Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
RL-BA 1977 §3
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
RL-BA 1977 §3
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 23. September 1994 wurde er für schuldig erkannt,
"a) anläßlich der Unterfertigung des Übernahmeprotokolles hinsichtlich der Wohnung 1010 Wien, ... vom 8.4.1991 und des Mietvertrages für diese Wohnung am 10.4.1991 den ordnungsgemäßen Zustand des Mietobjektes bestätigt, später jedoch Mängel behauptet und in der Folge eigenmächtig einen geringeren als den vereinbarten Mietzins bezahlt (zu haben);
b) den mit der Vermieterin dieser Wohnung im Mietvertrag vom 10.4.1991 vereinbarten Hauptmietzins am 8.7.1991 bei der Schlichtungsstelle angefochten (zu haben);
c) in dem an die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt gerichteten Schreiben vom 7.5.1991 sowie in dem Antrag an die Schlichtungsstelle vom 8.7.1991 und seiner Stellungnahme im Verfahren vor der Schlichtungsstelle GZ ... - Schli 1/91 Behauptungen aufgestellt bzw. die Erhebung von Schadenersatzforderungen angedroht (zu haben), um sich den vertraglich übernommenen Zahlungsverpflichtungen durch ungerechtfertigte Einwendungen zu entziehen."
Der Beschwerdeführer wurde hiefür wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße in Höhe von S 20.000,-- sowie zum Ersatz der anteiligen Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.
2. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) erhoben. Mit Erkenntnis vom 14. Oktober 1996 wurde der Berufung jedoch nicht Folge gegeben, wobei dem Beschwerdeführer auch der Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens vorgeschrieben wurde.
Die OBDK begründete ihre Entscheidung wie folgt:
"Wenn ein Rechtsanwalt eine Erklärung abgibt (hier das Übernahmsprotokoll hinsichtlich der Wohnung unterfertigt) und einen Vertrag abschließt, ist er daran gebunden, es bleibt ihm verwehrt, Erklärungen oder vertragliche Vereinbarungen als rechtsunwirksam zu bestreiten, es sei denn, es läge ein Irrtumstatbestand vor.0
Dies entspricht nicht nur der langjährigen, völlig einheitlichen Rechtsprechung in Disziplinarsachen, sondern ausdrücklich auch §3 (früher §5) der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes. Diese somit auch normierte Standesverpflichtung hat der Disziplinarbeschuldigte eindeutig verletzt, wenn er zunächst die ordnungsgemäße Übernahme des Mietobjektes bestätigte und dann Mängel geltend machte, welche in diesem Zeitpunkt bereits vorhanden und (nötigenfalls unter Benützung einer Taschenlampe) feststellbar waren ferner auch, soweit er einen von ihm unterfertigten Mietvertrag bestritt und eine der wesentlichen Bestimmungen darin, nämlich die Höhe des vereinbarten Mietzinses, wegen Rechtsunwirksamkeit anfocht und im Hinblick darauf seiner Mietzinszahlungsverpflichtung nur vermindert nachkam.
Es wäre vielmehr Verpflichtung des Disziplinarbeschuldigten gewesen, ebenso wie bei einer Mietvertragserrichtung, an welcher er für einen Klienten teilnimmt, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die vorgesehene Mietzinsvereinbarung zu prüfen, wozu er zweifellos sachlich und rechtlich in der Lage war, ehe er den Vertrag unterfertigt. Wenn er sich auf die Angaben der Gegenseite verläßt, hat er die Konsequenzen zu tragen.
Der Behauptung, die Bestrafung seines Verhaltens laufe auf die Verletzung des verfassungsgesetzlich geschützten Rechtes auf Gleichheit und Freiheit des Erwerbes hinaus, genügt es zu erwidern, daß verhaltensregulierende Standesregeln unbestrittenermaßen verfassungskonform sind."
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Verletzung in durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
Der Beschwerdeführer führt im einzelnen aus:
"Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem durch Art6 EMRK geschützten Recht verletzt.
Gemäß dieser Bestimmung hat jedermann Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen auf Gesetz beruhenden Gericht das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat.
Aufgrund litb) und c) des angefochtenen Erkenntnisses des Disziplinarrates wurde gegen den Beschwerdeführer eine Geldstrafe verhängt, weil der Beschwerdeführer ein Verfahren vor der Schlichtungsstelle eingeleitet hat bzw. dort Sachvorbringen erstattet hat.
Der Vorbehalt Österreichs zu Art6 EMRK umfaßt Verfahren in Disziplinarsachen nicht.
Wenn der Beschwerdeführer der Gefahr der Verfolgung bei der Inanspruchnahme des Gerichts bzw. der Schlichtungsstelle ausgesetzt ist, dann ist er in seinem Recht gemäß Art6 EMRK behindert und wird durch die gegenständliche Verurteilung zu einer Geldstrafe in den Schutzzweck der Norm eingegriffen, die den ungehinderten Rechtszugang jedermanns garantiert.
Weiters wird durch das angefochtene Erkenntnis in die verfassungsgesetzlich geschützten Rechte des Beschwerdeführer auf Eigentum und Gleichheit vor dem Gesetz eingegriffen, dies insbesondere durch lita des angefochtenen Erkenntnisses.
Ein Eingriff in das verfassungsgesetzlich geschützte Recht des Beschwerdeführers läge dann vor wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hat.
Dieser Fall liegt nach Meinung des Beschwerdeführers vor.
Die belangte Behörde räumt ein, daß es bei Vorliegen eines Irrtumstatbestandes zulässig wäre gerichtliche Hilfe zur Vertragskorrektur in Anspruch zu nehmen, schließt aber dadurch in sachlich nicht gerechtfertigter Weise andere Maßnahmen des bürgerlichen Rechts zur nachträglichen Vertragsgestaltung bei Leistungsstörungen für den Beschwerdeführer als Angehörigen der Berufsgruppe der Rechtsanwälte aus.
Die belangte Behörde legt dem Beschwerdeführer nicht etwa zur Last, daß er bei Vertragsabschluß nicht 'bona fide' gewesen wäre, sie legt dem Beschwerdeführer vielmehr zur Last, den Vertragsgegenstand nicht eingehendst notfalls unter Zuhilfenahme einer Taschenlampe besichtigt zu haben bzw. den Vermieter, die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, welche selbst eine Immobilienverwaltungsabteilung beschäftigt und die darüberhinaus ein renommiertes Immobilienbüro mit der Vermittlung beauftragt hat, nicht auch noch rechtsfreundlich beraten zu haben.
Der Beschwerdeführer wurde von der belangten Behörde dafür verurteilt, weil er sich auf die Angaben der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt als Vermieter verlassen hat, wobei die belangte Behörde darüberhinaus noch die Meinung vertritt, daß es dem Beschwerdeführer rechtlich und tatsächlich möglich gewesen wäre die Voraussetzungen für die vorgesehene Mietzinsvereinbarung zu überprüfen.
Die belangte Behörde übersieht dabei jedoch, daß die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt als Vermieter nicht verpflichtet war anzugeben, wann der letzte Mieter die Wohnung verlassen hat, bzw. es dem Beschwerdeführer auch über das Zentralmeldeamt nicht möglich ist auszuforschen wann die vertragsgegenständliche Wohnung zuletzt von einem Mieter aufgegeben wurde.
Im übrigen ist es für Irrtumsanfechtungen und den damit verwandten Rechtsbehelfen des Zivilrechtes geradezu typisch, daß sich ein Vertragspartner auf die Angaben des anderen verläßt.
Die angefochtene Entscheidung ist daher mit sich selbst in Widerspruch und das Ergebnis denkunmöglicher Gesetzesauslegung und bürdet dem Beschwerdeführer Lasten auf die sachlich nicht gerechtfertigt sind."
4. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.
5. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
5.1. Die disziplinäre Verurteilung des Beschwerdeführers gründet sich auf §3 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: RL-BA). Diese Bestimmung lautet wie folgt:
"§3. Der Rechtsanwalt hat eine übernommene Verbindlichkeit zu erfüllen; jedenfalls dürfen Einwendungen gegen eine solche Forderung Ehre und Ansehen seines Standes nicht beeinträchtigen."
Der Beschwerdeführer bringt gegen diese Bestimmung keine Bedenken ob ihrer Gesetzmäßigkeit vor. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus dem Blickwinkel des vorliegenden Falles nicht entstanden (vgl. VfSlg. 13526/1993).
5.2. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unversehrtheit des Eigentums sowie in seinen durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein.
5.2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).
5.2.2.1. Im Faktum b) des bekämpften Bescheides wird dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe den mit der Vermieterin der Wohnung im Mietvertrag vom 10. April 1991 vereinbarten Hauptmietzins am 8. Juli 1991 bei der Schlichtungsstelle angefochten. Die OBDK vertritt hiezu die Ansicht, daß es einem Rechtsanwalt verwehrt sei, Erklärungen oder vertragliche Vereinbarungen als rechtsunwirksam zu bestreiten, soferne kein Irrtumstatbestand vorliegt.
5.2.2.2. Gemäß §3 erster Satz RL-BA hat der Rechtsanwalt eine übernommene Verbindlichkeit zu erfüllen. Der zweite Halbsatz dieser Bestimmung ordnet jedoch an, daß Einwendungen gegen eine solche Forderung Ehre und Ansehen des Standes nicht beeinträchtigen dürfen.
Aus dem Wortlaut des §3 RL-BA ergibt sich somit eindeutig, daß ein Rechtsanwalt eine übernommene Verbindlichkeit nicht in jedem Falle zu erfüllen hat. Vielmehr kann er Einwendungen erheben, soferne dadurch Ehre und Ansehen des Standes nicht beeinträchtigt werden.
In VfSlg. 12096/1989 - dieser Beschluß hatte einen Individualantrag auf Aufhebung näher bezeichneter Bestimmungen der Reisegebührenvorschrift 1955 zum Gegenstand - sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß es "schlechterdings denkunmöglich (sei), einen von der Rechtsordnung eingeräumten Rechtsweg zulässigerweise zum Anlaß von Disziplinarmaßnahmen zu machen."
Dieser Gedanke ist für den vorliegenden Fall auch aus §3 RL-BA ableitbar: Wie sich bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung eindeutig ergibt, vermag die Anrufung der Schlichtungsstelle zwecks Herabsetzung des vereinbarten Hauptmietzinses nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes für sich alleine eine disziplinäre Verantwortlichkeit eines Rechtsanwaltes nicht zu begründen. Eine sich auf §3 RL-BA gründende verfassungskonforme disziplinäre Verurteilung eines Rechtsanwaltes setzt vielmehr voraus, daß die Behörde in (zumindest) denkmöglicher Weise dartut, weshalb durch die Einwendungen des Rechtsanwaltes Ehre und Ansehen des Rechtsanwaltsstandes beeinträchtigt wurden. Der bekämpfte Bescheid enthält aber keinerlei Ausführungen dieser Art Dies allein stellt eine krasse Verkennung der Rechtslage dar und belastet den angefochtenen Bescheid mit Gleichheitswidrigkeit im Sinne der vorstehend zitierten Judikatur.
5.2.3. Darüber hinaus hat die belangte Behörde jegliche Sachverhaltsfeststellung hinsichtlich der dem Beschwerdeführer im Faktum c) zur Last gelegten disziplinären Verfehlung unterlassen. Im bekämpften Bescheid finden sich keine Sachverhaltsfeststellungen, die die Annahme der OBDK, der Beschwerdeführer habe mit seinen Schriftsätzen vom 7. Mai 1991 und vom 8. Juli 1991 (lediglich) den Zweck verfolgt, sich den von ihm vertraglich übernommenen Zahlungsverpflichtungen durch ungerechtfertigte Einwendungen zu entziehen, vertretbar erscheinen lassen. Insbesondere im Hinblick darauf, daß zwischen dem Beschwerdeführer und der Vermieterin der angemieteten Wohnung hinsichtlich des Hauptmietzinses eine Einigung erzielt wurde, die dazu führt, daß der Beschwerdeführer nun einen geringeren Mietzins zu bezahlen hat als ursprünglich vereinbart, kann nicht gesagt werden, daß die Einwendungen des Beschwerdeführers so "ungerechtfertigt" waren, daß dies keinerlei Sachverhaltsfeststellungen bedarf. Das völlige Unterlassen dieser Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt bewirkt ebenfalls eine Verletzung des Beschwerdeführers in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.
5.2.4. Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesen Erwägungen aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
5.3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
5.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- enthalten.
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