VwGH 81/08/0046

VwGH81/08/004626.6.1981

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Jurasek und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Pichler, Dr. Knell und Dr. Puck als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. Dworak, über die Beschwerde des AS in F, vertreten durch Dr. Manfred Gründler in Wien, dieser vertreten durch Dr. Leander Schüller, Rechtsanwalt in Wien I, Walfischgasse 6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 5. Februar 1981, Zl. VII/2-650/1 -1981, betreffend Zurückweisung eines Einspruches (mitbeteiligte Partei:

Niederösterreichische Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte in St. Pölten, Dr. Karl Renner-Promenade 14 - 16), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §357 Abs1;
ASVG §412 Abs1;
ASVG §413 Abs1 Z1;
AVG §58 Abs1;
AVG §59 Abs1;
VwGG §42 Abs1;
ASVG §357 Abs1;
ASVG §412 Abs1;
ASVG §413 Abs1 Z1;
AVG §58 Abs1;
AVG §59 Abs1;
VwGG §42 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Am 19. September 1980 langte bei der mitbeteiligten Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte folgendes mit 15. September 1980 datiertes Schreiben der Handelskammer Niederösterreich ein:

"Sehr geehrte Herren!

Herr S war ab 13. 7. 1971 arbeitsunfähig infolge Krankheit. Diese Arbeitsunfähigkeit dauerte bis 31. 5. 1972. Er wurde hinsichtlich des Bezuges von Krankengeld bzw. Familientaggeld mit 12. 2. 1972 ausgesteuert. Dabei handelt es sich nach unserer Auffassung um eine Entziehung einer Leistung. Wir ersuchen Sie, unter gleichzeitiger Vorlage einer Vollmacht, darüber gemäß § 367 Abs. 2 ASVG bescheidmäßig abzusprechen ..."

Dem Antrag war eine vom Beschwerdeführer an Dr. RP und Dr. MG, Referenten der Handelskammer Niederösterreich erteilte Vollmacht angeschlossen.

Am 10. November 1980 richtete die mitbeteiligte Niederösterreichische Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte folgendes Schreiben an die Handelskammer Niederösterreich:

"Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 16. 10. 1980 ... teilen wir Ihnen nach nochmaliger Überprüfung der Angelegenheit mit, daß uns Ihre Argumentation nicht von unserer bereits mit Schreiben vom 6. 10. 1980 dargelegten Rechtsauffassung abbringen konnte. Wir stehen nach wie vor auf dem Standpunkt, daß eine laufende Leistung (hier Krankengeldbezug nach Erschöpfung der Anspruchsdauer gemäß § 100 Abs. 1 lit. a ohne weiteres Verfahren erlischt. Wir sind daher nicht in der Lage, darüber bescheidmäßig abzusprechen ..."

Den vom Beschwerdeführer gegen dieses von ihm als Bescheid qualifizierte Schreiben erhobenen Einspruch wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid wegen Unzuständigkeit zurück. Begründet wurde die Zurückweisung damit, daß das genannte Schreiben im Hinblick auf die Bestimmungen des § 58 AVG 1950 und die hiezu ergangene Rechtsprechung zwar als Bescheid aufzufassen sei, daß aber die belangte Behörde zur Entscheidung über den Einspruch gegen diesen Bescheid nicht zuständig sei, weil es sich um keine Verwaltungssache gemäß § 355 ASVG, sondern um eine Leistungssache gemäß § 354 Z. 1 ASVG handle, die belangte Behörde aber gemäß den §§ 412, 413 Abs. 1 Z. 1 ASVG nur zur Entscheidung über Einsprüche gegen Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen zuständig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde. Der Bescheid sei insofern rechtswidrig, als der Beschwerdeführer nur begehrt habe, auszusprechen, daß die mitbeteiligte Partei verpflichtet sei, seinem Antrag vom 15. September 1980 zu entsprechen, was nicht bedeute, daß die belangte Behörde in irgendeiner Art und Weise über die Leistung aus der Krankenversicherung selbst hätte absprechen müssen. Sein Einspruch habe sich nur gegen die Verweigerung der Erlassung eines Bescheides gerichtet. Diese Verweigerung der Erlassung eines Bescheides stelle aber sicher keine Leistungssache im Sinne des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes dar, sondern sei eine Verwaltungssache, weshalb die Zurückweisung seines Einspruches eine Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde darstelle und er auch in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden sei.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand. Die mitbeteiligte Niederösterreichische Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 357 Abs. 1 ASVG gelten für das Verfahren vor den Versicherungsträgern in Leistungssachen und in Verwaltungssachen unter anderem auch die §§ 58, 59 bis 61 und § 62 Abs. 4 AVG 1950 über Inhalt und Form der Bescheide. Gemäß § 58 Abs. 1 AVG ist jeder Bescheid ausdrücklich als solcher zu bezeichnen und hat den Spruch und, sofern es sich nicht um den Bescheid eines Bundesministeriums oder einer Landesregierung handelt, die Rechtsmittelbelehrung zu enthalten. Gemäß § 59 Abs. 1 erster Satz AVG 1950 hat der Spruch die in Verhandlung stehende Angelegenheit und alle die Hauptfrage betreffenden Parteienanträge, ferner die allfällige Kostenfrage in möglichst gedrängter, deutlicher Fassung und unter Anführung der angewendeten Gesetzesbestimmungen, und zwar in der Regel zur Gänze, zu erledigen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Fehlen der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung unerheblich, wenn eine an eine bestimmte Person gerichtete Erledigung die Bezeichnung der Behörde, den Spruch und die Unterschrift oder auch die Beglaubigung enthält. Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid kann aber nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, daß die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, daß sie normativ, also entweder rechtsgeltend oder rechtsfeststellend eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. In jedem Fall, in dem der Inhalt einer Erledigung, also ihr Wortlaut und ihre sprachliche Gestaltung, Zweifel über den Bescheidcharakter entstehen läßt, ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung essentiell (Beschluß eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. N.F. Nr. 9458/4 Erkenntnisse vom 27. Juni 1980, Zl. 1641/77, und vom 26. Februar 1981, Zl. 2878/79).

Unter Zugrundelegung dieser von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze kann das Schreiben der mitbeteiligten Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte vom 10. November 1980 weder seiner Form noch seinem Inhalt nach zweifelsfrei als Bescheid gewertet werden. Denn es enthält nur die Darlegung der Rechtsansicht der mitbeteiligten Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte, daß "eine laufende Leistung (hier Krankengeldbezug) nach Erschöpfung der Anspruchsdauer gemäß § 100 Abs. 1 lit. a ohne weiteres Verfahren erlischt" und - offensichtlich als die daraus gezogene Schlußfolgerung - den Satz, daß die mitbeteiligte Partei daher nicht in der Lage sei, darüber bescheidmäßig abzusprechen. Aus der zuletzt genannten Wendung kann aber nicht - ohne jeden Zweifel - erschlossen werden, daß damit die mitbeteiligte Niederösterreichische Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte über den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlassung eines Bescheides des Inhaltes, daß sein Krankengeldbezug ab 12. Februar 1972 entzogen werde, mit normativer Wirkung absprechen wollte; der Wortlaut dieses Satzes im Zusammenhang mit dem sonstigen Inhalt des genannten Schreibens und dem Antrag des Beschwerdeführers läßt auch die Deutung zu, daß die mitbeteiligte Partei auch damit der Vertreterin des Beschwerdeführers nur ihre Rechtsauffassung mitteilen wollte, daß sie mangels Vorliegens eines Entziehungsgrundes zur Erlassung eines Bescheides "nicht in der Lage", d. h. unzuständig sei.

Da somit das genannte Schreiben nicht als Bescheid gewertet werden kann, hätte die belangte Behörde, die gemäß den §§ 412 Abs. 1, 413 Abs. 1 Z. 1 ASVG nur zur Entscheidung über Einsprüche gegen Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen sachlich zuständig ist, gemäß der auch im Einspruchsverfahren anzuwendenden Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG 1950 den Einspruch schon mangels Vorliegens eines Bescheides zurückweisen müssen. Da jedoch die belangte Behörde auch mit der unrichtigen Begründung, es handle sich bei dem genannten Schreiben um einen Bescheid, die belangte Behörde sei aber zur Entscheidung über diesen Einspruch zufolge Vorliegens einer Leistungssache gemäß §§ 412 Abs. 1, 413 Abs. 1 Z. 1 ASVG sachlich unzuständig, zu dem der Rechtslage entsprechenden Ergebnis, nämlich zur Zurückweisung des Einspruches durch einen verfahrensrechtlichen Bescheid wegen Unzuständigkeit gelangt ist - sachlich unzuständig ist der Landeshauptmann nach den zitierten Bestimmungen nicht nur dann, wenn es sich um eine Leistungssache handelt, sondern auch wenn gar kein Bescheid vorliegt -, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen (vgl. Erkenntnisse vom 8. Februar 1952, Slg. N:F. Nr. 544/F, vom 29. Jänner 1970, Zl. 1428/69, und andere).

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 26. Juni 1981

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