VwGH 2008/22/0202

VwGH2008/22/020218.2.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. August 2007, Zl. 149.078/2- III/4/07, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Z2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
62008CJ0127 Metock VORAB;
EMRK Art6;
MRKZP 07te Art1;
NAG 2005 §1 Abs2 Z1;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §57;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §34 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Z2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
62008CJ0127 Metock VORAB;
EMRK Art6;
MRKZP 07te Art1;
NAG 2005 §1 Abs2 Z1;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §57;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) wurde ein Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom 28. November 2005 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 und 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer mit einem von der österreichischen Vertretungsbehörde in Ankara ausgestellten Visum C, gültig vom 20. bis 30. Mai 2003, in das Bundesgebiet eingereist und danach im Inland geblieben sei.

Den gegenständlichen Antrag habe der Beschwerdeführer persönlich bei der Bundespolizeidirektion Wien eingebracht; er strebe damit die Zusammenführung mit seinem Vater, einem österreichischen Staatsbürger, an. Der Beschwerdeführer sei noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels gewesen. Er sei seit 12. September 2005 durchgehend im Inland polizeilich gemeldet und seit 1. März 2006 bei der R.I.D. GmbH beschäftigt.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der gegenständliche Antrag aufgrund des In-Kraft-Tretens des NAG als Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Angehöriger" zu werten sei. Der Antrag sei als Erstantrag zu qualifizieren, sodass auf ihn nunmehr - anders als zum Zeitpunkt der Antragstellung - § 21 NAG anzuwenden sei. Die Umstände, dass der Vater des Beschwerdeführers österreichischer Staatsbürger sei und der Beschwerdeführer bereits einer Beschäftigung nachgehe, stellten keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe im Sinn des § 72 NAG dar, weshalb eine Inlandsantragstellung nicht gemäß § 74 NAG von Amts wegen zugelassen werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde weist u.a. auf die Berechtigung zur Antragstellung im Inland nach der Bestimmung des - mit 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen - § 49 Fremdengesetz 1997 - FrG hin und führt dazu aus, dass dem Beschwerdeführer das Recht auf Inlandsantragstellung "von einem Tag auf den anderen wieder entzogen" worden sei, er im Vertrauen auf diese Rechtslage persönliche Dispositionen getroffen habe und die angeführte "Vorgangsweise des Gesetzgebers des Fremdenrechtspakets 2005" auch dem Fremdenrecht immanenten Grundsätzen widerspreche.

Dem ist allerdings mit der ständigen hg. Rechtsprechung zu entgegen, dass gemäß § 81 Abs. 1 NAG - wovon die belangte Behörde zutreffend ausgegangen ist - Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen sind. Dem NAG ist weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen, der zufolge auf vor dessen In-Kraft-Treten verwirklichte Sachverhalte die Bestimmungen des mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen FrG anzuwenden wären (vgl. etwa das Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0257, mwN).

Die belangte Behörde hat daher den gegenständlichen Antrag zutreffend anhand des NAG (in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 99/2006) beurteilt.

Im Weiteren macht die Beschwerde Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend und beruft sich dazu insbesondere auf Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Freizügigkeitsrichtlinie); die angeführte Bestimmung sehe einen Rechtsbehelf bei einem "Gericht" vor. Unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht bzw. der Grundsatz der Gleichbehandlung österreichischer Staatsbürger mit (anderen) EWR-Bürgern gebiete, dass über den gegenständlichen Antrag ein unabhängiges Tribunal - und damit der unabhängige Verwaltungssenat - entscheide.

In Hinblick auf die Anwendung der angeführten Richtlinie lässt die Beschwerde damit allerdings außer Acht, dass sich der österreichische Vater des Beschwerdeführers nach dem Vorbringen im Administrativverfahren nicht in einen anderen Mitgliedstaat als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begeben hat (vgl. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie); nur wer im Sinn des Art. 2 Z. 2 der Richtlinie Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, niedergelassen hat, kann aus der genannten Richtlinie das Recht ableiten, in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union einzureisen und sich dort aufzuhalten (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Juli 2008, Rs C-127/08 , Metock u.a., Rz 73).

Mangels Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/38/EG und in Hinblick darauf, dass ein einen Aufenthaltstitel versagender Bescheid kein "civil right" im Sinn des Art. 6 EMRK berührt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. September 2009, 2008/22/0766, mwN), liegt die behauptete Rechtswidrigkeit somit nicht vor.

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung kommt eine Anwendung des Rechtes nach Art. 1 des Siebenten Zusatzprotokolles zur EMRK auf den gegenständlichen Fall schon deshalb nicht in Betracht, weil mit dem angefochtenen Bescheid keine aufenthaltsbeendende Maßnahme ausgesprochen wurde.

Da nach dem Inhalt der Verwaltungsakten der österreichische Vater des Beschwerdeführers - wie bereits ausgeführt - sein Recht auf Freizügigkeit in einem anderen EU-Mitgliedstaat als Österreich nicht ausgeübt hat, kann der Beschwerdeführer auch nicht gemäß § 57 NAG die Rechte nach §§ 51 bis 56 NAG in Anspruch nehmen. Die im Zusammenhang damit in der Beschwerde ausführlich dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber den Bestimmungen des NAG mit Blick auf den Gleichheitssatz und das Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander werden vom Verfassungsgerichtshof nicht geteilt (vgl. dessen jüngstes Erkenntnis vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u.a.).

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner Einreise im Mai 2003 im Bundesgebiet aufhält, noch nie über einen Aufenthaltstitel verfügt hat und den gegenständlichen Antrag im Inland gestellt hat. Die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei diesem Antrag um einen Erstantrag handle, auf den § 21 Abs. 1 NAG Anwendung finde, ist daher unbedenklich. Dem in der genannten Bestimmung verankerten Grundsatz der Auslandsantragstellung folgend hätte der Beschwerdeführer daher den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Ausland stellen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten müssen, zumal auch keiner der Ausnahmetatbestände des § 21 Abs. 2 NAG vorliegt.

Bei dem Erfordernis nach § 21 Abs. 1 NAG handelt es sich (entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht) nicht um ein bloßes Formalerfordernis, sondern um eine Erfolgsvoraussetzung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. November 2009, 2008/22/0842, mwN).

Ausgehend von der zutreffenden Ansicht, dass das Erfordernis der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegensteht, eine Inlandsantragstellung aber ausnahmsweise nach den §§ 72 ff NAG zu bewilligen wäre, hat die belangte Behörde das Vorliegen eines humanitären Grundes im Sinn des § 72 NAG geprüft.

Liegen nämlich die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. September 2009, 2008/22/0681, mwN).

Die in der Beschwerde im Zusammenhang mit Art. 8 EMRK getätigten Ausführungen, dass der Beschwerdeführer einer Erwerbstätigkeit nachgehe, mit seinem österreichischen Vater zusammenlebe und von diesem unterstützt werde, sind allerdings nicht geeignet, humanitäre Gründe in diesem Sinn darzutun. Die in diesem Zusammenhang in der Beschwerde ins Treffen geführte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 31. Jänner 2006, B 50.435/99, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, ist auf den vorliegenden Sachverhalt schon deshalb nicht anwendbar, weil jener Entscheidung die intensive familiäre Bindung einer Mutter zu ihrer zum Entscheidungszeitpunkt knapp zehnjährigen niederländischen Tochter zugrunde lag.

Das in der Beschwerde im Zusammenhang mit der Beurteilung nach § 72 NAG bzw. Art. 8 EMRK erstattete Vorbringen betreffend eine Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, dessen Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe in der Türkei und deren Folgen sowie betreffend die politische Verfolgung bzw. Bedrohung von Familienangehörigen des Beschwerdeführers kann schon in Hinblick auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 VwGG) keine Berücksichtigung finden.

Aus diesem Grund und wegen der Verpflichtung des Fremden, humanitäre Gründe substantiiert und nachvollziehbar darzulegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, 2005/18/0496), liegt auch der in der Beschwerde behauptete Verfahrensmangel nicht vor. In Hinblick darauf, dass hier die Anwendung des von der belangten Behörde herangezogenen § 21 Abs. 1 NAG eine bloße Rechtsfrage darstellt, war die belangte Behörde auch nicht gemäß § 45 Abs. 3 AVG verhalten, dem Beschwerdeführer dazu Parteiengehör zu gewähren (vgl. Hengstschläger/Leeb AVG § 45 Rz 26 mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung).

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 18. Februar 2010

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