OGH 3Ob198/23y

OGH3Ob198/23y17.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Poduschka Partner AnwaltsGmbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *,vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 10.797 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 14. Juli 2023, GZ 1 R 131/23s‑39, mit dem das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 22. Mai 2023, GZ 2 C 577/20p‑31, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00198.23Y.0417.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger kaufte am 29. Oktober 2014 einen Seat Alhambra Business TDI CR 4Drive zum Preis von 35.990 EUR, in dem ein von der Beklagten produzierter Dieselmotor der Typenreihe EA189 verbaut war. Am 11. Jänner 2017 wurde bei dem Fahrzeug ein Software‑Update durchgeführt. Nach diesem Software‑Update meinte der Kläger, dass die Probleme mit dem Motor vollständig behoben wären und daher kein Schaden mehr vorliege. Der Kläger entdeckte „erst nach dem 11. Jänner 2017“, dass die angebliche Mängelbehebung durch das Software‑Update zu anderen Nachteilen, konkret zu einem Treibstoffmehrverbrauch, führte. Als er aus Medienberichten erfuhr, dass in Deutschland wegen der Beschaffenheit der Dieselmotoren des Typs EA189 beim Oberlandesgericht Braunschweig am 1. November 2018 eine Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte eingebracht worden war, beteiligte er sich an diesem Verfahren und erhielt über seine Anmeldung dazu am 9. Juni 2019 eine Bestätigung vom deutschen Bundesamt für Justiz. Am 30. April 2020 zog die (deutsche) Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) diese Musterfeststellungsklage nach einer außergerichtlichen Einigung (Rahmenvereinbarung) mit der Beklagten zurück. Diese Einigung erfasste jedoch nur jene am Verfahren Beteiligten, die beim Erwerb des Fahrzeugs ihren Wohnsitz in Deutschland hatten, was auf den Kläger nicht zutraf. Zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt wurde der Kläger von der Zurückziehung der Musterfeststellungsklage informiert, er erkundigte sich nach weiteren Möglichkeiten der Verfolgung seiner Ansprüche und beauftragte die Klagevertreterin, die am 19. Juni 2020 die Klage einbrachte. Am 7. Dezember 2020 wies der VKI auf seiner Homepage darauf hin, dass für Fahrzeughalter, die sich (nur) der Musterfeststellungsklage angeschlossen hätten, wegen der Rückziehung der Klage aufgrund der Verjährungsproblematik „Eile geboten“ sei (https://verbraucherrecht.at/vw ‑abgasskandal‑vergleich‑bei‑musterfeststellungsklagedeutschland/5318).

[2] Der Kläger begehrt von der Beklagten 10.797 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung für künftige Nachteile aus dem Fahrzeugkauf. Er habe durch den Erwerb des fehlerhaften, überteuerten Fahrzeugs einen Schaden in der Höhe von 30 % des Kaufpreises erlitten. Die Beklagte habe vorsätzlich rechtswidrig und schuldhaft und im Wissen gehandelt, dass sie durch diese Vorgangsweise sämtliche beteiligten Verkehrskreise, insbesondere die Verbraucher, aber auch die Umwelt und die Allgemeinheit schädige.

[3] Die Beklagte wendete – soweit im derzeitigen Stadium des Verfahrens relevant – ein, die Forderung sei verjährt. Bei Einbringung der Klage seien mehr als drei Jahre seit der Kenntnis des Klägers vom behaupteten Schaden verstrichen gewesen. Es liege kein strafgesetzwidriges Verhalten vor; soweit der Kläger sich auf ein Fehlverhalten von bloßen Repräsentanten der Beklagten stütze, gelte die dreijährige Verjährungsfrist.

[4] Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO aus, dass die Klagsforderung nicht verjährt sei.

[5] Die Beklagte sei für die von ihr behauptete Verjährung beweispflichtig. Das Musterfeststellungsverfahren in Deutschland habe nach deutschem Recht zur Folge, dass ein dort angemeldeter Verbraucher während dessen Rechtshängigkeit keine Klage erheben könne. Die Anmeldung habe nach dem BGB eine Hemmung der Verjährung zur Folge, die erst sechs Monate nach rechtskräftiger Beendigung ende. Auch Ansprüche nach ausländischem Recht könnten in einer solchen Musterfeststellungsklage geltend gemacht werden. Die Beteiligung des Klägers am Musterfeststellungsverfahren in Deutschland entspreche funktional einer Klage; um Wertungswidersprüche zu vermeiden, sei die Unterbrechung der Verjährung infolge dieser Teilnahme anzunehmen. Es stehe nicht fest, wann der Kläger von der Rücknahme der Musterfeststellungsklage erfahren habe, weshalb die Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass dem Kläger eine nicht gehörige Fortsetzung vorzuwerfen wäre. Davon abgesehen lägen nur eineinhalb Monate zwischen dem Ende des deutschen Musterfeststellungsverfahrens und der Einbringung der Klage und der Kläger sei zuvor nicht von einem Rechtsanwalt vertreten gewesen. Ein schuldhaftes Zögern liege daher jedenfalls nicht vor. Die für eine – vom Kläger zusätzlich behauptete – Anwendung der dreißigjährigen Verjährungsfrist erforderliche qualifiziert strafbare Handlung eines Organs der Beklagten habe der Kläger hingegen nicht nachweisen können.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung.

[7] Die Beteiligung an der Musterfeststellungsklage sei als „Belangen“ der Beklagten im Sinn des § 1497 ABGB anzusehen. Die Verjährung sei daher durch die Beteiligung des Klägers unterbrochen worden. Zwar richte sich die Verjährung als materiell‑rechtliche Frage nach der lex causae, auf der Basis einer kollisionsrechtlichen Substitution lasse sich aber die deutsche Rechtslage auch für Ansprüche nach dem österreichischen Recht heranziehen. Die Unterlassung der gehörigen Fortsetzung sei kein eigener Grund für eine Verjährung, sondern bilde eine Voraussetzung für die Unterbrechung durch die Einbringung der Klage. Nach dem Zweck der Musterfeststellungsklage sei hier auch auf die sechsmonatige Frist nach § 204 BGB nach Abschluss des Verfahrens über die Musterfeststellungsklage Bedacht zu nehmen, weshalb das Erstgericht zutreffend von einer Unterbrechung der Verjährung ausgegangen sei.

[8] Die Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren gegen die Beklagte in Deutschland die Unterbrechung der Verjährung bewirkt habe, und weil diese Frage für eine größere Anzahl von ähnlichen Rechtsstreitigkeiten von Bedeutung sei.

[9] Gegen die Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn abzuändern, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

[12] 1. Die Anwendung österreichischen Sachrechts für die Beurteilung der Frage der Verjährung der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche haben weder die Vorinstanzen noch die Parteien in Zweifel gezogen und sie ist auch kein Thema des Revisionsverfahrens. Sie ergibt sich aus Art 15 lit h (iVm Art 4 Abs 1) der Verordnung (EG) Nr 864/2007 (Rom II‑VO).

[13] 2.1 Die kurze Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem dem Geschädigten sowohl der Schaden und die Person des Schädigers als auch die Schadensursache bekannt geworden sind (RS0034951). Die Kenntnis der Schadenshöhe ist nicht Voraussetzung des Verjährungsbeginns (RS0034440 [T1]). Die bloße Möglichkeit der Ermittlung maßgeblicher Tatsachen ersetzt zwar deren Bekanntsein an sich nicht (RS0034366 [T6, T20]), doch darf sich der Geschädigte nicht einfach passiv verhalten (RS0065360; RS0034374 [T15]).

[14] 2.2 Gemäß § 1497 ABGB wird die Verjährung durch die Klage unterbrochen, wenn der Berechtigte den Schuldner belangt (1 Ob 104/23k mwN). Den eigentlichen Unterbrechungsgrund stellt – wie auch die Revision grundsätzlich zutreffend hervorhebt – nicht die Klage selbst, sondern das dem Kläger günstige Urteil dar; eine Unterbrechung tritt daher nicht ein, wenn das Klagebegehren abgewiesen wird (RS0034655). Gerichtliche Schritte, die die Geltendmachung eines Rechts bloß vorbereiten, etwa ein ohne Konkretisierung des Begehrens gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe, unterbrechen die Verjährung nicht (RS0034826 [T3]; Dehn in KBB7 § 1497 Rz 8 mwN). Einem auf Beistellung eines Rechtsanwalts zwecks Klagsführung gerichteten Verfahrenshilfeantrag kommt aber verjährungsunterbrechende Wirkung dann zu, wenn er den anspruchserzeugenden Sachverhalt sowie das Begehren der beabsichtigten Klage bereits deutlich erkennen lässt, die Verfahrenshilfe bewilligt wird und danach die Klage unverzüglich eingebracht wird (RS0034826 [T5]; 5 Ob 204/23w).

[15] 2.3 Grundsätzlich kann bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen des § 1497 ABGB (zielgerichtete Belangung des Gegners und gehörige Fortsetzung des Verfahrens) auch eine Auslandsklage geeignet sein, die Unterbrechung der Verjährung herbeizuführen (vgl RS0045270 [T2]; vgl auch 2 Ob 6/93). Dies wird insbesondere dann zutreffen, wenn das über die Klage ergehende Urteil in Österreich anzuerkennen ist. Aber selbst dann, wenn eine im Ausland bei einem nicht offenbar unzuständigen Gericht eingebrachte Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurückgewiesen wird, bleibt die bewirkte Unterbrechung aufrecht, wenn die Neueinklagung im Inland unverzüglich nach der Zurückweisung erfolgt (10 Ob 113/07a = JBl 2008, 657 = IPRax 2009, 430 [Jud/Kogler 439]; 17 Ob 9/11i = JBl 2011, 793 [Kogler] = ÖBl 2011/74 [Gamerith]; RS0123216).

[16] 2.4 Auch der Zweck der Verjährungsvorschriften steht der Aufrechterhaltung der Unterbrechungswirkung einer (zurückgewiesenen) Auslandsklage bei umgehender Neueinklagung im Inland nicht entgegen. Primäre Zielsetzung des Verjährungsrechts ist nämlich der Schutz des Schuldners vor Überraschung und Beweisnot. Der Schuldner bedarf dieses Schutzes vor unberechtigten oder zweifelhaften Ansprüchen allerdings dann nicht, wenn bereits gerichtlich gegen ihn vorgegangen wird. Dadurch wird er hinreichend gewarnt, dass die Gegenpartei bestimmte Ansprüche gegen ihn geltend machen will (10 Ob 113/07a = JBl 2008, 657 = IPRax 2009, 430 [Jud/Kogler 439]).

[17] 2.5 Nach ständiger Rechtsprechung hat auch ein Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren die Wirkung der Unterbrechung der Verjährung nach § 1497 ABGB wie eine Klage (RS0034631). Die Geltendmachung eines Anspruchs im Strafverfahren im Wege der Privatbeteiligung nach § 67 StPO ist nämlich ebenfalls eine „gerichtliche Belangung des Schuldners“ im Sinn des § 1497 ABGB (vgl 10 Ob 55/07x). Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass nach Abschluss des Strafverfahrens die Anspruchsverfolgung – falls erforderlich, nämlich bei Zuspruch nur eines Teils der Forderung oder im Fall der Verweisung auf den Zivilrechtsweg, – innerhalb angemessener Frist eingeleitet oder gehörig fortgesetzt wird (vgl RS0034631 [T2, T4]; Spenling in Fuchs/Ratz, WK‑StPO [Stand 1. 10. 2018], Vor §§ 366–379 StPO, Rz 63 mwN). Maßgeblich für die Unterbrechungswirkung des Privatbeteiligtenanschlusses ist nicht der Rechtsgrund, auf den ein Begehren gestützt wird, sondern die Frage, ob im Straf- und im Zivilverfahren der Schädiger vom Berechtigten wegen des gleichen vermögensrechtlichen Nachteils belangt wurde (RS0041512 [T1]). Ist die Schadenersatzforderung bereits bezifferbar, dann muss auch deren Höhe schon in der Anschlusserklärung angegeben sein, um die Unterbrechungswirkung für die gesamte Forderung entfalten zu können (vgl RS0115181 [T3]); dies wird mit der „Warnfunktion“ für den Schuldner durch das gerichtliche Belangen im Wege des Privatbeteiligtenanschlusses begründet (vgl RS0115182).

[18] 3. Ob das Verfahren in den zuvor genannten Konstellationen im Sinn des § 1497 ABGB „gehörig fortgesetzt“ wurde, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (7 Ob 23/12a; vgl auch RS0034710 [T16]; RS0034805 [T6]; RS0034765 [T1]).

[19] 4.1 Während des beim Oberlandesgericht Braunschweig von der deutschen VZBV geführten Musterfeststellungverfahrens gegen die auch hier beklagte Herstellerin galten die – am Tag der Einbringung dieser Klage durch das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12. Juli 2018, BGBl I 2018/26 S 1151, in Kraft getretenen – Bestimmungen der §§ 606 ff dZPO. Diese wurden inzwischen aufgehoben und durch das Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie [EU] 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Änderung des Kapitalanleger‑Musterverfahrensgesetzes) ersetzt. Durch die seinerzeitige Einführung der zivilprozessualen Musterfeststellungsklage nach den §§ 606 ff dZPO, die auch als „Produkt der Aufarbeitung des VW‑Dieselskandals“ bezeichnet wird (Grothe in MünchKomm, BGB9 § 204 Rz 31; ähnlich Frank Peters/Florian Jacoby in Staudinger, BGB, § 204 Rz 48a), sollte eine prozessökonomische Klärung gemeinsamer Tat‑ und Rechtsfragen im Verbandsverfahren ermöglicht werden (Klicka/Leupold, Deutsche Musterfeststellungsklage und grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung, VbR 2018/115). Die mit den §§ 606 ff dZPO gleichzeitig eingeführte gesonderte Regelung der Hemmung der Verjährung in § 204 Abs 1 Z 1a BGB sollte sicherstellen, dass angemeldete Verbraucher ohne das Risiko eines Ablaufs der Verjährungsfrist für die gerichtliche Durchsetzung ihrer individuellen Ansprüche den Ausgang des Verfahrens über die Musterfeststellungsklage abwarten konnten (Grothe in MünchKomm, BGB9 § 204 Rz 31).

[20] 4.2 Ziel und Zweck dieses bis Oktober 2023 geltenden deutschen Verfahrens nach den §§ 606 ff dZPO war eine dem Verbraucherschutz dienende „Eine‑für‑Alle‑Klage“ für Fälle, in denen der einzelne Verbraucher wegen seines „rationalen Desinteresses“ nicht geneigt war, einen Individualrechtsstreit anzustrengen, in denen die Beseitigung von „Streuschäden“ aber aus Gründen des Institutionenschutzes auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse lag (Menges in MünchKomm, ZPO6 Vor § 606 Rz 2 mwN). Das Problem internationaler Massenschadensfälle, bei dem die Ansprüche der betroffenen Verbraucher wegen des grenzüberschreitenden Sachverhalts nach unterschiedlichem materiellen Recht zu prüfen sind/waren, zeigte sich exemplarisch im VW‑Dieselskandal (Stadler in Musielak/Voit, ZPO20 § 606 Rz 14a mwN). In Österreich hatte der VKI den Käufern betroffener Dieselfahrzeuge eine Beteiligung am deutschem Musterfeststellungsverfahren empfohlen (dazu Stadler in Musielak/Voit, ZPO20 § 606 Rz 14a FN 97).

[21] 4.3 Gemäß § 606 Abs 1 dZPO konnte eine – strenge gesetzlich definierte Voraussetzungen erfüllende – „qualifizierte Einrichtung“ die Feststellung des Vorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen Verbrauchern und Unternehmern begehren. Zuständig war dafür jeweils das Oberlandesgericht am Sitz des beklagten Unternehmens (näher dazu Menges in MünchKomm, ZPO6 § 606 Rz 47 mwN; Stadler in Musielak/Voit, ZPO20 § 606 Rz 5 ff mwN; Klicka/Leupold, VbR 2018/115). § 607 dZPO regelte eine öffentliche Bekanntmachung der eingebrachten Musterfeststellungsklage im „Klageregister“, wobei diese insbesondere die Bezeichnung der Parteien, die Bekanntgabe der Feststellungsziele und eine kurze Darstellung des vorgetragenen Lebenssachverhalts umfasste. Die Anmeldung von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen konnten Verbraucher gemäß § 608 Abs 1 dZPO kostenfrei (dazu etwa Stadler in Musielak/Voit, ZPO20 § 607 Rz 18 mwN) bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten (ebenfalls öffentlich bekannt zu machenden) Termins „zur Eintragung in das Klageregister“ vornehmen. Das Klageregister führte das Bundesamt für Justiz (näher geregelt in § 609 dZPO), dem im Musterfeststellungsverfahren eine Vielzahl von Aufgaben zukamen (dazu näher Menges in MünchKomm, ZPO6 § 606 Rz 23 ff mwN). Die Anmeldung musste (ebenso wie ihre allfällige Rücknahme) formgerecht („in Textform gegenüber dem Bundesamt für Justiz“; § 608 Abs 4 dZPO) erfolgen und im Wesentlichen die Angaben für eine Klage enthalten; das Risiko des Prozessverlustes trug der klagende Verband (Klicka/Leupold, VbR 2018/115).

[22] 4.4 Nach § 610 Abs 3 dZPO konnte ein angemeldeter Verbraucher „ab dem Tag der Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage“ gegen „den Beklagten“, also das in einem Musterfeststellungsverfahren beklagte Unternehmen, keine Klage erheben, deren Gegenstand denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betraf (näher zu dieser „Sperrwirkung“ Menges in MünchKomm, ZPO6 § 608 Rz 1 und § 610 Rz 2 ff; Henrich in Bamberger/Roth/Hau/Posch, BGB5 § 204 Rz 22; auch Klicka/Leupold, VbR 2018/115). Bereits anhängige Individualprozesse waren von Amts wegen „auszusetzen“, wenn der Verbraucher seinen Anspruch zum Klageregister anmeldete (Menges in MünchKomm, ZPO6 § 613 Rz 5 mwN; Henrich in Bamberger/Roth/Hau/Posch, BGB5 § 204 Rz 22). Ein gerichtlicher Vergleich in einem Musterfeststellungsverfahren konnte gemäß § 611 Abs 1 dZPO auch mit Wirkung für und gegen die angemeldeten Verbraucher geschlossen werden, wobei allerdings § 611 Abs 4 dZPO jedem Verbraucher innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung eines solchen Vergleichs die Möglichkeit eines „Austritts“ einräumte (zu den Voraussetzungen und Wirkungen eines solchen Vergleichs Menges in MünchKomm, ZPO6 § 611 Rz 7 ff mwN).

[23] 4.5 Zufolge § 204 Abs 1 BGB wird im deutschen materiellen Recht allgemein die Verjährung von Ansprüchen durch die Erhebung einer Klage (Rechtsverfolgung) gehemmt. Gleiches galt gemäß § 204 Abs 1 Z 1a BGB ausdrücklich für die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zur Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hatte, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde lag wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage. Gemäß § 204 Abs 2 BGB endet allgemein die Hemmung der Verjährung sechs Monate „nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens“. Im zweiten Satz dieser Bestimmung war außerdem geregelt, dass die Hemmung der Verjährung auch sechs Monate nach der Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister endete (§ 204 Abs 2 Satz 2 BGB). Die Regelung des § 204 Abs 1 Z 1a BGB sollte – wie bereits erwähnt – sicherstellen, dass angemeldete Verbraucher, die den Ausgang des Verfahrens über die Musterfeststellungsklage abwarteten, nicht durch den Ablauf von Verjährungsfristen daran gehindert würden, ihren Anspruch gerichtlich durchzusetzen (Grothe in MünchKomm, BGB9 § 204 Rz 31).

[24] 5. Für das materielle österreichische Recht, das keine vergleichbare Bestimmung über eine Hemmung der Verjährung durch ein als Musterprozess geführtes Verfahren enthält, befürworten Klicka/Leupold (Deutsche Musterfeststellungsklage und grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung, VbR 2018/115) eine die Verjährung gemäß § 1497 ABGB unterbrechende Wirkung der Anmeldung von Fahrzeughaltern zu der beim Oberlandesgericht Braunschweig eingebrachten Musterfeststellungsklage: Nach Ansicht der Autoren stehe diese Anmeldung generell „in wertender Betrachtung“ den Rechtsakten einer Klage, eines Zwischenfeststellungsantrags oder dem Anschluss als Privatbeteiligter in einem Strafverfahren gleich und sie entspreche auch funktional einer Klage, weil sie auch deren Inhalt aufweisen müsse. Ähnlich meint Kolba (Unrecht darf sich lohnen – oder etwa doch nicht? ecolex 2019, 305), österreichische Geschädigte hätten sich dem Musterfeststellungsverfahren beim Klageregister anschließen können, „ohne Verjährung befürchten zu müssen“, weil die Verjährung bereits durch die Erhebung der Musterfeststellungsklage gehemmt worden sei. Dieser Ansicht ist im Ergebnis zuzustimmen:

[25] 6.1 Die Verjährung wird gemäß § 1497 ABGB durch eine Klage und deren gehörige Fortsetzung unterbrochen. Auch eine vom Geschädigten (zunächst) im Ausland eingebrachte Klage kann – wie dargelegt (vgl 2.3) – unter bestimmten Voraussetzungen die Verjährungsfrist unterbrechen, wobei diese Wirkung im Fall eines aus prozessualen Gründen „gescheiterten“ (nicht inhaltlich durchgeführten) ausländischen Verfahrens aufrecht bleibt, wenn das inländische Verfahren daraufhin unverzüglich eingeleitet oder fortgesetzt wird.

[26] 6.2 Auch die Beteiligung der österreichischen Fahrzeughalter am deutschen Musterfeststellungsverfahren der VZBV war ein „Belangen“ der Beklagten im Sinn des § 1497 ABGB. Für den belangten Schuldner (Hersteller) war damit klargestellt, dass die beteiligten Fahrzeughalter gegen ihn vorgehen, sodass der Hersteller keines verjährungsrechtlichen Schutzes mehr vor Überraschung und Beweisnot bedurfte (vgl dazu 2.4).

[27] 6.3 Die Fahrzeughalter haben mit der Anmeldung zum Klageregister dem deutschen Bundesamt für Justiz „in Textform“ ihre persönlichen Daten bekannt gegeben. Dies hatte (unter anderem) gemäß § 610 Abs 3 dZPO zur Folge, dass sie während des laufenden Verfahrens über die Musterfeststellungsklage in Deutschland keine Klage gegen die Herstellerin hätten erheben und ein schon begonnenes (gemäß § 613 Abs 2 dZPO vom Gericht auszusetzendes) Verfahren nicht hätten fortsetzen können (zur „Sperrwirkung“ der Musterfeststellungsklage vgl 4.4). Die Frage der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte (Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs) in den Abgasmanipulationsfällen klärte der EuGH erst in seinem Urteil vom 9. Juli 2020 zu C‑343/19 , VKI gegen Volkswagen AG (dazu etwa 4 Ob 116/23x mwN). Eine Rechtsverfolgung gegen die beklagte Herstellerin in Deutschland wäre daher während des bis Ende April 2020 beim Oberlandesgericht Braunschweig anhängigen Musterfeststellungsverfahrens durchaus in Betracht zu ziehen, aber nicht gleichzeitig mit der Beteiligung zulässig gewesen. Diese Sperrwirkung war allerdings nach materiellem deutschen Recht kombiniert mit dem gesondert geregelten Schutz der Fahrzeughalter durch die sechsmonatige „Nachfrist“, die ex lege erst mit der Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens zu laufen begann, kombiniert und abgefedert. Ein vergleichbarer und auch sachlich gebotener Schutz potentiell geschädigter österreichischer Fahrzeughalter war dagegen nach materiellem österreichischen Recht nicht ausdrücklich vorgesehen, sondern ist nur über die konsequente Anwendung der zu § 1497 ABGB entwickelten Grundsätze erzielbar.

[28] 6.4 Auf die nach dem außergerichtlichen Vergleich der Beklagten mit der deutschen VZBV, von dem österreichische Fahrzeughalter gerade nicht profitieren, erklärte Rückziehung der Musterfeststellungsklage in Deutschland hatte der Kläger keinerlei Einfluss. Der Beklagten mag zwar kein allenfalls gegen Treu und Glauben verstoßendes Verhalten vorgeworfen werden können, mit dem sie die Fahrzeughalter „geradezu davon abgehalten“ hätte, durch fristgerechte Einklagung der Verjährung ihrer Ansprüche vorzubeugen. Allerdings waren doch sämtliche österreichische Fahrzeughalter während der Laufzeit des Musterfeststellungsverfahrens beim Oberlandesgericht Braunschweig durch ihre Beteiligung daran aufgrund der deutschen Rechtslage an einer Klageführung in Deutschland schon ex lege gehindert. Dies gebietet geradezu einen dem früheren § 204 Abs 1 Z 1a BGB tendenziell ähnlichen Schutz auch der österreichischen Fahrzeughalter.

[29] 6.5 Für diesen Zugang spricht außerdem eine europarechtliche Zielsetzung: Die – in Österreich nach wie vor nicht umgesetzte – Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (im Folgenden: Verbandsklagen‑RL) sieht unter anderem vor, dass die Mitgliedstaaten die gegenseitige Anerkennung der Klagebefugnis qualifizierter Einrichtungen, die für die Zwecke grenzüberschreitender Verbandsklagen benannt werden, sicherzustellen haben (ErwGr 32 und Art 6 der Verbandsklagen‑RL). Die Mitgliedstaaten haben außerdem gemäß Art 16 Abs 1 der Verbandsklagen‑RL dafür zu sorgen, dass eine anhängige Verbandsklage für die davon betroffenen Verbraucher eine Hemmung oder Unterbrechung der anwendbaren Verjährungsfristen bewirkt, „sodass diese Verbraucher nicht dadurch daran gehindert werden, danach Klage zur Erwirkung von Abhilfeentscheidungen (...) zu erheben, dass während der Verfahrensdauer einer Verbandsklage zur Erwirkung einer Unterlassungsentscheidung Verjährungsfristen abgelaufen sind“ (ähnlich auch ErwGr 65 der Verbandsklagen-RL). Die Verbandsklagen‑RL betrifft zwar laut ihrem ErwGr 66 ausdrücklich erst „Verstöße“ ab dem 25. Juni 2023, doch ist die Zielsetzung eindeutig: Die Klärung von Tatsachen‑ und Rechtsfragen im Wege des kollektiven Rechtsschutzes in Massenschadensfällen soll den individuellen Rechtsschutz von Verbrauchern nicht durch einen drohenden Verjährungsablauf schmälern.

[30] 7. Aufgrund dieser Überlegungen kommt der Senat zu folgendem Ergebnis:

[31] 7.1 Die Beteiligung eines österreichischen Fahrzeughalters am deutschen Musterfeststellungsverfahren bewirkt selbst nach Zurückziehung der dortigen Klage – den allgemein zu § 1497 ABGB entwickelten Grundsätzen folgend – die Unterbrechung der Verjährung dann, wenn der Fahrzeughalter seine Ansprüche innerhalb einer angemessenen Frist ab der Kenntnis von der Beendigung des deutschen Verfahrens über die Musterfeststellungsklage geltend macht. Bei der Beurteilung, ob eine „gehörige Fortsetzung“ vorliegt oder nicht, sind – wie auch sonst nach § 1497 ABGB – die Dauer und die Gründe einer allfälligen Untätigkeit zu berücksichtigen (vgl RS0034849 [T3]; RS0034805 [T29]; RS0034765 [T33]).

[32] 7.2 Im vorliegenden Fall hat der Kläger nach seinem Vorbringen „erst nach dem 11. Jänner 2017“ erfahren, dass durch das Software‑Update entgegen seinen Erwartungen keine Mängelbehebung erfolgte. Eine Feststellung zu diesem Zeitpunkt hat das Erstgericht zwar nicht getroffen, allerdings ist auch unter der Annahme, dass der Kläger diese „Entdeckung“ vor dem 19. Juni 2017 und damit mehr als drei Jahre vor Einbringung der Klage gemacht haben sollte, sein Begehren nicht verjährt: Die Zurückziehung der Klage durch die VZBV erfolgte nämlich am 30. April 2020 und der Kläger brachte dann bereits am 19. Juni 2020 die Klage ein. Die Beurteilung der Vorinstanzen, diese Vorgangsweise sei als „gehörige Fortsetzung“ nach der Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens anzusehen, ist bei dieser zeitlichen Abfolge zutreffend. Dieser Zeitraum ist dem Kläger bei der damals gegebenen komplexen Rechtslage jedenfalls für eine zielgerichtete Information über die weiter gebotene Vorgehensweise und die Beauftragung eines Rechtsanwalts zuzugestehen. Die geltend gemachten Ansprüche sind daher nicht verjährt.

[33] 8.1 Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

[34] 8.2 Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs 4 ZPO. Dieser gilt nach ständiger Rechtsprechung auch für das Zwischenurteil zur Verjährung nach § 393a ZPO (RS0128615).

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