OGH 10Ob18/19y

OGH10Ob18/19y26.3.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj V*, geboren * 2015, vertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Wiener Kinder‑ und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 2, 20, 1200 Wien, Dresdner Straße 43), wegen Unterhaltsvorschuss, infolge des Revisionsrekurses des Vaters K*, Norwegen, hier vertreten durch Dr. Martin Benning, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. November 2018, GZ 43 R 447/18f‑93, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 24. August 2018, GZ 6 Pu 130/15g‑80, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124901

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

 

Begründung:

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 28. 11. 2016 (ON 21) wurde die Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 1. 9. 2015 mit monatlich 330 EUR festgesetzt. Im Unterhaltsverfahren war der Vater durch den auch hier einschreitenden Rechtsanwalt als bestellten Verfahrenshelfer vertreten. Das Unterhaltsverfahren wurde mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 11. 6. 2018, 4 Ob 77/18d (ON 78) rechtskräftig beendet.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss erhöhte das Erstgericht von Amts wegen die dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse gemäß § 19 Abs 2 UVG ab 1. 8. 2017 auf monatlich 330 EUR.

Das Erstgericht stellte diesen Beschluss nicht an den Vater, sondern an den einschreitenden Rechtsanwalt zu. Dieser gab gegenüber dem Erstgericht mit Eingabe vom 27. 8. 2018 (ON 82) seinen Rechtsstandpunkt bekannt, wonach ihm nach rechtskräftiger Beendigung des Unterhaltsverfahrens – abgesehen von einem daran anknüpfenden Exekutionsverfahren – nicht die „sonstige/weitere Vertretung“ des Vaters obliege.

Der einschreitende Rechtsanwalt erhob dessen ungeachtet in weiterer Folge namens des Vaters gegen den Beschluss des Erstgerichts Rekurs. Er berief sich nicht auf eine ihm erteilte Verfahrensvollmacht des Vaters (§§ 6 Abs 4 AußStrG iVm 30 Abs 2 ZPO). Der einschreitende Rechtsanwalt führte lediglich aus, dass die Bewilligung der Verfahrenshilfe „aufrecht“ sei und der Beschluss auf „ausdrücklichen Wunsch“ des Vaters angefochten werde.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge und sprach aus, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Die Entscheidung des Rekursgerichts wurde an das Kind, vertreten durch den Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe, an die Mutter des Kindes, an den Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, sowie an den für den Vater einschreitenden Verfahrenshelfer, nicht aber an den Vater selbst zugestellt.

Gegen diesen Beschluss erhob der einschreitende Rechtsanwalt namens des Vaters eine Zulassungsvorstellung verbunden mit einem Revisionsrekurs. Der Verfahrenshelfer berief sich auch in dieser Rechtsmittelschrift nicht auf eine ihm vom Vater erteilte Prozessvollmacht, sondern führte aus: „Das Erstgericht hat dem Rechtsmittelwerber die Verfahrenshilfe für 'das Unterhaltsverfahren' gewährt. Rechtsmittel sind über Wunsch desjenigen, dem Verfahrenshilfe gewährt worden ist, zu verfassen und einzubringen.“

Eine Gleichschrift des mit der Zulassungsvorstellung verbundenen Revisionsrekurses wurde vom Erstgericht an die Mutter und den Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe als Vertreter des Kindes jeweils ohne Zustellnachweis, sowie elektronisch an den Bund zugestellt.

Mit Beschluss vom 22. 1. 2019 gab das Rekursgericht der Zulassungsbeschwerde Folge und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Den Revisionsgegnern werde eine Ausfertigung des Revisionsrekurses mit dem Hinweis zugestellt, dass es ihnen frei stehe, binnen 14 Tagen eine Beantwortung des Revisionsrekurses beim Rekursgericht einzubringen.

Das Rekursgericht stellte zwar diesen Beschluss, nicht aber den Revisionsrekurs an den Träger der Kinder‑ und Jugendhilfe, die Mutter und den Bund zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Aktenvorlage ist verfrüht.

1.1 Gemäß § 7 Abs 1 AußStrG sind die Bestimmungen der ZPO über die Verfahrenshilfe sinngemäß anzuwenden. Demnach wirkt die Bewilligung der Verfahrenshilfe für den ganzen Rechtsstreit, für den sie beantragt wurde, dies einschließlich allfälliger Rechtsmittelverfahren. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe umfasst daher beispielsweise ein im Zug eines Rechtsstreits durchgeführtes Ablehnungsverfahren, nicht aber ein Verfahren über eine Wiederaufnahms‑ oder Nichtigkeitsklage, weil es sich dabei um formell selbständige Prozesse handelt, in denen die Partei die Verfahrenshilfe neuerlich beantragen muss (RIS‑Justiz RS0120688; M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ II/1 § 64 ZPO Rz 1 mwH).

1.2 Das Verfahren über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ist ein formell selbständiges Verfahren, es stellt insbesondere keine „Fortsetzung“ eines– vorangegangenen – Unterhaltsverfahrens dar. Das Unterhaltsvorschussverfahren hat gemäß § 14 UVG andere Parteien als das Unterhaltsverfahren. Die ergebnislose Durchführung eines Unterhaltsverfahrens ist nicht zwingend Voraussetzung für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, wie sich schon aus § 4 Z 2 UVG ergibt (10 Ob 67/11t; RIS‑Justiz RS0076100).

1.3 Hier wurde dem Vater im Unterhaltsverfahren vom Erstgericht mit Beschluss vom 3. 2. 2017 (ON 30) die Verfahrenshilfe bewilligt und der auch nunmehr einschreitende Rechtsanwalt als Verfahrenshelfer beigegeben. Dieser Beschluss wirkt jedoch nach den dargestellten Grundsätzen nicht für das nunmehrige Verfahren über die Erhöhung von Unterhaltsvorschüssen.

2. Der einschreitende Rechtsanwalt hat sich lediglich auf einen „Wunsch“ des Vaters berufen, den Beschluss des Erstgerichts anzufechten, nicht aber auf eine ihm vom Vater erteilte Verfahrensvollmacht. Im Zusammenhang mit den oben wiedergegebenen Ausführungen im Rekurs (aber auch im Revisionsrekurs), in denen der einschreitende Rechtsanwalt – entgegen seiner ursprünglichen Ansicht – vom aufrechten Fortbestand bzw einer Fortwirkung der einmal bewilligten Verfahrenshilfe ausgeht, ist die Formulierung „auf ausdrücklichen Wunsch“ im konkreten Fall auch nicht eindeutig genug, um von der Erteilung einer Verfahrensvollmacht für das Unterhaltsvorschussverfahren ausgehen zu können (vgl Zib in Fasching/Konecny³ II/1 § 30 ZPO Rz 43).

3.1 Dem Vater wurde bisher (auch) die Entscheidung zweiter Instanz nicht zugestellt, sodass er im Revisionsrekursverfahren kein rechtliches Gehör hatte. Damit haftet dem rekursgerichtlichen Verfahren ein Verstoß gegen § 66 Abs 1 Z 1 iVm § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG an, der auch im Revisionsrekursverfahren analog § 55 Abs 3 AußStrG von Amts wegen wahrzunehmen wäre (RIS‑Justiz RS0119971 [T3]).

3.2 Nach § 58 Abs 1 Z 1 und Abs 3 iVm § 71 Abs 4 AußStrG ist bei einem solchen schweren Verfahrensmangel vor der Entscheidung auf Aufhebung und Zurückweisung der Außerstreitsache an eine Vorinstanz zu prüfen, ob nicht eine Bestätigung selbst aufgrund der Angaben im [Revisions‑]Rekursverfahren oder eine Abänderung ohne weitere Erhebungen möglich ist. Zu diesem Zweck ist es erforderlich, der bisher nicht gehörten Partei Gelegenheit zu geben, sich am Revisionsrekursverfahren zu beteiligen und ihre materiellen und/oder prozessualen Rechte geltend zu machen oder auch nicht (RIS‑Justiz RS0123128). Mit Rücksicht auf § 58 Abs 2 AußStrG ist davon auszugehen, dass auch eine Beteiligung am Rechtsmittelverfahren ohne Geltendmachung der Gehörsverletzung deren Heilung bedeutet (5 Ob 237/09b mwN).

4.1 Das Verfahren über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ist ein solches, in dem einander Anträge zweier oder mehrerer Parteien gegenüber stehen können. Nach § 6 Abs 1 AußStrG bestand daher bereits im Rekursverfahren, besteht aber auch für die Einbringung eines Revisionsrekurses – ein Fall einer der in § 6 Abs 3 AußStrG genannten Ausnahmen liegt hier nicht vor – Anwaltspflicht (10 Ob 8/14w; RIS‑Justiz RS0119968 [T15]).

4.2 Nach § 6 Abs 4 AußStrG sind die Bestimmungen der ZPO über Bevollmächtigte – daher die §§ 26 bis 39 ZPO – sinngemäß anzuwenden. § 37 Abs 1 ZPO verlangt die Berücksichtigung des Mangels der Vollmacht in jeder Lage des Rechtsstreits von Amts wegen, also auch im Rechtsmittelverfahren (RIS‑Justiz RS0035627 [T2]).

4.3 Aus verfahrensökonomischen Gründen wird das Erstgericht daher zunächst unter Setzung einer angemessenen Frist zu prüfen haben, ob der Vater das Einschreiten des hier in seinem Namen auftretenden Rechtsanwalts nachträglich genehmigt oder ob er diesem allenfalls Vollmacht erteilt hat (wie ausgeführt beruft sich der einschreitende Rechtsanwalt auf einen ausdrücklichen Wunsch des Vaters zur Anfechtung der erstinstanzlichen Entscheidung).

5.1 Scheitert dieser Sanierungsversuch, wird das Erstgericht die angefochtene Entscheidung des Rekursgerichts sowie die vorliegende Entscheidung nachweislich dem Vater zuzustellen haben, um diesem die Möglichkeit zu eröffnen, durch Erhebung eines – infolge des Beschlusses des Rekursgerichts vom 22. 1. 2019 nunmehr zulässigen – Revisionsrekurses sein rechtliches Gehör in diesem Verfahren zu wahren. Für die Erhebung eines Revisionsrekurses muss der Vater wie ausgeführt durch einen Rechtsanwalt vertreten sein.

5.2 Für den Fall, dass die dem Vater zur Verfügung stehende Rechtsmittelfrist zur Einbringung eines Revisionsrekurses fruchtlos verstreichen sollte, wird der Akt dem Obersten Gerichtshof unmittelbar wieder vorzulegen sein. Denn in diesem Fall wäre das vom vollmachtslos einschreitenden Rechtsanwalt eingebrachte Rechtsmittel mangels nachträglicher Genehmigung durch den Vater als unzulässig zurückzuweisen.

6.1 In allen anderen Fällen – daher sowohl im Fall der nachträglichen Genehmigung der Verfahrensführung durch den Vater (s Punkt 2.) als auch im Fall eines nach Scheitern des Sanierungsversuchs vom Vater fristgerecht eingebrachten Rechtsmittels (s Punkt 3.1) – wird das Erstgericht die Akten zunächst dem Rekursgericht vorzulegen haben:

6.2 Das Rekursgericht hat – aufgrund einer Zulassungsvorstellung, die mit einem ordentlichen Revisionsrekurs verbunden wurde – den Revisionsrekurs nachträglich für zulässig erklärt. Diesen Beschluss hatte es (nicht nur) den Parteien zuzustellen, sondern den Revisionsrekursgegnern auch die Beantwortung des Revisionsrekurses freizustellen (§ 63 Abs 5 AußStrG). Die Frist für die Revisionsrekursbeantwortung beginnt in diesem Fall mit der Mitteilung des Rekursgerichts, dass „den anderen aktenkundigen Parteien“ die Beantwortung des Revisionsrekurses freigestellt werde (§ 68 Abs 3 Z 2 AußStrG). Die Revisionsrekursbeantwortung ist beim Rekursgericht einzubringen (§ 68 Abs 4 Z 1 AußStrG).

6.3 Die noch vor Entscheidung des Rekursgerichts über die Zulassungsvorstellung (und teilweise ohne Zustellnachweis) erfolgte Zustellung des Revisionsrekurses durch das Erstgericht konnte keine fristauslösende Wirkung hinsichtlich einer möglichen Revisionsrekursbeantwortung entfalten. Da das Rekursgericht die erforderliche Zustellung des Revisionsrekurses (ON 95) an die Verfahrensparteien samt (nunmehriger) Freistellung der Rechtsmittelbeantwortung hier zu Unrecht unterlassen hat (10 Ob 17/14v), wird es jeweils eine Gleichschrift an diese mit dem (neuerlichen) Beisatz zuzustellen haben, dass ihnen die allfällige Beantwortung des nachträglich zugelassenen Rechtsmittels frei steht.

Diese Vorgangsweise wird vom Rekursgericht auch dann einzuhalten sein, wenn der Vater die bisherige Verfahrensführung nicht genehmigen und fristgerecht nach Zustellung der Entscheidung des Rekursgerichts an ihn einen Revisionsrekurs erheben sollte.

Die Akten waren daher vorerst an das Erstgericht zurückzuleiten.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte