VfGH B2233/93

VfGHB2233/932.7.1994

Zulässigkeit der Beschwerde eines bereits abgeschobenen türkischen Staatsangehörigen kurdischer Abstammung gegen die Abweisung seines Antrags auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die Türkei; subjektives Recht auf Erlassung eines solchen Feststellungsbescheides; kein Wegfall des objektiven Interesses durch die Abschiebung; Zuständigkeit des VwGH zur Kontrolle von in den Schutzbereich des Art3 EMRK fallenden Verwaltungsakten wie des hier angefochtenen Bescheides; keine Verletzung des Rechts auf Schutz vor Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung durch etwaige schwere Verfahrensfehler; keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren; kein Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit; keine Verletzung des Rechts auf eine wirksame Beschwerde vor einer nationalen Instanz; Zulässigkeit einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen die letztinstanzliche Entscheidung der Sicherheitsdirektion über die Unzulässigkeit der Abschiebung

Normen

B-VG Art130
B-VG Art131
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
EMRK Art3
EMRK Art5
EMRK Art6 Abs1 / Allg
EMRK Art6 Abs1 / Strafrecht
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art13
PersFrSchG 1988 Art1 ff
FremdenG §54
FremdenG §70 Abs1
B-VG Art130
B-VG Art131
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
EMRK Art3
EMRK Art5
EMRK Art6 Abs1 / Allg
EMRK Art6 Abs1 / Strafrecht
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art13
PersFrSchG 1988 Art1 ff
FremdenG §54
FremdenG §70 Abs1

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Abstammung, war am 10. September 1993 von Beamten der Bundespolizeidirektion Graz gemäß §85 Abs2

des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), festgenommen worden, weil er kein gültiges Reisedokument vorweisen konnte. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom selben Tage wurde über ihn gemäß §41 FrG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sowie einer Ausweisung und zur Sicherung der Abschiebung sowie der Zurückschiebung verhängt.

Unter dem 6. Oktober 1993 stellte er - rechtsfreundlich vertreten - gemäß §54 FrG einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die Türkei. Mit Bescheid vom 14. Oktober 1993 stellte die Bundespolizeidirektion Graz fest, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in der Türkei gemäß §37 Abs1 oder Abs2 FrG bedroht sei. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark gab der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung mit Bescheid vom 9. November 1993 keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 10. November 1993 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß §17 Abs1 FrG die Ausweisung ausgesprochen, sodann wurde er in die Türkei abgeschoben.

2. Gegen den die Abweisung des Antrages gemäß §54 FrG bestätigenden Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 9. November 1993 richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung der gemäß Art3, 5, 6 und 13 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

3. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark legte die Verwaltungsakten vor; eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

1. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Fällen, in denen der Beschwerdeführer bereits vor Erhebung der Beschwerde (an den Verwaltungsgerichtshof) abgeschoben wurde, die Rechtsansicht vertreten, im Hinblick auf die bereits erfolgte Abschiebung könne der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erhebung der Beschwerde in dem Recht auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gemäß §54 FrG nicht (mehr) verletzt sein. Für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers mache es keinen Unterschied, ob der bekämpfte Bescheid aufrecht bleibe oder aufgehoben werde; auch im Fall einer Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof könne eine Verbesserung der Rechtsposition des Beschwerdeführers nicht herbeigeführt werden. Die Beschwerden wurden daher als unzulässig zurückgewiesen (VwGH 8.7.1993, 93/18/0288, 15.12.1993, 93/18/0442). Erfolgte die Abschiebung während des laufenden Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, so erklärte der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde infolge des nachträglichen Wegfalles des Rechtsschutzbedürfnisses als gegenstandslos und stellte das Verfahren ein. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof aus, mit der erfolgten Abschiebung käme einer Entscheidung über die Beschwerde nur mehr abstrakt- theoretische Bedeutung zu, ohne daß dem Beschwerdeführer ein Erreichen des Verfahrenszieles den erwünschten Erfolg bringen könnte (VwGH 29.7.1993, 93/18/0285; 28.10.1993, 93/18/0343; 25.11.1993, 93/18/0415).

2.1. Die Erhebung einer auf Art144 Abs1, erster Satz, B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde hat unter anderem zur Voraussetzung, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem subjektiven Recht verletzt werden konnte (VfSlg. 3304/1958, 3425/1958, 3455/1958, 3555/1959, 4305/1962, 4434/1963, 5544/1967, 5712/1968, 6683/1972, 6716/1972, 7226/1973, 8774/1980, 9002/1980, 9452/1982, 9471/1982, 9736/1983, 9915/1985, 10605/1985). Dieses subjektive Recht muß kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht sein (VfSlg. 3084/1956, 5583/1967).

Die Möglichkeit der Verletzung eines subjektiven Rechtes ist dann gegeben, wenn der Bescheid subjektive Rechte (oder Pflichten) begründet, verändert oder feststellt (VfSlg. 8746/1980, 9107/1981, 9423/1982, 9771/1983, 10576/1985).

Die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen einen Bescheid setzt ein objektives Interesse des Beschwerdeführers an der Beseitigung des angefochtenen, ihn beschwerenden Bescheides voraus, sei es, daß der Bescheid vom Antrag des Beschwerdeführers zu dessen Nachteil abweicht (formelle Beschwer), sei es, daß der Beschwerdeführer durch einen nicht auf seinen Antrag erlassenen Bescheid belastet wird (materielle Beschwer; s. zu den Begriffen der formellen und der materiellen Beschwer zB VwGH 3.9.1987, 86/16/0125, 15.10.1987, 87/02/0081, 10.3.1988, 87/16/0119; ferner etwa Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit (1983), 92). Dabei kommt es nicht auf die subjektive Beurteilung durch den Beschwerdeführer, sondern darauf an, ob bei Anlegung eines objektiven Maßstabes gesagt werden kann, daß der angefochtene Bescheid die Rechtsposition des Beschwerdeführers zu dessen Nachteil verändert (s. VfSlg. 11764/1988, VfGH 25.6.1993, B 1874-1876/92).

2.2. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt:

Der Beschwerdeführer hat gemäß §54 FrG ein subjektives Recht auf bescheidmäßige Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung in einen bestimmten Staat. Dieses subjektive Recht besteht unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer bereits in diesen Staat abgeschoben worden ist oder nicht; er kann daher auch noch nach erfolgter Abschiebung in diesem subjektiven Recht verletzt werden.

Durch die Abschiebung fällt auch nicht das objektive Interesse des Beschwerdeführers an der Beseitigung des angefochtenen Bescheides weg: Wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und in der Folge festgestellt, daß eine Abschiebung des Beschwerdeführers in diesen Staat unzulässig ist, wirkt diese Feststellung pro futuro, sodaß der Beschwerdeführer - gelingt ihm die Ausreise aus diesem Staat und wird er in Österreich aufgegriffen - nicht neuerlich in diesen Staat ab- bzw. zurückgeschoben oder an der Grenze zurückgewiesen werden darf. Im übrigen besteht nach wie vor ein Feststellungsinteresse im Hinblick auf allfällige Amtshaftungsansprüche (vgl. etwa auch VwSlgNF 12.217 A/1986).

Jede andere Auslegung stünde auch mit dem Rechtsschutzsystem der österreichischen Bundesverfassung, insbesondere mit Art13 EMRK, in Widerspruch. Der Verfassungsgerichtshof hat nämlich in diesem Zusammenhang wiederholt festgestellt, daß

jeder Verwaltungsakt, der in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreift, bekämpfbar und letztlich vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts überprüfbar sein muß (VfSlg. 11590/1987, 12574/1990, VfGH 13.10.1992, G119/92; 3.3.1994, G116/93; s. auch VfGH 16.6.1994, B1117/93, B1119/93).

2.3. Auch sonst sind alle Prozeßvoraussetzungen erfüllt. Die Beschwerde ist daher zulässig.

B. In der Sache:

1.1. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid in dem gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden zu sein.

1.2.1. Der Verfassungsgerichtshof hatte auf dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht insbesondere bei der Entscheidung über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person gemäß Art144 Abs1, zweiter Satz, B-VG idF vor der Novelle BGBl. 685/1988 Bedacht zu nehmen. Darunter fielen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren. Ein solcher Verwaltungsakt lag (auch) vor, wenn Sicherheitsorgane jemanden im Zuge einer Amtshandlung physischem Zwang unterwarfen (zB VfSlg. 8296/1978, 9983/1984, 10052/1984, 10546/1985, 10662/1985).

Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgesprochen, daß nicht jede unzulässige Anwendung von Körperkraft - zwingend - auch Art3 EMRK verletzt, sondern daß physische Zwangsakte gegen das in Art3 EMRK statuierte Verbot "erniedrigender Behandlung" vielmehr nur dann verstoßen, wenn qualifizierend hinzutritt, daß ihnen eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist (zB VfSlg. 8654/1979, 9385/1982, 10546/1985, 11422/1987, 11692/1988, 11809/1988, VfGH 29.9.1992, B590/89).

Ob dabei in jeder Beziehung rechtmäßig vorgegangen wurde, hatte der Verfassungsgerichtshof nach seiner ständigen Rechtsprechung (VfSlg. 8654/1979, 10018/1984, 10321/1985, 10546/1985, 11146/1986) nicht zu prüfen: Wenn die strittige Maßnahme nicht unter Umständen stattfand, die eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person erkennen ließen, kam eine vom Verfassungsgerichtshof allein wahrzunehmende Grundrechtsverletzung nicht in Betracht.

Wie der Verfassungsgerichtshof weiter feststellte, war es Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes, den angegriffenen Verwaltungsakt auf seine einfachgesetzliche Zulässigkeit hin zu überprüfen (VfSlg. 10662/1985). Die festgestellte Anwendung von Körperkraft war daher möglicher Gegenstand der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof (VfSlg. 8654/1979, 9385/1982). Beschwerden wurden vom Verfassungsgerichtshof daher auch bei behaupteten (aber nicht vorliegenden) Verstößen gegen Art3 EMRK dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch die angefochtene Gewaltanwendung in einem sonstigen (einfachgesetzlichen) Recht verletzt worden war (VfSlg. 8654/1979, 9385/1982, 10018/1984, 11146/1986).

1.2.2. Durch die B-VG-Novelle 1988, BGBl. 685, wurde nun die (primäre) Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes (und des Verwaltungsgerichtshofes) zur Prüfung von Beschwerden von Personen beseitigt, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein, und es wurden dafür - mit Ausnahme der Finanzstrafsachen des Bundes - durch Art129a Abs1 Z2 B-VG die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern für zuständig erklärt. Durch diese Zuständigkeitsverschiebung durch die B-VG-Novelle 1988 hat die Verfassungsrechtslage im Hinblick auf Art3 EMRK keine Änderung erfahren.

Bescheide eines unabhängigen Verwaltungssenates, die zwar nicht gegen Art3 EMRK verstoßen, wiewohl sie dessen Schutzbereich betreffen, können dennoch im Hinblick auf die bei ihrer Erlassung anzuwendenden einfachgesetzlichen Regelungen, insbesondere Verfahrensvorschriften, rechtswidrig sein; insoweit unterliegt auch ein Art3 EMRK nicht verletzender Bescheid der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes gemäß Art130 und 131

B-VG.

1.2.3. Die oben dargestellte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes deckt sich auch mit jener des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, die in einem unmittelbar gegen eine Person gerichteten Zwang besteht (wie Verhaftung, Festnahme, Vorführung und Vollzug einer Arreststrafe), zuständig ist:

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 7. Dezember 1988, VwSlgNF 12.821 A/1988, die Auffassung, er sei unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einfachgesetzlich eingeräumter Rechte zur Entscheidung über Beschwerden zuständig, in denen jemand behauptet, in gesetzwidriger Weise festgenommen worden zu sein. Von diesem Grundsatz ausgehend erachtet sich der Verwaltungsgerichtshof auch für Beschwerden gegen Bescheide der unabhängigen Verwaltungssenate, mit denen gemäß §67c AVG über die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt abgesprochen wird, für zuständig, sofern in der Beschwerde die Verletzung einer einfachgesetzlichen Norm behauptet wird. Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes kommt somit zum Tragen, wenn der angefochtene Bescheid (nicht nur verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, deren Wahrnehmung dem Verfassungsgerichtshof vorbehalten bleibt, sondern) auf einfachgesetzlicher Ebene eingeräumte Rechte verletzt haben könnte (VwGH 20.9.1993, 93/10/0118; vgl. weiters VwGH 1.12.1992, 92/11/0142, 0245).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Sinne bereits wiederholt die Zulässigkeit von Beschwerden in Fällen bejaht, in denen vor dem Verfassungsgerichtshof eine Verletzung des Art3 EMRK behauptet worden war (s. insbesondere VwGH 3.3.1994, 93/18/0538, betreffend eine Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß §54 FrG; weiters VwGH 3.5.1993, 92/18/0513, 11.11.1993, 93/18/0430, 3.3.1994, 94/18/0011, betreffend Beschwerden gegen die Verhängung von Aufenthaltsverboten).

1.2.4. In Berücksichtigung all dessen ergibt sich, daß der Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates das durch Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt, wenn er eine in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte Verletzung desselben nicht wahrnimmt. Ein solcher verfassungswidriger Eingriff liegt auch vor, wenn der Bescheid in Anwendung eines der genannten Verfassungsvorschrift widersprechenden Gesetzes ergangen ist oder wenn der Behörde auf einer grundrechtswidrigen Auslegung beruhende oder sonst grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind (in diesem Sinne die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung, s. VfSlg. 8268/1978, 8391/1978, 10324/1985, 10422/1985, 10532/1985, 11337/1987, 12854/1991, VfGH 4.3.1994, B1115/93).

1.3. Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte davon aus (vgl. VfGH 16.12.1992, B1035/92, 19.6.1993, B1084/92; 4.10.1993, B364/93), daß die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuliefern - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, daß der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (EGM 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314ff. (319); 20.3.1991, Cruz Varas u.a., EuGRZ 1991, 203ff. (211); 30.10.1991, Vilvarajah u.a., ÖJZ 1992, 309ff. (309); vgl. auch die Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte 15.3.1984, Memis, EuGRZ 1986, 324ff. (325); 5.4.1993, ÖJZ 1994, 57ff. (58).

§54 FrG sieht im Zusammenhang mit Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes zur Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat ("Refoulement-Verbot") ein besonderes Verfahren vor (vgl. VfGH 4.10.1993, B364/93). Ein Bescheid, mit dem ein Antrag gemäß §54 FrG auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat abgewiesen wird, greift - im Gegensatz etwa zu einem Bescheid, mit dem die Erteilung eines Sichtvermerkes versagt wird (VfSlg. 11044/1986), einem Bescheid, mit dem einem Antrag auf Asylgewährung nicht stattgegeben wird (VfGH 16.12.1992, B1035/92) oder einem Bescheid, mit dem ein Aufenthaltsverbot verhängt wird (VfGH 18.12.1993, B2091/92) - in den Schutzbereich des Art3 EMRK ein.

1.4.1. §54 FrG lautet:

"Feststellung der Unzulässigkeit

der Abschiebung in einen bestimmten Staat

§54. (1) Auf Antrag eines Fremden hat die Behörde mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß §37 Abs1 oder 2 bedroht ist.

(2) Der Antrag kann nur während des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes eingebracht werden; hierüber ist der Fremde rechtzeitig in Kenntnis zu setzen.

(3) Über Berufungen gegen Bescheide, mit denen die Zulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat festgestellt wurde, ist binnen Wochenfrist zu entscheiden, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.

(4) Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag darf der Fremde in diesen Staat nicht abgeschoben werden. Nach Abschiebung des Fremden in einen anderen Staat ist das Feststellungsverfahren als gegenstandslos einzustellen."

1.4.2. Die gegen diese Bestimmung in der Beschwerde vorgetragenen Bedenken im Hinblick auf Art13 EMRK teilt der Verfassungsgerichtshof aus den im folgenden, unter II.B.4. näher dargelegten Überlegungen nicht (vgl. schon VfGH 4.10.1993, B364/93; 30.11.1993, B857/93, B861/93; 28.2.1994, B515/93; 28.2.1994, B638/93; 28.2.1994, B846/93; 16.6.1994, B1117/93, B1119/93).

1.5.1. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides könnte dieser das gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, nur verletzen, wenn der Behörde bei der nach §54 FrG vorzunehmenden Prognose auf einer grundrechtswidrigen Auslegung beruhende oder sonst grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind.

1.5.2. Daß letzteres der Fall gewesen ist, wird in der Beschwerde unter dem Aspekt der Verletzung des Art6 EMRK behauptet und im einzelnen darzutun versucht, wobei vor allem das Unterlassen der Einvernahme der vom Beschwerdevertreter angebotenen Zeugen kritisiert wird.

1.5.3. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, daß dieser Beschwerdevorwurf unter dem Aspekt des Art3 EMRK gerechtfertigt wäre. Vielmehr hat die belangte Behörde im einzelnen begründet, warum die Zeugenvernehmung unterblieben ist und den Behauptungen des Beschwerdeführers nicht gefolgt wurde. Unter Würdigung aller Umstände ist ein grober, das gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht verletzender Verfahrensmangel nicht zu erkennen.

1.6. Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid daher nicht in dem gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.

2. Zu der behaupteten Verletzung des gemäß Art1ff. des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988, und gemäß Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) bringt der Beschwerdeführer nichts Näheres vor.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes wird durch den angefochtenen Bescheid in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht überhaupt nicht eingegriffen.

Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid daher nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt.

3.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid weiters im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 Abs1 EMRK verletzt.

3.2. Wie unter II.B.1. dargetan, wurden die hier behaupteten groben Verfahrensmängel unter dem Aspekt des Art3 EMRK geprüft und nicht für begründet erachtet. Das in §54 FrG vorgesehene Verfahren zur Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat betrifft weder zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ("civil rights and obligations") noch eine strafrechtliche Anklage ("criminal charge"). Ein derartiges Feststellungsverfahren unterliegt daher nicht den spezifischen Verfahrensgarantien des Art6 EMRK.

3.3. Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid daher nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 Abs1 EMRK verletzt.

4.1. Zur behaupteten Verletzung des Art13 EMRK führt der Beschwerdeführer aus, ob seine Beschwerde als eine "wirksame" iSd. Art13 EMRK anzusehen sei, hänge davon ab, ob zur Entscheidung eine Behörde berufen sei, die über ein Mindestmaß an Unabhängigkeit verfüge. Im gegenständlichen Fall habe über den Antrag gemäß §54 FrG in erster Instanz die Bundespolizeidirektion Graz entschieden, welche auch für die Verhängung der Schubhaft über den Beschwerdeführer sowie seine Ausweisung und Abschiebung verantwortlich sei. Auch die Sicherheitsdirektion könne nicht als unabhängige Behörde iSd. Art13 EMRK angesehen werden, da sie direkt dem Bundesminister für Inneres unterstehe. Zwar sei sie vergleichsweise weniger stark in das Verfahren involviert, sie habe jedoch mitunter bereits über Rechtsmittel desselben Fremden entschieden, die sich gegen ein Aufenthaltsverbot oder die Ausweisung richteten. Die Zugehörigkeit der entscheidenden Behörde zur Exekutive reiche bereits aus, die erforderliche Unabhängigkeit in Frage zu stellen. Zwar begnüge sich Art13 EMRK mit einer Beschwerdelegitimation an eine "nationale Instanz", ohne die angerufene Behörde zu verpflichten, eine quasi richterliche Stellung einzunehmen. Entscheidend sei aber dennoch, ob eine unbefangene und unparteiliche Prüfung der Beschwerde gehindert werde. Auch wenn man davon ausgehe, daß bereits eine nachprüfende Kontrolle der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes ausreiche, sei dem entgegenzuhalten, daß eine Abschiebung bzw. Zurückschiebung des Fremden in sein Heimatland nach dem Wortlaut des §54 Abs4 FrG bereits ab Rechtskraft des Bescheides erfolgen könne. Somit könne - noch bevor eine unabhängige Instanz mit der "Beschwerde" betraut sei - die Abschiebung bereits durchgeführt werden. Im gegenständlichen Fall sei der Beschwerdeführer bereits abgeschoben worden, sodaß lediglich im nachhinein ein entsprechender Kontrollmechanismus wirksam werde. Auch die Möglichkeit, der Beschwerde über Antrag die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, könne den oben angeführten Mangel nicht beseitigen, wie der Fall des Beschwerdeführers bewiesen habe.

4.2. Auch dieses Vorbringen des Beschwerdeführers ist nicht begründet:

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat wiederholt festgestellt, daß Art13 EMRK (lediglich) die Verfügbarkeit eines Rechtsmittels auf nationaler Ebene garantiert, um den wesentlichen Inhalt der Konventionsrechte und -freiheiten zu sichern, "gleichgültig in welcher Weise sie in der innerstaatlichen Rechtsordnung gesichert werden". Nach dem Sinn und Zweck von Art13 EMRK ist die Bereitstellung eines innerstaatlichen Rechtsmittels erforderlich, welches es der "nationalen Behörde" überläßt, sich mit dem wesentlichen Inhalt der betreffenden Konventionsbeschwerde zu befassen und den erforderlichen Rechtsschutz zu gewähren (EGM 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314 ff. (324), unter Berufung auf seine bisherige Rechtsprechung). Art13 EMRK geht jedoch nicht soweit, irgendeine bestimmte Form eines Rechtsmittels zu verlangen; den Vertragsstaaten kommt bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen nach dieser Bestimmung ein Ermessensspielraum zu.

Dagegen, daß über die Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat letztlich die Sicherheitsdirektion (§70 Abs1 FrG) zu entscheiden befugt ist, bestehen deshalb aus der Sicht des Art13 EMRK keine Bedenken (vgl. VfGH 16.6.1994, B1117/93, B1119/93, vom selben Tage B1774/93; so auch Wiederin, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Fremdenpolizeirecht (1993), 156ff.).

Wie der Verfassungsgerichtshof überdies bereits wiederholt ausgesprochen hat, wird dem aus Art13 EMRK erfließenden Erfordernis der Möglichkeit einer wirksamen Beschwerde bei einer nationalen Instanz gegen eine Verletzung des Art3 EMRK durch die Zulässigkeit einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof entsprochen (vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere VfSlg. 9030/1981; vgl. weiters VfSlg. 8126/1977, 9196/1981 und die Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 5.4.1993, ÖJZ 1994, 57 ff. (59)).

4.3. Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid daher auch nicht in dem gemäß Art13 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt.

5. Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid somit weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und antragsgemäß (Art144 Abs3 B-VG) dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abzutreten.

III. Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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