VwGH Ra 2018/19/0683

VwGHRa 2018/19/068323.1.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache des E B, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. Juni 2018, W184 2122763-2/8E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Anordnung einer Außerlandesbringung nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8;
MRK Art8;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190683.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte erstmals am 30. September 2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 27. Februar 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und sprach aus, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung Kroatien zuständig sei. In einem wurde die Außerlandesbringung des Revisionswerbers angeordnet und die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Kroatien festgestellt.

3 Eine gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 22. März 2016 als unbegründet abgewiesen. Am 15. April 2016 wurde der Revisionswerber nach Kroatien abgeschoben.

4 Am 29. August 2016 reiste der Revisionswerber - nachdem er sich zuvor in Kroatien aufgehalten hatte - erneut (illegal) in Österreich ein und stellte einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Dazu gab er an, "seine Ehefrau" halte sich im Bundesgebiet auf.

5 Am 18. November 2016 fand in Österreich die standesamtliche Eheschließung zwischen dem Revisionswerber und seiner nunmehrigen Ehegattin - einer syrischen Staatsangehörigen, der in Österreich der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden war - statt. Bereits während des ersten Aufenthaltes des Revisionswerbers in Österreich hatten der Revisionswerber und seine Ehegattin am 8. April 2016 in einer Moschee in Wien nach traditionellem islamischem Ritus geheiratet.

6 Am 10. Februar 2017 wurde der Revisionswerber - nach Durchführung eines Konsultationsverfahrens, in dem die kroatischen Behörden einer Wiederaufnahme des Revisionswerbers zustimmten - erneut nach Kroatien abgeschoben, wobei das BFA sich auf das Fehlen eines faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 1 AsylG 2005 berief.

7 Mit Bescheid vom 24. Juli 2017 wies das BFA auch den zweiten Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach in Einem erneut aus, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung Kroatien zuständig sei, die Außerlandesbringung des Revisionswerbers angeordnet werde und seine Abschiebung nach Kroatien zulässig sei.

8 In der Folge wurden der Revisionswerber und seine Ehegattin am 12. Oktober 2017 Eltern einer Tochter. Die Ehegattin des Revisionswerbers und seine Tochter halten sich in Österreich auf.

9 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des BFA vom 24. Juli 2017 ohne Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

10 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 25. September 2018, E 3108/2018-6, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, dem BVwG, das sich mit der Frage der Gefährdung des Revisionswerbers in seinen Rechten auseinander gesetzt habe, könne unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegen getreten werden, wenn es aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgehe, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiege. Über nachträglichen Antrag wurde mit Beschluss vom 11. Oktober 2018, E 3108/2018-8, die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht, die Entscheidung des BVwG bewirke eine Trennung des Revisionswerbers von seiner Ehegattin und seiner zum Entscheidungszeitpunkt acht Monate alten Tochter und verstoße daher gegen das auch in Dublin-Verfahren zu berücksichtigende Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072) bestehe im Übrigen auch im Anwendungsbereich des § 21 Abs. 6a BFA-VG unter gewissen Umständen - etwa wenn die Glaubwürdigkeit eines Vorbringens zu beurteilen sei - eine Verhandlungspflicht. Im vorliegenden Fall habe das BVwG - insbesondere zur Erörterung des Kindeswohles der erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides des BFA geborenen Tochter des Revisionswerbers - nicht von einer Verhandlung absehen dürfen.

15 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung, ob im Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung (bzw. hier einer Anordnung zur Außerlandesbringung) in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. VwGH 15.3.2016, Ra 2016/19/0031, mwN).

16 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung ist im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. etwa VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474, mwN).

17 Im vorliegenden Fall ist das BVwG davon ausgegangen, dass die Trennung des Revisionswerbers von seinen Familienangehörigen einen Eingriff in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt.Es hat jedoch zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend einbezogen werden darf, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. etwa VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205, mwN). Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste (vgl. VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0235; in diesem Sinn auch VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271). Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen in Fällen, in denen ein Fremder seinen in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (Ehegatten und Kindern) nachgereist war und einen Antrag auf internationalen Schutz missbräuchlich zur von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug gestellt hatte, festgehalten, dass in solchen Konstellationen das öffentliche Interesse besonders schwer wiegt, zumal von den Beteiligten nicht von einem (rechtmäßigen) Verbleib in Österreich ausgegangen werden konnte (vgl. nochmals VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0235, mwN; 14.11.2017, Ra 2017/21/0207).

18 Diese Erwägungen haben auch für den vorliegenden Fall Geltung. Der Revisionswerber reiste nach seiner Außerlandesbringung am 15. April 2016 in Folge des Zurückweisung seines ersten Antrages auf internationalen Schutz bzw. Feststellung der Zuständigkeit Kroatiens für die Prüfung seines Antrages bereits am 29. August 2016 erneut illegal in Österreich ein und stellte einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, wobei er keine Umstände nannte, aus denen sich hinsichtlich der Zuständigkeit für seinen Antrag auf internationalen Schutz nach der Dublin III-Verordnung eine Änderung hätte ergeben können, sondern sich lediglich darauf berief, mit seiner damaligen Verlobten - und nunmehrigen Ehegattin - ein Familienleben in Österreich aufnehmen zu wollen. Der Revisionswerber und seine Ehegattin konnten daher zu keiner Zeit mit einem (rechtmäßigen) Verbleib in Österreich rechnen. Das BVwG ist somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung in diesem Fall besonders schwer wog (vgl. in diesem Sinn auch VwGH 7.9.2016, Ra 2016/19/0168).

19 Diese besonderen Umstände des Einzelfalls hat das BVwG unter gewichtender Abwägung der öffentlichen Interessen mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen - neben dem Fehlen sonstiger Integrationsmerkmale des Revisionswerbers bzw. der nur kurzen Dauer seines Inlandsaufenthaltes - bei seiner Interessenabwägung daher zu Recht zu Ungunsten des Revisionswerbers berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision nicht auf, dass das Ergebnis der einzelfallbezogenen Beurteilung des BVwG im vorliegenden Fall auf der Grundlage der (unstrittigen) Feststellungen als unvertretbar anzusehen wäre. Auch soweit die Revision auf das "Kindeswohl" der Tochter des Revisionswerbers verweist, legt sie nicht dar, konkret welche (weiteren) für das Kindeswohl maßgeblichen Umstände das BVwG zu berücksichtigen gehabt hätte bzw. inwiefern - im Falle der Berücksichtigung dieser Umstände - eine abweichende Entscheidung möglich gewesen wäre (vgl. VwGH 21.11.2018, Ra 2018/01/0015).

20 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zwar der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt; und zwar auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine "absolute" (generelle) Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 22.8.2018, Ra 2018/14/0051, mwN)

21 Die Revision vermag auf dieser Grundlage nicht aufzuzeigen, dass das BVwG, das im vorliegenden Fall auch alle vom Revisionswerber selbst ins Treffen geführten Umstände in seine Interessenabwägung miteinbezogen hat, in unvertretbarer Weise vom Vorliegen der Voraussetzungen der Abstandnahme von der Verhandlung ausgegangen wäre. Das BVwG hat insbesondere auch die Geburt der Tochter des Revisionswerbers am 12. Oktober 2017 bei seiner Abwägung berücksichtigt. Es bestand daher - auch unter diesem Aspekt - keine Verhandlungspflicht (vgl. VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0245, mwN).

22 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 23. Jänner 2019

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