European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00116.24W.0923.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Unionsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.948,52 EUR (darin enthalten 470,77 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die österreichische Klägerin ist im Baugewerbe als Generalunternehmerin vorwiegend für den Bau und Ausbau von Krankenanstalten tätig. Die beklagte GmbH mit Sitz in Deutschland ist vorwiegend in den Bereichen Heizungs‑, Sanitär‑, Luft‑ und Klimatechnik sowie Brandschutz tätig. Die Klägerin ist Generalunternehmerin eines Bauvorhabens betreffend den Ausbau eines Klinikums in Deutschland. Die Beklagte ist Auftragnehmerin der Klägerin hinsichtlich eines Teils dieses Bauvorhabens, nämlich hinsichtlich der Sanitäreinrichtungen.
[2] In dem zwischen den Parteien abgeschlossenen „Werkvertrag/Hauptauftrag“ vom 2. 6. 2022 wurde auf dem Deckblatt als Punkt H der (deutsche) „Gerichtsstand: *“ aufgenommen. Bestandteil dieses Werkvertrags ist das „Verhandlungsprotokoll Bauleistungen“ vom 21. 4. 2022, in dem in Z 33 als (deutscher) Gerichtsstand * vereinbart wurde. In Z 32 („Zusätzliche Vereinbarungen“) wurde als Erfüllungsort für Lieferung und Leistung ebenfalls (das deutsche) *vereinbart.
[3] Im Jahr 2023 erteilte die Klägerin der Beklagten mehrere „Zusatzaufträge“, darunter den „Zusatzauftrag“ Nr 1 vom 16. 2. 2023 und den „Zusatzauftrag“ Nr 6 vom 13. 6. 2023. Auf den Deckblättern beider „Zusatzaufträge“, die von den Parteien jeweils firmenmäßig unterfertigt sind (vgl RS0121557), steht jeweils unter Punkt H „Gerichtsstand: Linz“. Der Werkvertrag über das Bauvorhaben erfasst sowohl den „Hauptauftrag“ als auch die beiden „Zusatzaufträge“. Auftragssumme des „Hauptauftrags“ sind 733.761,42 EUR, des „Zusatzauftrags“ Nr 1 12.593,76 EUR und des „Zusatzauftrags“ Nr 6 4.413,71 EUR (unstrittig Beilagen ./A bis ./C; vgl RS0121557).
[4] Die Klägerin begehrt mit der beim Landesgericht Linz eingebrachten Klage die Feststellungen, dass zwischen ihr und der Beklagten ein aufrechter Werkvertrag mit dem Vertragsinhalt wie in den Beilagen ./A bis ./C („Hauptauftrag“ und „Zusatzaufträge“) bestehe, die Beklagte gegen diesen Werkvertrag „rechtswidrig und schuldhaft verstoßen“ habe und ihr für sämtliche Schäden aus diesem Verstoß hafte. Weiters begehrt sie von der Beklagten die Zahlung von 150.000 EUR sA an Kosten der Mängelbeseitigung. Sie sei Generalunternehmerin des Ausbaus eines Klinikums in Deutschland. Die deutsche Beklagte sei ihre Auftragnehmerin hinsichtlich des Bereichs der Sanitäreinrichtungen. Teile der vereinbarten Leistungen seien von der Beklagten mangelhaft erbracht worden. Sie habe die Beklagte mehrmals unter Setzung einer angemessenen Frist zur Mängelbehebung ergebnislos aufgefordert. Sie müsse daher die Mängelbehebung nunmehr selbst vornehmen. Dies verursache Kosten von voraussichtlich 150.000 EUR. Die von der Beklagten am 19. 9. 2023 erklärte Kündigung des Werkvertrags sei unwirksam; dieser sei unverändert aufrecht. Sie habe daher ein Interesse an der Feststellung des Bestehens des Werkvertrags. Die zu erwartenden Schäden seien derzeit noch nicht bezifferbar, sodass sie ein Interesse an der Feststellung der Schadenersatzpflicht der Beklagten habe.
[5] Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus den „Zusatzaufträgen“ Nr 1 und Nr 6 und der dort getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung (Linz), die jene des „Hauptauftrags“ (*) ersetze.
[6] Die Beklagte wendete die Unzuständigkeit des Erstgerichts ein. Das angerufene Landesgericht sei international unzuständig, weil sich aus dem „Werkvertrag/Hauptauftrag“ vom 2. 6. 2022 in Verbindung mit dem Protokoll über die Verhandlung vom 21. 4. 2022 eine Gerichtsstandsvereinbarung für */Deutschland ergebe. Unbeschadet dessen leite sich die Zuständigkeit des (deutschen) Landesgerichts * auch aus dem Gerichtsstand des gesetzlichen Erfüllungsorts gemäß § 29 Abs 1 dZPO ab. Schließlich ergebe sich die Zuständigkeit des (deutschen) Landesgerichts * auch aus Art 7 Nr 1 lit a EuGVVO 2012. Durch die „Zusatzaufträge“ Nr 1 vom 16. 2. 2023 und Nr 6 vom 13. 6. 2023 sei der hinsichtlich des „Hauptauftrags“ vereinbarte deutsche Gerichtsstand * nicht verändert worden; das sei nicht die Intention der Parteien gewesen. Die Auftragssumme der „Zusatzaufträge“ Nr 1 und Nr 6 betrage in Summe nur ca 2 % der Hauptauftragssumme.
[7] Das Erstgericht sprach – auf der Grundlage der vorgelegten Urkunden – seine internationale Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück. Im „Werkvertrag/Hauptauftrag“ vom 2. 6. 2022 sei zwischen den Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinn des Art 25 Abs 1 lit a EuGVVO 2012 abgeschlossen worden, indem unter Punkt H des Auftragsbogens als Gerichtsstand *, Deutschland, rechtsgültig vereinbart worden sei. Dies ergebe sich auch aus Z 33 des Verhandlungsprotokolls, das dem „Hauptvertrag“ zugrunde gelegt worden sei. An dieser Gerichtsstandsvereinbarung betreffend */Deutschland hätten die Parteien auch danach festgehalten: Weder aus der „Gesamtheit der entnommenen Anhaltspunkte“ noch aus der unter Punkt H in beiden „Zusatzaufträgen“ gefassten Klausel lasse sich mit der notwendigen Klarheit entnehmen, dass zwischen den Parteien eine Änderung der ursprünglich geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung vereinbart worden sei. Die Beweislast für das Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung bzw eine Willenseinigung treffe grundsätzlich denjenigen, der sich darauf berufe, im vorliegenden Fall daher die Klägerin. Diesen Beweis habe sie jedoch nicht erbringen können.
[8] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Rechtlich führte es aus, im „Hauptvertrag“ sei der deutsche Gerichtsstand * vereinbart worden. Durch die Vereinbarung in den „Zusatzaufträgen“ Nr 1 und Nr 6 sei von der im „Hauptvertrag“ abgeschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung nicht einvernehmlich abgegangen worden. Es stehe „nicht fest, dass die Beklagte die Punkte 'H Gerichtsstand: Linz' auf den Deckblättern der Zusatzaufträge Nr 1 und Nr 6 bewusst zur Kenntnis genommen, geschweige denn einer nachträglichen Änderung des Gerichtsstands zugestimmt hätte“. Den Beweis einer nachträglichen Änderung der Gerichtsstandsvereinbarung habe die beweispflichtige Klägerin nicht erbracht. Auch stehe nicht fest, dass die Beklagte Linz als (Wahl‑)Gerichtsstand akzeptiert habe; eine Interpretation der nachträglichen Einigung der Parteien auf Linz als Wahlgerichtsstand widerspreche der Intention des Art 25 Abs 1 Satz 2 EuGVVO 2012.
[9] Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 1 ZPO für nicht zulässig, weil keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage von wesentlicher Bedeutung zu lösen gewesen sei.
[10] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, die Einrede der internationalen (Un‑)Zuständigkeit zu verwerfen und dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
[11] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurück-zuweisen, hilfsweise ihn abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[12] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil den Vorinstanzen eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist; er ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.
[13] 1. Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind gemäß Art 25 Abs 1 der VO (EU) Nr 1215/2012 (im Folgenden EuGVVO 2012) dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben.
[14] Die Gerichtsstandsvereinbarung muss – soweit für den vorliegenden Fall relevant – schriftlich geschlossen werden (Art 25 Abs 1 Satz 3 lit a Fall 1 EuGVVO 2012). Eine schriftliche Vereinbarung liegt dann vor, wenn jede Vertragspartei ihre Willenserklärung schriftlich abgegeben hat (vgl RS0111714). Dies kann in einer gemeinsamen Urkunde geschehen oder aber auch in getrennten Schriftstücken, soweit aus diesen immerhin klar hervorgeht, dass sie denselben Rechtsstreit bzw dasselbe Rechtsverhältnis zum Gegenstand haben und sich die Parteien über den Gerichtsstand geeinigt haben (Simotta in Fasching/Konecny 3 V/1 Art 25 EuGVVO 2012 Rz 122 mwN; vgl RS0114604).
[15] 2. Der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung ist verordnungsautonom zu gewinnen (Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands‑ und Vollstreckungsrecht4 Art 25 EuGVVO 2012 Rz 21 mwN; EuGH C‑214/89 , Powell Duffryn/Petereit, Rn 13 f). Der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung bedeutet eine übereinstimmende Willenserklärung der Parteien über die Zuständigkeitsbegründung (EuGH Rs 71/83 , Russ/Goeminne, Rn 14 ff; RS0117156). Voraussetzung für das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung im Sinn des Art 25 EuGVVO 2012 ist, dass die zuständigkeits-begründende Klausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist; es soll gewährleistet sein, dass die Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststeht. Einer Klausel, die von den allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften abweicht, müssen die Parteien tatsächlich zugestimmt haben (RS0113571 [T1]). Die Voraussetzungen für die Gültigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen sind eng auszulegen (RS0114604 [T1]; EuGH Rs 24/76 , Estasis Salotti/Rüwa, Rn 7), weil nach der Zielsetzung des Art 25 EuGVVO 2012 Zuständigkeitsvereinbarungen nicht unbemerkt Inhalt des Vertrags werden sollen (RS0113570 [T7, T10, T11]; RS0114604 [T5, T10, T15]). Art 25 EuGVVO 2012 enthält zur Bestimmung der Willenseinigung nur Formerfordernisse, durch deren Einhaltung gewährleistet werden soll, dass die „Einführung“ der Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Parteien „tatsächlich feststeht“ (2 Ob 104/19m [Punkt 4.1.] mwN; vgl RS0113570 [T3]).
[16] 3. In Art 25 Abs 1 Satz 1 EuGVVO 2012 wurde der Halbsatz „es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats (gemeint ist der Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit vereinbart worden ist) materiell ungültig“ eingefügt.
[17] Diese eigenständige Kollisionsnorm in Art 25 Abs 1 Satz 1 aE EuGVVO 2012 greift nach herrschender Meinung dann nicht ein, wenn die nach Beachtung der Formerfordernisse vermutete tatsächliche Willenseinigung der Parteien durch den Einwand eines Dissenses widerlegt werden soll. Wegen des Zusammenhangs mit den indizierenden Formerfordernissen sprechen die besseren Gründe dafür, für die Prüfung der Einigung der einheitlichen Anwendung Vorrang zu geben und es auch insoweit bei der autonomen Auslegung zu belassen (Gaier in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 53. Edition 1. 7. 2024, Art 25 Brüssel Ia‑VO Rn 23.1; Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR5 [2021], Art 25 Brüssel I‑VO Rn 63 f; Simotta in Fasching/Konecny 3 V/1 Art 25 EuGVVO 2012 Rz 69/8; Garber in JBl 2021, 188 [Glosse zu 2 Ob 104/19m]).
[18] Nicht zur materiellen Ungültigkeit gehören auch Fragen, ob bei kollidierenden Gerichtsstandsvereinbarungen überhaupt eine Gerichtsstandsvereinbarung zustande gekommen ist und wenn ja, welche. Sowohl bei der Frage des Konsenses bzw Dissenses als auch bei der Frage von widersprüchlichen Gerichtsstandsvereinbarungen geht es um das Zustandekommen der Gerichtsstandsvereinbarung und wie in Art 10 Abs 2 Rom I‑VO soll – unbeschadet der Ausnahme von Gerichtsstandsvereinbarungen vom Anwendungsbereich der Rom I‑VO (Art 1 Abs 2 lit e Rom I‑VO) – zwischen dem Zustandekommen und der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung differenziert werden. Konsens oder Dissens sowie kollidierende Gerichtsstandsvereinbarungen betreffen das Zustandekommen der Gerichtsstandsvereinbarung und sind daher vertragsautonom auszulegen (Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR5 [2021], Art 25 Brüssel Ia‑VO Rn 63 bis 65; Simotta in Fasching/Konecny 3 V/1 Art 25 EuGVVO 2012 Rz 69/8). Diese Fragen gehören nicht zur materiellen Wirksamkeit (aA offenbar Hess, Die Auslegung kollidierender Gerichtsstandsklauseln im europäischen Zivilprozessrecht, in FS Prütting [2018], 337 [338 ff]).
[19] 4. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung zur Bestimmung der in ihren Anwendungsbereich fallenden Rechtsstreitigkeiten Sache des angerufenen nationalen Gerichts (EuGH C‑214/89 , Powell Duffryn/Petereit, Rn 36 f; C‑269/95 , Benincasa/Dentalkit, Rn 31; C‑352/13 , CDC Hydrogen Peroxide/Akzo Nobel ua, Rn 67; RS0004131).
[20] 5. Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ergibt sich Folgendes:
[21] 5.1. Dass hier in autonomer Auslegung des „Hauptauftrags“ (Punkt H des Deckblatts und Z 33 des Verhandlungsprotokolls, das Vertragsgrundlage ist) eine Gerichtsstandsvereinbarung für den deutschen „Gerichtsstand: *“ getroffen wurde, ist nicht zweifelhaft. Die Klauseln enthalten klar und deutlich die ausschließliche Vereinbarung des zuständigen Gerichts in Deutschland.
[22] Abweichend davon haben die Parteien in den nachträglich abgeschlossenen „Zusatzaufträgen“ Nr 1 und Nr 6, die ebenfalls Teil des Werkvertrags sind, in den Punkten H den österreichischen „Gerichtsstand: Linz“ vereinbart. In den Klauseln wird ebenfalls eindeutig auf diesen „Gerichtsstand“ Bezug genommen und darin klar zum Ausdruck gebracht, dass für Streitigkeiten aus diesen „Zusatzaufträgen“ die ausschließliche Vereinbarung des zuständigen Gerichts in Linz erfolgen soll. Die Deckblätter mit dem vereinbarten Gerichtsstand sind von beiden Parteien firmenmäßig unterschrieben. Damit finden sich entgegen der Ansicht des Rekursgerichts keine Anhaltspunkte, dass die Beklagte den Gerichtsstand Linz „nicht bewusst zur Kenntnis genommen“ oder ihm nicht zugestimmt hätte. Die erstmals in der Revisionsrekursbeantwortung erhobenen Einwände der Beklagten, dass infolge der Existenz einer deutschen Stadt mit ähnlichem Namen wie Linz dieser Gerichtsstand unklar sei und der „Zusatzauftrag“ Nr 6 (trotz ihrer Firmenstampiglie) von einer (ungenannten) nicht zeichnungsberechtigten Person unterfertigt worden sein könnte, verstoßen gegen das Neuerungsverbot (analog § 504 Abs 2 ZPO) und sind daher unbeachtlich.
[23] Die Parteien haben damit mehrere einander widersprechende Gerichtsstandsvereinbarungen geschlossen. Jede der betroffenen Gerichtsstandsvereinbarungen genügt isoliert gesehen der Form nach § 25 Abs 1 Satz 3 lit a 1. Fall EuGVVO 2012 (vgl Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR5 [2021], Art 25 Brüssel Ia‑VO Rn 268).
[24] 5.2. Inhalt des Klagebegehrens ist die Feststellung des aufrechten Bestehens des von der Beklagten gekündigten Werkvertrags, der aus dem „Hauptauftrag“ und den zwei „Zusatzaufträgen“ besteht. Weiters begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte gegen diesen (einheitlichen) Werkvertrag „rechtswidrig und schuldhaft verstoßen“ habe und ihr gegenüber für sämtliche Schäden aus diesem Verstoß hafte. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass es sich um einen einheitlichen Vertrag handelt. Die Zusatzaufträge werden als Modifikationen des Hauptauftrags bezeichnet.
[25] 5.3. Entgegen der Ansicht der Klägerin verdrängen die Gerichtsstandsvereinbarungen in den „Zusatzaufträgen“, die nur einen verschwindend geringen Teil des Werkvertrags betreffen, nicht die Gerichtsstandsvereinbarung im „Hauptauftrag“. Aus der autonomen Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarungen in den „Zusatzaufträgen“ ergibt sich nicht, dass diese nur Teilbereiche des Werkvertrags betreffenden späteren Gerichtsstandsvereinbarungen die frühere Gerichtsstandsvereinbarung für die Rechtsstreitigkeiten aus dem „Hauptauftrag“ – und damit für nahezu alle – verdrängen sollten. Dass die Parteien in Kenntnis der früheren und in bewusster Abweichung von der früheren Gerichtsstandsvereinbarung im „Hauptauftrag“ vereinbart hätten, dass nur die Gerichtsstandsvereinbarung in den „Zusatzaufträgen“ gelten soll, leitet sich daraus jedenfalls nicht ab.
[26] Auch finden sich keine Anhaltspunkte in den Gerichtsstandsvereinbarungen in den „Zusatzaufträgen“, dass die Parteien damit für alle Streitigkeiten aus dem (einheitlichen) Werkvertrag einen Wahlgerichtsstand vereinbaren wollten. Vielmehr ergibt sich daraus nur, dass die Parteien für Streitigkeiten aus den „Zusatzaufträgen“ – kleine Teilbereiche des Werkvertrags – eine Gerichtsstandsvereinbarung für ein österreichisches Gericht treffen wollten.
[27] 5.4. Auszugehen ist von einem Werkvertrag, für den hinsichtlich der Streitigkeiten aus dem „Hauptauftrag“ ein deutscher Gerichtsstand und hinsichtlich der Streitigkeiten aus den „Zusatzaufträgen“ ein österreichischer Gerichtsstand vereinbart wurde. Es liegt der Fall mehrerer ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen vor, die miteinander kollidieren; dieser Widerspruch lässt sich nicht auflösen. In diesem Fall ist anzunehmen, dass überhaupt keine wirksame Vereinbarung vorliegt. Im Fall der Kollision mehrerer Gerichtsstandsvereinbarungen, der sich nicht durch das Nachgeben einer Partei auflöst, fehlt es am Konsens, sodass überhaupt keine Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen wurde. Es liegen damit nicht mehrere Gerichtsstandsvereinbarungen vor, sondern in Wahrheit keine. In diesem Fall steht das Gericht nicht vor der Aufgabe, der einen Gerichtsstandsvereinbarung den Vorrang vor der anderen zuzugestehen, sondern es fehlt eben dann an jeder Gerichtsstandsvereinbarung. Bei kollidierenden Gerichtsstandsklauseln kann man keine von ihnen schützen, die nicht zustande gekommen ist. Zwei divergierende ausschließliche Zuständigkeiten von gleicher Wertigkeit kann es bei gleichem Entstehungsgrund nicht geben (Mankowski, Der Schutz von Gerichtsstandsvereinbarungen vor abredewidrigen Klagen durch Art 31 Abs 2 EuGVVO nF, RIW 2015, 17 [24]; ders in Rauscher, EuZPR/EuIPR5 [2021], Art 25 Brüssel Ia‑VO Rn 273; vgl Gottwald in Münchener Kommentar zur ZPO6 [2022] Art 31 Brüssel Ia‑VO Rn 12; 7 Ob 114/06z: Bei einander widersprechenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Willenserklärungen der Vertragsteile kommt keine Gerichtsstandvereinbarung zustande).
[28] Damit liegt keine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinn des Art 25 EuGVVO 2012 vor.
[29] 6. Da keine Anhaltspunkte für die internationale Zuständigkeit des angerufenen Landesgerichts Linz vorliegen – der Erfüllungsort nach Art 7 Nr 1 lit b Brüssel Ia‑VO liegt in Deutschland, die Beklagte hat ihren Sitz in Deutschland (Art 63 iVm Art 4 Abs 1 EuGVVO 2012) – haben die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend die internationale Zuständigkeit verneint.
[30] Dem Revisionsrekurs ist daher nicht Folge zu geben.
[31] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO.
[32] Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für einen ausländischen Unternehmer unterliegen nicht der österreichischen Umsatzsteuer. Verzeichnet der österreichische Anwalt – kommentarlos – 20 % Umsatzsteuer, wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen. Die zu entrichtende ausländische Umsatzsteuer kann nur zugesprochen werden, wenn Entsprechendes behauptet und bescheinigt wird (§ 54 Abs 1 ZPO) oder die Höhe des ausländischen Umsatzsteuersatzes allgemein bekannt ist (RS0114955). Da im Fall der Bundesrepublik Deutschland Letzteres der Fall ist, ist der dort ansässigen Beklagten für die Revisionsrekursbeantwortung (nur) die in Deutschland zu entrichtende Umsatzsteuer von bekanntermaßen 19 % zuzusprechen (RS0114955 [T10, T12]; zuletzt 4 Ob 103/23k [Rz 22] mwN).
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