VwGH 2011/16/0070

VwGH2011/16/00709.11.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des L in P, vertreten durch Dr. Andreas Ladstätter, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jasomirgottstraße 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 26. März 2009, GZ. RV/2749- W/08, miterledigt RV/2746-W/08, RV/2747-W/08, betreffend Haftung nach §§ 9 und 80 BAO und Antrag auf Aussetzung der Einhebung, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §198;
BAO §20;
BAO §224 Abs1;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §41 Abs1;
BAO §198;
BAO §20;
BAO §224 Abs1;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 610,60 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war vom 8. März 1995 bis zum 17. Juni 2005 im Firmenbuch als Geschäftsführer der G. GesmbH eingetragen, welche mit Gesellschaftsvertrag vom 16. Februar 1995 gegründet worden war und hinsichtlich welcher das Landesgericht Korneuburg mit Beschluss vom 13. Juli 2006 einen Konkursantrag mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen hatte.

Mit Schreiben vom 8. Mai 2002 forderte das Finanzamt den Beschwerdeführer auf, bekannt zu geben, welche Möglichkeiten bestünden, die Abgabenschulden der G. GesmbH bei dieser selbst einzubringen, und ob diese Gesellschaft pfändbares Vermögen, wenn ja welches, besitze, weil die G. GesmbH Abgabenschulden in Höhe von rund 108.000 EUR habe, deren Einbringung das Finanzamt vergeblich versucht hätte.

Mit Bescheid vom 8. Juni 2006 zog das Finanzamt den Beschwerdeführer zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten der G. GesmbH in Höhe von rund 749.000 EUR heran, welche sich aus Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer samt jeweiligen Nebenansprüchen für einzelne Zeiträume der Jahre 1995 bis 2005 zusammensetzten.

Dagegen berief der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 6. Juli 2006 mit der Begründung, die im Rahmen des Haftungsbescheides angeführten Abgaben bestünden zu Unrecht und gegen die diesen Abgaben zugrunde liegenden Bescheide sei mit gleicher Post Berufung erhoben worden.

Mit Bescheid vom 16. April 2008 zog das Finanzamt den Beschwerdeführer für Abgabenschuldigkeiten der G. GesmbH in Höhe von rund 242.000 EUR heran, welche sich aus Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer für 2003 bis 2005 jeweils samt Nebenansprüchen zusammensetzte.

Auch gegen diesen Bescheid berief der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 16. Mai 2008 mit der Begründung, die im Rahmen des Haftungsbescheides angeführten Abgaben bestünden zu Unrecht und gegen die diesen Abgaben zugrunde liegenden Bescheide sei Berufung erhoben worden.

In den vorgelegten Verwaltungsakten ist dazu eine Berufung des Beschwerdeführers vom 6. Juli 2005 (gemeint wohl: 2006) gegen die Bescheide betreffend u.a. Umsatzsteuer 1995 bis 1997 und Körperschaftsteuer 1995 bis 1997 je vom 14. Jänner 2005 und betreffend Haftung für Kapitalertragsteuer für 1995 bis 1997 vom 30. Dezember 2004 enthalten.

Mit diesem Schriftsatz stellte der Beschwerdeführer auch einen Antrag auf Aussetzung der Einhebung für näher angeführte Abgaben.

Den Antrag auf Aussetzung der Einhebung wies das Finanzamt mit Bescheid vom 29. August 2006 ab.

Dagegen berief der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 27. September 2006.

In der über alle drei erwähnten Berufungen durchgeführten mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 26. März 2009 führte der Vertreter des Beschwerdeführers zur Berufung gegen die Abgabenbescheide vom 6. Juni 2006 aus, dass die den Haftungsbescheiden zugrunde liegenden Abgabenschuldigkeiten genauso wie diejenigen für die Jahre 2003 bis 2005 auf den Feststellungen der Betriebsprüfung beruhten und noch nicht in Rechtskraft erwachsen seien. Eine Entscheidung im Abgabenverfahren stünde noch aus. Im Falle einer stattgebenden Berufungsentscheidung im Abgabenverfahren würden die zugrunde liegenden Abgabenansprüche wegfallen und die Haftungsbescheide dadurch ihre Grundlage verlieren. Weiters wies er darauf hin, dass er mit 6. Juni 2005 als Geschäftsführer abberufen worden sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangten Behörde den Berufungen gegen die Haftungsbescheide teilweise Folge und schränkte die mit Bescheid vom 8. Juni 2006 geltend gemachte Haftung auf einen Betrag von rund 688.000 EUR und die mit Bescheid vom 16. April 2008 geltend gemachte Haftung auf 39.000 EUR ein. Den Spruch des Bescheides über die Abweisung eines Antrages auf Aussetzung der Einhebung änderte die belangte Behörde dahingehend, dass der Antrag auf Aussetzung der Einhebung zurückgewiesen anstatt abgewiesen wurde; im Übrigen wies sie die dagegen erhobene Berufung als unbegründet ab.

Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und rechtlichen Ausführungen stellte die belangte Behörde fest, die Uneinbringlichkeit der in Rede stehenden Abgabenschuldigkeiten bei der G. GesmbH stehe nach Abweisung des Konkurses mangels Vermögens der G. GesmbH und Auflösung dieser GesmbH fest. Die belangte Behörde scheide hinsichtlich des Haftungsbescheides vom 8. Juni 2006 Abgaben, die sich nicht mehr im Rückstand befänden, aus der Haftung aus. Hinsichtlich des Bescheides vom 16. April 2008 beschränkte sie die Haftung auf Umsatzsteuer für 2003 und 2004 und auf Kapitalertragsteuer für 2003 bis 2005 in näher angeführten Beträgen. Der Beschwerdeführer habe nicht nachgewiesen, dass ihn am Unterlassen der Entrichtung der Abgaben kein Verschulden treffe. Mit seinen Einwendungen gegen die Höhe der in Rede stehenden Abgaben verwies die belangte Behörde auf das Berufungsverfahren hinsichtlich der Abgabenbescheide. Den Antrag auf Aussetzung der Einhebung wies die belangte Behörde im Instanzenzug zurück, weil der Beschwerdeführer im Antrag die sich ergebenden strittigen Abgabenbeträge nicht berechnet habe.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der vor ihm dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 16. Juni 2009, B 600/09-3, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abgetreten.

Der Beschwerdeführer erachtet sich in dem die Beschwerde ergänzenden Schriftsatz vom 4. August 2009 im Recht "auf richtige Anwendung der Bestimmungen der BAO bzw. auf Nichtheranziehung zur Haftung und Erlassung einer fehlerfreien Ermessensentscheidung" verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele etwa die hg. Erkenntnisse vom 15. Dezember 2010, Zl. 2007/13/0077, mwN, und vom 17. November 2010, Zl. 2007/13/0153) kommt bei der Prüfung eines angefochtenen Bescheides dem Beschwerdepunkt nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG entscheidende Bedeutung zu, denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht zu prüfen, ob irgendein subjektives Recht des Beschwerdeführers verletzt worden ist, sondern nur, ob jenes verletzt worden ist, dessen Verletzung der Beschwerdeführer behauptet. Durch den Beschwerdepunkt wird der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Bescheides gebunden ist (vgl. die erwähnten hg. Erkenntnisse vom 15. Dezember 2010 und vom 17. November 2010).

Mit dem "Recht auf richtige Anwendung der Bestimmungen der BAO" wird ein subjektives Recht nicht bestimmt bezeichnet (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 24. Februar 2011, Zl. 2011/16/0013).

Sohin verbleibt als tauglicher Beschwerdepunkt, das "Recht auf Nichtheranziehung zur Haftung".

In diesem geltend gemachten subjektiven Recht wurde der Beschwerdeführer, soweit der angefochtene Bescheid den Antrag auf Aussetzung der Einhebung betrifft, nicht verletzt.

Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen haben gemäß § 80 Abs. 1 BAO alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 9 BAO haften die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung im Sinne des § 9 BAO annehmen darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln des Vertretenen zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. April 2011, Zl. 2011/16/0084, mwN).

Der Beschwerdeführer trägt vor, die den Haftungsbescheiden zugrunde liegenden Abgabenbescheide seien der Primärschuldnerin nicht zugestellt worden. Damit verstößt der Beschwerdeführer gegen das vor dem Verwaltungsgerichtshof bestehende Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 VwGG).

Soweit der Beschwerdeführer - offenbar als Eventualvorbringen - anführt, die gegen die Primärschuldnerin ergangenen Abgabenbescheide seien noch nicht in Rechtskraft erwachsen, ist er darauf zu verweisen, dass die Heranziehung zur Haftung nicht voraussetzt, dass die Abgabenschulden gegenüber der Primärschuldnerin rechtskräftig festgesetzt worden sind (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 13. September 2006, Zl. 2003/13/0131, und vom 27. Februar 2008, Zl. 2005/13/0094).

Der Beschwerdeführer führt weiters ins Treffen, für die im Haftungsbescheid vom 8. Juni 2006 ausgesprochenen Haftungen für Abgabenverbindlichkeiten, die zum Teil die Jahre 1995 und später beträfen, sei die Verjährung jeweils schon eingetreten gewesen. Auch dieses Vorbringen ist wegen des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehenden Neuerungsverbotes unbeachtlich, das auch für solche Rechtsausführungen gilt, deren Richtigkeit nur auf Grund von Tatsachenfeststellungen überprüft werden kann, die deshalb unterblieben sind, weil im Verwaltungsverfahren diesbezüglich nichts vorgebracht wurde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. März 2006, Zl. 2001/13/0289, mwN).

Dass die vom Beschwerdeführer relevierte Verjährung offenkundig eingetreten wäre, kann aus folgenden Gründen nicht angenommen werden:

Gemäß § 238 Abs. 1 BAO verjährt das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, nämlich binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. Die Festsetzungsverjährung wurde nach § 209 Abs. 1 BAO in der im Beschwerdefall noch maßgebenden Stammfassung (die Änderung durch das Abgabenänderungsgesetz 2004, BGBl. I Nr. 180, war gemäß § 323 Abs. 18 zweiter Satz BAO noch nicht anzuwenden) durch jede zur Geltendmachung des Abgabenanspruchs oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen.

Als solche Unterbrechungshandlungen kommen nach der Aktenlage etwa die bei der G. GesmbH am 2. September 1997 begonnene abgabenbehördliche Prüfung betreffend Umsatz-, Körperschaft- und Kapitalertragsteuer für 1995 bis 1997 und die betreffenden Abgabenbescheide in Betracht.

Der Beschwerdeführer bekämpft auch in der Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof die Höhe des Abgabenanspruches.

Gemäß § 248 BAO kann der Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Berufung gegen seine Heranziehung zur Haftung innerhalb der für die Einbringung der Berufung gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch berufen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat in einem solchen Fall die Abgabenbehörde zuerst über den Haftungsanspruch abzusprechen, weil erst dann die Legitimation für die Berufung gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch feststeht (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2011, Zl. 2010/16/0258, mwN).

Die dagegen vorgetragenen Bedenken des Beschwerdeführers wegen eines vermeintlichen Fehlens eines Rechtsschutzes gegen die Abgabenentrichtung durch den Haftungspflichtigen vermögen den Verwaltungsgerichtshof nicht zur Abkehr von dieser Rechtsprechung zu bewegen. Der Rechtsschutz ist nämlich dadurch gewährleistet, dass ein Haftungspflichtiger auch nach rechtskräftiger Inanspruchnahme zur Haftung (etwa durch eine Berufungsentscheidung) einen auf § 212a BAO gestützten Antrag auf Aussetzung der Einhebung der haftungsgegenständlichen Abgaben mit der Begründung einbringen kann, dass eben über den Abgabenbescheid noch nicht rechtskräftig abgesprochen und eine Berufung noch anhängig sei. Gerade dies ist im Beschwerdefall vom Beschwerdeführer auch tatsächlich erfolgt (die belangte Behörde begründete die Zurückweisung des derartigen Antrages im angefochtenen Bescheid im Übrigen nicht mit dem Mangel an Legitimation zu solch einem Antrag, sondern mit dem Fehlen der Voraussetzungen des § 212a Abs. 3 BAO - Fehlen der Darstellung der Ermittlung des für die Aussetzung in Betracht kommenden Abgabenbetrages).

Schließlich vermisst der Beschwerdeführer Feststellungen der belangten Behörde zur Frage, ob die Einbringung der Abgabenforderung durch seine Heranziehung zur Haftung überhaupt erwartet werden könne, weshalb er den Sachverhalt für die Ermessensentscheidung als ergänzungsbedürftig erachtet. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer die Ermessensausübung der Abgabenbehörde im Verwaltungsverfahren nicht bekämpft und dazu kein Vorbringen erstattet hat, ist er auf die hg. Rechtsprechung hinzuweisen, dass die Inanspruchnahme der Haftung in Ausübung des Ermessens mit dem derzeitigen, im Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides vorhandenen Vermögen nicht begrenzt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2006/15/0007).

Der Beschwerdeführer zeigt somit nicht auf, dass er durch den angefochtenen Bescheid in dem von ihm geltend gemachten Recht verletzt worden wäre.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Wien, am 9. November 2011

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