VwGH 83/08/0213

VwGH83/08/021327.6.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident DDr. Heller und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Gerscha, über die Beschwerde der AB in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 28. Juli 1983, Zl. 239.525/6-3/83, betreffend Abweisung eines Devolutionsantrages in Angelegenheit des Karenzurlaubsgeldes (Beschwerde gemäß § 24 Abs. 2 VwGG mit der Unterschrift des Rechtsanwaltes DDr. Horst Spuller in Graz, Jungferngasse 1, versehen) und gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 18. Jänner 1984, Zl. 239/525/9-3/83, betreffend Abweisung eines Wiederaufnahmsantrages in Angelegenheit des Karenzurlaubsgeldes (Beschwerde gemäß § 24 Abs. 2 VwGG mit der Unterschrift des Rechtsanwaltes Dr. Franz Insam in Graz, Burggasse 16/11, versehen), zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §47 Abs1;
AVG §56;
AVG §73 Abs2;
AlVG 1977 §47 Abs1;
AVG §56;
AVG §73 Abs2;

 

Spruch:

1. Der angefochtene Bescheid der belangten Behörde vom 28. Juli 1983 wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

2. Die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 18. Jänner 1984 wird als unbegründet abgewiesen.

3. Der Bund (Bundesminister für soziale Verwaltung) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für soziale Verwaltung) Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Die Beschwerdeführerin beantragte am 3. September 1979 die Zuerkennung von Karenzurlaubsgeld aus Anlaß der am 29. Juli 1979 erfolgten Geburt ihrer Tochter BB.

1.2. Mit Bescheid des Arbeitsamtes Graz vom 4. Jänner 1980 wurde der Beschwerdeführerin auf Grund des genannten Antrages Karenzurlaubsgeld gemäß § 27 Abs. 1 und 30 AlVG ab 4. September 1979 in der Höhe von monatlich S 3.023,-- zuerkannt. In der Bescheidbegründung verwies die erstinstanzliche Behörde auf § 27 Abs. 1 AlVG, wonach verheiratete Mütter ein Karenzurlaubsgeld von S 3.023,-- monatlich erhielten. Nach den vorgelegten Gehaltsbestätigungen beziehe der Ehegatte der Beschwerdeführerin aus seiner Beschäftigung bei der Steiermärkischen Landesregierung ein entsprechendes Einkommen. Da die Beschwerdeführerin laut der vorgelegten Wochengeldbezugsbestätigung der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse bis 3. September 1979 Wochengeld bezogen habe, sei der Beginn des Bezuges von Karenzurlaubsgeld mit 4. September 1979 festzusetzen gewesen.

1.3. Mit einem mit 11. Jänner 1980 datierten Verwaltungsformular "Mitteilung über den Leistungsanspruch" wurde der Beschwerdeführerin mitgeteilt, daß das ihr vom 1. Jänner 1980 bis voraussichtlich 9. Juli 1980 zustehende Karenzurlaubsgeld monatlich S 3.191,-- betrage.

1.4. In der Berufung gegen den zu Punkt 1.2. genannten Bescheid vertrat die Beschwerdeführerin - wie schon im erstinstanzlichen Verfahren - die Auffassung, daß ihr Anspruch auf Karenzurlaubsgeld nach § 27 Abs. 3 und nicht nach § 27 Abs. 1 AlVG zu bemessen gewesen sei. Die erstinstanzliche Behörde habe zu Unrecht ausschließlich auf das Nettoeinkommen des Ehegatten der Beschwerdeführerin aus seiner unselbständigen Beschäftigung und nicht auch auf sein Einkommen aus der selbständigen Erwerbstätigkeit Rücksicht genommen. Die Feststellung der Einkünfte ihres zur Einkommensteuer veranlagten Gatten nach § 2 Abs. 2 EStG 1972 stelle eine Vorfrage gemäß § 38 AVG 1950 dar. Da ein abgabenrechtliches Verfahren zur Feststellung dieser Einkünfte für das Kalenderjahr 1979 zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung auf Karenzurlaubsgeld weder anhängig gewesen noch gleichzeitig anhängig gemacht worden sei, hätte die erstinstanzliche Behörde gemäß den §§ 37, 38 und 39 Abs. 2 AVG 1950 "die Einkommenslage meines Gatten, soweit sie über die Einkünfte aus seiner Beschäftigung bei der Steiermärkischen Landesregierung hinausgehen, nämlich seine Einkommenslage aus selbständiger Erwerbstätigkeit" von Amts wegen selbständig prüfen müssen.

1.5. Mit Bescheid vom 11. April 1980 gab das Landesarbeitsamt Steiermark der Berufung keine Folge. Nach der Bescheidbegründung erachtete diese Behörde die Berufungseinwände aus folgenden Erwägungen nicht geeignet, eine anders lautende Entscheidung herbeizuführen: Verheiratete Mütter erhielten grundsätzlich Karenzurlaubsgeld nach § 27 Abs. 1 AlVG. Da der Ehegatte der Beschwerdeführerin unbestritten über ein Nettoeinkommen aus einer unselbständigen Erwerbstätigkeit verfüge, das weit über dem Betrag von S 2.975,-- monatlich liege, und von der Beschwerdeführerin nicht eingewendet worden sei, daß ihr Ehegatte für den Unterhalt des Kindes nicht aufkomme, könne die Bestimmung des § 27 Abs. 3 AlVG nicht angewendet werden. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß der Ehegatte der Beschwerdeführerin auf Grund seines Einkommens aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit im Jahre 1979 noch nicht veranlagt worden sei, weil unbestritten sei, daß er über ein Einkommen aus einer unselbständigen Erwerbstätigkeit verfüge. Das Berufungsvorbringen, es liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, weil das Einkommen aus der selbständigen Erwerbstätigkeit nicht berücksichtigt worden sei, gehe somit ins Leere.

2.1. Mit Schriftsatz vom 21. Juli 1981 beantragte die Beschwerdeführerin die Wiederaufnahme des mit Bescheid des Landesarbeitsamtes Steiermark vom 11. April 1980 abgeschlossenen Verfahrens insoweit, als ihr in der Zeit vom 4. September 1979 bis 31. Dezember 1979 ein zu niedriges Karenzurlaubsgeld zuerkannt worden sei. Den Antrag begründete sie wie folgt: Sie habe im abgeschlossenen Verfahren wiederholt darauf hingewiesen, daß ihr Ehegatte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum zur Einkommensteuer veranlagt werde, da er Einkünfte nicht nur aus selbständiger, sondern auch aus unselbständiger Erwerbstätigkeit habe. Nur die Summe aus beiden Einkunftsarten könne als Gesamteinkommen der Bemessung des Karenzurlaubsgeldes zugrunde gelegt werden. Das Einkommen ihres Ehegatten für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum sei durch die zuständige Behörde als Hauptfrage weder zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides des Arbeitsamtes Graz vom 4. Jänner 1980 noch zum Zeitpunkt der Erlassung des zweitinstanzlichen Bescheides des Landesarbeitsamtes Steiermark vom 11. April 1980 festgestellt gewesen. Das Landesarbeitsamt Steiermark habe deshalb die Höhe des Einkommens des Ehegatten der Beschwerdeführerin nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung beurteilt und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde gelegt. Nunmehr habe das für die Feststellung der Höhe des Einkommens des Ehegatten der Beschwerdeführerin zuständige Finanzamt Graz-Stadt im Rahmen des abgabenrechtlichen Verfahrens mit Bescheid vom 22. Juni 1981 das Einkommen für das Kalenderjahr 1979 mit S 41.804,--, und damit wesentlich niedriger als vom Landesarbeitsamt Steiermark angenommen worden sei, festgestellt. Da sich schon daraus (ohne Berücksichtigung aller übrigen für die Bemessung des Karenzurlaubsgeldes maßgebenden Abzüge) allein nur nach Abzug der Steuern in Höhe von S 1.814,-- ein monatliches Einkommen von S 2.856,43 ergebe, das den Grenzbetrag von S 2.975,-- nicht erreiche, wäre der Beschwerdeführerin gemäß § 27 Abs. 3 AlVG ein höheres als das zugesprochene Karenzurlaubsgeld zugekommen. Der genannte Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes Graz-Stadt für 1979 sei dem Ehegatten der Beschwerdeführerin im Wege der Kanzlei Dr. H am 9. Juli 1981 zugekommen und an diesem Tag auch der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gekommen.

2.2. Mit Bescheid der gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950 zuständig gewordenen belangten Behörde vom 18. Jänner 1984 wurde der Wiederaufnahmsantrag gemäß § 69 AVG 1950 abgelehnt. Der von der Beschwerdeführerin behauptete Wiederaufnahmegrund, es sei durch die vom Finanzamt als Hauptfrage festgestellte Einkommenshöhe ihres Gatten eine Vorfrage des beim Arbeitsamt bzw. Landesarbeitsamt anhängigen Verfahrens anders entschieden worden, sei nicht zutreffend. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25. Juni 1982, Zl. 81/08/0072, festgestellt habe, sei der nach § 27 Abs. 3 AlVG maßgebliche Einkommensbegriff nicht mit dem steuerrechtlichen Einkommensbegriff identisch, sondern habe das Arbeitsamt bzw. Landesarbeitsamt das Einkommen nach selbständigen und nicht nach steuerrechtlichen Gesichtspunkten zu ermitteln. Ein Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 lit. c AlVG liege daher nicht vor. Da auch ein Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950 von der Beschwerdeführerin weder behauptet worden sei noch aus der Aktenlage hervorgehe, habe die belangte Behörde zu prüfen gehabt, ob die Voraussetzungen der lit. b dieser Gesetzesstelle vorgelegen seien, ob sohin durch den Einkommensteuerbescheid vom 22. Juni 1981 neue Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen seien, deren Kenntnis voraussichtlich zu einem anders lautenden Bescheid über die Höhe des Karenzurlaubsgeldes geführt hätten. Dies verneinte die belangte Behörde mit der (näher dargelegten) Begründung, daß das Einkommen des Ehegatten der Beschwerdeführerin im Jahre 1979 das nach § 27 Abs. 3 AlVG maßgebliche Einkommen überschritten habe. Abschließend führte die belangte Behörde näher aus, daß auch der für das Jahr 1980 vorgelegte Einkommensteuerbescheid des Gatten der Beschwerdeführerin im laufenden Bezug des Karenzurlaubsgeldes für das Jahr 1980 keine Änderung herbeizuführen vermöge.

3.1. Mit dem an das Arbeitsamt Graz gerichteten Schriftsatz vom 11. August 1982 beantragte die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die zu Punkt 1.3. genannte Mitteilung des Arbeitsamtes Graz die Ausfolgung eines diesbezüglichen schriftlichen Bescheides, weil ihr Anspruch auf Karenzurlaubsgeld gemäß den §§ 20, 27 Abs. 3, 28 und 32 AlVG nicht anerkannt worden sei.

3.2. Unter Bezugnahme auf diesen Schriftsatz und einen weiteren (nicht beschwerdegegenständlichen) vom 14. August 1982 richtete das Arbeitsamt Graz folgendes mit 9. Februar 1983 datiertes Schreiben an die Beschwerdeführerin:

"Sehr geehrte Frau B!

Sie brachten beim hsg. Amt nachfolgende Anträge ein:

1.) Einen Antrag vom 11. 8. 1982 (Karenzurlaubsgeld aus Anlaß der Geburt des zweiten Kindes B, geb. 9. 7. 1979, Erlassung eines Feststellungsbescheides zur Mitteilung vom 11. 1. 1980 - Erhöhung des Karenzurlaubsgeldes ab 1.1. 1980) und

2.) …

Zu diesen Anträgen wird folgendes festgestellt:

Bei den betreffenden Mitteilungen handelt es sich nicht um eine Entscheidung über einen beim hsg. Amt eingebrachten Antrag auf Karenzurlaubsgeld, sondern lediglich um die Verständigung darüber, daß ein bereits zuerkannter Anspruch auf Karenzurlaubsgeld der Höhe nach verändert, d.h. das Karenzurlaubsgeld erhöht wurde (Vervielfachung der im § 27 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 festgelegten Beträge mit 1. Jänner des betreffenden Jahres mit der Richtzahl dieses Kalenderjahres - § 108a ASVG -, wobei die vervielfachten Beträge auf volle Schillingbeträge gerundet wurden; unter 50 Großen Vernachlässigung und bei 50 Groschen und mehr Ergänzung auf einen Schilling).

Für das Jahr 1980 betrug die Richtzahl gemäß § 108a Abs. 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 89/1955, in der Fassung des Pensionsanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 96/ 1965, 1,056 (BGBl. Nr. 440 vom 15. Oktober 1979, 151. Stück vom 31. Oktober 1979, außerdem veröffentlicht in den Amtlichen Nachrichten des Bundesministeriums für soziale Verwaltung und des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz vom 30. November 1979).

….

Die Erlassung eines Bescheides über die erfolgte Vervielfachung des Betrages sieht das Gesetz nicht vor.

Das Arbeitsamt Graz hofft jedoch, daß Sie anhand der angeführten gesetzlichen Bestimmungen die Richtigkeit der Erhöhung des jeweils zuerkannten Karenzurlaubsgeldes überprüfen können."

3.3. Mit Bescheid vom 19. Mai 1983 wies das Landesarbeitsamt Steiermark den Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin vom 22. Februar 1983 betreffend den obgenannten Antrag gemäß § 73 AVG 1950 ab. Begründet wurde dies damit, daß das Arbeitsamt Graz über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 11. August 1982 den Bescheid vom 9. Februar 1983 erlassen habe. Wenngleich "dieser" (gemeint das Schreiben vom 9. Februar 1983) nicht als Bescheid gekennzeichnet sei, weise er doch alle für einen Bescheid wesentlichen Merkmale im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1977, Slg. Nr. 9458/A, auf und sei von der Beschwerdeführerin auch als solcher anerkannt worden, da sie gegen diesen Bescheid Berufung eingebracht habe. Der gegenständliche Bescheid des Arbeitsamtes Graz sei der Beschwerdeführerin am 10. Februar 1983 zugestellt worden. Die Stellung eines Devolutionsantrages am 22. Februar 1983 sei nicht zulässig und daher abzuweisen gewesen.

3.4. Der von der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit ihrem Bescheid vom 28. Juli 1983 mit der Begründung keine Folge, daß sich die belangte Behörde der Auffassung des Landesarbeitsamtes Steiermark, es sei über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 11. August 1982 vom Arbeitsamt Graz bereits am 9. Februar 1983 bescheidmäßig abgesprochen worden, anschließe.

4.1. Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 18. Jänner 1984 (Punkt 2.2.) richtet sich die zur hg. Zl. 84/08/0045 protokollierte Beschwerde, in der die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung dieses Bescheides beantragt.

4.2. Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 28. Juli 1983 (Punkt 3.4.) richtet sich die zur hg. Zl. 83/08/0213 protokollierte Beschwerde, in der die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde sowie Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung dieses Bescheides beantragt.

4.3. Die belangte Behörde hat in den beiden Verfahren die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in Gegenschriften die Abweisung beider Beschwerden beantragt.

5.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat beide Beschwerden wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:

5.1.1. Gemäß § 69 Abs. 1 AVG 1950 ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid

nicht oder nicht mehr zulässig ist und ... b) neue Tatsachen oder

Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnisse des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalte des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder c) der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.

Gemäß § 69 Abs. 2 leg. cit. ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrunde Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verkündung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.

5.1.2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landesarbeitsamtes Steiermark vom 11. April 1980 (Punkt 1.5.) wurde das Begehren der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung von Karenzurlaubsgeld (für den vom Wiederaufnahmsantrag umfaßten Zeitraum vom 4. September 1979 bis 31. Dezember 1979) nach den Ansätzen des § 27 Abs. 3 AlVG mit der Begründung abgewiesen, daß die Voraussetzungen dieser Bestimmung, nämlich daß der Ehegatte der Antragstellerin kein oder nur ein Einkommen erzielt, das bei Anwendung des § 6 Abs. 3 erster Satz und Abs. 5 erster Satz der Notstandshilfeverordnung unberücksichtigt zu bleiben hätte (Freibetrag) oder erwiesenermaßen für den Unterhalt des Kindes nicht sorgt, nicht gegeben gewesen seien.

5.1.3. Die Beschwerdeführerin stützt ihren Wiederaufnahmsantrag vom 21. Juli 1981 ausschließlich darauf, daß sie am 9. Juli 1981 von dem gegenüber ihrem Ehegatten erlassenen Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes Graz-Stadt für 1979 vom 22. Juni 1981 Kenntnis erlangt habe, wonach das Einkommen ihres Ehegatten im Jahre 1979, bezogen auf das Monat, unter dem Grenzbetrag des ersten Tatbestandsmomentes des § 27 Abs. 3 AlVG gelegen sei.

5.1.4. Wie die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides unter Bezug auf das (auch die Beschwerdeführerin betreffende) Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Juni 1982, Zl. 81/08/0072, zutreffend ausgeführt hat, ist der nach § 27 Abs. 3 AlVG maßgebliche Einkommensbegriff nicht mit dem steuerrechtlichen Einkommensbegriff ident. Der obgenannte - gegenüber dem Ehegatten der Beschwerdeführerin erlassene - Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt für das Jahr 1979 stellt daher keine Entscheidung einer für den Bescheid des Landesarbeitsamtes Steiermark vom 11. April 1980 maßgeblich gewesene Vorfrage durch die "hiefür zuständige Behörde" dar und vermag deshalb auch keinen Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 zu bilden. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Beschwerde auch gegen die diesbezügliche Argumentation der belangten Behörde keine Einwände erhoben.

5.1.5. Die belangte Behörde hat aber auch - im Ergebnis mit Recht - die von ihr (in der zugunsten der Beschwerdeführerin gemachten Annahme, daß sie ihren Wiederaufnahmeantrag nicht nur auf § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950, sondern auch auf § 69 Abs. 1 lit. b leg. cit. gestützt habe) geprüften Frage, ab der im Wiederaufnahmeantrag behauptete Sachverhalt unter die zuletzt genannte Bestimmung subsumiert werden könne, abgelehnt. Denn bei den in dieser Bestimmung genannten Tatsachen oder Beweismitteln muß es sich um neu hervorgekommene handeln, d.h. um solche, die bereits zur Zeit des Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts3, 193, mit Judikaturhinweisen). Da der mehrfach genannte, gegenüber dem Ehegatten der Beschwerdeführerin erlassene Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt für 1979, auf dessen Kenntnisnahme die Beschwerdeführerin ihren Wiederaufnahmeantrag stützt, erst nach Erlassung des Bescheides des Landesarbeitsamtes Steiermark vom 11. April 1980 erlassen wurde, stellt er kein Beweismittel im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 dar. Andererseits kann man (wie - wiederum zugunsten der Beschwerdeführerin - offensichtlich die belangte Behörde) den Wiederaufnahmeantrag der Beschwerdeführerin auch nicht so verstehen, daß sie erst aus dem genannten Bescheid von der Tatsache Kenntnis erlangt habe, ihr Ehegatte habe im Jahre 1979 ein unter den Grenzbeträgen des § 27 Abs. 3 AlVG gelegenes Einkommen gehabt, da diese Behauptung ja ihr entscheidender Einwand in dem durch den Bescheid des Landesarbeitsamtes Steiermark vom 11. April 1980 abgeschlossenen Verfahren war; auch hat sie im Wiederaufnahmeantrag gar nicht behauptet, erst durch den mehrfach genannten Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt vom niedrigeren Einkommen ihres Ehegatten im Jahre 1979 erfahren zu haben.

5.1.6. Die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 18. Jänner 1984 war daher schon aus den genannten Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen, das sich ausschließlich mit der Frage befaßt, ob die belangte Behörde bei Berücksichtigung des dem Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt zugrunde gelegten Einkommens zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, eingegangen zu werden brauchte. Der Hinweis der Beschwerdeführerin, daß sich die belangte Behörde nicht mit dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1980 hätte auseinandersetzen dürfen, weil sich der Wiederaufnahmeantrag nur auf den Zeitraum vom 4. September 1979 bis 31. Dezember 1979 bezogen habe, ist begründet; dadurch wurde die Beschwerdeführerin aber in keinem Recht verletzt, da ja mit dem angefochtenen Bescheid nach dessen Spruch nur ihr Wiederaufnahmeantrag, der den oben wiedergegebenen eingeschränkten Inhalt hatte, abgewiesen wurde.

5.2.1. Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 28. Juli 1983 macht die Beschwerdeführerin zunächst Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes richte sich der Instanzenzug bei verfahrensrechtlichen Bescheiden nach dem Instanzenzug in der Sache selbst. In Anbetracht des abgekürzten Instanzenzuges wäre die belangte Behörde daher nur in dem Fall zuständig gewesen, eine Entscheidung zu treffen, wenn sie im Wege eines Devolutionsantrages angerufen worden wäre. Dies sei aber nicht erfolgt.

Dieser Einwand ist nach dem (auch die Beschwerdeführerin betreffenden) Beschluß vom heutigen Tag, Zl. 84/08/0233 - auf die nähere Begründung wird verwiesen - unbegründet, da mit dem angefochtenen Bescheid über einen vom Landesarbeitsamt Steiermark in erster Instanz erlassenen Bescheid entschieden wurde.

5.2.2. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hängt von der Beantwortung zweier Fragen ab, nämlich erstens davon, ob die Beschwerdeführerin überhaupt einen verfahrensrechtlichen Anspruch auf Erlassung eines Bescheides über die Höhe des ihr zustehenden Karenzurlaubsgeldes für die Zeit vom 1. Jänner 1980 bis 9. Juli 1980 hatte, und bejahendenfalls zweitens davon, ob das Schreiben des Arbeitsamtes Graz vom 9. Februar 1983 eine bescheidmäßige Erledigung des Antrages der Beschwerdeführerin vom 11. August 1982 darstellte.

5.2.3. Die erste Frage ist nach § 47 Abs. 1 zweiter Satz AlVG zu bejahen. Denn die Beschwerdeführerin hatte in den mit rechtskräftigem Bescheid des Landesarbeitsamtes Steiermark vom 11. April 1980 abgeschlossenen Verfahren immer behauptet, daß ihr für den gesamten Zeitraum, also auch für die Zeit vom 1. Jänner 1980 bis 9. Juli 1980 auf Grund des Einkommens ihres Ehegatten in diesem Zeitraum nicht der niedrigere Anspruch nach § 27 Abs. 1 AlVG, sondern der höhere nach § 27 Abs. 3 leg. cit. zustehe. Durch ihren Hinweis auf § 27 Abs. 3 AlVG in ihrem Antrag vom 11. August 1982, brachte sie hinlänglich erkennbar zum Ausdruck, daß sie mit dem nach der Mitteilung vom 11. Jänner 1980 lediglich in der nach § 27 Abs. 1 AlVG bestimmten Höhe bekanntgegebenen Karenzurlaubsgeld nicht einverstanden sei. Sie hatte daher nach § 47 Abs. 1 zweiter Satz AlVG einen Anspruch auf Erlassung eines schriftlichen Bescheides.

5.2.4. Bei der Beurteilung der zweiten Frage ist davon auszugehen, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Fehlen der ausdrücklichen Bezeichnung einer behördlichen Erledigung als Bescheid für deren Bescheidcharakter unerheblich ist, wenn eine an eine bestimmte Person gerichtete Erledigung die Bezeichnung der Behörde, den Spruch und die Unterschrift oder auch die Beglaubigung enthält. Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid kann aber nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, daß die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, daß sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. In jedem Fall, in dem der Inhalt einer Erledigung, also ihr Wortlaut und ihre sprachliche Gestaltung, Zweifel über den Bescheidcharakter entstehen läßt, ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung essentiell (vgl. den Beschluß eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. Nr. 9458/A, sowie die Erkenntnisse vom 26. Juni 1981, Zl. 81/08/0046, und vom 28. Mai 1982, Zl. 82/08/0061).

Unter Zugrundelegung dieser von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze kann das Schreiben des Arbeitsamtes Graz vom 9. Februar 1983 - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - weder seiner Form noch seinem Inhalt nach zweifelsfrei als Bescheid gewertet werden. Denn es enthält nur die Darlegung der Rechtsansicht des genannten Arbeitsamtes, daß das Gesetz "die Erlassung eines Bescheides über die erfolgte Vervielfachung des Betrages" des zustehenden Karenzurlaubsgeldes unter Anwendung des § 108 a Abs. 1 ASVG nicht vorsehe. Daraus kann aber nicht - ohne jeden Zweifel - erschlossen werden, daß das genannte Arbeitsamt damit über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 11. August 1982 mit normativer Wirkung absprechen wollte; der Wortlaut des genannten Satzes im Zusammenhang mit dem sonstigen Inhalt des Schreibens und dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 11. August 1982 läßt auch die Deutung zu, daß das Arbeitsamt Graz damit der Beschwerdeführerin nur eine Rechtsauffassung mitteilen wollte.

Die belangte Behörde hätte daher den Bescheid des Landesarbeitsamtes Steiermark vom 19. Mai 1983, mit dem der Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin zu Unrecht mangels Vorliegens einer Säumnis des Arbeitsamtes Graz abgewiesen wurde, beheben müssen. Eine Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 11. August 1982 stand der belangten Behörde nicht zu, da Sache im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 für sie ausschließlich das Vorliegen der Voraussetzungen eines Devolutionsantrages nach § 73 Abs. 2 AVG 1950 war.

5.2.5. Da die belangte Behörde nach den obigen Darlegungen die Rechtslage verkannte, war der Bescheid vom 28. Juli 1983 gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

5.3. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.

5.4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit den Art. I und III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 27. Juni 1985

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte