haus kam, haben sie ihn angegriffen und auf der Stirn verletzt. (…) Wir haben versucht mit der Familie zu sprechen, aber es war nicht möglich. Sie haben das Haus meines Vaters zerstört.“ Auch in der Verhandlung am 25.01.2021 blieb sie bei oberflächlichen Aussagen; auf die Frage der erkennenden Richterin, was darunter zu verstehen sei, dass das Haus ihres Vaters zerstört worden sei, antwortete sie nur, dass sie jedes Mal mit Steinen und Macheten gekommen und ihrem Vater und ihr beleidigende Namen zugerufen haben würden. In welcher Form das Haus zerstört worden sei, konnte die Erstbeschwerdeführerin nicht angeben. Im Gegensatz dazu gab übrigens ihr Vater an, dass die Familie „spirituell“ bedroht worden sei.
Wenig plausibel erscheint auch, dass es der Erstbeschwerdeführerin bzw. ihrem Vater über einen Zeitraum von eineinhalb Monaten gelungen sein will, sich dem Zugriff der Familie ihres früheren Lebensgefährten zu entziehen. Wenn diese tatsächlich derart einflussreich und gewalttätig wäre, ist davon auszugehen, dass es der Erstbeschwerdeführerin nicht alleine durch die Flucht durch die Hintertür oder dadurch, dass sie nur ganz in der Früh das Haus verließ (so ihre Aussage in der mündlichen Verhandlung), gelungen wäre, sich zu verstecken.
Die Erstbeschwerdeführerin konnte auch nicht schlüssig erklären, warum (wenn man als wahr unterstellte, dass ihr Lebensgefährte tatsächlich 2016 verstarb und dessen Familie sie einem Ritual unterziehen wollte) die Familie ihres früheren Lebensgefährten fast fünf Jahre später noch immer ein Interesse an ihr haben sollte. Ihre Aussage in der Einvernahme durch die belangte Behörde am 22.03.2018, dass die Familie sie zwingen werde, das Ritual zu vollziehen, erscheint angesichts des Umstandes, dass der Tod des Lebensgefährten auch zu diesem Zeitpunkt bereits Jahre zurücklag, wenig plausibel. Das Gericht geht nicht davon aus, dass der Leichnam über Jahre konserviert wurde in der Erwartung, dass die Erstbeschwerdeführerin nach Nigeria zurückkommt und das Ritual vollzieht.
Wie bereits erwähnt, gibt es auch Unterschiede im Vorbringen der jeweiligen Familienmitglieder: Der Vater A.S. erklärte in der Erstbefragung, dass die Familie des Toten seine Tochter verdächtigt habe, ihn getötet habe und deswegen die ganze Familie der Erstbeschwerdeführerin habe umbringen wollen. Der Bruder XXXX dagegen sagte in seiner Erstbefragung, dass sein Vater den Ehemann seiner Schwester habe christlich bestatten wollen, dies habe dessen Familie abgelehnt und den Vater mit einem Juju-Fluch belegt. Auch diese unterschiedlichen Varianten einer Grundgeschichte legen nahe, dass es sich um ein konstruiertes Fluchtvorbringen handelt.
In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin traumatisiert sei und dies bei der Beurteilung ihrer Aussagen durch die belangte Behörde nicht beachtet worden sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass psychische Erkrankungen im Hinblick auf konstatierte Unstimmigkeiten im Aussageverhalten zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 12.6.2018, Ra 2018/20/0250, mwN). Die Beschwerde legt allerdings mit ihrem allgemein gehaltenen Hinweis auf die von der Erstbeschwerdeführerin erlittene Traumatisierung nicht dar, welche vom BFA herangezogenen beweiswürdigenden Erwägungen im Zusammenhang mit ihrem Aussageverhalten aus welchen auf eine psychische Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin zurückzuführenden Gründen in einem anderen Licht zu sehen wären (vgl. VwGH 10.1.2020, Ra 2019/20/0579). Selbst wenn man den Widerspruch ihrer späteren Aussagen zur Erstbefragung außer Acht lässt und das gänzliche Verschweigen des später behaupteten Fluchtgrundes auf ihre Traumatisierung zurückführen würde, bleiben dennoch derart viele Unstimmigkeiten und Widersprüche bestehen, dass auch dann nicht von einem glaubwürdigen Vorbringen auszugehen ist. Auch unter Berücksichtigung einer posttraumatischen Belastungsstörung bleibt daher keine andere Schlussfolgerung übrig, als dass es sich um eine konstruierte Fluchtgeschichte handelt. So wird etwa in dem Artikel „Aussageverhalten von traumatisierten Flüchtlingen: Eine Untersuchung zum Vorbringen des eigenen Verfolgungsschicksals im Rahmen des Asylverfahrens“ von Michael Odenwald, Tobias Schmitt, Frank Neuner, Martina Ruf, Maggie Schauer, erschienen in Zeitschrift für Politische Psychologie, Jg. 14, 2006 (abrufbar unter: http://kops.uni-konstanz.de/handle/123456789/10206 ) ausgeführt, dass psychisch traumatisierte Asylwerber aus störungsspezifischen Gründen in Einvernahmen nicht oder unzureichend über ihr Verfolgungsschicksal berichten können. Auch sonstige Quellen berichten davon, dass bei einer posttraumatischen Belastungsstörung manchmal wichtige Aspekte des traumatischen Erlebnisses nicht mehr (vollständig) erinnert werden können (z.B. http://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/erkrankungen/posttraumatische-belastungsstoerung-ptbs/was-ist-eine-posttraumatische-belastungsstoerung-ptbs/ ). UNHCR (Vulnerabilität und Flucht, Juni 2017) beschreibt als Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung das Wiedererleben des Traumas (zB durch Flashbacks oder Alpträume), vegetative Übererregtheit (zB Schlafstörungen, Aggressivität) und auch Vermeidungssymptome (zB Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit). Mit Vermeidungsverhalten könnten maximal noch die falschen Angaben in der Erstbefragung erklärt werden, darüber hinaus kann die Widersprüchlichkeit des Vorbringens aber nicht darauf zurückgeführt werden. Auch unter Berücksichtigung etwaiger Erinnerungslücken durch eine posttraumatische Belastungsstörung kann das Vorbringen von der erkennenden Richterin nicht als glaubhaft befunden werden.
Das Gericht verkennt zugleich nicht, dass sich aus den verschiedenen unter Punkt 1.4.2. zitierten Berichten eindeutig ergibt, dass es in Nigeria und auch bei der Volksgruppe der Erstbeschwerdeführerin, den Yoruba, Witwenrituale gibt. Allerdings gibt es erstens gewisse Abweichungen zu ihrer Geschichte (beginnend damit, dass die Erstbeschwerdeführerin ja gar nicht mit dem Verstorbenen verheiratet war und daher gar keine „Witwe“ ist; in den Berichten ist zudem die Rede davon, dass lokale Instanzen wie etwa der Dorfvorsteher eingeschalten werden, um Druck auf die Witwe auszuüben, wovon die Erstbeschwerdeführerin nichts erzählte), zweitens ist ihre Geschichte aber aufgrund der dargelegten Unstimmigkeiten und Widersprüche schlichtweg nicht glaubhaft.
Insbesondere ist auch festzustellen, dass die Ausreise im Juni 2016 nicht spontan erfolgte; die Erstbeschwerdeführerin hatte ja in der Verhandlung behauptet, dass ihr Vater die Ausreise Ende Juni 2016 beschlossen hatte. Ihr Vater erklärte dagegen in seiner Erstbefragung, dass er im Februar 2016 (und damit Monate vor dem Tod des Lebensgefährten) beschlossen habe, Nigeria zu verlassen. Im Übrigen versuchte der Vater der Erstbeschwerdeführerin zuvor bereits jahrelang, eine Aufenthaltsberechtigung zu erhalten, um bei seiner Ehefrau in Österreich zu leben. Wie diese als Zeugin ebenso wie die Erstbeschwerdeführerin selbst in der mündlichen Verhandlung am 25.01.2021 bestätigte und wie sich auch aus den von der Österreichischen Botschaft Abuja übermittelten Unterlagen ergibt, war schon lange geplant, dass auch die Erstbeschwerdeführerin nach Österreich übersiedelt. Der Antrag ihres Vaters auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wurde allerdings am 26.01.2016 zurückgewiesen. Dies scheint der auslösende Moment für die Familie gewesen zu sein, sich andere Wege zu überlegen, nach Österreich zu kommen. Zudem wäre es nicht nachvollziehbar, warum die ganze Familie, auch der gar nicht mehr bei der Familie, sondern in Kewe lebende Bruder XXXX , das Land verlassen musste, wenn die Familie des Lebensgefährten in erster Linie die Erstbeschwerdeführerin bedrohte.
Zusammengefasst kommt das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass die Erstbeschwerdeführerin ihr Fluchtvorbringen konstruiert hat. Es ist nicht glaubwürdig, dass sie ihren Lebensgefährten bei einem Unfall verloren hat und dessen Familie dann versuchte, sie zu einem Witwenritual zwingen. Bei einer Rückkehr nach Nigeria würde sie von dieser Familie nicht bedroht werden, auch der behauptete Konnex zu einem Kult ist nicht glaubwürdig.
Für die Zweitbeschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes besteht daher auch im Falle der Zweibeschwerdeführerin keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung.
2.5. Zum Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria vom 23.11.2020 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Die Feststellungen zur Covid 19 Pandemie in Nigeria beruhen auf den zitierten Quellen. Zudem wurden die in der Stellungnahme vom 05.04.2018 eingebrachten Berichte zur Situation von Witwen in Nigeria berücksichtigt (vgl. Punkt 1.4.2.) und durch aktuellere Berichte ergänzt.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Die Beschwerdeführerinnen sind Mutter und minderjährige Tochter und erfüllen daher jedenfalls die Familieneigenschaft des AsylG 2005, weswegen die Verfahren unter einem zu führen sind.
3.1. Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide):
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Soweit die Erstbeschwerdeführerin vorbrachte, in Nigeria von der Familie ihres verstorbenen Lebensgefährten verfolgt zu werden, weil sie sich geweigert habe, an einem Witwenritual teilzunehmen, ist dieses Vorbringen nicht glaubhaft. Weitere Fluchtgründe brachte sie nicht vor.
Für die Zweitbeschwerdeführerin selbst wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht bzw. wurde von der Erstbeschwerdeführerin als gesetzlicher Vertreterin bei der Antragstellung explizit erklärt, dass keine eigenen Fluchtgründe vorliegen würden.
Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass den Beschwerdeführerinnen im Herkunftsstaat Nigeria keine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide abzuweisen ist.
3.2. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide):
Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In Nigeria kann auf Basis der Länderfeststellungen von keiner derart prekären Sicherheitslage gesprochen werden, dass jeder Rückkehrende tatsächlich Opfer eines Gewaltaktes sein wird. Auch die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin, die als vulnerabler einzuschätzen ist als ihre Mutter, steht nicht in realer Gefahr, Opfer einer Gewalttat zu werden, kehrt sie doch nicht alleine nach Nigeria zurück, sondern gemeinsam mit ihrer Mutter, deren Vater und der Stiefschwester ihrer Mutter. Im Familienverband wird auch sie als Kind geschützt sein.
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann aber auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH, 26.06.2019, Ra 2019/20/0050 bis 0053).
In einer in der mündlichen Verhandlung übergebenen schriftlichen Stellungnahme der Rechtsvertretung wurde anerkannt, dass es laut Länderfeststellungen auch alleinstehenden Frauen möglich ist, Unterkunft und Arbeit zu erlangen und ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen; zugleich wurde aber behauptet, dass im gegenständlichen Fall derart exzeptionelle Umstände vorliegen würden, dass es den Beschwerdeführerinnen eben gerade nicht möglich wäre, sich eine Lebensgrundlage zu sichern. Bei der Erstbeschwerdeführerin handle es sich um eine alleinerziehende Frau ohne höhere Berufsausbildung mit drei kleinen Kindern.
Dabei wird aber nicht berücksichtigt, dass die Erstbeschwerdeführerin gerade nicht alleine nach Nigeria zurückkehrt und eigenständig für sich und ihre drei Kinder zu sorgen hat. Sie wird von ihrem Vater begleitet, der auch in der Vergangenheit stets für sie gesorgt hat. Ihre zwei älteren Kinder befinden sich bei ihrer Tante, die auch in den letzten Jahren für deren Unterhalt aufgekommen ist. Die Erstbeschwerdeführerin ist nicht auf sich alleine gestellt, sondern in einen stabilen Familienverband eingebettet. Es sind daher keine derart exzeptionellen Umstände gegeben, die die Befürchtung rechtfertigen würden, dass sie gemeinsam mit der Zweitbeschwerdeführerin in eine Notlage geraten würde.
Soweit in dieser Stellungnahme auch auf die schlechte psychische Verfassung der Erstbeschwerdeführerin bei ihrer Ankunft in Österreich hingewiesen wird und darauf, dass sich diese nur aufgrund des sicheren familiären Netzwerkes verbessert habe, wird nicht verkannt, dass eine Rückkehr nach Nigeria für die Erstbeschwerdeführerin belastend sein mag (wobei sie ihre psychischen Probleme auf die Ereignisse in Libyen zurückführte und nicht auf Nigeria), doch ist auch hier zu berücksichtigen, dass die Rückkehr gemeinsam mit ihrem Vater und ihrer Stiefschwester erfolgt.
Die in der genannten Stellungnahme erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.03.2020, GZ. I403 2185504 unterscheidet sich im Übrigen vom gegenständlichen Sachverhalt ganz wesentlich, da es sich bei der damaligen Beschwerdeführerin um eine Frau handelte, die mehr als zehn Jahre nicht mehr in Nigeria gewesen und in Europa der Prostitution nachgegangen war, so dass davon auszugehen war, dass sie in Nigeria Diskriminierung erwarten würde und auch eine Unterstützung durch ihre Familie, anders als im vorliegenden Fall, nicht gewährleistet war. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass nach Nigeria zurückkehrende alleinstehende Frauen teilweise mit Stigmatisierung zu rechnen haben; im Fall der Beschwerdeführerin steht dem aber entgegen, dass sie gemeinsam mit ihrem Vater und ihrer Stiefschwester nach Nigeria zurückkehrt.
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. zum Ganzen VwGH, 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht anerkennt, dass die Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen in Nigeria weitaus schlechter sind als in Europa, reicht dies aber nicht aus, um aufzuzeigen, dass die Erstbeschwerdeführerin, die im Familienverbund nach Nigeria zurückkehren kann, derart diskriminiert würde, dass sie sich keine Existenz sichern könnte. Sie wird von ihrem Vater unterstützt werden. Dieser ist, wie zu Recht von der belangten Behörde ausgeführt wurde, arbeitsfähig und gesund. Er hat eine Ausbildung zum Schlosser gemacht und als Pastor gearbeitet. Er wird auch auf die Unterstützung der Kirche zurückgreifen können. Insgesamt wurden die vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung geforderten exzeptionellen Umstände nicht aufgezeigt, die annehmen ließen, dass die Beschwerdeführerinnen bei einer Rückkehr in eine Notlage geraten würden.
Das Bundesverwaltungsgericht ist sich auch bewusst, dass Kinderrechte in Nigeria laut Länderinformationsblatt „nur unzureichend gewährleistet“ und dass insbesondere im Norden Nigerias an problematischen Traditionen und der Scharia festgehalten wird, die etwa eine Kinderehe erlaubt. Die Beschwerdeführerinnen stammen aber aus Benin City und sind daher von den problematischen Traditionen im muslimischen Norden nicht betroffen. Sie stammen aus einer christlichen Familie, die eng zusammenhält und auf das Kindeswohl bedacht ist; dies bestätigte auch der Eindruck der Erstbeschwerdeführerin und ihres Vaters in der mündlichen Verhandlung. Das Gericht geht daher von der Annahme auf, dass die Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen des Familienverbundes ausreichend Schutz erfährt, um nicht Gefahren wie der Kinderarbeit ausgesetzt zu werden. Auch der Erstbeschwerdeführerin war ein 12jähriger Schulbesuch möglich und legt sie viel Wert auf Bildung, wie sie in der Verhandlung betonte. Sie wird ihre Tochter auch beim Schulbesuch, der in Nigeria zumindest in den Grundschuljahren in staatlichen Schulen kostenlos ist, unterstützen.
Eine konkrete Darlegung, warum eine Rückkehr nach Nigeria für die Beschwerdeführerinnen zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen sollte, erfolgte nicht, auch nicht im Beschwerdeschriftsatz. Es würde aber ihnen obliegen, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (Beschluss des VwGH vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden Nr. 61204/09; sowie Erkenntnis des VwGH vom 25.02.2016, Ra 2016/19/0036 sowie vom 13.09.2016, Ra 2016/01/0096-3). Derartige Beweise wurden nicht vorgelegt.
Es ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerinnen im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat auch aufgrund des Umstandes, dass sie gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern nach Nigeria zurückkehren, ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
Der Vollständigkeit halber ist aufgrund der aktuellen Situation festzuhalten, dass auch die Ausbreitung des Coronavirus einer Rückkehr nicht entgegensteht. So sind die Beschwerdeführerinnen beide jung, physisch gesund und gehören zu keiner Risikogruppe. Auch die offiziellen Zahlen der an COVID-19 Erkrankten in Nigeria (s. insbes. https://covid19.ncdc.gov.ng/ ) zeigen aktuell kein für eine Schutzgewährung hinreichend signifikantes Risiko für die Beschwerdeführerinnen auf. Es liegen daher auch im Hinblick auf die bloße Möglichkeit einer COVID-19-Erkrankung nicht solche exzeptionellen Umstände vor, die bei Außerlandesschaffung der Beschwerdeführerinnen in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellten (vgl. etwa VwGH, 05.08.2020, Ra 2020/14/0199-8).
Es ergibt sich insgesamt kein reales Risiko, dass es durch die Rückführung der Beschwerdeführerinnen nach Nigeria zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde, sodass die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide abzuweisen ist.
3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (erster Satz des Spruchpunktes III. der angefochtenen Bescheide):
Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG wurde von den Beschwerdeführerinnen nicht behauptet und auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keinerlei Hinweise, die nahe legen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht käme.
Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen den ersten Satz des Spruchpunktes III. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.
3.4. Zur Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung (zweiter und dritter Satz des Spruchpunktes III. der angefochtenen Bescheide):
Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lauten:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,4. der Grad der Integration,5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Beide Beschwerdeführerinnen halten sich seit viereinhalb Jahren im Bundesgebiet auf. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von - wie vorliegend - weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt und in Fällen, in denen eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vorliegt, regelmäßig erwartet wird, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. etwa VwGH 15.4.2020, Ra 2019/14/0420, mwN). Eine derart außergewöhnliche Integration liegt im Fall der Beschwerdeführerinnen nicht vor. Die Erstbeschwerdeführerin hat gut Deutsch gelernt, ist aber nicht am Arbeitsmarkt integriert. Sie hat Freundschaften geschlossen, führt aber keine Beziehung in Österreich. Die Zweitbeschwerdeführerin besucht den Kindergarten, wächst aber in einem Haushalt auf, in dem Englisch die vorrangige Umgangssprache ist.
Zu überprüfen ist aber noch, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig in das Familienleben der Beschwerdeführerinnen eingreifen würde. Im gegenständlichen Fall verfügen die Beschwerdeführerinnen zunächst über ein Familienleben durch ihre Beziehung zueinander. Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, so greift sie wohl in das Privatleben der Familienmitglieder ein, nicht aber in ihr Familienleben (EGMR, 9.10.2003, 48321/99, Slivenko gg Lettland, EGMR, 16.6.2005, 60654/00 Sisojeva gg Lettland). Soweit beide ein Interesse an der Fortführung des Familienlebens mit XXXX (dem Vater der Erstbeschwerdeführerin) und der Stiefschwester der Erstbeschwerdeführerin haben, ist darauf hinzuweisen, dass gegen beide Rückkehrentscheidungen vorliegen, so dass nicht von der Möglichkeit der Fortführung des Familienlebens in Österreich auszugehen ist. Zu XXXX (dem Stiefbruder der Erstbeschwerdeführerin) besteht kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis, verfügt er doch über einen eigenen Wohnsitz. Gegen ihn liegt zudem ebenfalls eine aufrechte Rückkehrentscheidung vor – über seinen Antrag auf Aufenthaltsberechtigung wegen der Eheschließung mit einer Österreicherin wurde noch nicht entschieden.
Allerdings führen die Beschwerdeführerinnen auch ein Familienleben mit B.S., der Stiefmutter der Erstbeschwerdeführerin. Dass eine enge emotionale Bindung besteht, wurde in der Verhandlung glaubhaft gemacht. Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin ihre Stiefmutter erst vor viereinhalb Jahren und damit zu einem Zeitpunkt näher kennenlernte, als sie bereits volljährig war (in den fünf Jahren vor der Ausreise war die Stiefmutter nur zweimal für je eine Woche zu Besuch in Nigeria gewesen). Auch wenn die Stiefmutter die Erstbeschwerdeführerin bei der Erziehung und Versorgung der Zweitbeschwerdeführerin unterstützt und die Stiefmutter wiederum glaubhaft angibt, die Erstbeschwerdeführerin wie eine Tochter anzusehen, bleibt der Umstand doch bestehen, dass sowohl die Erstbeschwerdeführerin wie auch die Stiefmutter erwachsen sind und sich erst seit wenigen Jahren kennen.
Insbesondere muss auch berücksichtigt werden, dass das Bundesverwaltungsgericht der Ansicht ist, dass die ganze Familie Nigeria im Juni 2016 verlassen und dann in Österreich Anträge auf internationalen Schutz gestellt hat, weil es dem Vater der Erstbeschwerdeführerin zuvor nicht gelungen war, eine Aufenthaltsberechtigung als Familienangehöriger zu erlangen. Wie sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch die Stiefmutter in der Verhandlung angaben, war es nach der Eheschließung 2011 beabsichtigt gewesen, dass die Erstbeschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Vater zu dessen Ehefrau nach Österreich zieht.
Letztlich wurde von der ganzen Familie, so auch von der Erstbeschwerdeführerin, das österreichische Asylwesen missbraucht, um den vom Vater seit Jahren geplanten, aber nie erfolgreich umgesetzten Familiennachzug zu ermöglichen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in solchen Fällen, in denen ein Fremder seinen in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen nachgereist war und einen Antrag auf internationalen Schutz bzw. auf Erteilung eines Aufenthaltstitels missbräuchlich zur von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug gestellt hatte, festgehalten, dass in solchen Konstellationen das öffentliche Interesse besonders schwer wiegt, zumal von den Beteiligten nicht von einem (rechtmäßigen) Verbleib in Österreich ausgegangen werden konnte (vgl. VwGH, 21.02.2020, Ra 2020/18/0047-6 und VwGH, 23.01.2019, Ra 2018/19/0683, mwN).
Im vorliegenden Fall muss den Beschwerdeführerinnen daher die Trennung von ihrer Stiefmutter bzw. Stiefgroßmutter zugemutet werden, konnten sie doch nie davon ausgehen, eine Aufenthaltsberechtigung in Österreich zu erlangen. Ihr Versuch, eine solche über das Asylwesen faktisch zu erzwingen, ist eine Umgehung der Regeln über den Familiennachzug. Es bestehen daher große öffentliche Interessen an einer Beendigung ihres Aufenthaltes in Österreich. Insgesamt sind ihre durchaus berücksichtigungswürdigen Interessen an der Fortführung ihres Lebens in Österreich nicht derart stark (insbesondere auch, weil sich die Erstbeschwerdeführerin psychisch stabilisiert hat), dass sie das Interesse des öffentlichen Staates an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden.
Es sind - unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK – aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaigen wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. dazu VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Situation liegt aber nicht vor, da von einer gemeinsamen Rückkehr mit dem Vater und der Stiefschwester der Erstbeschwerdeführerin auszugehen ist.
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass die im angefochtenen Bescheid angeordnete Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt.
Soweit von der Rechtsvertretung in der mündlichen Verhandlung in einer schriftlichen Stellungnahme darauf verwiesen wurde, dass die Beschwerdeführerinnen keine Bindung mehr zu Nigeria hätten, ist dem erstens entgegenzuhalten, dass die Erstbeschwerdeführerin den Großteil ihres Lebens dort verbracht hat, dass die Zweitbeschwerdeführerin in einem anpassungsfähigen Alter und in einer Familie mit nigerianischen Hintergrund aufgewachsen ist und schließlich, dass beide ja im Familienverbund mit dem Vater und der Stiefschwester der Erstbeschwerdeführerin zurückkehren werden.
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass die im angefochtenen Bescheid angeordnete Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellen.
Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des zweiten Satzes des Spruchpunktes III. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.
Zur Feststellung, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist (§ 52 Abs. 9 FPG 2005), ist auf die obenstehenden Ausführungen unter Punkt 3.2. zu verweisen. Es war daher auch die Beschwerde gegen den dritten Satz des Spruchpunktes III. gemäß § 28 Abs 2. VwGVG als unbegründet abzuweisen.
3.5. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide):
In den angefochtenen Bescheiden wurde gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Nach § 55 Abs. 3 FPG kann bei Überwiegen besonderer Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, gegenüber den Gründen, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden.
Gegenständlich liegen besondere Gründe vor: Die Beschwerdeführerinnen werden gemeinsam mit dem Vater und der Stiefschwester der Erstbeschwerdeführerin nach Nigeria zurückkehren; diesen wurde eine Frist von zwei Monaten zur Organisation der Ausreise gewährt. Um den Beschwerdeführerinnen eine gemeinsame Rückreise (unter aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie erschwerten Reisebedingungen) und die Organisation der Reisepässe bei der nigerianischen Botschaft zu ermöglichen, ist ihnen daher ebenfalls eine Frist von zwei Monaten zu gewähren. Eine freiwillige Ausreise ist in der gegenwärtigen Situation und ohne Reisedokument innerhalb von 14 Tagen nur schwer zu realisieren. Den durch die Corona-Pandemiebedingten besonderen Umständen war durch die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise Rechnung zu tragen.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides erweist sich daher mit der Maßgabe als unbegründet, dass die Frist für die freiwillige Ausreise auf zwei Monate anzuheben war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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