OGH 10Ob21/24x

OGH10Ob21/24x14.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer, Mag. Schober, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Pflegschaftssache der 1. mj A*, und 2. mj F*, beide vertreten durch das Land Kärnten als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Klagenfurt am Wörthersee, Abteilung Gesundheit, Jugend und Familie, 9020 Klagenfurt am Wörthersee, Bahnhofstraße 35), wegen Rückersatz von Unterhalts-vorschüssen, infolge des Revisionsrekurses des Bundes gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 13. April 2023, GZ 1 R 47/23s‑61, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 13. Jänner 2023, GZ 1 Pu 167/15s‑52, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00021.24X.0514.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Die Revisionsrekursbeantwortung der Kinder wird zurückgewiesen.

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen (die in Ansehung der Abweisung des Antrags, den Unterhaltsschuldner und die Kinder zum Rückersatz der zu Unrecht gewährten Vorschüsse zu verpflichten, unbekämpft in Rechtskraft erwuchsen) werden im angefochtenen Umfang (betreffend die Anträge, den Kinder- und Jugendhilfeträger und die Mutter zum Rückersatz der zu Unrecht gewährten Vorschüsse zu verpflichten) aufgehoben und die Pflegschaftssache insofern an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

 

Begründung:

[1] Für die Kinder wurden zuletzt Unterhaltsvorschüsse von monatlich 230 EUR (A*) bzw 220 EUR (F*) gewährt.

[2] Mit (am 16. November 2023 beim Erstgericht eingelangtem) Schreiben vom 15. November 2022 teilte der Kinder- und Jugendhilfeträger dem Erstgericht mit, dass die beiden Minderjährigen seit 5. Oktober 2022 im Rahmen einer Maßnahme des Kinder- und Jugendhilfeträgers untergebracht sind („volle Erziehung“). Mit Beschlüssen vom 18. November 2022 und vom 22. November 2022 stellte das Erstgericht die jeweils gewährten Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des 31. Oktober 2022 (rückwirkend) ein. Daher entstand für den Monat November 2022 ein Übergenuss von 230 EUR hinsichtlich A* und von 220 EUR hinsichtlich F*.

[3] Mit Anträgen vom 23. November 2022 und vom 28. November 2022 beantragte der Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, den Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters der Minderjährigen (das Land Kärnten), die Pflegeperson (gemeint: die Mutter J*, die auch Zahlungsempfängerin war) und den Unterhaltsschuldner (gemeint: den Vater) und – im Falle der Verneinung der Ersatzpflicht dieser Personen – die Kinder zum Ersatz der für den Monat November 2022 zu Unrecht gewährten Vorschüsse von 230 EUR (hinsichtlich A*) und 220 EUR (hinsichtlich F*) zu verpflichten. Er brachte (jeweils) vor, der Übergenuss sei durch die nicht bzw verspätet erfolgte Mitteilung der Maßnahme der vollen Erziehung entstanden. Die Vorschüsse seien trotz Kenntnis des Einstellungsgrundes zumindest grob fahrlässig für den Unterhalt der Kinder verbraucht worden. Die Ausfertigungen der Vorschussbewilligungsbeschlüsse würden Hinweise enthalten, dass die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder und Änderungen in der Pflege und Erziehung dem Pflegschaftsgericht unverzüglich mitzuteilen seien und dass trotz Kenntnis eines Herabsetzungs- oder Einstellungsgrundes zu Unrecht gewährte, für den Unterhalt der Kinder vorsätzlich oder grob fahrlässig verbrauchte Vorschüsse zur Verpflichtung der Rückzahlung führen könnten. Es stelle eine grob fahrlässige Verletzung der Mitwirkungspflicht dar, die Rechtsbelehrung nicht zur Kenntnis zu nehmen bzw sie zu ignorieren. Hinsichtlich des Rechtsträgers des gesetzlichen Vertreters könne ein Organisationsverschulden nicht ausgeschlossen werden. Die persönlichen und finanziellen Verhältnisse der potenziell haftenden Personen seien unerheblich.

[4] Das Erstgericht forderte den Magistrat der Stadt Klagenfurt, die Mutter und den Vater (nicht aber das Land Kärnten) zur Äußerung zu diesen Anträgen auf.

[5] Der Vater trat den Anträgen entgegen.

[6] Der Magistrat der Stadt Klagenfurt (als gesetzlicher Vertreter der Kinder) trat den Anträgen mit Eingaben vom 10. Jänner 2023 entgegen. Die Minderjährigen seien im Rahmen einer Maßnahme des öffentlichen Kinder- und Jugendhilfeträgers („volle Erziehung“) untergebracht worden. Zum Zeitpunkt der Kindesabnahme sei eine potenzielle und zeitnahe Rückführung der Minderjährigen im Raum gestanden. Eine Rückführung sei in weiterer Folge nach Abschluss der sozialarbeiterischen Abklärung Anfang November 2022 ausgeschlossen worden. Die für Unterhalt zuständige Sachbearbeiterin habe nach Bekanntwerden der Unterbringung dem Gericht unverzüglich mit Schreiben vom 15. November 2022 die Fremdunterbringung mitgeteilt. Die finanzielle Lage der Familie sei äußerst angespannt. Die bezogenen Unterhaltsvorschüsse seien für die Bestreitung des Lebensunterhalts der minderjährigen Kinder bereits verbraucht worden. Eine Rückzahlungsverpflichtung der Mutter würde aufgrund der angespannten finanziellen Situation einen besonderen Härtefall darstellen, weshalb ersucht werde, davon abzusehen.

[7] Die Mutter äußerte sich zu den Anträgen nicht.

[8] Das Erstgericht wies die Anträge ab. Die Kindesvertretung habe mit Eingabe vom 10. Jänner 2023 detailliert ausgeführt, dass die für Unterhalt zuständige Sachbearbeiterin sofort nach Bekanntwerden der Unterbringung der Minderjährigen, Anfang November 2022, mit Schreiben vom 15. November 2022 die Fremdunterbringung dem Gericht unverzüglich mitgeteilt habe. Darin, dass zuerst im Rahmen der Überprüfung einer potenziellen zeitnahen Rückführung der Minderjährigen offenbar keine frühere Verständigung an die für Unterhalt zuständige Sachbearbeiterin erfolgt sei, könne kein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten durch ein allfälliges Organisationsverschulden erblickt werden. Zur Verantwortung der Mutter als Zahlungsempfängerin stehe fest, dass die Familie in sehr bescheidenen finanziellen Lebensverhältnissen lebe. Die Mutter sei offenbar schon länger als vor Vollendung ihres 18. Lebensjahrs erwerbsunfähig. Dazu komme noch die Vereinbarung einer Maßnahme des Kinder- und Jugendhilfeträgers über die Fremdunterbringung ihrer beiden Söhne mit der anfänglich im Raum stehenden potenziellen zeitnahen Rückführungsmöglichkeit, die sich dann Anfang November 2022 nicht realisiert habe. In dieser zweifellos vorliegenden „Ausnahmesituation“ der betreuenden Mutter könne kein vorsätzliches bzw grob fahrlässiges Verhalten wegen nicht erfolgter Mitteilung der Fremdunterbringung der Kinder erblickt werden. Dass der Unterhaltsvorschuss für Oktober (gemeint offenbar: November) 2022, der am Monatsanfang zu Handen der Mutter ausbezahlt worden sei, für die Kinder verbraucht worden sei, liege bei der angespannten finanziellen Situation ebenfalls auf der Hand, weil immer noch die Chance bestanden habe, dass die Kinder wieder zur Mutter zurückkämen. Ein Rückersatz der zu Unrecht ausbezahlten Unterhaltsvorschüsse durch die Mutter erscheine nicht angemessen aufgrund der prekären finanziellen Situation und Unmöglichkeit einer Hereinbringung der Forderungen im exekutionsrechtlichen Wege.

[9] Diesen Beschluss stellte das Erstgericht dem Magistrat der Stadt Klagenfurt (als gesetzlichem Vertreter der Kinder), der Mutter, dem Vater und dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz zu (nicht aber dem Land Kärnten).

[10] Das Rekursgericht gab dem – nur die Rückersatzpflicht des Rechtsträgers des gesetzlichen Vertreters und der Mutter als Zahlungsempfängerin betreffenden – Rekurs des Bundes nicht Folge. Unter Zugrundelegung der in der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Beschlusses enthaltenen dislozierten Feststellung, wonach die für Unterhalt zuständige Sachbearbeiterin Anfang November 2022 Kenntnis von der Unterbringung erlangt habe, könne im konkreten Fall dahingestellt bleiben, ob der Zeitraum bis zur Bekanntgabe gegenüber dem Erstgericht eine grob fahrlässige Verzögerung darstelle. Die Auszahlung wäre nur zu verhindern gewesen, wenn die Mitteilung noch vor Beginn des Monats November 2022 beim Erstgericht eingelangt wäre, zu welchem Zeitpunkt die Sachbearbeiterin aber noch keine Kenntnis von der Unterbringung der Kinder gehabt habe. Eine Rückersatzpflicht des Rechtsträgers des gesetzlichen Vertreters scheide daher aus. Das Ignorieren bzw die unterbliebene Kenntnisnahme der Belehrungen durch die Mutter würden für sich alleine keine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht begründen. Andere Umstände, die eine grobe Fahrlässigkeit begründeten, ergäben sich aus dem festgestellten Sachverhalt und dem Akteninhalt nicht. Die Maßnahme der vollen Erziehung und die äußerst angespannte finanzielle Situation sprächen gerade nicht für eine subjektiv schwere Vorwerfbarkeit im dargestellten Sinn. Dieselben Überlegungen würden auch für den herangezogenen Rückzahlungsgrund des grob fahrlässigen Verbrauchs des Unterhaltsvorschusses gelten. Da der laufende Unterhaltsanspruch auch Bedürfnisse umfasse, deren Befriedigung während des Heimaufenthalts eines Kindes dennoch denkbar seien, wie beispielsweise die Anschaffung von Kleidern, erscheine der Verbrauch zumindest nicht grob fahrlässig. Es stehe nicht fest, dass die Mutter in Kenntnis des Einstellungsgrundes ausgezahlte Vorschüsse verbraucht habe.

[11] Die Entscheidung des Rekursgerichts wurde dem Magistrat der Stadt Klagenfurt am Wörthersee (als gesetzlichem Vertreter der Kinder), der Mutter, dem Vater, dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz und dem Land Kärnten zugestellt.

[12] Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der – nachträglich zugelassene – Revisionsrekurs des Bundes, mit dem er die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahin anstrebt, dass der Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters und die Mutter zur ungeteilten Hand zum Ersatz der für November 2022 zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüsse verpflichtet werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[13] Der Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters des Kindes und die Mutter haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

[14] Die Kinder (vertreten durch den Magistrat der Stadt Klagenfurt am Wörthersee) beantragen in der Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revisionsrekursbeantwortung ist unzulässig. Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[16] 1. Vorauszuschicken ist, dass Ansprüche auf Ersatz der zu Unrecht gewährten Vorschüsse gegenüber den Kindern (und dem Vater) vom Erstgericht verneint wurden, wogegen kein Rechtsmittel erhoben wurde. Ansprüche gegenüber den Kindern (oder gegenüber dem Vater) sind somit nicht Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens. Daraus folgt, dass eine – von der Rechtsprechung angenommene (RS0049021) – Kollision der Interessen des Rechtsträgers des gesetzlichen Vertreters mit jenen der Kinder im vorliegenden Verfahren nicht zum Tragen kommt (vgl 10 Ob 40/12y ErwGr 1.).

[17] 2. Da die dem Revisionsrekursverfahren zugrunde liegende Entscheidung die Haftung der Kinder somit nicht berühren kann, sind diese insofern überdies nicht als „Partei“ im Sinn des § 68 AußStrG (oder des § 52 Abs 1 Satz 2 iVm § 71 Abs 4 AußStrG) anzusehen, sodass die ausdrücklich in deren Namen erhobene Revisionsrekursbeantwortung zurückzuweisen war.

[18] 3.1. Gemäß § 9 Abs 2 UVG wird der Kinder- und Jugendhilfeträger mit der Zustellung des Beschlusses, mit dem Vorschüsse gewährt werden, alleiniger gesetzlicher Vertreter des minderjährigen Kindes zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche. Diese Vertretungsbefugnis bezieht sich auch auf das Vorschussgewährungsverfahren, nicht auf das Verfahren über den Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse nach den §§ 21, 22 UVG (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 9 UVG Rz 8).

[19] 3.2. Träger der Kinder- und Jugendhilfe ist das jeweilige Bundesland (§ 212 ABGB). Nach § 5 Kärntner Kinder- und Jugendhilfegesetz (K-KJHG) ist Träger der Kinder- und Jugendhilfe das Land Kärnten. Welche Organisationseinheiten die Leistungen und Aufgaben zu erfüllen haben, die dem Kinder- und Jugendhilfeträger obliegen, hat die Landesgesetzgebung in ihrem Bereich zu bestimmen (Höllwerth in KBB7 § 212 Rz 1). Damit wird klar zwischen der juristischen Person Land als Rechtsträger einerseits und den für den Rechtsträger Land auftretenden Organen oder Organisationseinheiten andererseits unterschieden (10 Ob 21/20s ErwGr 2.; 7 Ob 25/11v ErwGr 5.).

[20] 3.3. Gemäß § 6 K‑KJHG obliegt die Vollziehung der Aufgaben dieses Gesetzes der Bezirksverwaltungsbehörde, soweit nicht ausdrücklich anderes bestimmt wird. Diese Aufgaben umfassen etwa Erziehungshilfen bei Gefährdung des Kindeswohls hinsichtlich Pflege und Erziehung (§ 3 Z 6 K-KJHG); als Erziehungshilfe sieht das K-KJHG unter anderem die Gewährung voller Erziehung (§ 42 Abs 1 Z 2 und § 45 K-KJHG) durch die Bezirksverwaltungsbehörde (§ 43 Abs 1 K-KJHG) oder aufgrund einer Vereinbarung mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger (§ 46 Abs 1 K-KJHG) vor.

[21] Im K-KJHG wird den Bezirksverwaltungsbehörden jedoch nur die Besorgung von Aufgaben des Landes Kärnten im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe übertragen. Eine Übertragung von Aufgaben betreffend den Ersatz zu Unrecht gewährter Unterhaltsvorschüsse an die die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe besorgenden Organisationseinheiten lässt sich dem K-KJHG nicht entnehmen. Daraus folgt, dass die einzelne Organisationseinheit, die die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe besorgt, nicht selbst haftungspflichtige Partei ist (RS0076859) und diese auch nicht legitimiert ist, die Gebietskörperschaft zu vertreten (RS0076859 [T1]).

[22] 3.4.1. Daraus folgt, dass das Land Kärnten als Träger der Kinder- und Jugendhilfe und nach § 22 UVG gegebenenfalls haftpflichtige Partei dem Verfahren beizuziehen gewesen wäre. Die in erster Instanz erfolgte Beteiligung des Magistrats der Stadt Klagenfurt am Wörthersee konnte dies mangels landesgesetzlicher Übertragung einer diese Aufgabe umfassenden Vertretungsbefugnis für das Land Kärnten nicht ersetzen. Das Land Kärnten hatte daher im Verfahren vor dem Erstgericht und im Rekursverfahren kein rechtliches Gehör.

[23] 3.4.2. Nach § 58 Abs 1 Z 1 und Abs 3 iVm § 71 Abs 4 AußStrG ist bei einem solchen schweren Verfahrensmangel vor der Entscheidung auf Aufhebung und Zurückverweisung der Außerstreitsache an eine Vorinstanz zu prüfen, ob nicht eine Bestätigung selbst aufgrund der Angaben im Rechtsmittel oder eine Abänderung ohne weitere Erhebungen möglich ist. Zu diesem Zweck ist es erforderlich, der bisher nicht gehörten Partei Gelegenheit zu geben, sich am Revisionsrekursverfahren zu beteiligen und ihre materiellen und/oder prozessualen Rechte geltend zu machen oder auch nicht (RS0123128). Mit Rücksicht auf § 58 Abs 2 AußStrG ist davon auszugehen, dass auch eine Beteiligung am Rechtsmittelverfahren ohne Geltendmachung der Gehörsverletzung deren Heilung bedeutet (10 Ob 24/22k [24.7.2023] Rz 11; 10 Ob 18/19y ErwGr 3.2.; 5 Ob 237/09b [20.4.2010] ErwGr 3.4.).

[24] 3.4.3. Das Land Kärnten wurde am Rechtsmittelverfahren beteiligt, indem ihm die Einbringung einer Revisionsrekursbeantwortung freigestellt wurde, wovon das Land aber keinen Gebrauch gemacht hat. Somit ist die Gehörsverletzung geheilt. Es erübrigt sich somit eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen (aus diesem Grund).

[25] 4. Nach § 22 UVG haften für Vorschüsse, die aufgrund eines im Rechtsmittelverfahren geänderten oder aufgehobenen Beschlusses oder entgegen einer Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse zu Unrecht gezahlt und nicht nach § 19 Abs 1 letzter Halbsatz einbehalten worden sind, (soweit hier von Relevanz) der gesetzliche Vertreter des Kindes und die Pflegeperson zur ungeteilten Hand, jedoch nur derjenige, der die Gewährung der Vorschüsse unter anderem durch Verletzung der Mitteilungspflicht (§ 21 UVG) vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlasst oder die Vorschüsse vorsätzlich oder grob fahrlässig für den Unterhalt des Kindes verbraucht hat.

[26] 4.1. Für die Haftung des gesetzlichen Vertreters der Kinder ist daher ausschlaggebend, ob dieser die Mitteilungspflicht nach § 21 UVG verletzte und ob er dadurch die Gewährung der Vorschüsse vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlasste.

[27] 4.1.1. Wird die Rückersatzpflicht des Landes wegen Verletzung von Meldepflichten (§ 22 UVG) geltend gemacht, haftet das Bundesland als Rechtsträger der Kinder- und Jugendhilfe, der die Organisationseinheit funktionell zuzurechnen ist, die die für den UVG-Bereich maßgeblichen Aufgaben der Jugendwohlfahrt besorgt (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 22 UVG Rz 13). Gemäß § 6 K‑KJHG obliegt die Vollziehung der Aufgaben dieses Gesetzes der Bezirksverwaltungsbehörde, soweit nicht ausdrücklich anderes bestimmt wird. Da im UVG-Bereich nichts Abweichendes bestimmt wird, haftet das Land Kärnten für das Verhalten der Bezirkshauptmannschaft und (bei einer Statutarstadt) des Magistrats (RS0048933; RS0063097 [T2]; Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 22 UVG Rz 13).

[28] 4.1.2. Im vorliegenden Fall kommt somit eine Haftung des Landes Kärnten schon dann in Betracht, wenn dem Magistrat der Stadt Klagenfurt am Wörthersee als für die Kinder- und Jugendhilfe zuständiger Organisationseinheit eine Verletzung der Mitteilungspflicht des § 21 UVG anzulasten ist, sofern dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Gewährung der Vorschüsse im November 2022 veranlasst wurde.

[29] 4.1.3. Von der Rechtsprechung wurde im Rahmen dieser Beurteilung darauf abgestellt, ob dem Sachbearbeiter der einschreitenden Bezirksverwaltungsbehörde grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist (RS0048933 [T1]; RS0076454 [T2]). Dieser Rechtsprechung lagen jedoch Fälle zugrunde, in denen es nur um ein Verhalten des (behördenintern zuständigen) Sachbearbeiters ging (2 Ob 717/86; 7 Ob 271/03h). Die vom Rekursgericht vertretene Rechtsansicht, dass grundsätzlich nur das Verhalten des konkret für den Unterhaltsvorschuss zuständigen Sachbearbeiters im Rahmen des § 22 UVG relevant sein könne, nicht aber anderer der Bezirksverwaltungsbehörde zuzurechnenden Personen, lässt sich aus dieser Rechtsprechung hingegen nicht ableiten. Die dem Land Kärnten funktionell zurechenbare Organisationseinheit ist nach der landesgesetzlichen Zuordnung vielmehr die Bezirksverwaltungsbehörde als solche, hier somit der Magistrat der Stadt Klagenfurt am Wörthersee. Dieser gewährte den Kindern im vorliegenden Fall nach dem Akteninhalt volle Erziehung, sodass auch von einer Kenntnis des Magistrats über diese Maßnahme ausgegangen werden muss. Die interne Aufteilung der Aufgaben an einzelne Sachbearbeiter oder Bereiche ist für die Frage der (Wissens-)Zurechnung an den Kinder- und Jugendhilfeträger nicht von Bedeutung.

4.1.4. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten:

[30] Gewährt die Bezirksverwaltungsbehörde einem Kind, dem Unterhaltsvorschuss gewährt wurde, im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe volle Erziehung und meldet sie diesen – dem Anspruch auf Unterhaltsvorschuss entgegen stehenden (§ 2 Abs 2 Z 2 UVG) – Umstand nicht unverzüglich dem Gericht, wird die Mitteilungspflicht des § 21 UVG verletzt.

[31] Da den Kindern am 5. Oktober 2022 volle Erziehung gewährt wurde, die dem Gericht erst Mitte November 2022 mitgeteilt wurde, ist im vorliegenden Fall eine Verletzung der Mitteilungspflicht des § 21 UVG durch den Magistrat der Stadt Klagenfurt am Wörthersee zu bejahen.

[32] 4.1.5. Eine andere Frage ist es, ob die Verletzung der Mitteilungspflicht durch die Bezirksverwaltungsbehörde (die für diese handelnden Personen) als vorsätzlich oder grob fahrlässig zu beurteilen ist. Die Bezirksverwaltungsbehörde ist selbst nicht delikts- oder verschuldensfähig, maßgeblich ist vielmehr das Verhalten der für sie handelnden oder ihr sonst zuzurechnenden physischen Personen (vgl RS0009102).

[33] 4.1.5.1. Welche Personen dem Magistrat der Stadt Klagenfurt am Wörthersee zuzurechnen sind, ergibt sich aus dem Klagenfurter Stadtrecht 1998 (K‑KStR 1998). Die Aufgaben der Stadt im Rahmen des übertragenen Wirkungsbereichs obliegen danach dem Bürgermeister (§ 74 Abs 1 K‑KStR 1998), der einzelne Gruppen von Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereichs – unbeschadet seiner Verantwortlichkeit – wegen ihres sachlichen Zusammenhangs mit den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs Mitgliedern des Stadtsenats zur Erledigung in seinem Namen übertragen kann (§ 74 Abs 2 K‑KStR 1998). Der Bürgermeister ist der Vorstand des Magistrats (§ 79 Abs 1 K‑KStR 1998) und hat durch die Geschäftsordnung des Magistrats zu bestimmen, inwieweit er und die Mitglieder des Stadtsenates – unbeschadet ihrer Verantwortlichkeit – sich bei den zu treffenden Entscheidungen, Verfügungen oder sonstigen Amtshandlungen durch den Magistratsdirektor, die Abteilungsvorstände und bei Gruppen von in gleicher Art ständig wiederkehrenden Geschäften durch andere Bedienstete vertreten lassen können (§ 81 Abs 1 K‑KStR 1998).

[34] 4.1.5.2. Damit kommt jedenfalls eine Zurechnung des Verhaltens des Bürgermeisters und – abhängig vom Inhalt der Geschäftsordnung des Magistrats – gegebenenfalls weiterer Personen in Betracht, soweit diese für die jeweilige Angelegenheit vertretungsbefugt sind. Der Präsident des Oberlandesgerichts Graz stellte bereits in erster Instanz in den Raum, dass der „Bereich Sozialarbeit“ den „Bereich Unterhalt“ über die getroffene Maßnahme der vollen Erziehung nicht informierte. Mangels Feststellungen zur Geschäftsordnung des Magistrats der Stadt Klagenfurt am Wörthersee und zu den konkreten Befugnissen der genannten Bereiche kann allerdings nicht beurteilt werden, inwiefern das Verhalten einer im „Bereich Sozialarbeit“ tätigen Person dem Magistrat als grobe Fahrlässigkeit bei der Meldepflichtverletzung angelastet werden kann.

[35] Ungeachtet eines allenfalls solcherart zuzurechnenden (vorsätzlichen oder grob fahrlässigen) Verhaltens einzelner Bediensteter ist überdies zu berücksichtigen, dass die Erlassung einer Geschäftsordnung die Verantwortlichkeit des Bürgermeisters und der Mitglieder des Stadtsenats nach § 81 Abs 1 K‑KStR 1998 unberührt lässt. Sollte die Organisation des Magistrats nicht sicherstellen, dass dieser der Mitteilungspflicht nach § 21 UVG (insbesondere im Fall einer von ihm selbst gesetzten Maßnahme) rechtzeitig nachkommt, käme eine Haftung allenfalls auch wegen eines Organisationsverschuldens in Betracht (vgl RS0023138).

[36] 4.1.5.3. Eine solche Beurteilung setzt aber zunächst voraus, dass Feststellungen zu den konkreten Umständen und Gründen getroffen werden, die zur Verletzung der Mitteilungspflicht durch den Magistrat führten.

[37] Der Präsident des Oberlandesgerichts Graz stand in diesem Zusammenhang bereits in erster Instanz auf dem Standpunkt, dass zu prüfen sei, ob dem Kinder- und Jugendhilfeträger eine fehlende oder ungenügende Kommunikation zwischen dem „Bereich Sozialarbeit“ und dem „Bereich Unterhalt“ vorzuwerfen sei, und er hält dieses Vorbringen auch im Revisionsrekurs aufrecht. Über die (disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffene) Feststellung hinaus, wonach die für Unterhalt zuständige Sachbearbeiterin „Anfang November“ Kenntnis von der Unterbringung erlangte, wurden zu diesem Vorbringen jedoch keine Festellungen getroffen, die eine Beurteilung des Verschuldens der für den Magistrat handelnden Personen zuließen. Die Pflegschaftssache ist daher in der Frage der Haftung des Landes Kärnten wegen sekundärer Feststellungsmängel noch nicht entscheidungsreif.

[38] 4.1.5.4. Erst nach Vorliegen entsprechender Feststellungen kann beurteilt werden, inwiefern das jeweilige Verhalten im Einzelfall vorsätzlich oder grob fahrlässig gesetzt wurde. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass grobe Fahrlässigkeit nach ständiger Rechtsprechung dann vorliegt, wenn der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar war, wenn das Versehen mit Rücksicht auf seine Schwere oder Häufigkeit nur bei besonderer Nachlässigkeit und nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorkommt sowie nach den Umständen die Vermutung des „bösen Vorsatzes“ naheliegt (RS0124118). Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf das im Revisionsrekurs behauptete Organisationsverschulden: Auch grob fahrlässiges Organisationsverschulden erfordert einen objektiv und auch subjektiv schweren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, die also in einem ungewöhnlich hohen Maß verletzt worden sein muss; nicht jeder Organisationsfehler ist als grob fahrlässig zu qualifizieren (RS0110748).

[39] 4.2. Eine Haftung der Mutter der Kinder (als Pflegeperson und Zahlungsempfängerin) könnte sich daraus ergeben, dass sie die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder und die Änderung in der Pflege und Erziehung der Kinder dem Gericht entgegen § 21 UVG nicht unverzüglich mitteilte, sowie daraus, dass sie – wie vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz ebenfalls vorgebracht – die Vorschüsse der Kinder vorsätzlich oder grob fahrlässig für den Unterhalt der Kinder (oder auch für andere Zwecke: 10 Ob 41/13x) verbrauchte.

[40] 4.2.1. Eine Verletzung der Mitteilungspflicht durch die Mutter liegt im vorliegenden Fall zumindest nahe, waren ihr die Umstände, die zum Entfall des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss führten, doch (offensichtlich) bekannt, weil sich die Kinder bis zur Gewährung der vollen Erziehung durch den Kinder- und Jugendhilfeträger in Pflege und Erziehung der Mutter befanden.

[41] 4.2.2. Eine Verletzung der Mitteilungspflicht führt aber nach § 22 UVG nur zu einer Haftung, wenn dadurch die Gewährung der Vorschüsse vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlasst wurde.

[42] Die Rechtsprechung nimmt grobe Fahrlässigkeit bei Verletzung einer Mitteilungspflicht im Allgemeinen nur an, wenn die hohe Wahrscheinlichkeit der Unrechtmäßigkeit des Bezugs einsichtig ist und von ihm daher eine Bekanntgabe an das Gericht erwartet werden kann. Die Tatsache einer Rechtsbelehrung mit dem Gewährungsbeschluss reicht für sich alleine nicht aus, jedenfalls grobe Fahrlässigkeit bei Verletzung einer Mitteilungspflicht zu begründen (RS0124118).

[43] Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Rechtsansicht ergibt sich eine grobe Fahrlässigkeit der Mutter der Kinder somit nicht schon aus der im Gewährungsbeschluss erfolgten Rechtsbelehrung über die Mitteilungspflicht. Zur Beurteilung einer allfälligen groben Fahrlässigkeit wären vielmehr die konkreten Gründe und Umstände zu erheben und festzustellen, die zur Verletzung der Mitteilungspflicht durch die Mutter führten. Die vom Erstgericht festgestellten (schlechten) finanziellen Verhältnisse der Familie der Kinder allein reichen für diese Beurteilung nicht aus.

[44] 4.2.3. Entgegen der Behauptung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz steht darüber hinaus auch nicht fest, ob und bejahendenfalls für welche Zwecke die Mutter die hier gegenständlichen Vorschussbeträge (für November 2022) verbraucht hätte. Das Erstgericht ging im Rahmen der rechtlichen Beurteilung lediglich davon aus, dass auf der Hand liege, dass der Unterhaltsvorschuss „für Oktober“ für die Kinder verbraucht worden sei.

[45] Abweichend von der Beurteilung des Rekursgerichts kann allein daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass kein Rückersatzanspruch bestünde. Vielmehr ist das Verfahren auch insofern ergänzungsbedürftig, weil die relevanten Feststellungen zum behaupteten Verbrauch der Vorschüsse für November 2022 (und bejahendenfalls zu den Umständen, die eine Beurteilung eines allfälligen Verschuldens daran zulassen) fehlen.

[46] 5. Insgesamt lässt sich eine Haftung des Rechtsträgers des gesetzlichen Vertreters der Kinder (Land Kärnten) und der Pflegeperson (und Zahlungsempfängerin der Vorschüsse; Mutter) aufgrund des festgestellten Sachverhalts nicht abschließend beurteilen, sodass die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben sind und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückzuverweisen ist.

[47] 5.1. Hinsichtlich der vom Bund geltend gemachten Haftung des Landes Kärnten ist hervorzuheben, dass dieses bislang nicht zur Äußerung zum Antrag des Bundes aufgefordert wurde.

[48] 5.2. Die vom Kinder- und Jugendhilfeträger abgegebene Äußerung ist dem Land Kärnten im Rückersatzverfahren nicht zuzurechnen (vgl oben ErwGr 3.4.1.). Sollte sich im weiteren Verfahren (etwa aufgrund einer inhaltsgleichen Äußerung des Landes Kärnten) ergeben, dass die Fremdunterbringung im Rahmen der Vollen Erziehung durch den Kinder- und Jugendhilfeträger nicht gemeldet worden sein sollte, weil zunächst eine Rückführung „im Raum“ stand, würde dies einer Beurteilung als grob fahrlässig veranlasste Gewährung der Unterhaltsvorschüsse nicht entgegen stehen. Die allfällige Rechtsansicht des Kinder- und Jugendhilfeträgers, eine Mitteilungspflicht bestünde in einem solchen Fall nicht, würde vielmehr auf einem – infolge Anlegung des Sorgfaltsmaßstabs des § 1299 ABGB (vgl RS0113184 [T3]) als grob fahrlässig einzustufenden – Rechtsirrtum beruhen: Die Einstellung der Vorschüsse ist nach § 20 Abs 2 UVG nämlich mit Ablauf des Monats anzuordnen, in dem der Einstellungsgrund eingetreten ist. Allein die Fremdunterbringung der Kinder hätte daher die Einstellung der Vorschüsse zur Folge haben (und schon aus diesem Grund dem Gericht mitgeteilt werden) müssen. Wären die Voraussetzungen der Gewährung der Vorschüsse durch eine Rückführung der Kinder an die Mutter (und sei es auch im selben Monat) wieder erfüllt gewesen, hätten die Vorschüsse allenfalls auf Antrag wieder neu bewilligt werden können; ein automatisches Wiederaufleben gibt es (vom hier nicht vorliegenden Fall des § 7 Abs 2 UVG abgesehen) hingegen nicht (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 20 UVG Rz 10).

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