AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:G301.2283553.1.00
Spruch:
Schriftliche Ausfertigung des am 27.03.2024 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. René BRUCKNER über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeiten: Venezuela und Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen – BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 27.11.2023, Zl. XXXX , betreffend Antrag auf internationalen Schutz, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.03.2024 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Oberösterreich, dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) zugestellt am 18.12.2023, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 21.07.2023 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Venezuela gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Venezuela zulässig ist (Spruchpunkt V.), sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
Mit dem am 22.12.2023 beim BFA, Regionaldirektion Oberösterreich, eingebrachten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz erhob der BF durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid in vollem Umfang.
Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 02.01.2024 vom BFA vorgelegt.
Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 27.03.2024 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF im Beisein einer bevollmächtigten Rechtsvertreterin teilnahm. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen (Teilnahmeverzicht). Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.
Mit dem am 03.04.2024 eingebrachten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz beantragte der BF über seine bevollmächtigte Rechtsvertretung die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist sowohl Staatsangehöriger der Bolivarischen Republik Venezuela als auch der Arabischen Republik Syrien.
Der Zeitpunkt der letztmaligen Ausreise des BF aus Syrien und die Dauer des dortigen letzten Aufenthalts konnten nicht zweifelsfrei festgestellt werden.
Auch der Zeitpunkt der Einreise in Venezuela und die spätere Ausreise aus Venezuela konnten nicht zweifelfrei festgestellt werden. Fest steht, dass sich der BF in Venezuela aufgehalten und dort die für ihn ausgestellten Dokumente (Reisepass und Identitätsausweis) persönlich abgeholt hat, wobei die konkrete Dauer des dortigen Aufenthalts wiederum nicht eindeutig festgestellt werden konnte.
Der BF hielt sich bereits im Zeitraum von 30.10.2022 bis 23.01.2023 und dann – nach kurzem Aufenthalt in Rumänien – von 25.01.2023 bis 06.04.2023 in Österreich auf.
Den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte der BF am 21.07.2023 nach neuerlicher Einreise in Österreich am 05.07.2023.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF – wie von ihm behauptet – tatsächlich ledig und nie verheiratet gewesen sei.
Der BF verfügt in Österreich über keine familiären und über keine nennenswerten privaten Bindungen. Anhaltspunkte für einen berücksichtigungswürdigen hohen Grad der Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht liegen nicht vor. Der BF ist aufgrund einer Beschäftigungsbewilligung des AMS vom 02.10.2023 legal in einem Friseur-Betrieb geringfügig beschäftigt. Der BF verfügt in seiner derzeitigen Wohngemeinde in XXXX über soziale Bindungen in Form von Bekanntschaften und örtlichen sportlichen Aktivitäten.
Die Muttersprache des BF ist Arabisch. Der BF verfügt weiters über gute Englisch- und Türkisch-Kenntnisse. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF über gar keine Spanisch-Kenntnisse verfügen würde.
Der BF verfügt nur über geringe Deutschkenntnisse. Einen Deutschkurs hat er bislang nicht besucht.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Der BF konnte eine ihm aktuell drohende Verfolgungsgefahr aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention abschließend genannten Gründen oder sonstige drohende Gefährdung weder in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Venezuela noch in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Syrien glaubhaft machen, weshalb das Vorbringen des BF vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung zur behaupteten Verfolgungsgefahr im Fall der Rückkehr in seine beiden Herkunftsstaaten Venezuela und Syrien dieser Entscheidung nicht als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt wird.
Andere Gründe für die Annahme einer dem BF im Herkunftsstaat Venezuela drohenden Verfolgungsgefahr liegen nicht vor und wurden auch nicht vorgebracht. Der BF hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates Venezuela weder auf Grund eines Religionsbekenntnisses oder einer Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme.
Auch sonstige Gründe, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat Venezuela allenfalls entgegenstehen würden, liegen nicht vor.
1.3. Maßgebliche Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat VENEZUELA:
Auszug aus dem „Länderinformationsblatt (LIB) der Staatendokumentation – Venezuela“ vom 31.03.2023:
„3. Politische Lage
Das politische System ist seit der Regierungszeit von Hugo Chávez von Autoritarismus geprägt, seit 2013 ist sein Nachfolger Nicolas Maduro an der Macht (AA 24.2.2023).
Die Amtszeit des Präsidenten beträgt sechs Jahre und unterliegt keiner Amtszeitbeschränkung. Amtsinhaber Nicolás Maduro wurde für eine weitere Amtszeit bestätigt, nachdem er die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen 2018 nach Angaben des von der Regierung kontrollierten CNE mit fast 68 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Die Wahlbeteiligung war mit 46 Prozent rekordverdächtig niedrig, führende Oppositionspolitiker durften nicht an der Wahl teilnehmen, und regionale Beobachter hielten das Verfahren generell für unrechtmäßig (FH 10.3.2023).
Im Januar 2022 versuchte die Opposition, ein Referendum zur Abberufung Maduros als Präsident zu initiieren, wie es die Verfassung erlaubt. Der CNE (National Electoral Council) gab den Antragstellern jedoch nur 12 Stunden Zeit, um die Unterschriften von mindestens 20 Prozent der registrierten Wähler, d. h. von etwa 4,2 Millionen Menschen, zu sammeln. Daraufhin erklärte der CNE, dass die Initiative diese Hürde nicht erreicht habe, so dass das Referendum nicht stattfinden könne (FH 10.3.2023).
Im Dezember 2022 stimmten die verbleibenden Mitglieder der von der Opposition kontrollierten Nationalversammlung, die 2015 gewählt worden war, für die formelle Auflösung einer Übergangsregierung, die sie im Januar 2019 gebildet hatte, um Maduros Legitimität in Frage zu stellen. Diese Regierung unter der Leitung des Interimspräsidenten Juan Guaidó wurde von einer Reihe demokratischer Länder anerkannt, konnte Maduro jedoch nie ablösen oder die Kontrolle über die staatlichen Institutionen erlangen (FH 10.3.2023; vgl. USDOS 20.3.2023).
Obwohl Venezuela rechtlich gesehen eine verfassungsmäßige Mehrparteien-Republik ist, beansprucht das Regime von Nicolas Maduro die Kontrolle über alle öffentlichen Einrichtungen (USDOS 20.3.2023).
Die Einkammer-Nationalversammlung wird vom Volk für fünf Jahre gewählt, wobei eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlen angewandt wird. Die wichtigsten Oppositionsparteien weigerten sich, an den Wahlen zur Nationalversammlung 2020 teilzunehmen, und begründeten dies mit der Kontrolle des Regimes über den CNE und den jüngsten Versuchen, die eigenen Parteiführer zu ersetzen. Eine von der regierenden Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) angeführte Koalition gewann laut den offiziellen Ergebnissen 253 der 277 Sitze in der Nationalversammlung, das sind 91 Prozent. Die von der Opposition kontrollierte Nationalversammlung, die 2015 gewählt worden war, setzte ihre Arbeit fort und stimmte wiederholt für eine Verlängerung ihrer Amtszeit, obwohl sie im Dezember 2022 beschlossen hatte, die Übergangsregierung von Guaidó aufzulösen (FH 10.3.2023; vgl. USDOS 20.3.2023).
Die Regional- und Kommunalwahlen im November 2021 wurden durch den Missbrauch staatlicher Mittel und die Einmischung der Justiz zu Gunsten der Regierung beeinträchtigt. Eine Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union (EU) berichtete, dass die Wahlbeteiligung bei 42,5 Prozent lag, dem niedrigsten Wert seit 25 Jahren. Die Kandidaten der Regierungspartei gewannen 20 von 23 Gouverneursämtern und 212 von 335 Bürgermeisterämtern (FH 10.3.2023; vgl. HRW 12.1.2023).
Präsidentschaftswahlen sind für 2024 geplant, Parlaments- und Regionalwahlen für 2025 (HRW 12.1.2023).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.2.2023): Venezuela: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/venezuela-node/politisches-portraet/225028?view =, Zugriff 28.3.2023
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 24.3.2023
- HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
4. Sicherheitslage
Aufgrund der anhaltenden politischen und wirtschaftlichen Krise ist es vor allem in den Städten auch spontan zu Demonstrationen gekommen. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten mit Straßensperrungen sind möglich (AA 28.3.2023; vgl. EDA 28.3.2023, BMEIA 28.3.2023). In den Gebieten entlang der kolumbianischen Grenze insbesondere in den venezolanischen Teilstaaten Amazonas, Apure, Barinas, Táchira und Zulia, aber auch im Grenzgebiet zu Brasilien besteht eine hohe Gefahr durch organisierte Kriminalität mit Entführungen und anderen Gewaltverbrechen. Im Bundesstaat Apure kommt es regelmäßig zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Drogenbanden bzw. Mitgliedern ehemaliger Guerillagruppen (FARC) (AA 28.3.2023; vgl. EDA 28.3.2023).
Das Maduro-Regime stützt sich auf das Militär, paramilitärische Kräfte und undurchsichtige Unterstützung aus dem Ausland, um seine politische Macht zu erhalten. Das Militär hat die Kontrolle über zahlreiche Ämter übernommen, und Maduro hat die Bolivarische Miliz, eine 2008 zur Unterstützung des Militärs gegründete millionenstarke zivile Milizgruppe, weiter gestärkt. Unabhängig davon verüben irreguläre, dem Staat nahestehende bewaffnete Gruppen, so genannte Colectivos, routinemäßig Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung und führen von der Regierung unterstützte Einschüchterungsversuche gegen Wähler durch (FH 10.3.2023; vgl. HRW 12.1.2023).
Es gab zahlreiche Berichte, dass das Maduro-Regime willkürliche oder rechtswidrige Tötungen vorgenommen hat. Obwohl das Regime keine Statistiken über außergerichtliche Tötungen veröffentlichte, berichteten Nichtregierungsorganisationen (NRO), dass nationale, staatliche und kommunale Polizeieinheiten sowie die Streitkräfte und vom Regime unterstützte Colectivos im Laufe des Jahres Hunderte solcher Tötungen vornahmen (USDOS 20.3.2023).
Das Maduro-Regime ist zunehmend abhängig von wirtschaftlicher, medizinischer, militärischer und sonstiger Unterstützung durch ausländische Verbündete, insbesondere durch die Regierungen Russlands, Kubas, der Türkei und des Iran. Darüber hinaus haben linke Guerillagruppen aus Kolumbien ihren Einfluss in grenznahen venezolanischen Städten verstärkt. Nach Angaben von UN-Ermittlern operiert die Guerillagruppe Nationale Befreiungsarmee (ELN) im Bundesstaat Bolívar und hat mit der Regierung ein Abkommen zur Kontrolle illegaler Bergbauaktivitäten geschlossen (FH 10.3.2023).
Die Venezolaner sind mit physischer Unsicherheit und Gewalt aus verschiedenen Quellen konfrontiert, darunter irreguläre bewaffnete Gruppen, Sicherheitskräfte und organisierte Banden. Das Land verzeichnet seit jeher eine der höchsten Raten an gewaltsamen Todesfällen in Lateinamerika (FH 10.3.2023). Agenten der Special Action Forces (FAES) und anderer Polizei- und Militäreinheiten haben in einkommensschwachen Gemeinden ungestraft getötet und gefoltert, unter anderem bei Sicherheitsüberfällen, die als "Operationen zur Befreiung des Volkes" bezeichnet werden (HRW 12.1.2023). Die Kriminalitätsrate ist sehr hoch. Der Besitz von Schusswaffen ist weit verbreitet (EDA 28.3.2023; vgl. AA 28.3.2023).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.3.2023): Venezuela: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/venezuela-node/venezuelasicherheit/224982 , Zugriff 28.3.2023
- BMEIA – BM Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (28.3.2023): Reiseinformation, Venezuela, Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/venezuela/ , Zugriff 28.3.2023
- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (28.3.2023): Reisehinweise für Venezuela, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/venezuela/reisehinweise-fuervenezuela.html , Zugriff 28.3.2023
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 24.3.2023
- HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
5. Rechtsschutz / Justizwesen
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, aber der Justiz mangelte es an Unabhängigkeit und sie urteilte im Allgemeinen auf allen Ebenen zugunsten des Maduro-Regimes. Es gab glaubwürdige Vorwürfe von Korruption und politischer Einflussnahme im gesamten Justizwesen. Ehemalige Richter und Staatsanwälte berichteten, dass sie und ihre Familienangehörigen Drohungen und Einschüchterungen ausgesetzt waren, einschließlich des Abhörens von Telefonen, Überwachung und Kontrolle (USDOS 12.4.2022; vgl. AI 27.3.2023).
Die in den Jahren 2021 und 2022 durchgeführte Justizreform hat zu keiner Verbesserung der Rechtsprechung geführt. Dazu gehörte die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz, die politische Instrumentalisierung von Gerichtsverfahren gegen vermeintliche Regierungsgegner und Hindernisse für den Zugang der Opfer zur Justiz, wie die Verweigerung der Akteneinsicht, die willkürliche Verweigerung des Rechts auf Benennung eines eigenen Rechtsvertreters und ungerechtfertigte Verzögerungen (AI 27.3.2023).
Das Staatsministerium ist für die Einleitung gerichtlicher Ermittlungen in Fällen von Übergriffen durch Sicherheitskräfte zuständig. Das Büro für den Schutz der Menschenrechte im Ministerium für öffentliche Angelegenheiten ist für die Untersuchung von Fällen zuständig, in denen Beamte, insbesondere Sicherheitsbeamte, Straftaten begehen. Menschenrechtsgruppen berichteten, dass das Regime weiterhin den Generalstaatsanwalt und die Pflichtverteidiger dazu beeinflusse, Ermittlungen selektiv und subjektiv durchzuführen (USDOS 20.3.2023).
Das Gesetz sieht das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren mit mündlicher Verhandlung für alle Personen vor. Die im Laufe des Jahres veröffentlichten Berichte des FFM (Fact-Finding Mission) und des OHCHR kamen zu dem Schluss, dass das Regime häufig gegen das Recht auf ein faires Verfahren ohne unangemessene Verzögerung und auf einen Rechtsbeistand verstieß (USDOS 20.3.2023).
Die Verfassung verbietet die Festnahme oder Inhaftierung einer Person ohne richterliche Anordnung und sieht vor, dass der Angeklagte während des Prozesses in Freiheit bleibt, aber Richter und Staatsanwälte missachteten diese Bestimmungen häufig (USDOS 20.3.2023; vgl. HRW 12.1.2023).
Die Untersuchungshaft blieb ein Problem. Das OHCHR stellte fest, dass routinemäßig Untersuchungshaft verhängt wurde, ohne dass alternative Maßnahmen zur Inhaftierung in Betracht gezogen wurden. Trotz des verfassungsrechtlichen Schutzes, der eine rechtzeitige Verhandlung vorsieht, setzten die Richter Berichten zufolge die ersten Anhörungen erst Monate nach den Ereignissen an, die zu der Inhaftierung geführt hatten. Inhaftierte Personen können die Gründe für ihre Inhaftierung anfechten, aber die Verfahren wurden oft verzögert und die Anhörungen verschoben, so dass sich die Prozesse über Jahre hinzogen. Die Gerichte missachteten häufig die Unschuldsvermutung der Angeklagten. Die Behörden des Maduro-Regimes gestatteten den Inhaftierten häufig nicht, einen Rechtsbeistand zu konsultieren oder Zugang zu ihren Akten zu erhalten, wenn sie Einspruch einlegten. Einige Gefangene blieben auf Bewährung oder standen auf unbestimmte Zeit unter Hausarrest (USDOS 12.4.2022).
Das Gesetz schreibt vor, dass Inhaftierte unverzüglich über die gegen sie erhobenen Anschuldigungen informiert werden müssen. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurde diese Vorschrift häufig nicht beachtet. Angeklagte haben das Recht, einen Anwalt zu konsultieren. Nach Angaben des Büros des Menschenrechtsbeauftragten gab es rund 1 300 staatliche und kommunale Pflichtverteidiger, doch wurde das Recht mittelloser Angeklagter auf kostenlosen Rechtsbeistand aufgrund des Mangels an Anwälten oft nicht respektiert. Ein kostenloser Dolmetscher stand den Angeklagten oft nicht zur Verfügung. Einige Nichtregierungsorganisationen boten den Angeklagten kostenlose Rechtsberatung an (USDOS 12.4.2022).
Das OHCHR berichtete, dass untere Gerichte vom Obersten Gerichtshof Anweisungen zu Fällen erhielten, insbesondere zu solcher politischen Natur und stellte fest, dass die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Bezug auf die rechtmäßige Nationalversammlung uneinheitlich waren und Anlass zu Bedenken hinsichtlich einer Politisierung gaben. Die niedrigen Gehälter der Richter auf allen Ebenen erhöhten das Risiko der Korruption (USDOS 20.3.2023).
Generell mangelte es an Transparenz und Stabilität bei der Zuweisung von Staatsanwälten zu Fällen und an technischen Kriterien für die Zuweisung von Staatsanwälten zu strafrechtlichen Ermittlungen. Diese Unzulänglichkeiten behinderten die Möglichkeit, Straftäter vor Gericht zu stellen, und führten zu einer 90-prozentigen Straffreiheitsrate bei gewöhnlichen Straftaten und einem höheren Prozentsatz an Straffreiheit bei Fällen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen (USDOS 20.3.2023).
Opfer von Gewalt durch den Staat haben keine realistische Chance auf Wiedergutmachung (FH 10.3.2023).
Quellen:
- AI – Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022, AI – Amnesty International: „Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022“, Dokument #2089668 - ecoi.net, Zugriff 30.3.2023
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 24.3.2023
- HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071156.html , Zugriff 20.3.2023
6. Sicherheitsbehörden
Die Bolivarische Nationalgarde - ein Teil des Militärs, der dem Verteidigungsministerium und dem Ministerium für Inneres, Justiz und Frieden untersteht - ist für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, die Bewachung wichtiger Regierungseinrichtungen und Gefängnisse, die Durchführung von Drogenbekämpfungsmaßnahmen, die Überwachung der Grenzen und die Strafverfolgung in abgelegenen Gebieten zuständig. Dem Ministerium für Inneres, Justiz und Frieden unterstehen das Nationale Wissenschafts-, Straf- und Ermittlungskorps, das die meisten strafrechtlichen Ermittlungen durchführt, sowie der Bolivarische Nationale Nachrichtendienst, der nachrichtendienstliche Informationen im In- und Ausland sammelt und für die Untersuchung von Fällen von Korruption, Subversion und Waffenhandel zuständig ist. Die Polizei besteht aus kommunalen, staatlichen und nationalen Kräften. Bürgermeister und Gouverneure beaufsichtigen kommunale und staatliche Polizeikräfte. Die bolivarische Nationalpolizei ist dem Ministerium für Inneres, Justiz und Frieden unterstellt. Die Nationalpolizei konzentriert sich hauptsächlich auf die Überwachung des Stadtbezirks Libertador in Caracas, auf die Überwachung der Autobahnen, der Eisenbahn und der Metro in der Umgebung von Caracas sowie auf den Schutz diplomatischer Vertretungen (USDOS 20.3.2023).
Die Kontrolle der zivilen Behörden über die Sicherheitskräfte nahm weiter ab und war stark politisiert. Das bei den Bürgern zunehmend unbeliebte Maduro-Regime stützte sich auf zivile und militärische Nachrichtendienste und in geringerem Maße auf regimetreue bewaffnete Banden, so genannte Colectivos, um die politische Opposition zu neutralisieren und die Bevölkerung zu unterwerfen. Es gab Berichte, dass Angehörige der Sicherheitskräfte zahlreiche Übergriffe begangen haben. In einem UN-Bericht vom September wurde der systematische Einsatz des bolivarischen Geheimdienstes und der militärischen Spionageabwehr zur Einschüchterung und Kontrolle der Aktivitäten politischer Gegner beschrieben (USDOS 20.3.2023).
Einem Bericht des Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) vom Juni zufolge wurde die PNB (National Bolivarian Police) im Jahr 2021 umstrukturiert, was zur Auflösung der FAES (Bolivarian National Police Special Action Forces) führte, einer Einrichtung, die an Todesfällen im Rahmen von Sicherheitsoperationen beteiligt war. Trotz der Ankündigung des OHCHR wiesen lokale NROs darauf hin, dass das Regime nie eine offizielle Erklärung abgegeben hat, die die Auflösung der FAES bestätigt. Im September berichtete PROVEA (NRO), dass das FAES-Hauptquartier die Abkürzung FAES durch die Generaldirektion gegen das organisierte Verbrechen (DGCO) und die Direktion für kriminalpolizeiliche Ermittlungen ersetzt habe. PROVEA stellte außerdem fest, dass der ehemalige FAES-Direktor Jose Miguel Dominguez als DGCO-Direktor aufgeführt wurde (USDOS 20.3.2023; vgl. AI 27.3.2023).
Straflosigkeit war ein großes Problem bei den Sicherheitskräften (USDOS 20.3.2023; vgl. AI 27.3.2023).
Korruption, unzureichende Ausbildung und Ausrüstung der Polizei und unzureichende Finanzmittel der Zentralregierung, insbesondere für Polizeikräfte in Bundesstaaten und Gemeinden, die von Oppositionsbeamten regiert werden, schränkten die Wirksamkeit der Sicherheitskräfte ein. NROs stellten fest, dass viele Opfer aus Angst vor Vergeltung oder mangelndem Vertrauen in die Polizei keine Gewaltverbrechen bei der Polizei oder anderen Behörden des Regimes anzeigten (USDOS 20.3.2023).
OHCHR dokumentierte, dass solche außergerichtlichen Tötungen in marginalisierten Stadtvierteln weiterhin vorkommen, berichtete jedoch, dass die Zahl der Tötungen im Jahr 2022 deutlich zurückging (FH 10.3.2023).
Quellen:
- AI – Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022, AI – Amnesty International: „Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022“, Dokument #2089668 - ecoi.net, Zugriff 30.3.2023
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 24.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
7. Folter und unmenschliche Behandlung
Obwohl die Verfassung und das Gesetz solche Praktiken verbieten, gab es glaubwürdige Berichte, dass die mit Maduro verbündeten Sicherheitskräfte regelmäßig Gefangene folterten und misshandelten (USDOS 20.3.2023; vgl. AI 27.3.2023). Bei OHCHR gingen im Jahr 2022 Beschwerden über Folter, Misshandlungen und Isolationshaft ein (HRW 12.1.2023).
Medien und NROs berichteten, dass Schläge und erniedrigende Behandlung von Verdächtigen bei Verhaftungen an der Tagesordnung waren und verschiedene Strafverfolgungsbehörden sowie das vom Maduro-Regime kontrollierte Militär beteiligt waren. Auch Fälle von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung von Gefangenen wurden gemeldet (USDOS 20.3.2023).
Mehrere Menschenrechtsgruppen haben den Einsatz von Folter und erzwungenem Verschwindenlassen zur Kontrolle von Dissidenten dokumentiert (FH 10.3.2023).
Quellen:
- AI – Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022, AI – Amnesty International: „Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022“, Dokument #2089668 - ecoi.net, Zugriff 30.3.2023
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 30.3.2023
- HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
8. Korruption
Die Korruption ist in Venezuela weit verbreitet. Die Wirtschaftspolitik der Regierung - insbesondere die Währungs- und Preiskontrollen - bietet erhebliche Möglichkeiten für illegale Marktaktivitäten und geheime Absprachen zwischen Amtsträgern und Netzwerken der organisierten Kriminalität (FH 10.3.2023).
Korruption war ein großes Problem in allen Sicherheits- und Streitkräften, deren Mitglieder im Allgemeinen schlecht bezahlt und kaum ausgebildet waren. Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, aber das Maduro-Regime hat das Gesetz nicht wirksam umgesetzt (USDOS 20.3.2023).
Der Corruption Perceptions Index 2022 von Transparency International listet Venezuela auf Platz 177 von 180 Staaten auf (TI ohne Datum).
Quellen:
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 24.3.2023
- TI – Transparency International (ohne Datum): Corruption Perceptions Index 2022, https://www.transparency.org/en/cpi/2022 , Zugriff 21.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
(…)
11. Allgemeine Menschenrechtslage
Venezuelas demokratische Institutionen haben sich seit 1999 zunehmend verschlechtert, weil die Regierung härter gegen die Opposition vorgeht und die Regierungspartei gründlich gefälschte Wahlen nutzt, um die volle Kontrolle über die staatlichen Institutionen zu erlangen. Die Behörden haben praktisch alle Kanäle für politische Meinungsverschiedenheiten geschlossen, die bürgerlichen Freiheiten eingeschränkt und vermeintliche Gegner ohne Rücksicht auf ein ordentliches Verfahren verfolgt. Obwohl die Wirtschaft des Landes nach Jahren der Rezession wieder gewachsen ist, verursacht eine schwere, politisch bedingte humanitäre Krise weiterhin Not und führt zu Massenauswanderungen (FH 10.3.2023; vgl. USDOS 20.3.2023).
Das Gesetz verbietet Diskriminierung aufgrund von Alter, Rasse, Geschlecht, sozialer Lage, Glaubensbekenntnis, Familienstand, Gewerkschaftszugehörigkeit, politischen Ansichten, Nationalität, Behinderung oder anderen Umständen (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 10.3.2023), die dazu verwendet werden könnten, den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz zu schwächen. Kein Gesetz verbietet ausdrücklich die Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität oder des HIV/AIDS-Status. Medien und Nichtregierungsorganisationen berichteten, dass das Maduro-Regime geltendes Recht nicht wirksam durchgesetzt habe (USDOS 12.4.2022).
Das Maduro-Regime hat keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, um Beamte, die Menschenrechtsverletzungen oder Korruption begangen haben, zu identifizieren, zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Trotz ständiger Berichte über den Missbrauch der Polizei und ihre Verwicklung in Verbrechen, ergriff das Maduro-Regime keine wirksamen Maßnahmen, um gegen Beamte zu ermitteln, die Menschenrechtsverletzungen begangen hatten. Das Maduro-Regime nutzte die Justiz zur Einschüchterung und Verfolgung von Personen, die der Politik oder den Maßnahmen des Regimes kritisch gegenüberstanden (USDOS 12.4.2022).
Das OHCHR berichtete, dass sich im März mindestens 114 politische Gefangene in Untersuchungshaft befanden, die seit mehr als drei Jahren ohne Gerichtsverfahren inhaftiert waren.
Es gab glaubwürdige Berichte, wonach das Maduro-Regime versucht hat, internationale Strafverfolgungsinstrumente, einschließlich Interpol-Red Notices, für politisch motivierte Zwecke als Vergeltungsmaßnahme gegen bestimmte Personen außerhalb des Landes zu missbrauchen (USDOS 20.3.2023).
Die Verfassung sieht die Unverletzlichkeit der Wohnung und die Wahrung der Privatsphäre vor, doch das Maduro-Regime hat diese Verbote im Allgemeinen nicht beachtet. In vielen Fällen, insbesondere bei der politischen Opposition, griffen regimenahe Personen in die persönliche Kommunikation ein. Nichtregierungsorganisationen berichteten von willkürlichen Razzien in ihren Büros und von der Sperrung ihrer Websites oder Social-Media-Profile (USDOS 20.3.2023).
Die Verfassung verbietet die Diskriminierung bei Beschäftigung aufgrund von Alter, Rasse, Geschlecht, sozialem Status, Glaubensbekenntnis, Familienstand, Gewerkschaftszugehörigkeit, politischer Einstellung, Staatsangehörigkeit, Behinderung oder jeglicher Bedingung, die dazu dienen könnte, den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz zu mindern. Ebenso aufgrund der nationalen Herkunft, der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität oder des HIV- oder AIDS-Status (USDOS 20.3.2023).
Quellen:
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 24.3.2023
- HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
12. Meinungs- und Pressefreiheit
Das Gesetz sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien, aber die Kombination von Gesetzen und Verordnungen, die Verleumdung, üble Nachrede und Medieninhalte regeln, sowie rechtliche Schikanen, physische Einschüchterung von Personen und Medien und der Einfluss des Regimes auf die Justiz führten zu einer erheblichen Unterdrückung dieser Freiheiten (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023, HRW 12.1.2023).
Die Freiheit der persönlichen Meinungsäußerung ist in Venezuela jedoch stark eingeschränkt, was zum Teil auf die abschreckende Wirkung der umfassenden staatlichen Überwachung zurückzuführen ist. Die Medien arbeiten in einem äußerst restriktiven regulatorischen und rechtlichen Umfeld. Venezuela verfügte früher über einen florierenden Zeitungs-, Fernseh- und Radiosektor, aber viele dieser Medien mussten in den letzten zehn Jahren schließen oder ihren Betrieb einschränken. Im Jahr 2021 gab es in Venezuela nur noch 22 Zeitungen, gegenüber 121 im Jahr 2013, und allein im Jahr 2022 wurden Dutzende von Radiosendern von der Regierung geschlossen. Das Maduro-Regime unterhält eine staatlich kontrollierte Medieninfrastruktur, die sein politisches und ideologisches Programm fördert (FH 10.3.2023; vgl. AI 27.3.2023).
Unabhängige Journalisten sind dem Druck der Regierung, willkürlichen Verhaftungen und körperlicher Gewalt ausgesetzt (FH 10.3.2023; vgl. HRW 12.1.2023). Seit 2017 verzeichnet RSF [Reporter ohne Grenzen] eine Rekordzahl von willkürlichen Verhaftungen und Gewalttaten gegenüber Reporter*innen durch Polizei und Geheimdienst. Die Nationale Telekommunikationskommission sperrt Sendefrequenzen von kritischen Radio- und Fernsehsendern und veranlasst kurzfristige Abschaltungen von Internet oder Social Media. Einige Printmedien mussten wegen vermeintlichen Papiermangels schließen. Ausländische Journalist*innen werden oft festgenommen, verhört und abgeschoben. In der Rangliste der Pressefreiheit 2022 liegt Venezuela auf Platz 159 von 180 Plätzen (RSF ohne Datum).
Das Gesetz verbietet allen Medien, Botschaften zu verbreiten, die zu Hass oder Intoleranz aus religiösen, politischen, geschlechtsspezifischen, rassistischen oder fremdenfeindlichen Gründen aufstacheln oder diese fördern, zu kriminellen Handlungen auffordern, diese fördern oder dulden, Kriegspropaganda darstellen, Angst in der Bevölkerung schüren oder die öffentliche Ordnung beeinträchtigen, legitime Regierungsbehörden nicht anerkennen, zu Tötungsdelikten aufrufen oder zum Ungehorsam gegen die bestehende Rechtsordnung auffordern oder diesen fördern. Die Strafen reichen von Geldstrafen bis hin zum Entzug von Lizenzen. Die Androhung des Entzugs von Betriebslizenzen führte systematisch zu einer Selbstzensur seitens mehrerer Medienunternehmen (USDOS 12.4.2022; vgl. HRW 12.1.2023).
Die Verfassung von 1999 gibt den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, ihre Regierung durch freie und faire Wahlen zu ändern, aber die Einmischung des Maduro-Regimes, Wahlunregelmäßigkeiten, verfassungswidrige Ernennungen von Wählern und Kandidaten sowie Schikanen und Manipulationen von Wählern und Kandidaten schränkten die Ausübung dieses Rechts (USDOS 12.4.2022).
Quellen:
- AI – Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022, AI – Amnesty International: „Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022“, Dokument #2089668 - ecoi.net, Zugriff 30.3.2023
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 24.3.2023
- HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023
- RSF – Reporter ohne Grenzen (ohne Datum): Venezuela, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/venezuela , Zugriff 24.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071156.html , Zugriff 21.3.2023
13. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
13.1. Versammlungsfreiheit
Die Verfassung sieht das Recht vor, sich friedlich zu versammeln, aber das Maduro-Regime hat es generell unterdrückt oder ausgesetzt. Menschenrechtsgruppen kritisieren weiterhin, dass das Gesetz es dem Regime ermöglicht, Demonstranten wegen der Teilnahme an friedlichen Demonstrationen schwerer Verbrechen anzuklagen. Proteste und Aufmärsche bedürfen einer vorherigen Genehmigung durch das Regime und sind in ausgewiesenen "Sicherheitszonen" untersagt (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023).
Die Sicherheitskräfte reagierten mit übermäßiger Gewalt und anderen repressiven Maßnahmen auf Proteste, an denen sich verschiedene Teile der Bevölkerung beteiligten, um wirtschaftliche und soziale Rechte einzufordern (AI 27.3.2023).
Quellen:
- AI – Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022, AI – Amnesty International: „Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022“, Dokument #2089668 - ecoi.net, Zugriff 30.3.2023
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 24.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
13.2. Vereinigungsfreiheit
Die Verfassung sieht die Vereinigungsfreiheit und die Freiheit von politischer Diskriminierung vor, aber das Maduro-Regime hat diese Rechte nicht respektiert (USDOS 20.3.2023).
Das Gesetz sieht vor, dass alle Beschäftigten des privaten und öffentlichen Sektors (mit Ausnahme der Angehörigen der Streitkräfte) das Recht haben, Gewerkschaften ihrer Wahl zu gründen und beizutreten, und es sieht Tarifverhandlungen und das Streikrecht vor. Das Gesetz schränkt diese Rechte jedoch in mehrfacher Hinsicht ein, und das Maduro-Regime setzte eine Reihe von Mechanismen ein, um die Rechte unabhängiger Arbeitnehmer und Gewerkschaften zu untergraben (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023).
Quellen:
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 24.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
13.3. Opposition
Das Wahlsystem ist stark von politischer Manipulation und institutioneller Einmischung zugunsten der PSUV geprägt. Die Opposition hatte keinen Einfluss auf die Auswahl der Kommissionsmitglieder des CNE im Vorfeld der Parlamentswahlen 2020; den Oppositionsmitgliedern wurden zwei Sitze in dem im Mai 2021 angekündigten fünfköpfigen Gremium zugestanden, was zum Teil auf den Druck der Zivilgesellschaft zurückzuführen war, aber der CNE behielt eine regierungsnahe Mehrheit (FH 10.3.2023).
Oppositionsparteien und PSUV-Dissidenten agierten in einer restriktiven Atmosphäre, die durch Einschüchterung, die Androhung von Strafverfolgung oder Verwaltungssanktionen aufgrund fragwürdiger Anschuldigungen und einen sehr eingeschränkten Zugang zu den Mainstream-Medien gekennzeichnet war (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023, AI 27.3.2023).
Politische Gegner, ob tatsächlich oder vermeintlich, wurden ständig angegriffen und waren der Gefahr willkürlicher Inhaftierung, Folter und anderer Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt (AI 27.3.2023).
Zwar gibt es Oppositionskoalitionen und -parteien, und einige weniger konfrontative Gruppen werden von den Behörden geduldet, doch setzt die regierende PSUV staatliche Mittel sowie Sicherheitskräfte und die Justiz ein, um Parteien zu zerschlagen, die ihre beherrschende Stellung direkt in Frage stellen (FH 10.3.2023).
Die Nichtregierungsorganisation Foro Penal bestätigte, dass es weiterhin Vorfälle von gewaltsamem Verschwindenlassen gibt, und sagte, dass der Staat das gewaltsame Verschwindenlassen zur Kontrolle und Einschüchterung von Oppositionellen einsetzt. Diese Praxis erstreckte sich auch auf Familienmitglieder, um sie zu zwingen, ihre Verwandten auszuliefern (USDOS 12.4.2022).
Das Maduro-Regime ging regelmäßig gegen Abgeordnete der Nationalversammlung, Mitarbeiter der Übergangsregierung und andere Oppositionspolitiker und deren Angehörige vor, indem es Gewalt oder Gewaltandrohungen, willkürliche Verhaftungen, politisch motivierte Strafverfolgung, Verletzung der Privatsphäre und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit einsetzte. Mehrere Oppositionspolitiker flohen aus dem Land oder suchten Zuflucht in diplomatischen Vertretungen, um einer willkürlichen Verhaftung und der Möglichkeit von Folter zu entgehen (USDOS 12.4.2022).
Das Regime ermittelte häufig gegen politische Gegner, verfolgte sie strafrechtlich und nahm sie aufgrund von Korruptionsvorwürfen fest, um sie zu schikanieren, einzuschüchtern oder zu inhaftieren (USDOS 12.4.2022).
Das Regime nutzte das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Finanzierung des Terrorismus immer wieder, um politische Gegner der Begehung von Straftaten zu bezichtigen und zu beschuldigen (USDOS 20.3.2023).
Das OHCHR berichtete, dass sich im März mindestens 114 politische Gefangene in Untersuchungshaft befanden, die seit mehr als drei Jahren ohne Gerichtsverfahren inhaftiert waren (USDOS 20.3.2023; vgl. HRW 12.1.2023).
Quellen:
- AI – Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022, AI – Amnesty International: „Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022“, Dokument #2089668 - ecoi.net, Zugriff 30.3.2023
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 24.3.2023
- HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071156.html , Zugriff 20.3.2023
(…)
19. Bewegungsfreiheit
Die Verfassung sieht Freizügigkeit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Repatriierung vor; das Maduro-Regime hat diese Rechte jedoch nicht eingehalten. Das Maduro-Regime schränkte die Bewegungsfreiheit einiger Oppositionsführer ein und verweigerte ihnen zeitweise den Zugang zu einigen Inlandsflügen. Das Regime beschlagnahmte wiederholt Pässe von Journalisten, Oppositionsmitgliedern und Abgeordneten der Nationalversammlung an den Einreisehäfen, als diese versuchten, das Land zu verlassen, ohne eine Erklärung abzugeben (USDOS 20.3.2023).
Die Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes wird durch die Bedrohung der physischen Sicherheit in einigen Teilen des Landes eingeschränkt (FH 10.3.2023).
Quellen:
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 30.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
20. IDPs und Flüchtlinge
Das Maduro-Regime hat nicht mit dem Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen und anderen humanitären Organisationen zusammengearbeitet, um Flüchtlingen, Asylbewerbern und anderen bedrohten Personen Schutz und Hilfe zu gewähren (USDOS 20.3.2023).
Quellen:
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
21. Grundversorgung und Wirtschaft
Obwohl die Wirtschaft des Landes nach Jahren der Rezession wieder gewachsen ist, verursacht eine schwere, politisch bedingte humanitäre Krise weiterhin Not und führt zu Massenauswanderungen (FH 10.3.2023; vgl. HRW 12.1.2023). Die Mehrheit der Bevölkerung leidet unter großer Ernährungsunsicherheit. Die Hyperinflation und der besorgniserregende Mangel an Kaufkraft zum Erwerb lebenswichtiger Güter führten dazu, dass ein Großteil der Bevölkerung, insbesondere außerhalb der Hauptstadt Caracas, eine tiefe humanitäre Krise erlebte (AI 27.3.2023). Die Inflationsrate in Venezuela betrug im Jahr 2020 rund 3.000 Prozent (laenderdaten.info ohne Datum).
Es bestehen Engpässe bei der Treibstoff-, Wasser- und Stromversorgung (EDA 28.3.2023; vgl. BMEIA 28.3.2023).
HumVenezuela [NRO] erklärte, dass die meisten Venezolaner Schwierigkeiten beim Zugang zu Nahrungsmitteln haben. Der fehlende Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen verschlimmert die humanitäre Krise. Der Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen ging laut HumVenezuela von 2021 bis 2022 zurück, so dass etwa 4,4 Menschen dringend auf Trinkwasser und 1,3 Millionen Menschen auf sanitäre Grundversorgung angewiesen sind (HRW 12.1.2023).
Die Arbeitslosenrate betrug 2021 6,41 Prozent. 33,1 Prozent der Bevölkerung lebten 2015 unterhalb der Armutsgrenze (CIA 22.3.2023).
Sieben Mio. Menschen sind im Land weiterhin auf humanitäre Hilfe angewiesen (BAMF 27.3.2023).
Der nationale Mindestlohn liegt weiterhin unter der Armutsgrenze. Der Mindestlohn und andere Leistungen werden durch Verordnungen festgelegt. Die letzte Gehaltserhöhung wurde am 15. März veröffentlicht. Darin wurde der neue Mindestlohn auf 130 Bolivares pro Monat festgesetzt, was nach dem Kurs der Zentralbank zu diesem Zeitpunkt etwa USD 30 entsprach (USDOS 20.3.2023).
China hat dem Maduro-Regime über sein Telekommunikationsunternehmen ZTE (Zhongxing Telecommunication Equipment Corporation) eine Technologie zur Verfügung gestellt, mit der das soziale, politische und wirtschaftliche Verhalten der Bürger mit Hilfe eines Personalausweises namens carnet de la patria (Heimatausweis) überwacht werden kann. Um die Bürger zur Einhaltung der Vorschriften zu zwingen, machte das Regime die Vorlage des Ausweises zur Pflicht, um Sozialleistungen wie Renten, Medikamente, Lebensmittelpakete, subventionierten Kraftstoff und in einigen Fällen COVID-Impfungen zu erhalten. Die Bürger hatten im Grunde keine andere Wahl, als sich die Karte zu besorgen und sie trotz der bekannten Verfolgungsmethoden zu benutzen (USDOS 12.4.2022).
Illegale Landbeschlagnahmungen und Erpressungen durch bewaffnete Gruppen untergraben auch weiterhin die Eigentumsrechte und die private Wirtschaftstätigkeit (FH 10.3.2023).
Quellen:
- AI – Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022, AI – Amnesty International: „Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022“, Dokument #2089668 - ecoi.net, Zugriff 30.3.2023
- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (27.3.2023): Briefing Notes, Venezuela, Zugriff 28.3.2023
- BMEIA – BM Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (28.3.2023): Venezuela, aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/venezuela/ , Zugriff 28.3.2023
- CIA – Central Intelligence Agency [USA] (22.3.2023): The World Factbook, Venezuela, Economy, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/venezuela/#economy , Zugriff 28.3.2023
- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (28.3.2023): Reisehinweise für Venezuela, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/venezuela/reisehinweise-fuervenezuela.html , Zugriff 28.3.2023
- FH – Freedom House (10.3.2023): Freedom in the World 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088497.html , Zugriff 24.3.2023
- HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023
- laenderdaten.info (ohne Datum): Venezuela, Wirtschaft, https://www.laenderdaten.info/Amerika/Venezuela/wirtschaft.php , Zugriff 31.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071156.html , Zugriff 21.3.2023
21.1. Sozialbeihilfen
Die Sozialversicherungsanstalt deckt Risiken im Zusammenhang mit dem Alter, der Gesundheitsversorgung, Arbeitslosigkeit, Invalidität und Unfall ab und bietet zusätzlich eine Lebensversicherung an. Das Umlagesystem wird stark mit Steuergeldern subventioniert, da die schwindenden Beiträge nicht einmal annähernd die Kosten für die wachsende Zahl der Leistungsempfänger decken. Nicht-Staatsangehörige haben gleichen Zugang zu den bestehenden sozialen Sicherheitsnetzen (BTI 2022).
Das Sozialsystem bietet weiters unter anderem eine Alters- und Behindertenpension, Witwenpension, Krankheit und Mutterschaft, eine Aufzählung der Zuschüsse für Arbeiter für medizinische Leistungen, Verletzungen bei der Arbeit, zeitlich begrenzte und dauerhafte Invaliditätsleistungen, Arbeitslosigkeit und Familienzuschüsse (SSA 3.2020).
Quellen:
- BTI – Bertelsmann Transformations Index (2022): Venezuela, Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_VEN.pdf , Zugriff 21.3.2023
- SSA – Social Security Administration [USA] (3.2020): SSPTW: Social Security Programs Throughout the World: The Americas, 2019, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/americas/venezuela.pdf , Zugriff 21.3.2023
22. Medizinische Versorgung
Das öffentliche Gesundheitssystem in Venezuela ist nicht mehr in der Lage, Kranke adäquat zu versorgen oder notwendige Operationen durchzuführen. Im privaten Sektor ist in der Hauptstadt Caracas auf vielen Gebieten eine gute medizinische Versorgung gegeben. In Caracas sind gängige Medikamente in vielen Apotheken verfügbar. Eine medizinische Notfallversorgung außerhalb der Hauptstadt ist nicht überall gegeben (AA 28.3.2023; vgl. AI 27.3.2023). Selbst in den Großstädten ist die medizinische Versorgung oftmals nicht gewährleistet. In vielen öffentlichen Krankenhäusern sind die hygienischen Verhältnisse prekär. Engpässe in der Versorgung mit Medikamenten kommen in den öffentlichen und privaten Krankenhäusern vor (EDA 24.3.2023).
Die Gesundheitsversorgung wird von öffentlichen und privaten Einrichtungen gewährleistet. Es gibt über 200 öffentliche Krankenhäuser und ein dichtes Netz von Stationen für die medizinische Grundversorgung (ambulante und Diagnosezentren). Die Gesundheitsversorgung ist aufgrund des Verlusts von Humankapital, Versorgungsengpässen und des Ausfalls der medizinisch-technischen Ausrüstung in einem schlechten Zustand (BTI 2022).
In den Krankenhäusern fehlte es an qualifiziertem Gesundheitspersonal, Medikamenten und lebensnotwendigen Dingen wie Wasser, Strom und Reinigungsmitteln (USDOS 12.4.2022).
Der Zustand des venezolanischen Gesundheitssystems hat dazu geführt, dass durch Impfungen vermeidbare Krankheiten und Infektionskrankheiten wieder zunehmen. Strom- und Wasserausfälle in den Gesundheitszentren und die Abwanderung von medizinischem Personal schwächten die Betriebskapazitäten weiter (HRW 12.1.2023).
Die IACHR stellte fest, dass viele junge Frauen, die schwanger waren oder kleine Kinder hatten, in andere Länder auswanderten, um Zugang zu Schwangerschaftsvorsorge und Gesundheits- und Reproduktionsdienstleistungen zu erhalten. Die IACHR berichtete auch, dass Frauen, die eine neonatale oder geburtshilfliche Versorgung in Anspruch nehmen wollten, ihre eigene chirurgische und persönliche Schutzausrüstung mitbringen mussten. Schwangere Frauen erhielten häufig keine pränatale Betreuung (USDOS 12.4.2022).
Die medizinische Versorgung durch Ärzte und Krankenhäuser in Venezuela ist im Vergleich zur Weltbevölkerung unterdurchschnittlich (laenderdaten.info ohne Datum).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.3.2023): Venezuela, Reise- und Sicherheitshinweise, Gesundheit, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/venezuela-node/venezuelasicherheit/224982#content_5 , Zugriff 28.3.2023
- AI – Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022, AI – Amnesty International: „Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Venezuela 2022“, Dokument #2089668 - ecoi.net, Zugriff 30.3.2023
- BTI – Bertelsmann Transformations Index (2022): Venezuela, Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_VEN.pdf , Zugriff 21.3.2023
- EDA - Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (24.3.2023): Reisehinweise für Venezuela, medizinische Versorgung, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/venezuela/reisehinweise-fuervenezuela.html#eda0dfccb , Zugriff 24.3.2023
- HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085515.html , Zugriff 24.3.2023
- laenderdaten.info (ohne Datum): Venezuela, Gesundheit, https://www.laenderdaten.info/Amerika/Venezuela/gesundheit.php , Zugriff 31.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071156.html , Zugriff 20.3.2023
23. Dokumente
Die Erlangung eines Reisepasses war schwierig (USDOS 20.3.2023; vgl. USDOS 12.4.2022). Potenzielle Antragsteller standen über Nacht in Warteschlangen und erhielten in einigen Fällen nach jahrelangen Verzögerungen keine Pässe (USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge verlangte das Regime von den Bürgern exorbitante außeramtliche Gebühren in US-Dollar für die Beschaffung von Pässen oder Bürgerdiensten (USDOS 20.3.2023).
Quellen:
- USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.state.gov/reports/2022-country-reports-on-human-rights-practices/venezuela/ , Zugriff 23.3.2023
- USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Venezuela, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071156.html , Zugriff 20.3.2023"
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und eindeutigen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung und auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
2.1. Die zur Identität und zu den beiden Staatsangehörigkeiten getroffenen Feststellungen beruhen auf den diesbezüglichen und unbestritten gebliebenen Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung sowie auf den im Verwaltungsakt in Kopie ersichtlichen Urkunden (venezolanischer und syrischer Reisepass sowie venezolanischer und syrischer Identitätsausweis), an deren Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind. Abgesehen vom Original des venezolanischen Reisepasses (ausgestellt am 23.03.2017 und gültig bis 22.03.2022), der vom BFA sichergestellt wurde, legte der BF gegenüber dem BFA lediglich Kopien seines syrischen Reisepasses (ausgestellt am 02.05.2017 und gültig bis 01.05.2023) und syrischen Identitätsausweises (ausgestellt am 22.06.2015 in Damaskus) vor (AS 27 und 29), wobei er angab, dass die beiden Originaldokumente in der Türkei seien.
Des Weiteren beruht die Feststellung, dass der BF venezolanischer Staatsangehöriger ist, auf dem Umstand, dass die Gültigkeit des venezolanischen Reisepasses des BF bis 24.11.2026 verlängert wurde (siehe Klebeetikett „Prórroga“, AS 26).
Was die konkreten Umstände für den Erwerb der venezolanischen Staatsangehörigkeit anbelangt, so erweist es sich letztlich als irrelevant, ob der BF die venezolanische Staatsbürgerschaft – wie vom BF behauptet – nur durch Bezahlung einer beträchtlichen Geldsumme oder allenfalls aus einem anderen Grund (z.B. Eheschließung mit einer venezolanischen Staatsangehörigen) erhalten hat, zumal die Tatsache, dass der BF die venezolanische Staatsbürgerschaft rechtmäßig erworben hat und er diese fortan auch besitzt, völlig unstrittig ist.
Der Umstand, dass im angefochtenen Bescheid keine konkrete Sachverhaltsfeststellung zum Vorliegen auch der syrischen Staatsangehörigkeit des BF getroffen wurde, bedeutet entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde und in der Verhandlung nicht, dass die belangte Behörde jedenfalls nicht vom (weiteren) Vorliegen auch der syrischen Staatsangehörigkeit ausgegangen wäre. So wurde im Bescheid etwa auch nicht „negativ“ festgestellt, dass der BF – etwa seit dem Erwerb der venezolanischen Staatsangehörigkeit – nicht mehr Staatsangehöriger Syriens wäre. Vielmehr wurde in der gesamten Bescheidbegründung mehrmals konkret auf Syrien Bezug genommen, etwa zum Vorliegen von Kopien syrischer Dokumente, wobei die Originale nicht vorgelegt worden seien; es wurden auch Feststellungen zur syrischen Herkunft des BF und zu seinen dort nach wie vor bestehenden familiären Bindungen getroffen. Weiters wurde festgestellt, dass der BF Syrien 2011 verlassen habe; in der Beweiswürdigung wird zu dieser Feststellung ausgeführt, dass sich der BF „seit 2011 außerhalb des Heimatlandes“ (gemeint: Syrien) aufhalte (Bescheid S. 42). Des Weiteren wurde in der Beweiswürdigung auch auf das Vorbringen des BF in Bezug auf Syrien eingegangen, wobei die vom BF getätigten Schilderungen nach Ansicht der Behörde in keinem kausalen Zusammenhang zur GFK stehen würden (Bescheid S. 44). Schließlich wurde betreffend die Feststellungen zur Situation des BF im Fall einer Rückkehr ausgeführt, dass sich aus der Verknüpfung des Asylverfahrens mit der Feststellung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ergebe, dass keine Feststellung in Bezug auf einen „unbekannten tatsächlichen Herkunftsstaat (hier Syrien)“ zu treffen sei, sondern die Gefährdungssituation bzw. die Rückkehr in dem Staat zu prüfen sei, „dessen Staatsbürger der Fremde sei, also Venezuela“ (Bescheid S. 44).
Der Umstand, dass nicht näher festgestellt werden konnte, wann der BF letztmals aus Syrien ausreiste und wie lange er sich zuletzt dort aufgehalten hatte, ergibt sich aus den dahingehend vagen und auch widersprüchlichen Angaben. Während der BF in der Verhandlung auf Befragung angab, vor etwa neun Jahren, also etwa 2015, Syrien das letzte Mal verlassen zu haben, gab der BF in der Einvernahme vor dem BFA und in der Beschwerde an, dass er 2006 Syrien verlassen und 2011 wieder nach Syrien zurückgekehrt sei, dann aber wegen des Bürgerkrieges Syrien wieder verlassen habe. Er habe dann bis 2013 in Kairo gelebt, und danach in der Türkei (AS 48, 277). In der in der Verhandlung von der Rechtsvertreterin vorgelegten schriftlichen Stellungnahme (Anlage ./A) wird wiederum ausgeführt, dass der BF 2013 wieder nach Damaskus zurückgekehrt sei, ehe er Syrien wegen der volatilen Sicherheitslage endgültig verlassen habe; in den Jahren 2013 bis 2023 habe er sich in der Türkei (Istanbul) aufgehalten.
Dass sich der BF tatsächlich längere Zeit in der Türkei aufgehalten hat, ergibt sich aus den dahingehend glaubhaften Angaben und unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid, wobei die tatsächliche genaue Aufenthaltsdauer aber ebenso wenig feststellbar war.
Was den Aufenthalt des BF in Venezuela anbelangt, so war jedenfalls davon auszugehen, dass sich der BF tatsächlich in Venezuela aufgehalten und dort die für ihn ausgestellten amtlichen Dokumente (Reisepass, Identitätsausweis) persönlich abgeholt hat, wobei weder die genauen Zeitpunkte der Ein- und Ausreise, noch die konkrete Aufenthaltsdauer aufgrund widersprüchlicher Angaben und fehlender Grenzkontrollstempel-Eintragungen zweifelsfrei festgestellt werden konnten. So tätigte der BF dahingehend widersprüchliche Angaben: Während er in der Einvernahme vor dem BFA angab, im Jahr 2016 in Venezuela gewesen zu sein und die venezolanische Staatsangehörigkeit im April 2016 erhalten zu haben, gab der BF in der Verhandlung im Gegensatz dazu an, dass er nur im März 2017 in Venezuela gewesen sei. In der Beschwerde wurde nur angeführt, dass der BF „kurz in Venezuela“ gewesen sei, ohne dies näher zu präzisieren.
Der Behauptung des BF in der Verhandlung, wonach er sich im März 2017 nur für 20 Tage in Caracas aufgehalten hätte, konnte aber schon aufgrund der gänzlich fehlenden persönlichen Glaubwürdigkeit des BF und der mangelnden Schlüssigkeit dieser Angabe nicht gefolgt werden. So steht dieser Behauptung der Umstand entgegen, dass etwa der mit einem Foto und einer handschriftlichen Unterschrift des BF versehene venezolanische Identitätsausweis („Cédula de Identidad“, AS 29), dessen Echtheit außer Zweifel steht, bereits Monate vorher, nämlich am 10.12.2016 ausgestellt worden war, demnach der BF bereits vor der Ausstellung dort gewesen sein musste, was wiederum nicht mit der Aussage des BF in der Verhandlung in Einklang zu bringen ist, wonach er nur im März 2017 in Venezuela gewesen sei.
Die Feststellung, dass sich der BF bereits im Zeitraum von 30.10.2022 bis 23.01.2023 und dann – nach kurzem Aufenthalt in Bukarest (Rumänien) – von 25.01.2023 bis 06.04.2023 in Österreich aufgehalten hat und zuletzt am 05.07.2023 wieder in Österreich einreiste, ergibt sich auch aus den im venezolanischen Reisepass des BF ersichtlichen Grenzkontrollstempel-Eintragungen (AS 26).
Der Umstand, dass nicht festgestellt werden konnte, dass der BF tatsächlich – wie von ihm behauptet – ledig und nie verheiratet gewesen sei, beruht darauf, dass der BF zwar durchwegs immer angegeben hatte, ledig und nie verheiratet gewesen zu sein, allerdings in der mündlichen Verhandlung auf Vorhalt, dass sich aus seinem im Verwaltungsakt in Kopie einliegenden venezolanischen Identitätsausweis („Cédula de Identidad“; AS 29) mit Ausstellungsdatum 10.12.2016 ergebe, dass er verheiratet sei (siehe die Rubrik: „EDO CIVIL: CASADO“), keine schlüssige Erklärung geben konnte. Der BF antwortete lediglich, dass in Venezuela Korruption herrsche und „er“ (wohl gemeint: der Mittelsmann) die venezolanische Staatsbürgerschaft als Heirat beschafft habe, ohne dies jedoch näher darzulegen. Vielmehr widerspricht diese Aussage seinem bisherigen Vorbringen, wonach er für den Erwerb der Staatsangehörigkeit eine bestimmte Geldsumme bezahlen habe müssen; davon, dass die Verleihung der venezolanischen Staatsbürgerschaft an den BF infolge einer „Schein-Heirat“ erfolgt wäre, war bis zu diesem Vorhalt in der Verhandlung nie die Rede. Letztlich hat sich vor diesem Hintergrund beim erkennenden Gerichts auch die Möglichkeit ergeben, dass der BF die venezolanische Staatsangehörigkeit nicht etwa – wie von ihm behauptet – nur durch die Bezahlung einer entsprechenden Geldsumme (sog. „golden passport“), sondern tatsächlich durch eine Eheschließung mit einer venezolanischen Staatsangehörigen erworben haben könnte, was der BF auf Befragung in der Verhandlung allerdings bestritt.
Die Feststellung zum Fehlen familiärer und nennenswerter privater Bindungen sowie zum Nichtvorliegen einer umfassenden Integration in Österreich beruht auf den diesbezüglichen eindeutigen Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung. Anhaltspunkte für einen berücksichtigungswürdigen hohen Grad der Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht haben sich nicht ergeben. Daran vermag auch der Umstand nichts maßgeblich zu ändern, dass der BF aufgrund einer Beschäftigungsbewilligung (AS 57) legal als Friseur geringfügig beschäftigt ist. Ansätze einer sozialen Integration in der derzeitigen Wohngemeinde des BF in XXXX ergeben sich aus dem in der Verhandlung vorgelegten Bestätigungsschreiben des dortigen Bürgermeisters vom 29.11.2023 (Anlage ./B).
Der Umstand, dass dem BF auch insoweit kein Glauben geschenkt werden konnte, als er zuletzt behauptet hatte, über gar keine Spanisch-Kenntnisse zu verfügen, ergibt sich daraus, dass der BF dazu im gesamten Verlauf des Verfahrens völlig gegensätzliche Angaben tätigte. Die Frage in der Verhandlung, ob er Spanisch spreche, verneinte der BF. Auf den nachfolgenden Vorhalt, dass auch in der Beschwerde behauptet werde, dass er die Landessprache Venezuelas, also Spanisch, nicht spreche, er aber in der Erstbefragung vom 21.07.2023 angegeben habe, „gute Spanisch-Kenntnisse in Wort und Schrift“ zu haben, und in der Einvernahme vom 27.10.2023 einen Lebenslauf von ihm vorgelegt habe (AS 61), in dem folgende Sprachkenntnisse („Languages“) angegeben werden: „Bilingual Englisch/Arabic; Fluent in Spanish/Turkish“, und sich das alles widerspreche, antwortete der BF wie folgt:
„BF: Es war so, wissen Sie, es war am Flughafen, da wurde ich auf Spanisch befragt, dort meinten sie, wie es sein kann, dass ich aus Venezuela komme, während Corona hatte ich ein bisschen Zeit, Spanisch zu lernen sowie auch Deutsch, also ohne Kurse. Ich spreche Spanisch aber nicht, ich habe dort nicht gelebt und verwende die Sprache nicht. Ich habe nur Spanisch-Kenntnisse erworben, damit ich etwa im Supermarkt kommunizieren kann.“
Aus dieser Antwort ergibt sich wiederum, dass der BF eben nicht über gar keine, sondern sehr wohl über Spanisch-Kenntnisse verfügt, die ihm etwa eine einfache Kommunikation im Alltag ermöglichen.
Die Feststellung zu den geringen Deutschkenntnissen beruht auf den diesbezüglichen Angaben des BF und der eigenen Wahrnehmung des erkennenden Richters in der Verhandlung.
Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit in Österreich beruht auf einer Abfrage im Strafregister der Republik Österreich.
2.2. Das Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen seiner beiden Herkunftsstaaten Venezuela und Syrien sowie zu seiner Situation im Fall einer Rückkehr nach Venezuela bzw. nach Syrien (Fluchtgründe) beruht auf seinen Angaben in der Erstbefragung und in der Einvernahme vor dem BFA, auf den Ausführungen in der Beschwerde sowie im Besonderen auf den Angaben in der mündlichen Verhandlung.
Im Verfahren vor der belangten Behörde hat der BF eine Verfolgungsgefahr lediglich in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Syrien vorgebracht und dies auf das Wesentliche zusammengefasst damit begründet, dass er im Falle einer Rückkehr zum Wehrdienst einberufen werden würde, der damit nicht glücklich sei und dies nicht wolle. In der Beschwerde wurde darüber hinaus erstmals vorgebracht, dass ihm eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde.
Die Gefahr einer aus einem der in der GFK genannten Gründe drohenden Verfolgung in Venezuela hat der BF im gesamten Verfahren nicht vorgebracht. Der BF gab zu möglichen Rückkehrhindernissen lediglich an, dass eine Rückkehr nach Venezuela aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage, der hohen Kriminalität und der fehlenden familiären Bindungen nicht möglich sei. Eine von staatlichen Einrichtungen Venezuelas ausgehende Verfolgung wurde von ihm mehrmals ausdrücklich verneint.
Was das dargelegte Fluchtvorbringen in Bezug auf den Herkunftsstaat Syrien anbelangt, ist festzuhalten, dass sich der BF nach dem in der mündlichen Verhandlung verschafften persönlichen Eindruck als gänzlich unglaubwürdig erwiesen hat. Bei der ganzheitlichen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben spielt die persönliche Glaubwürdigkeit eine wesentliche Rolle. Diese persönliche Glaubwürdigkeit hinsichtlich einer möglichen Verfolgungsgefahr war dem BF jedoch abzusprechen. So hat der BF konkret gestellte Fragen fast durchwegs nur ausweichend, ausschweifend, widersprüchlich oder in unschlüssiger Weise beantwortet. So mussten auch in der Verhandlung zahlreiche Fragen wiederholt werden, auf einige Fragen hat der BF gar keine entsprechende Antwort gegeben, obwohl er ausreichend Zeit und Gelegenheit gehabt hätte, sein Vorbringen von sich aus näher darzulegen. Dadurch ist der Eindruck entstanden, dass der BF damit den – aus seiner Sicht wohl – „unbequemen“ Fragen ausweichen wollte.
Auf Grund dessen und auch aufgrund des in der Beschwerde mit völlig neuen Umständen gesteigerten Vorbringens war der Wahrheitsgehalt der Angaben zu einer möglichen Verfolgungsgefahr in Syrien gänzlich zu bezweifeln. So war der BF im gesamten Verlauf des Verfahrens auch nicht in der Lage, die zahlreichen vorgehaltenen Widersprüche in schlüssiger Weise zu beseitigen bzw. die aufgetretenen Unklarheiten aufzuklären. So waren bereits die Angaben des BF zu seinem letztmaligen Aufenthalt in Syrien – wie bereits dargestellt – widersprüchlich (2011 in der Einvernahme bzw. „vor neun Jahren“ in der Verhandlung, 2013 in der schriftlichen Stellungnahme der Rechtsvertreterin).
Letztlich beruhte die behauptete Verfolgungsgefahr in Syrien auch nur auf persönlichen Vermutungen des BF. So gab der BF in der Erstbefragung an, dass er von der syrischen Regierung gesucht und verfolgt werde, aber die Gründe für die Verfolgung nicht nennen könne, weil er diese selber nicht kenne; er würde aber sicher verhaftet werden, sobald er nach Syrien zurückgehe. Er habe Angst, verhaftet zu werden. Er müsse wahrscheinlich den Militärdienst machen, wolle aber keine unschuldigen Menschen töten und auch nicht getötet werden. In der Einvernahme vor dem BFA gab er an, dass er nicht nach Syrien zurückkönne, denn dort müsste er den Wehrdienst ableisten und er habe keine Lust, in den Krieg zu ziehen. In der Einvernahme vor dem BFA gab er auch an, dass er nach Abschluss seines Studiums in Damaskus im Jahr 2006 Syrien verlassen und in Abu Dhabi und Dubai gearbeitet habe. Im Jahr 2007 habe er dann den Einberufungsbefehl erhalten. Im Jahr 2011 sei er nach Syrien zurückgekehrt, dann aber wegen des Bürgerkriegs wieder ausgereist und bis 2013 in Kairo geblieben. Im Jahr 2013 sei er in die Türkei gegangen. Dass er aufgrund des bereits 2007 ausgestellten Einberufungsbefehls nach seiner Einreise in Syrien im Jahr 2011 tatsächlich einer Verfolgung oder anderen Bedrohungen ausgesetzt gewesen wäre, behauptete der BF aber nicht. Überdies spricht auch der Umstand gegen eine Verfolgungsgefahr, dass dem BF am 02.05.2017 ein syrischer Reisepass ausgestellt wurde, wobei der BF dazu nur angab, dass sein Vater sich um die Reisepass-Ausstellung gekümmert und ihn mit einem Boten in den Libanon bringen habe lassen.
Erstmals in der Beschwerde wurde vorgebracht, dass dem BF in Syrien aufgrund einer ihm unterstellten politischen Gesinnung eine langjährige Haftstrafe oder der Tod durch eine Verfolgung durch das syrische Regime drohe (AS 297). Vom Vorliegen einer politisch motivierten Verfolgungsgefahr hatte der BF zuvor aber weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme gesprochen. Vielmehr gab der BF in der Erstbefragung ausdrücklich an, dass er die Gründe, weshalb er verfolgt werden könnte, selbst nicht kenne.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die bloße und nicht näher begründete Behauptung, dass ihm im Fall der Rückkehr nach Syrien eine mögliche Verfolgung drohen könnte, für die Glaubhaftmachung einer derartigen Gefährdung nicht ausreicht, sondern es bedarf der Darlegung ausreichend konkreter und individueller Umstände, die den BF betreffen, um mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch von einer ihn betreffenden Gefährdung ausgehen zu können. Dieses insgesamt als unsubstanziiert zu qualifizierende Vorbringen des BF zu den Fluchtgründen bzw. zur behaupteten Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Syrien genügt letztlich den an die Glaubhaftmachung im Sinne der GFK gestellten Anforderungen nicht, um auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen einer aktuellen Verfolgungsgefahr oder einer sonstigen asylrelevanten Gefährdung ausgehen zu können. Auch sonst sind im Verfahren keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung im Herkunftsstaat Syrien für wahrscheinlich erscheinen lassen.
Was das Vorbringen in Bezug auf Venezuela anbelangt, brachte der BF – wie bereits ausgeführt – zunächst gar keine Gründe für eine mögliche Verfolgungsgefahr vor, sondern er beschränkte sich stets auf die dort herrschenden Zustände, die ihm ein Leben unmöglich machen würden. So gab der BF in der Einvernahme vor dem BFA ausdrücklich an, dass er in Venezuela keine Probleme habe, dort aber die Wirtschaftslage schlecht und die Kriminalität hoch seien, weshalb er dorthin nicht zurückwolle; er habe in Venezuela weder eine Wohnung noch Familie. Das sei der Grund, warum er hier einen Asylantrag eingebracht habe.
Zum erstmaligen Vorbringen in der Beschwerde, wonach der BF in Venezuela sehr wohl eine Verfolgung durch seinen „Mittelsmann“ namens Abbas zu befürchten habe, gegen den er einen Prozess wegen eines Betrugsversuchs angestrengt und auch obsiegt habe, weshalb er nunmehr befürchte, dass sich Abbas an ihm rächen werde, sollte er nach Venezuela zurückkehren müssen, ist festzuhalten, dass sich dieses Vorbringen als dermaßen vage, unplausibel und unsubstanziiert erwiesen hat, dass diesem auch keine Glaubhaftigkeit zuzuerkennen war. Insofern kann auch eine unzulässige Steigerung des bisherigen Vorbringens erblickt werden (§ 20 Abs. 1 BFA-VG).
So legte der BF auch nicht schlüssig dar, weshalb er diesen Umstand im Verfahren vor dem BFA mit keinem Wort erwähnt hatte, obwohl kein Grund ersichtlich war, weshalb er dies nicht tun hätte können. Auf entsprechenden Vorhalt in der Verhandlung erwiderte der BF zunächst, dass dieser Prozess nicht im Libanon stattfinde, sondern in Venezuela. Auf Wiederholung der Frage, bestätigte der BF die Richtigkeit des Vorhalts. Auf Nachfrage, weshalb er diesen Umstand vor dem BFA aber mit keinem Wort erwähnt habe, erwiderte der BF lapidar, dass er diesbezüglich nicht befragt worden sei. Auf die nachfolgende Frage, wo dieses Gerichtsverfahren stattfinde, antworte der BF ausweichend, dass er ihn (gemeint: den Mittelsmann) im Libanon angezeigt habe. Auf Nachfrage, ob es jetzt ein Gerichtsverfahren gebe, antworte der BF mit „Ja“, nannte aber den Ort des Verfahrens nicht. Auf neuerlich wiederholte Frage, wo das Gerichtsverfahren stattfinde, antwortete der BF schließlich im Gegensatz zu seiner vorherigen Aussage (Venezuela, Anm.), dass es im Libanon anhängig sei.
Überdies gab der BF in der Verhandlung an, dass dieser „Mittelsmann“ oder „Makler“ nicht mehr im Libanon sei. Auf die Frage, weshalb der BF eine von diesem Mann ausgehende Verfolgungsgefahr in Venezuela befürchten müsse, gab der BF keine konkrete Antwort. Weiters ist festzuhalten, dass das in der Beschwerde als „Urteil Libanon“ bezeichnete, inhaltlich aber in keiner Weise näher dargelegte Schreiben in Gestalt einer bloßen Foto-Ablichtung (ohne Vorlage des Originals) sich nach der in der Verhandlung veranlassten Übersetzung vom Wortlaut her eindeutig als Schreiben einer Anwältin zu werten war und es sich dabei jedenfalls nicht um ein Gerichtsurteil handelt. Weitere Beweise zu einem (anhängigen oder gewonnenen) Gerichtsverfahren im Libanon legte der BF jedoch nicht vor, sondern wich Fragen dazu – wie bereits dargestellt – wiederholt aus. Unbeachtlich dessen war ohnehin auch kein hinreichender Anhaltspunkt dahingehend erkennbar, wonach aus diesem Vorbringen einer von einer einzelnen Privatperson ausgehenden Gefährdung oder Bedrohung eine dem venezolanischen Staat zurechenbare asylrelevante Verfolgung auch nur ansatzweise angenommen werden könnte.
Was die konkreten Umstände anbelangt, die zur – im Ergebnis völlig unstrittigen – rechtswirksamen Verleihung der venezolanischen Staatsbürgerschaft an den BF geführt haben (Erwerb durch Bezahlung einer beachtlichen Geldsumme oder aber Erwerb durch Eheschließung mit einer venezolanischen Staatsangehörigen), so konnte dem diesbezüglichen Vorbringen des BF schon aufgrund der widersprüchlichen Angaben kein Glauben geschenkt werden.
So gab der BF in der Einvernahme an, dass er die venezolanische Staatsangehörigkeit seit April 2016 besitze und 50.000 Dollar dafür bezahlt habe. In der Beschwerde wurde nur vage ausgeführt, dass der BF kurz (für 20 Tage) in Venezuela gewesen sei, um dort einen Reisepass „zu kaufen“. In der Verhandlung gab der BF im Gegensatz dazu an, dass er seit 2017 die venezolanische Staatsangehörigkeit besitze. Auf die Frage, wann und wo er die Erteilung der venezolanischen Staatsbürgerschaft beantragt habe, antwortete der BF nicht, sondern wich mit Ausführungen zur Lage in Syrien aus. Auf Wiederholung der Frage führte der BF aus, dass er aufgrund dieser Lage in Syrien geschaut habe, dass er einen venezolanischen Pass bekomme. Er habe vorab dafür Geld bezahlen müssen, um dann auch über Istanbul und Bogotá nach Caracas zu fliegen. Er habe das alles über einen Mittelsmann bzw. „Makler“ gemacht. Als er in Caracas angekommen sei, sei er zur zuständigen Migrationsbehörde, wo er den venezolanischen Reisepass ausgefolgt bekommen habe. Konkrete zeitliche Angaben in diesem Zusammenhang tätigte der BF aber wiederum nicht. Auf die nachfolgende Frage, ob er dies zeitlich konkretisieren könne, wann das mit dem Reisepass gewesen sei, antwortete der BF, dass dies im Jahr 2017 gewesen sei. Auf Befragung zu seinem Aufenthalt in Venezuela gab der BF an, dass er nur im März 2017 für 20 Tage dort gewesen sei. Was die Kosten für den Reisepass anbelangt, führte der BF im Gegensatz zu seinen bisherigen Angaben vor dem BFA aus, dass er in drei Raten insgesamt 75.000 US-Dollar bezahlt habe. Auf Vorhalt, dass er bislang nur von 50.000 Dollar gesprochen habe, erwiderte der BF, dass 75.000 richtig seien, und er ergänzte, dass das BFA einige Fehler gemacht habe. Er sei für diese Fehler nicht verantwortlich, sondern das BFA. Sie hätten 50.000 geschrieben, obwohl er 75.000 gesagt habe.
Dieser Rechtfertigungsversuch des BF geht aber schon deshalb ins Leere, als bis zur Verhandlung eine fehlerhafte Protokollierung, dass er nicht 50.000 sondern 75.000 Dollar bezahlt habe, nie gerügt wurde.
Dahingehend war auch auffallend, dass die in der Verhandlung anwesende Rechtsvertreterin ihre bereits zur Vorlage in der Verhandlung vorbereitete schriftliche Stellungnahme (Anlage ./A) noch während der Verhandlung handschriftlich ausbesserte, indem sie die dortigen Angaben zum Jahr des Aufenthalts in Venezuela und die für den venezolanischen Reisepass bezahlte Geldsumme (2016 und 50.000) auf die eben vom BF in der Verhandlung getätigten und davon abweichenden Angaben (2017 und 75.000) abänderte.
Insoweit sich der BF auf Vorhalt in der Verhandlung, dass die Beschwerde mit neuen Umständen ergänzt worden sei, pauschal damit rechtfertigte, dass das BFA viele Fehler gemacht habe und nicht alles richtig übersetzt hätte und er auch bestimmte, in der Verhandlung konkret vorgehaltene Aussagen dort gar nicht getätigt habe, ist entgegenzuhalten, dass in der mit Unterstützung seiner Rechtsvertretung verfassten Beschwerde mit keinem Wort auf allfällige Übersetzungsfehler oder sonstige Verständigungsschwierigkeiten in der Einvernahme vor dem BFA hingewiesen worden ist. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die in der Niederschrift der Einvernahme wiedergegebenen Fragen und Antworten hinsichtlich ihrer Richtigkeit oder Vollständigkeit zu hinterfragen. So ist festzuhalten, dass der BF die Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA auf jeder Seite jeweils eigenhändig unterschrieben hat und diese Niederschrift auch nach Beendigung der Einvernahme rückübersetzt wurde. Allfällige Korrekturen wurden nicht vorgenommen. All dies wurde vom BF in weiterer Folge auch nicht bestritten. Wäre es im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA tatsächlich zu nicht unwesentlichen Verständigungsschwierigkeiten oder sprachlichen Missverständnissen oder gar inhaltlich falschen Protokollierungen gekommen, so wäre wohl zu erwarten gewesen, dass der BF bereits nach der erfolgten Einvernahme, jedenfalls aber in seiner mit Unterstützung seiner Rechtsvertretung verfassten Beschwerde konkret dargelegt hätte, welche seiner Aussagen falsch verstanden oder falsch übersetzt worden wären. Diesbezüglich machte der BF jedoch keinerlei Angaben. Auch in der mündlichen Verhandlung hat der BF diesbezüglich keine konkreten Angaben getätigt, sondern er berief sich in auffälliger Weise immer nur dann auf mögliche Verständigungsschwierigkeiten und falsche Übersetzungen des Dolmetschers bzw. auf Fehler der belangten Behörde, nachdem ihm seine eigenen widersprüchlichen oder unschlüssigen Angaben ausdrücklich vorgehalten worden waren.
Aufgrund dieser gänzlich fehlenden persönlichen Glaubwürdigkeit und des Umstandes, dass der BF in der Verhandlung selbst angegeben hat, dass der gegenständliche Asylantrag vorrangig auf wirtschaftliche Aspekte seiner Lebensumstände zurückzuführen ist, und der BF auch seit seiner Ausreise aus Syrien (laut eigenen Angaben in der Verhandlung vor neun Jahren) in keinem der von ihm bereisten europäischen Länder jemals einen Asylantrag gestellt hat, war im Ergebnis festzustellen, dass der BF keine ihm im Herkunftsstaat Syrien drohende Verfolgungsgefahr aus den in der GFK dargelegten Gründen glaubhaft machen konnte, weshalb das diesbezügliche Vorbringen der vorliegenden Entscheidung auch nicht als maßgeblicher Sachverhalt – in Bezug auf den Herkunftsstaat Syrien – zugrunde gelegt wurde.
So gab der BF in der Einvernahme vor dem BFA wörtlich an (AS 50):
„Ich war im Jahr 2021 in Wien als Tourist. Ich war in Deutschland und in Italien und ich habe gesehen, dass es in Österreich am besten ist, hier gibt es mehr Sicherheit und mehr soziale Stabilität. Als ich mir mehrere Länder in Europa angeschaut habe, reiste ich zurück in die Türkei, packte meine Sachen und reiste am 05.07.2023 endgültig nach Österreich ein.“
Eine Verfolgung durch staatliche Einrichtungen Venezuelas verneinte der BF ausdrücklich, ebenso wie andere konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen, welche auch nur ansatzweise dem Herkunftsstaat Venezuela zurechenbar wären.
2.3. Die oben unter Punkt 1.3. getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Venezuela ergeben sich aus den in der mündlichen Verhandlung eingebrachten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, die sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage ergeben und auf Berichten verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen beruhen.
Auch aus den folgenden, aktuelleren und in der Verhandlung eingebrachten Berichten haben sich hinsichtlich der getroffenen Feststellungen zur Lage in Venezuela keine relevanten oder sonst zu berücksichtigenden Änderungen ergeben, aufgrund derer allenfalls eine andere Beurteilung der Lage vorzunehmen gewesen wäre:
Amnesty International (AI), Report 2022/23; The State of the World’s Human Rights; Venezuela 2021 (27.03.2023)
International Crisis Group (ICG), Watch List 2024 for the EU; Venezuela: The Perilous Path to a Key Election (30.01.2024)
EUAA, Venezuela – Country Focus (November 2023)
Freedom House (FH), Freedom in the World 2023 – Venezuela (10.03.2023)
Human Rights Council, Situation of human rights in the Bolivarian Republic of Venezuela – Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights, A/HRC/50/59 (23.06.2022),
Human Rights Watch (HRW), World Report 2024 – Venezuela (12.01.2024)
Inter-American Commission on Human Rights (IACHR), Annual Report 2021 – Chapter IV.B: Venezuela (2022)
Staatendokumentation, Länderinformationsblatt (LIB) Venezuela (31.03.2023)
US Department of State (USDOS), 2022 Country Reports on Human Rights Practices: Venezuela (20.03.2023)
US Department of State (USDOS), 2022 Report on International Religious Freedom: Venezuela (15.05.2023)
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Von der den beschwerdeführenden Parteien in der mündlichen Verhandlung eingeräumten Möglichkeit, zu diesen herkunftsstaatsbezogenen Feststellungen eine Stellungnahme abzugeben, machte die in der Verhandlung anwesende Rechtsvertreterin insofern Gebrauch, als sie eine vorbereitete schriftliche Stellungnahme vorlegte (Anlage ./A) und im Übrigen auf das Vorbringen in der Beschwerde verwies.
Die Parteien sind in der mündlichen Verhandlung den dargelegten Feststellungen und Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat VENEZUELA nicht substanziiert entgegengetreten. So wurde nicht dargelegt, welche Punkte der Feststellungen und Informationen zum Herkunftsstaat unrichtig oder sonst unzutreffend wären. Auch sonst wurden keinerlei Umstände vorgebracht, die den Wahrheitsgehalt der ausgewählten Berichte und Informationsquellen zu widerlegen oder diese anzuzweifeln vermochten.
Es wurden somit im gesamten Verfahren keine Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen.
Der Umstand, dass die belangte Behörde keine eigenen Feststellungen zur Lage in Syrien getroffen hat und auch im gegenständlichen Beschwerdeverfahren gesonderte Feststellungen zur Lage in Syrien nicht getroffen werden, ergibt sich daraus, dass – wie in der Folge in der rechtlichen Beurteilung noch ausgeführt werden wird – derartigen Feststellungen zu Syrien schon aus dem Grund keine entscheidungswesentliche Relevanz zukämen, als der BF in seinem anderen Herkunftsstaat Venezuela in zumutbarer Weise eine nationale Schutzalternative in Anspruch nehmen kann.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zur Beschwerde hinsichtlich des Status des Asylberechtigten:
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951, BGBl. Nr. 55/1955, in der durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.01.1967, BGBl. Nr. 78/1974, geänderten Fassung (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.
Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (und Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der GFK) ist somit, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Fehlt ein kausaler Zusammenhang mit einem oder mehreren dieser Konventionsgründe, kommt die Asylgewährung nicht in Betracht (VwGH 27.06.2016, Ra 2016/18/0098 mwN; 16.11.2016, Ra 2016/18/0094).
Die Beschwerde hinsichtlich des Status des Asylberechtigten hat sich aus den folgenden Erwägungen als unbegründet erwiesen:
Der BF ist Staatsangehöriger sowohl von Syrien als auch von Venezuela. Im Verfahren über den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gelten daher Syrien und Venezuela jeweils als Herkunftsstaat im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005.
In Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit ist gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 letzter Satz der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) unter dem „Heimatland“ jedes Land zu verstehen, dessen Staatsangehöriger die Person ist; wenn jemand ohne triftige, auf wohlbegründeter Furcht beruhende Ursache sich des Schutzes eines der Staaten, dessen Staatsangehöriger er ist, nicht bedient, soll er nicht als eine Person angesehen werden, der der Schutz des Heimatlandes versagt worden ist.
Nach dem UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (Rz 106 und 107) sollen alle Personen von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen werden, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen und den Schutz von wenigstens einem dieser Länder in Anspruch nehmen können. Soweit verfügbar, hat der Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit eine Person besitzt, Priorität vor dem internationalen Schutz.
Bei der Prüfung des Falles eines Antragstellers mit doppelter oder mehrfacher Staatsangehörigkeit ist es jedoch erforderlich, zwischen dem Besitz einer Staatsangehörigkeit im rechtlichen Sinne und dem praktisch beanspruchbaren Schutz durch das betreffende Land zu unterscheiden. Es kann Fälle geben, in denen der Antragsteller die Staatsangehörigkeit eines Landes besitzt, in dem es für ihn keinen Grund zu Befürchtungen gibt, in denen aber der Besitz dieser Staatsangehörigkeit als bedeutungslos anzusehen ist, da sie nicht den Schutz beinhaltet, der gewöhnlich Staatsangehörigen zuteil wird. Unter solchen Umständen wäre der Besitz der zweiten Staatsangehörigkeit nicht mit der Rechtsstellung als Flüchtling unvereinbar. In der Regel sollte ein Antrag um Schutz und eine Verweigerung des Schutzes vorliegen, bevor festgestellt werden kann, dass eine vorhandene Staatsangehörigkeit wirkungslos ist. Wird der Schutz nicht ausdrücklich verweigert, so kann die Tatsache, dass innerhalb eines angemessenen Zeitraums keine Antwort auf das Schutzersuchen erfolgte, als Verweigerung des Antrages auf Schutz angesehen werden.
Gemäß Art. 4 Abs. 3 lit. e der Statusrichtlinie 2011/95/EU (§ 2 Abs. 1 Z 9 AsylG 2005) ist bei der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz unter anderem zu berücksichtigen, ob vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er den Schutz eines anderen Staates in Anspruch nimmt, dessen Staatsangehörigkeit er für sich geltend machen könnte.
Dieser bei Vorliegen mehrfacher Staatsangehörigkeit sowohl völkerrechtlich als auch unionsrechtlich normierte „Vorrang des nationalen Schutzes“ gegenüber „internationalem Schutz“ bedeutet, dass fehlender staatlicher Schutz immer nur dann anzunehmen ist, wenn keiner dieser Herkunftsstaaten („Heimatländer“ iSd GFK) Schutz gewährt.
Einem Fremder kommt auch nur dann die Flüchtlingseigenschaft zu, wenn ihm in beiden Herkunftsstaaten asylrelevante Verfolgung droht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0126; 09.11.2004, 2003/01/0534).
Wie in der Beweiswürdigung bereits im Einzelnen dargelegt wurde, konnte der BF insgesamt weder eine ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Syrien, noch eine ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Venezuela drohende aktuelle Verfolgungsgefahr aus den in der GFK abschließend genannten und für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten relevanten Gründen, die von Institutionen des jeweiligen Herkunftsstaates ausginge oder die dem jeweiligen Herkunftsstaat jedenfalls zurechenbar wäre, glaubhaft machen, weshalb sein diesbezügliches Vorbringen auch nicht als maßgeblicher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt worden ist.
Auch eine von nichtstaatlichen Akteuren bzw. privaten Personen ausgehende Bedrohung oder Auseinandersetzung, deren Ursache nicht im Zusammenhang mit einem der in der GFK abschließend angeführten Verfolgungsgründe steht, sondern aus anderen Beweggründen besteht, etwa aus kriminellen, persönlichen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Motiven, stellt keine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK dar.
Insoweit der BF vorbrachte, dass er sich in Venezuela nicht sicher gefühlt habe und sich im Fall der Rückkehr weiterhin vor möglichen Bedrohungen fürchte, so ist festzuhalten, dass diese subjektive Furcht für sich alleine genommen auch (noch) nicht ausreicht, um von einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK ausgehen zu können. Eine solche wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt nur dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus asylrelevanten Gründen fürchten würde.
Was den Einwand in der schriftlichen Stellungnahme der Rechtsvertreterin anbelangt (Anlage ./A), wonach die belangte Behörde dadurch, dass sie eine inhaltliche Auseinandersetzung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz ausschließlich in Bezug auf den Herkunftsstaat Venezuela vorgenommen habe, nicht aber in Bezug auf Syrien, in unzulässiger Weise den Instanzenzug abgeschnitten habe, ist Folgendes entgegenzuhalten:
Das Verwaltungsgericht hat grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden und somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. insbesondere § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG und Art. 130 Abs. 3 B-VG). Jede Entscheidung des Verwaltungsgerichts, welche die Angelegenheit erledigt, die zunächst von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war, tritt an die Stelle des beim Verwaltungsgericht bekämpften Bescheides (VwGH 09.09.2015, Ro 2015/03/0032; 09.05.2022, Fr 2022/03/0004).
Die vom BVwG im gegenständlichen Fall zu erledigende Angelegenheit und somit Prozessgegenstand ist der vom BF gestellte Antrag auf internationalen Schutz.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich die belangte Behörde im Bescheid auch mit dem Vorbringen des BF in Bezug auf den Herkunftsstaat Syrien näher auseinanderzusetzen gehabt hätte, so stellt ein dahingehendes Unterlassen zwar eine mangelhafte Begründung des Bescheides dar, ein „Abschneiden des Instanzenzuges“ kann darin jedoch nicht erblickt werden, zumal gegen den abweisenden Bescheid das ordentliche Rechtsmittel der Beschwerde – wie auch im vorliegenden Fall – ohne Beschränkungen erhoben werden kann. Das erkennende Gericht hat im gegenständlichen Beschwerdeverfahren in der Sache selbst zu entscheiden, Prozessgegenstand ist folglich der Antrag auf internationalen Schutz in seiner Gesamtheit. Würde man dieser unzutreffenden Rechtsansicht der Rechtsvertreterin folgen, so würde dies auch eine – gesetzlich nicht normierte – Ausnahme von der generellen meritorischen Entscheidungskompetenz des Verwaltungsgerichts bedeuten, und zwar konkret dahingehend, dass entweder eine Verpflichtung des erkennenden Gerichts bestünde, die Angelegenheit nach Aufhebung des Bescheides jedenfalls an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen, oder dass der Prüfungsumfang des erkennenden Gerichts inhaltlich – nur aufgrund einer mangelhaften Bescheidbegründung (!) – derart eingeschränkt wäre, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nur in Bezug auf den Herkunftsstaat Venezuela geprüft werden dürfe, dem Gericht aber eine Prüfung in Bezug auf Syrien verwehrt bliebe.
Durch die im Asylverfahren vom Fremden vorgenommene Benennung oder die von der Behörde erfolgte Feststellung eines Herkunftsstaats erfolgt keine Eingrenzung des Prozessgegenstandes. Dass es aber geboten wäre, den Prozessgegenstand über den Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch Anführung des Herkunftsstaates im Spruch einer Entscheidung einzugrenzen, kann dem Gesetz nicht entnommen werden (VwGH 16.11.2022, Ra 2022/20/0298).
Aber selbst wenn man im Fall einer Rückkehr nach Syrien eine asylrelevante Verfolgung als gegeben annehmen würde, so ist im Lichte der bereits dargelegten Rechtslage zu prüfen, ob der BF den Schutz seines anderen Herkunftsstaates – hier: Venezuela – in Anspruch nehmen könnte.
Dem BF droht im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Venezuela keine Verfolgungsgefahr aus den in der GFK abschließend genannten Gründen, die von staatlichen Institutionen Venezuelas ausginge oder die diesen zurechenbar wäre.
Es haben sich weder aus dem Vorbringen des BF noch aus den vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Informationen zur Lage in Venezuela irgendwelche Anhaltspunkte ergeben, wonach dem BF in Venezuela im Gegensatz zu anderen Staatsangehörigen ein Schutz vor einer allfälligen Verfolgung in seinem anderen Herkunftsstaat Syrien gänzlich verweigert oder nicht hinreichend gewährt werden würde. Eine Rückkehr des BF nach Venezuela und sein dortiger Aufenthalt als venezolanischer Staatsbürger unterliegen keinen Beschränkungen.
Letztlich war auch nicht davon auszugehen, dass eine triftige, auf wohlbegründeter Furcht beruhende Ursache vorliegen würde, die es für den BF jedenfalls unzumutbar erscheinen lassen würde, den Schutz der staatlichen Einrichtungen Venezuelas in Anspruch zu nehmen.
Selbst unter der Annahme der Glaubhaftmachung einer im Fall der Rückkehr nach Syrien drohenden asylrelevanten Verfolgung würde vom BF somit vernünftigerweise erwartet werden können, dass er den Schutz seines Herkunftsstaates Venezuela in Anspruch nimmt, da die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Unter-Schutz-Stellung in Venezuela gegeben ist und folglich auch eine nationale Schutzgewährung durch Venezuela der allfälligen Gewährung internationalen Schutzes vorgeht.
Es war im Ergebnis letztlich anzunehmen, dass der BF den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz wegen seiner zum Zeitpunkt der Einreise bestehenden persönlichen Situation und nur aus dem Grund gestellt hat, um in Österreich bessere Lebensbedingungen und Verdienstmöglichkeiten anzutreffen. Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen jedoch keine Verfolgung im Sinne der GFK dar.
Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, war in der Folge davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht existiert.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen (Spruchpunkt A.I.).
3.2. Zur Beschwerde hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten:
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Es ist somit zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer etwa gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Bei der Frage, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht, bedarf es einer ganzheitlichen Beurteilung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Herkunftsstaat zu beziehen hat (VwGH 31.07.2014, Ra 2014/18/0058; 21.02.2017, Ro 2016/18/0005; 03.05.2021, Ra 2020/01/0485 mwN).
Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, 99/20/0573; ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (VwGH 26.06.1997, 95/21/0294). Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; sowie VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063; 21.02.2017, Ro 2016/18/0005). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung oder Fehlen einer Lebensgrundlage, die die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz – bezogen auf den Einzelfall – deckt) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind.
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum im Herkunftsstaat außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) im Sinne der Rechtsprechung des EGMR vorliegen. Herrscht im Herkunftsstaat eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Fremden bei der Rückführung in diesen Staat nur dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der Betroffene tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. Grundsätzlich obliegt es dem von der Abschiebung Betroffenen mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines solchen Risikos darzulegen (dazu etwa VwGH 03.05.2021, Ra 2020/01/0485, mwN).
Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes hat sich ergeben, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht vorliegen:
Anhaltspunkte dahingehend, dass der BF im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Venezuela Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe ausgesetzt sein könnte, liegen nicht vor.
Vonseiten der beschwerdeführenden Partei wurde zwar – wie sich aus den zur aktuellen Lage in Venezuela vorliegenden und in der mündlichen Verhandlung dargelegten herkunftsstaatsbezogenen Informationsquellen übereinstimmend ergibt – zutreffend auf die seit längerem in Venezuela herrschende instabile Sicherheitslage (vor allem verursacht durch politische Auseinandersetzungen, die hohe Kriminalität, zahlreiche Fälle willkürlich ausgeübter Gewalt und weitverbreiteter Korruption) und die durchaus als prekär zu bezeichnende Versorgungslage (bislang vor allem bei Medikamenten und auch Lebensmitteln) hingewiesen, allerdings erreicht diese allgemeine Lage in Venezuela noch nicht das für eine Verletzung von Art. 3 EMRK geforderte Ausmaß (dazu konkret VwGH 03.05.2021, Ra 2020/01/0485, Rz 20). Nur das Vorliegen einer derartigen Art. 3 EMRK verletzenden allgemeinen Sicherheitslage bzw. Gewaltsituation würde eine Prüfung der besonderen in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründeten Umstände entbehrlich machen.
Der BF hat letztlich auch in der Verhandlung – bis auf das nicht näher begründete und ohne die individuelle Betroffenheit aufzeigende Vorbringen, wonach die schlechte wirtschaftliche Situation und die hohe Kriminalität sowie das Fehlen familiärer Anknüpfungspunkte ein Hindernis für die Rückkehr nach Venezuela darstellen würden – keine gewichtigen Gründe dargelegt bzw. Beweismittel vorgelegt, wonach ihm aufgrund von besonderen in seiner persönlichen Situation begründeten Umständen ein im Vergleich zur Bevölkerung Venezuelas im Allgemeinen höheres Risiko treffen würde, eine dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. Überdies wurden auch keine konkreten Umstände vorgebracht, aus der sich allenfalls die Zugehörigkeit zu einer besonders vulnerablen Gruppe ergeben hätte.
So ist festzuhalten, dass der BF gesund ist und über eine umfangreiche Ausbildung und langjährige Berufserfahrung auch als selbstständiger Unternehmer verfügt. Selbst wenn der BF in Venezuela über keine familiären Bindungen verfügen sollte, kann doch davon ausgegangen werden, dass sich der BF im Fall der Rückkehr mit den dortigen Gegebenheiten vertraut macht.
Aus den vorliegenden Informationen zu Venezuela ergibt sich auch, dass der Anteil der in Venezuela lebenden Muslime zwischen 100.000 und 150.000 beträgt, bestehend vorrangig aus Personen libanesischer, syrischer und libyscher Abstammung, die im Bundesstaat Nueva Esparta, in der Hauptstadtregion Caracas als auch in den Städten Valencia und Maracaibo leben, wobei Sunniten die Mehrheit darstellen, mit einer schiitischen Minderheit hauptsächlich auf der Isla Margarita und in Nueva Esparta (USDOS, 2022 Report on International Religious Freedom: Venezuela).
Der BF konnte überdies nicht glaubhaft machen, dass er tatsächlich nur einmal für 20 Tage in Venezuela gewesen sei und dass er gar keine Spanisch-Kenntnisse besitzen würde bzw. dass ihm dort eine ausreichende Kommunikation nicht möglich wäre. So konnte der BF auch in der Verhandlung nicht schlüssig erklären, wie es zu seinen völlig gegensätzlichen Angaben bezüglich seiner Spanisch-Kenntnisse (von „gut“, über „fließend“ bis „gar keine“ bzw. „nur für die Alltagskommunikation tauglich“) gekommen war. Der BF spricht mehrere Fremdsprachen (Englisch, Türkisch) und war auch in der Vergangenheit offensichtlich problemlos in der Lage, sich in verschiedenen Staaten, in denen er sich nicht nur vorübergehend aufgehalten hat, zurecht zu finden und sich dort ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften.
Überdies kann beim gesunden und arbeitsfähigen BF die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden, weshalb er im Herkunftsstaat Venezuela grundsätzlich in der Lage sein wird, sich mit Erwerbstätigkeiten, wenn auch nur durch Gelegenheitsarbeiten, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Es erscheint auch nicht unzumutbar, dass der BF bei einer Rückkehr nach Venezuela eine erste Unterkunftsmöglichkeit aus eigenem organisiert.
So wurde weder vonseiten des BF noch in der Stellungnahme der Rechtsvertreterin konkret dargelegt, weshalb man jedenfalls zum gegenteiligen Schluss gelangen könnte, wonach der BF – selbst bei fehlender Unterkunftsmöglichkeit oder anfänglicher Arbeitslosigkeit – im Fall der Rückkehr nach Venezuela gleichsam in eine völlig aussichtslose persönliche Situation und daher in eine reale Gefahr geraten würde, welche eine hinreichende Befriedigung der Grundbedürfnisse des BF mit Unterkunft und Nahrung als nicht maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen würde.
Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat Venezuela würde somit eine Verletzung in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 (über die Abschaffung der Todesstrafe) und Nr. 13 (über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe) nicht vorliegen. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die beschwerdeführende Partei als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, liegen nicht vor.
Da die Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Rückkehr des BF nach Venezuela und damit auch eine nationale Schutzalternative gegeben ist, erübrigt sich auch eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine Rückkehr nach Syrien eine reale Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK bedeuten würde.
Daher war gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.
3.3. Zur Beschwerde hinsichtlich der Rückkehrentscheidung, Zulässigkeit der Abschiebung und Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005:
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).
Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Gemäß § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 hat das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wird.
Gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 hat das BFA über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
Die Anwendung dieser Rechtslage auf den festgestellten Sachverhalt ergibt Folgendes:
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK zulässig ist, ist eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen.
Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu. Grundsätzlich ist nach negativem Ausgang des Asylverfahrens – infolge des damit einhergehenden Verlustes des vorläufig während des Verfahrens bestehenden Rechts zum Aufenthalt und sofern kein anderweitiges Aufenthaltsrecht besteht – der rechtmäßige Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wiederherzustellen (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).
Der VwGH hat bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0191).
Der BF verfügt in Österreich über keine familiären Bindungen. Was die privaten Lebensumstände des BF in Österreich anbelangt, ist festzuhalten, dass abgesehen von bestehenden Bekanntschaften und einer legalen geringfügigen Beschäftigung als Friseur konkrete Hinweise auf einen zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden berücksichtigungswürdigen hohen Grad der Integration in Österreich in sprachlicher, beruflicher und sozialer Hinsicht schon aufgrund der kurzen Dauer des bisherigen Aufenthalts nicht vorliegen.
Zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ist festzuhalten, dass die nach § 9 Abs. 2 Z 6 BFA-VG maßgebliche strafrechtliche Unbescholtenheit der beschwerdeführenden Partei weder das persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken, noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen vermag (vgl. VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253).
Im Lichte dieser nach § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK gebotenen Abwägung hat sich somit insgesamt nicht ergeben, dass familiäre oder private Bindungen des BF in Österreich das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts überwiegen würden. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet das persönliche Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, welche im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer oder vorübergehend unzulässig erscheinen ließen.
Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffene amtswegige Feststellung keine konkreten Umstände dahingehend hervorgekommen, dass allenfalls auch unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens die Abschiebung in den Herkunftsstaat Venezuela unzulässig wäre (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).
Auch Umstände, dass vom BFA allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, liegen unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes nicht vor.
Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, die Zulässigkeit einer Abschiebung in den Herkunftsstaat Venezuela gemäß § 52 Abs. 9 FPG und die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 vorliegen, war die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III., IV. und V. des angefochtenen Bescheids als unbegründet abzuweisen.
3.4. Zur Beschwerde gegen die Frist für die freiwillige Ausreise:
Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt diese Frist 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Bei Überwiegen solcher besonderen Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 3 FPG einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
Was die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen anbelangt, so entspricht diese § 55 Abs. 1 und 2 FPG. Besondere Umstände, welche einen längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage zur Ausreise erforderlich gemacht hätten, wurden im Verlauf des gesamten Verfahrens weder vorgebracht noch nachgewiesen und sind auch sonst nicht hervorgekommen.
Daher war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abzuweisen.
3.5. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist teilweise zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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