OGH 24Ds1/24t

OGH24Ds1/24t5.9.2024

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 5. September 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann und die Anwaltsrichter Dr. Niederleitner und Mag. Vas in Gegenwart der Schriftführerin OKontr. Gsellmann in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 16. März 2023, GZ D 15/22‑13, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Kranz, des Beschuldigten und seines Verteidigers MMag. Dr. Striessnig zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0240DS00001.24T.0905.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

* wird vom Vorwurf, er habe – unter Verletzung der Bestimmungen der §§ 3, 4 RL‑BA – als Hauptmieter der Wohnung des Rechtsanwalts * während der gesamten Dauer des Mietverhältnisses keine Beanstandung des Mietzinses vorgenommen, diesen in Vorbereitung des zweiten Mietvertrags vom 29. März 2016 bestätigt, dann das Mietverhältnis planmäßig auslaufen lassen, jedoch kurze Zeit nach Beendigung des Mietverhältnisses am 23. April 2021 einen Antrag auf Überprüfung des Hauptmietzinses bei der Schlichtungsstelle gestellt, freigesprochen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen – auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthaltenden – Erkenntnis wurde *, Rechtsanwalt in *, wegen des nun vom Freispruch umfassten Vorwurfs des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes (zu ergänzen [RIS-Justiz RS0116669]:) nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

[2] Er wurde hiefür zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises nach § 16 Abs 1 Z 1 DSt und zur Tragung der anteiligen Verfahrenskosten (nach § 38 Abs 2 DSt) verurteilt.

[3] Nach den Feststellungen des Disziplinarrats war der seit Mai 2016 als Rechtsanwalt in * eingetragene Disziplinarbeschuldigte seit zumindest 2018 subjektiv der Ansicht, dass der Mietzins für die von ihm gemeinsam mit * von Rechtsanwalt * mit Mietvertrag vom 15. März 2013 für die Dauer von drei Jahren erstmalig und mit angepasstem Mietvertrag vom 29. März 2016 für die Dauer von fünf Jahren neuerlich angemietete Wohnung überhöht sei. Während des aufrechten Mietverhältnisses sprach der Disziplinarbeschuldigte den Vermieter bewusst nicht auf den aus seiner Sicht überhöhten Mietzins an, weil er keine Unannehmlichkeiten mit dem Vermieter haben wollte. Nach Beendigung des Mietverhältnisses brachte der Disziplinarbeschuldigte in seiner Funktion als bevollmächtigter anwaltlicher Vertreter für sich sowie * einen Antrag auf Überprüfung des Hauptmietzinses bei der Schlichtungsstelle für wohnrechtliche Angelegenheiten der Stadt Wien ein. Im Vorfeld der Einbringung des Antrags nahm der Disziplinarbeschuldigte keinen Kontakt mit dem Vermieter auf und machte diesen weder auf den aus seiner Sicht überhöhten Mietzins aufmerksam noch unternahm er Versuche für außergerichtliche Vergleichsgespräche (ES 4 f).

[4] Nach der rechtlichen Beurteilung des Disziplinarrats hätte der Disziplinarbeschuldigte mit seinen – trotz seit 2018 vertretener Ansicht eines überhöhten Mietzinses – stets ohne Vorbehalt und unbeanstandet während des gesamten aufrechten Mietverhältnisses geleisteten Mietzinszahlungen beim Vermieter den Eindruck erweckt, dass er mit der Höhe der Miete einverstanden sei. Indem der Disziplinarbeschuldigte bewusst keinerlei Beanstandungen des Mietzinses vornahm und erst nach Ende des Mietverhältnisses direkt, ohne den Vermieter vorher zu kontaktieren, bei der Schlichtungsstelle den Antrag auf Überprüfung des Hauptmietzinses einbrachte, hätte er sich einer schikanösen Rechtsausübung schuldig gemacht, die jedenfalls geeignet war, das Ansehen und die Ehre des Standes zu beeinträchtigen (ES 11). Begründend verwies der Disziplinarrat auf die Entscheidung AZ 27 Os 2/14t, wonach die sachlich durch nichts begründete Geltendmachung einer bereits bei Vertragsabschluss erkannten Mietzinserhöhung erst sieben Jahre nach diesem Zeitpunkt als mutwillige und schikanöse Rechtsausübung zu beurteilen sei.

Rechtliche Beurteilung

[5] Gegen den verurteilenden Teil dieses Erkenntnisses richtet sich die (in der Sache) Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO relevierende (vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) Berufung wegen Schuld und (implizit: § 49 letzter Satz DSt) Strafe des Disziplinarbeschuldigten, der in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur Berechtigung zukommt.

[6] Zutreffend zeigt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) auf, dass die Feststellungen einen Schuldspruch wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nicht tragen.

[7] Die ältere Judikatur der OBDK ist bei Einwendungen gegen die Höhe des Mietzinses von einer strikten Vertragstreue ausgegangen. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 29. September 1997, B 506/97, klargestellt, dass die Tatsache der Geltendmachung einer Überhöhung des Mietzinses oder ein Rückforderungsbegehren an sich nicht Ehre oder Ansehen des Standes verletzt. Es müssen weitere Momente dazu kommen. Solche wurden in der (noch) zu § 3 RL‑BA 1977 ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 10. Juli 2014, AZ 27 Os 2/14t, in der sachlich durch nichts begründeten Geltendmachung einer bereits bei Vertragsabschluss erkannten Überhöhung des Mietzinses erst sieben Jahre nach diesem Zeitpunkt erblickt (Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 §§ 3, 4 RL‑BA 2015 Rz 20).

[8] Nach § 4 RL‑BA 2015 hat der Rechtsanwalt ihn treffende berufliche und außerberufliche Verbindlichkeiten zu erfüllen; sachlich begründete Einwendungen gegen eine Forderung sind zulässig. Nicht in gutem Glauben gegründete, mutwillige Prozessführung ist danach ebenso unzulässig wie nicht auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruhende, nicht ernstzunehmende oder gar schikanöse Einwendungen (Csoklich in Murko/Nunner‑Krautgasser, Anwaltliches und notarielles Berufsrecht § 4 RL‑BA 2015 Rz 14; RIS‑Justiz RS0120583).

[9] Nach den zu § 63 ZPO entwickelten Grundsätzen ist eine Prozessführung dann (offenbar) mutwillig, wenn sich die Partei der Unrichtigkeit ihres Prozessstandpunkts bewusst ist und sich in diesem Bewusstsein in den Prozess einlässt, oder wenn sie zur Erzielung eines nicht durch die Rechtsordnung geschützten Zwecks (Publicity, Feindseligkeit, Sensationslust) prozessiert (Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 63 Rz 5; M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 II/1 ZPO § 63 Rz 19; Schindler in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 63 Rz 11; siehe zu § 41 KartG RIS‑Justiz RS0121463; vgl im Zusammenhang mit § 3 RL‑BA 1977 auch RIS‑Justiz RS0056313). Als schikanös ist eine ausschließlich oder doch weit überwiegend zum Zweck der Schädigung eines anderen erfolgende Rechtsausübung zu verstehen (RIS‑Justiz RS0037903, RS0026265).

[10] Ausgehend von den Konstatierungen des Disziplinarrats, wonach der Disziplinarbeschuldigte erst nach Abschluss der Mietverträge von einer Überhöhung des jeweiligen Mietzinses ausgegangen ist und er mit einer Geltendmachung bis zum Ablauf des Mietverhältnisses zugewartet hat, um Unannehmlichkeiten mit dem Vermieter zu vermeiden, ist die Antragstellung bei der Schlichtungsstelle (ohne den Vermieter vorher zu kontaktieren) nicht als mutwillig oder schikanös im dargestellten Sinn zu werten; dies auch zumal die Frist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit von Mietzinsvereinbarungen nach § 16 Abs 8 MRG bis sechs Monate nach Ende des letzten Fristvertrags gerade aus dem Grund verlängert wurde, um Drucksituationen des Mieters bei Geltendmachung seiner im MRG normierten Rechte gegenüber dem Vermieter zu vermeiden (vgl EBRV zu § 16 Abs 8 MRG, 555 BlgNR 20. GP  18).

[11] Feststellungen, aus denen ableitbar wäre, dass die Antragstellung auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht, enthält das Disziplinarerkenntnis nicht. Solche sind auch durch den Akteninhalt nicht indiziert.

[12] Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte