VwGH 2008/22/0681

VwGH2008/22/068122.9.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 2008, Zl. 315.928/2-III/4/07, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs3 idF 2009/I/29;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs3 idF 2009/I/29;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" gemäß § 21 Abs. 1 iVm § 24 Abs. 2 und § 11 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dass der vom Beschwerdeführer am 2. Mai 2006 gestellte "Verlängerungsantrag" von der Behörde erster Instanz als "Erstantrag" gewertet worden sei. Der Aktenlage könne nämlich eindeutig entnommen werden, dass die tatsächliche Gültigkeit des letzten Aufenthaltstitels am 10. Mai 2005 abgelaufen sei und nicht - wie der Beschwerdeführer vorbringt - mit 10. Mai 2006. Da der Antrag nicht spätestens sechs Monate nach dem Ende der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels eingebracht worden sei, sei er als Erstantrag zu werten. Bei Erstanträgen sei § 21 Abs. 1 NAG zu beachten. Dem entgegen habe der Beschwerdeführer jedoch den Antrag im Inland gestellt und habe sich vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten.

Gemäß § 74 NAG könne zwar die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt würden. Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung angeführt, dass er im Jahr 1983 in Wien geboren worden wäre und sein ganzes Leben in Wien verbracht hätte. Er wäre bei seiner Tante aufgewachsen. Somit sei eine Überprüfung im Sinn des § 72 NAG durchgeführt worden. Das Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland und die Integration in Österreich würden jedoch keine Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall bilden. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer am 20. April 2000 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, zwei Jahre davon bedingt, verurteilt worden. Am 16. Juni 2004 sei er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Auf Grund seiner rechtskräftigen Verurteilungen und Inhaftierungen widerstreite sein Aufenthalt auch den öffentlichen Interessen und es stehe § 11 Abs. 2 Z 1 NAG der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung entgegen. Es liege daher kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

In der Beschwerde wird darauf verwiesen, dass dem Beschwerdeführer laut der ihm ausgestellten Vignette vom 7. Mai 2002 ein Aufenthaltstitel mit Gültigkeit bis 10. Mai 2006 und nicht 10. Mai 2005 ausgestellt worden sei. Dem Schriftbild der Vignette sei das Gültigkeitsdatum "10-05-06" und nicht "10-05-05" zu entnehmen.

Beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen zutreffend davon aus, dass die Bewilligung eines Aufenthaltstitels in Form einer Vignette erfolgt ist. Auch in einem solchen Fall kann der normative Inhalt der behördlichen Erledigung auslegungsbedürftig sein. Grundsätzlich ist der Spruch eines Bescheides nach seinem äußeren Erscheinungsbild, also objektiv auszulegen (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 59 Rz. 110). Wenn im vorliegenden Fall die belangte Behörde der Aktenlage entnommen hat, dass das Datum "05" lautet, kann dies nicht als unschlüssig festgestellt werden. Auch wenn nämlich Unterschiede in der Schreibweise des Monats "05" und des Jahres "05" im Bereich des oberen Teiles der letzten Ziffer bestehen, ist doch dem Schriftbild eindeutig zu entnehmen, dass ein geschlossener Kreis, wie er im unteren Teil der Ziffer 6 erforderlich wäre, nicht vorhanden ist. Somit ergibt eine Auslegung nach dem Schriftbild, dass der Aufenthaltstitel mit einer Gültigkeit bis 10. Mai 2005 erteilt wurde, wie dies auch dem im Akt befindlichen Genehmigungsvermerk entspricht.

Sohin durfte die Behörde den Antrag als Erstantrag werten. Dennoch ist der Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet.

Nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung ist der angefochtene Bescheid nach der Rechtslage des NAG vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 zu überprüfen.

Ausgehend von der zutreffenden Ansicht, dass das Erfordernis der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG der Bewilligung entgegensteht, eine Inlandsantragstellung aber ausnahmsweise nach den §§ 72 ff NAG zu bewilligen ist, prüfte die belangte Behörde das Vorliegen eines humanitären Grundes im Sinn des § 72 NAG. Liegen nämlich die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes "kann" die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2008, 2008/22/0265 bis 0267).

Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich.

Die belangte Behörde zitiert das Berufungsvorbringen, dass der Beschwerdeführer in Wien geboren worden wäre und sein ganzes Leben hier verbracht hätte. Dies stellt sie auch nicht in Abrede, meint jedoch, dass das Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland und die Integration in Österreich keine Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall darstellten. Dem kann nicht gefolgt werden, ist doch gerade das Ausmaß der inländischen Integration ebenso ein Aspekt bei einer Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK wie auch allenfalls fehlende Bindungen zum Heimatland (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0592, sowie auch die diesbezüglich klarstellende Novellierung des § 11 Abs. 3 NAG durch die bereits genannte Gesetzesänderung).

Die belangte Behörde bezog offenkundig auch die strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers in die Interessenabwägung ein. Dies durfte sie im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nach Art. 8 EMRK auch tun. Sie unterließ dabei jedoch konkrete Feststellungen zu den den Verurteilungen des Beschwerdeführers zugrunde liegenden strafbaren Handlungen (vgl. zu diesem Erfordernis etwa das hg. Erkenntnis vom 9. Juli 2009, 2009/22/0107). Der bloße Hinweis auf die "rechtskräftigen Verurteilungen und Inhaftierungen" reicht für die Nachvollziehbarkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK nicht aus.

Aus diesem Grund belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Aus diesem Grund kann das weitere umfangreiche Beschwerdevorbringen dahinstehen. Bemerkt sei aber, dass in der Beschwerde hauptsächlich eine Verletzung von verfassungsgesetzlich geschützten Rechten geltend gemacht wird, zu deren Prüfung jedoch der Verfassungsgerichtshof und demnach gemäß Art. 133 Z 1 B-VG nicht der Verwaltungsgerichtshof berufen ist.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war wegen Bewilligung der Verfahrenshilfe abzuweisen

Wien, am 22. September 2009

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