OGH 10Ob21/20s

OGH10Ob21/20s24.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des * 2001 geborenen O*, wegen Rückforderung von Unterhaltsvorschüssen, infolge Revisionsrekurses der Stadt Salzburg – Jugendamt, 5020 Salzburg, St.‑Julien‑Straße 20, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 31. Oktober 2019, GZ 21 R 192/19k‑104, womit der Rekurs der Stadt Salzburg, – Jugendamt, gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 26. April 2019, GZ 2 Pu 77/17g‑101, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128803

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 11. 2. 2019, GZ 2 Pu 77/17g-97, wurden die dem damals noch minderjährigen O* gewährten Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 145 EUR monatlich rückwirkend mit Ablauf des Monats August 2018 eingestellt.

Der Bund, vertreten durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Linz begehrte mit ihrem Antrag vom 15. 3. 2019 (ON 98), „den Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters (iSd § 9 Abs 2 UVG), die Pflegeperson, die/den Unterhaltsschuldner/in, – im Fall der Verneinung der Ersatzpflicht dieser Person/en – das Kind gem §§ 22, 23 UVG idF FamRÄG 2009 zum Ersatz der zu Unrecht gewährten Vorschüsse von 725 EUR zu verpflichten“. Die Mitteilung der vom Kind ab September 2018 bezogenen Lehrlingsentschädigung von 1.059 EUR monatlich sei verspätet erfolgt. Der Rückersatzantrag betreffe die Monate September 2018 bis Jänner 2019 (fünf Monate á 145 EUR = 725 EUR).

Der Rückersatzantrag wurde dem „Jugendamt der Stadt Salzburg“ (und nicht dem Land Salzburg) zur Äußerung zugestellt.

Das Erstgericht verpflichtete das Land Salzburg, „vertreten durch das Jugendamt der Stadt Salzburg“, als Rechtsträger des gesetzlichen Vertreters gemäß § 9 UVG sowie die Mutter des Kindes zur ungeteilten Hand zum Rückersatz der für September 2018 bis Jänner 2019 zu Unrecht gewährten Vorschüsse. Der Jugendwohlfahrtsträger hätte von dem erhöhten Eigeneinkommen des Kindes in Kenntnis sein müssen und wäre verpflichtet gewesen, dieses dem Gericht mitzuteilen.

Der Beschluss des Erstgerichts wurde dem „Magistrat der Stadt Salzburg – Jugendamt“ zugestellt.

Gegen diese Entscheidung erhob die „Stadt Salzburg Jugendamt“, gezeichnet „Für den Bürgermeister: Dr. E*“ Rekurs mit dem (Eventual‑)Antrag, den Beschluss des Erstgerichts dahin abzuändern, dass der Antrag, das Land Salzburg als Kinder- und Jugendhilfeträger zum Rückersatz der zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüsse zu verpflichten, abgewiesen werde.

Das Rekursgericht wies den Rekurs zurück. Zusammengefasst ging es davon aus, Parteistellung komme im Rückersatzverfahren dem Bundesland Salzburg als Kinder- und Jugendhilfeträger und nicht dem „Jugendamt der Stadt Salzburg“ zu. Der Rekurs sei nicht im Namen des Kindes, sondern von der Stadt Salzburg in eigener Sache zur Entkräftung des im Rückersatzverfahren erhobenen Vorwurfs der Verletzung der Mitteilungspflicht eingebracht worden. Der Briefkopf, der Inhalt und das Schreiben selbst seien ausschließlich der Stadt Salzburg zuzurechnen. Diese sei jedoch nicht beschwert und auch nicht legitimiert, einen Beschluss anzufechten, mit dem eine Rückersatzverpflichtung des Landes Salzburg festgesetzt wurde. Ein Verbesserungsverfahren sei nicht einzuleiten, weil eine Vertretung des Landes Salzburg durch die Stadt Salzburg ohnedies nicht in Betracht komme. Das Erstgericht werde allerdings dem bisher nicht am Verfahren beteiligten Bundesland Salzburg den Antrag auf Rückersatz zuzustellen haben.

Infolge Zulassungsvorstellung ließ das Rekursgericht nachträglich den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, die vom Rekursgericht zitierte Rechtsprechung liege schon einige Zeit zurück und könnte durch zwischenzeitliche Gesetzesänderungen überholt sein.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Stadt Salzburg mit dem Antrag, den Beschluss des Rekursgerichts aufzuheben und diesem aufzutragen, den Rekurs inhaltlich zu behandeln.

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Gemäß § 9 Abs 2 UVG wird der Kinder‑ und Jugendhilfeträger mit der Zustellung des Beschlusses, mit dem Vorschüsse gewährt werden, alleiniger gesetzlicher Vertreter des minderjährigen Kindes zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche. Diese Vertretungsbefugnis bezieht sich auch auf das Vorschussgewährungsverfahren, nicht auf das Verfahren über den Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse nach den §§ 21, 22 UVG (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 [2020] § 9 UVG Rz 8).

1.2 Träger der Kinder- und Jugendhilfe ist das jeweilige Bundesland (§ 212 ABGB idF BGBl I 2017/59). Nach § 38 des am 1. 5. 2015 in Kraft getretenen Salzburger Kinder‑ und Jugendhilfegesetzes (S.KJHG, LGBl 2015/32) ist Träger der Kinder- und Jugendhilfe das Land Salzburg.

2. Welche Organisationseinheiten die Leistungen und Aufgaben zu erfüllen haben, die dem Kinder- und Jugendhilfeträger obliegen, hat die Landesgesetzgebung in ihrem Bereich zu bestimmen (Hopf/Höllwerth in KBB6 § 212 Rz 1; hier § 39 S.KJHG). Damit wird klar zwischen der juristischen Person Land als Rechtsträger einerseits und den für den Rechtsträger Land auftretenden Organen oder Organisationseinheiten andererseits unterschieden (7 Ob 25/11v mwN).

3.1 Wird die Rückersatzpflicht des Landes wegen Verletzung von Meldepflichten (§ 22 UVG) geltend gemacht, haftet das Bundesland als Rechtsträger der Kinder- und Jugendhilfe für die ihm funktionell zuzurechnende Organisationseinheit, das sind die Bezirkshauptmannschaft und (bei einer Statutarstadt) der Magistrat (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 22 UVG Rz 13; vgl RS0063097).

3.2 Davon, dass das Land Salzburg im Rückersatzverfahren über die Zahlungspflicht wegen Verletzung der Meldepflicht durch das „Jugendamt der Stadt Salzburg“ haftungspflichtige Partei ist und sich dessen Handlungen zurechnen lassen muss, geht die Stadt Salzburg im Rechtsmittel ausdrücklich selbst aus. Eine Haftung der Stadt Salzburg aufgrund einer landesgesetzlichen Zuordnung zu deren eigenen Wirkungsbereich (wie etwa in § 58 oö Kinder‑ und Jugendhilfegesetz 2014) geht aus dem S.KJHG nicht hervor.

4.1 Gemäß § 39 S.KJHG sind die Aufgaben der Kinder‑ und Jugendhilfe von der Landesregierung und den Bezirksverwaltungsbehörden zu besorgen. Zu den den Bezirksverwaltungsbehörden obliegenden Aufgaben, der Kinder- und Jugendhilfe einschließlich jener Aufgaben, die durch andere Rechtsvorschriften oder individuelle Rechtsakte dem Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen sind, zählen insbesondere die Vertretung von Kindern und Jugendlichen in Unterhaltsangelegenheiten, insbesondere nach den Bestimmungen des Unterhaltsvorschussgesetzes 1985 (§ 39 Abs 3 Z 6 S.KJHG) sowie die Vertretung des Kinder- und Jugendhilfeträgers in allen gerichtlichen Verfahren nach dem 3., 4. und 5. Hauptstück des Ersten Teils des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches betreffend die Rechte zwischen Eltern und Kindern, die Obsorge und den Kindesunterhalt (§ 39 Abs 3 Z 8 SKJHG).

4.2 Im Revisionsrekurs wird geltend gemacht, im Rückersatzverfahren sei die Bezirksverwaltungsbehörde (als diejenige Organisationseinheit, der die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe übertragen wurde), legitimiert, das Land Salzburg als Kinder- und Jugendhilfeträger zu vertreten.

Der für diesen Standpunkt ins Treffen geführte § 39 S.KJHG regelt jedoch nur die interne Aufgabenverteilung des Landes als Kinder- und Jugendhilfeträger. Eine Legitimation der die Aufgaben des Landes als Kinder‑ und Jugendhilfeträger besorgenden Organisationseinheit, das Land in einem Verfahren zu vertreten, das dessen Haftung für zu Unrecht ausgezahlte Unterhaltsvorschüsse zum Gegenstand hat, lässt sich aus derartigen Rechtsvorschriften nicht ableiten. Ganz allgemein gilt, dass das „Jugendamt“, wenn es in einem Rekurs des Kinder- und Jugendhilfeträgers nicht die Interessen des Kindes zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche geltend macht, sondern die Verletzung „eigener“ Interessen bekämpft, insoweit nicht vertretungsbefugt ist (RS0076554; Neumayr in Schwimann/Kodek,ABGB5 § 15 UVG Rz 15). Wehrt das „Jugendamt der Stadt Salzburg“ im Rückersatzverfahren gegen das Land Salzburg Schadenersatzansprüche ab (indem es dem Vorwurf der Verletzung der Meldepflicht entgegentritt) ist es daher weder im eigenen Namen rechtsmittelberechtigt noch ist es dazu legitimiert, ein Rechtsmittel für das (haftungspflichtige) Land Salzburg zu ergreifen und dieses dabei nach außen zu vertreten (1 Ob 546/93 = RS0006818 [T1]; 7 Ob 271/03h = RS0076859 [T1]).

4.4 Anderes ergibt sich auch nicht aus den Entscheidungen 4 Ob 47/13k und 4 Ob 191/15i, die jeweils Kostenersatzansprüche des Landes Oberösterreich bzw des Landes Salzburg gegen Eltern und nicht – wie hier – gegen das Land Salzburg gerichtete Schadenersatzansprüche (RS0076903) zum Gegenstand haben.

5. Die in der Begründung des Zulassungsausspruchs angesprochenen Änderungen der Rechtslage blieben auf die hier zu lösenden Rechtsfragen ohne Auswirkung:

5.1 Nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 (JWG 1989; StF: BGBl I 1989/161) waren die Länder „Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt“ (§ 4 JWG; ebenso § 6 Abs 1 Satz 1 der Salzburger Kinder- und Jugendwohlfahrtsordnung 1992 – JWO 1992 StF LGBl 1992/83). Auch nach dem am 1. 5. 2013 in Kraft getretenen Bundes-, Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013– B‑KJHG 2013 (StF BGBl I 2013/69) ist Träger der Kinder- und Jugendhilfe das Land (§ 10 Abs 1 B‑KJHG 2013; ebenso § 38 S.KJHG). Welche Organisationseinheiten die Aufgaben der Jugendwohlfahrt bzw die dem Kinder- und Jugendhilfeträger obliegenden Aufgaben zu besorgen haben, bestimmte weiterhin die Landesgesetzgebung (§ 10 Abs 2 B‑KJHG 2013).

5.2 Mit der B‑VG‑Novelle BGBl I 2019/14 wurden die früher unter den Kompetenztatbestand des Art 12 Abs 1 Z 1 B‑VG (Grundsatzgesetzgebung des Bundes, Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung der Länder) fallenden Angelegenheiten der „Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge“ (durch den Entfall dieser Worte in Art 12 Abs 1 Z 1 B‑VG) in die Gesetzgebungs‑ und Vollziehungskompetenz der Länder gemäß Art 15 Abs 1 B‑VG überstellt (ErläutRV 301 BlgNR 26. GP  2). Auch aus dieser verfassungsrechtlichen Kompetenzänderung ergeben sich aber keine Auswirkungen auf die Frage der Rechtsmittellegitimation und Vertretungsbefugnis im Rückersatzverfahren nach dem UVG.

6.1 Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob das Rekursgericht im Hinblick auf die fehlende Vertretungsbefugnis ein Verbesserungsverfahren durchführen hätte müssen, kann schon deshalb unterbleiben, weil die Stadt Salzburg die Nichteinleitung eines Verbesserungsverfahrens nicht als Verfahrensmangel geltend gemacht hat. Falls der Mangel der Vertretung von vornherein nicht beseitigt werden kann, erübrigt sich ein Verbesserungsversuch.

6.2 In Entsprechung des in der Rekursentscheidung enthaltenen Auftrags des Rekursgerichts wurden mittlerweile der Rückersatzantrag und der Beschluss des Erstgerichts an das Land Salzburg zugestellt (und damit eine richtige Zustellung bewirkt). Über den gegen diesen Beschluss vom Land Salzburg „als Kinder und Jugendhilfeträger, vertreten durch das Amt der Salzburger Landesregierung“ erhobenen Rekurs ist bisher noch keine Entscheidung ergangen.

7. Zusammenfassend ist dem Revisionsrekurs der Stadt Salzburg daher nicht Folge zu geben.

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