OGH 7Ob38/24z

OGH7Ob38/24z17.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T* G*, vertreten durch die Goldsteiner Rechtsanwalt GmbH in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Mag. R* J*, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 173.820,42 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Jänner 2024, GZ 14 R 137/23d‑19, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00038.24Z.0417.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der beklagte Notar errichtete für H* W* (in der Folge Erblasser) am 21. Februar 2018 ein fremdhändiges Testament. Der Testamentsentwurf bestand aus zwei losen, mit Text bedruckten Blättern. Der letzte Textabsatz auf der Rückseite des ersten Blattes wurde auf dem zweiten Blatt fortgesetzt und lautete wie folgt:

„Vorstehendes Testament, welches mir in gleichzeitiger und ununterbrochener Gegenwart der drei ersuchten Zeugen […] des letzten Willens vorgelesen wurde, habe ich meinem letzten Willen entsprechend vollinhalt-“

[Blattumbruch]

„lich anerkannt und sodann eigenhändig vor ihnen und unter deren Mitfertigung unterschrieben.“

[2] Zum Zeitpunkt der Unterfertigung durch den Erblasser und die Zeugen bestand das Testament nach wie vor aus zwei losen Blättern. Diese Unterfertigung fand im Rahmen eines Hausbesuchs beim Erblasser statt. Die beiden losen Blätter des Testaments wurden erst nachträglich in der Kanzlei des Notars zusammengenäht.

[3] Der Erblasser verstarb am 13. Dezember 2018. In dem in weiterer Folge geführten Erbrechtsstreit im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens verneinten das Erst‑ und das Rekursgericht die „äußere Urkundeneinheit“ des Testaments, bejahten aber dessen „innere Urkundeneinheit“. Der Oberste Gerichtshof verneinte hingegen die „innere Urkundeneinheit“, was die Ungültigkeit des Testaments zur Folge hatte. Die „äußere Urkundeneinheit“ war nicht mehr Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens (2 Ob 29/22m).

[4] Die Klägerin begehrt Zahlung von 173.820,42 EUR an Schadenersatz bestehend aus 150.000 EUR für ein Legat in dieser Höhe aus dem für ungültig erkannten Testament sowie Verfahrenskosten von insgesamt 23.820,42 EUR. Der Beklagte habe es bei Errichtung des Testaments sorgfaltswidrig unterlassen, die „äußere Urkundeneinheit" vor dem Testierakt herzustellen. Auf die „innere Urkundeneinheit" habe er nicht vertrauen dürfen. Nach der Entscheidung 2 Ob 192/17z wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, das formungültige Testament bis zum Tod des Erblassers zu sanieren

[5] Der Beklagte beantragt Klageabweisung. Ihn treffe kein Verschulden, weil er die Verschärfung der Judikatur des Obersten Gerichtshofs trotz Anwendung der einem Notar gebotenen Sorgfalt bis zum Tod des Erblassers nicht vorhersehen habe können.

[6] Das Erstgericht gab der Klage im Umfang von 166.086,54 EUR statt und wies lediglich einen Teil der geltend gemachten Verfahrens- und Vertretungskosten ab. Dem Beklagten sei die Nichteinhaltung sowohl der äußeren als auch der inneren Urkundeneinheit vorwerfbar. Nach der Entscheidung 2 Ob 192/17z hätte er zudem Anhaltspunkte für eine mögliche Ungültigkeit des Testaments haben können und wäre ab Juli 2018 verpflichtet gewesen, einen Versuch der Sanierung der Formungültigkeit vorzunehmen.

[7] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Beklagten Folge und wies die Klage zur Gänze ab. Der Beklagte habe im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments keine Anhaltspunkte aus dem Gesetz, der Rechtsprechung oder der Lehre haben können, dass das Testament ungültig sein könnte. Auch nach der Entscheidung 2 Ob 192/17z habe er weiterhin vertretbar davon ausgehen dürfen, dass er die Blätter des Testaments formgültig zu einer Gesamturkunde zusammengefügt habe. Bis zum Tod des Erblassers habe der Beklagte daher vertretbar von der Formgültigkeit des Testaments ausgehen dürfen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin.

[9] 1.1. Der Notar ist gemäß §§ 38 f NO zur sorgfältigen Führung seines Amtes verpflichtet. Er haftet für den Schaden, der durch eine Verletzung von Amtspflichten entsteht, persönlich. Die Verantwortlichkeit des Notars ist nach § 1299 ABGB zu beurteilen. Nach dieser Bestimmung hat der Notar für den Fleiß und die Kenntnisse, die seine Berufsgenossen gewöhnlich haben und nach den sie verpflichtenden berufsrechtlichen Vorschriften der Notariatsordnung auch haben sollen, einzustehen (9 Ob 30/07p mwN; 7 Ob 113/20y; jüngst 7 Ob 173/23a). Dabei dürfen die Anforderungen an seine Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden (RS0026584). Ob ein Notar im Einzelfall die gebotene Sorgfalt eingehalten hat, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls geprüft werden und stellt regelmäßig keine Frage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (vgl zum Rechtsanwalt RS0026584 [T21]).

[10] 1.2. Gründet sich der Rechtswidrigkeitsvorwurf auf die Behauptung der unrichtigen Anwendung gesetzlicher Bestimmungen, so ist – bei Unklarheiten über die Tragweite des Wortlauts und fehlender einschlägiger Spruchpraxis – ein Verschulden nur dann anzunehmen, wenn bei pflichtgemäßer Überlegung das erzielte Auslegungsergebnis nicht mehr als vertretbar bezeichnet werden kann (8 Ob 28/20f; 4 Ob 214/20d). Die Fehlbeurteilung einer komplizierten Materie kann nämlich nicht ohne weiteres als Sorgfaltsverletzung angelastet werden (RS0026732). Ein Rechtsanwalt haftet aber, wenn bei einer strittigen, noch nicht höchstgerichtlich entschiedenen Frage weder Schrifttum noch Materialien für die gewählte Auslegung Anhaltspunkte bieten (9 Ob 508/94; 6 Ob 116/05k). Im Rahmen seiner beratenden außergerichtlichen Tätigkeit (Kautelarjurisprudenz) hat der Rechtsanwalt nach Möglichkeit den gefahrloseren Weg zu gehen und nicht eine risikoreiche Rechtskonstruktion zu wählen, sofern die Parteien trotz Belehrung nicht auf einem bestimmten Vorgang beharren (6 Ob 116/05k; 4 Ob 197/08m). Diese Grundsätze gelten auch für die Haftung eines Notars (vgl RS0026732 [T4]; 3 Ob 35/02x).

[11] 2.1. Zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 sprach die Rechtsprechung zu eigenhändigen Testamenten (§ 578 ABGB aF) aus, dass bei Verwendung mehrerer loser Blätter zwar nicht jede Seite unterfertigt werden, doch zwischen den unterfertigten und nicht unterfertigten Teilen ein räumlicher oder inhaltlicher Zusammenhang bestehen muss, sodass von einem einheitlichen Schriftstück gesprochen werden kann (5 Ob 1571/94; 4 Ob 29/04z = RS0018303 [T1]).

[12] 2.2. In der Entscheidung 2 Ob 192/17z vom 26. Juni 2018, veröffentlicht im RIS seit 24. Juli 2018, führte der Fachsenat aus, dass für die Formgültigkeit eines fremdhändigen Testaments im Sinn des § 579 ABGB idF vor dem ErbRÄG 2015 jedenfalls zu fordern ist, dass ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den mehreren losen Blättern zum Ausdruck kommt, wie er in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bei Verwendung mehrerer loser Blätter für die Gültigkeit eines eigenhändigen Testaments als notwendig erachtet wird. Dazu könnte neben der Fortsetzung des Textes auch ein – vom Testator unterfertigter – Vermerk auf dem zusätzlichen Blatt mit Bezugnahme auf seine letztwillige Verfügung ausreichend sein. Nach dem in diesem Fall zu beurteilenden Sachverhalt hatten die Zeugen auf einem losen Blatt unterschrieben, das später mittels einer Büroklammer mit der Testamentsurkunde zusammengefügt worden ist. Irgendeinen von der dortigen Erblasserin unterfertigten Hinweis auf die Existenz eines zweiten Blattes als Träger ihres letzten Willens enthielt das von den Zeugen unterfertigte Blatt nicht, sodass der Oberste Gerichtshof die Voraussetzung eines inhaltlichen Zusammenhangs verneinte.

[13] 2.3.1. § 579 ABGB idF des ErbRÄG 2015 lautet: Eine von ihm nicht eigenhändig geschriebene letztwillige Verfügung muss der Verfügende in Gegenwart von drei gleichzeitig anwesenden Zeugen eigenhändig unterschreiben und mit einem eigenhändig geschriebenen Zusatz versehen, dass die Urkunde seinen letzten Willen enthält (Abs 1). Die Zeugen, deren Identität aus der Urkunde hervorgehen muss, haben auf der Urkunde mit einem auf ihre Eigenschaft als Zeugen hinweisenden und eigenhändig geschriebenen Zusatz zu unterschreiben. Den Inhalt der letztwilligen Verfügung müssen sie nicht kennen (Abs 2).

[14] 2.3.2. Die Materialien führen zu dieser Bestimmung aus, dass einerseits um Missbrauch zu verhindern und andererseits um formungültige oder fehlerbehaftete letztwillige Verfügungen möglichst zu vermeiden, die Form der fremdhändigen Verfügungen in wenigen Punkten neu geregelt werden soll. Es werde vorgeschlagen, dass alle drei Zeugen gleichzeitig anwesend sein müssen und deren Identität aus der letztwilligen Verfügung hervorzugehen habe. Darüber hinaus soll das Erfordernis der „nuncupatio“, also der Bekräftigung des letztwillig Verfügenden vor den Zeugen, dass die Verfügung seinem letzten Willen entspreche, geändert werden. Der Verfügende müsse daher nunmehr eigenhändig den Zusatz schreiben, dass die Urkunde seinen letzten Willen enthalte, womit die Fälschungssicherheit erhöht werden solle (ErlRV 688 BlgNR 25. GP  9). Zur Voraussetzung des (inneren) Urkundenzusammenhangs für die Gültigkeit eines fremdhändigen Testaments finden sich in den Materialien keine Ausführungen.

[15] 2.4. In der Entscheidung 2 Ob 29/22m vom 26. April 2022 beurteilte der Fachsenat die Aussage in Vorentscheidungen, dass eine Fortsetzung des Textes zur Herstellung der inneren Urkundeneinheit ausreichend sei, als obiter dictum, und stellte unmissverständlich klar, dass die bloße Fortsetzung des Textes bei einer nicht handschriftlich verfassten fremdhändigen letztwilligen Verfügung nicht zur Herstellung innerer Urkundeneinheit genügt. Die Bejahung der für die Annahme der Formgültigkeit eines aus mehreren losen Blättern bestehenden fremdhändigen Testaments ausreichenden inneren Urkundeneinheit erfordert im (typischen) Fall einer nicht handschriftlich verfassten fremdhändigen letztwilligen Verfügung vielmehr einen – vom Testator unterfertigten – Vermerk auf dem zusätzlichen Blatt mit Bezugnahme auf seine letztwillige Verfügung.

[16] 3.1. Ausgehend davon zeigt die Revision nicht schlüssig auf, weshalb die Rechtsansicht des Beklagten, dass die bloße Fortsetzung des Textes bei einer nicht handschriftlich verfassten fremdhändigen letztwilligen Verfügung zur Herstellung eines inhaltlichen Zusammenhangs genügte, bereits im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts unvertretbar gewesen sein sollte. Sie führt dazu zunächst lediglich pauschal aus, die Ungültigkeit sei „aus dem Gesetz und den vorliegenden Gesetzesmaterialien sowie bei teleologischer Interpretation auch ohne die Entscheidung 2 Ob 192/17z bei Anwendung der gebotenen und dem Beklagten zumutbaren Sorgfalt ableitbar“. In diesem Sinne sei auch vor der Entscheidung 2 Ob 192/17z die herrschende Ansicht gewesen, dass beim fremdhändigen Testament alle Formvoraussetzungen in einem einheitlichen Testierakt erfüllt sein müssten.

[17] Die Frage der „Einheit des Testiervorgangs" bezieht sich auf den Zeitraum zwischen der Verfassung der letztwilligen Verfügung und ihrer Unterfertigung durch den Erblasser und die Zeugen (vgl Schauer, Die Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Formungültigkeit fremdhändiger Testamente – haftungsrechtliche Folgen für das Notariat, NZ 2021, 218 [230]; Tschugguel in Klang³ § 579 ABGB Rz 13 ff; Nemeth in Schwimann/Kodek 5 § 579 ABGB Rz 6). Inwiefern daraus die Ungültigkeit des hier gegenständlichen Testaments folgen sollte, legt die Revision nicht nachvollziehbar dar.

[18] 3.2. Die Klägerin argumentiert weiters, der Beklagte hätte sicherheitshalber keine losen Blätter, sondern einen Bogen verwenden und über alternative Testamentsformen aufklären müssen. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Beklagte im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vertretbar von der Übertragung der dargestellten Rechtsprechung zum eigenhändigen Testament auf fremdhändige Testamente (auch nach dem Inkrafttreten des ErbRÄG 2015) ausgehen durfteund im Übrigen keine konkreten Anhaltspunkte hatte, die gegen seine Rechtsansicht sprachen, zumal die Materialien zu § 579 ABGB idF des ErbRÄG 2015, dazu auf keine beabsichtigte Neuerungen verweisen.

[19] 3.3. Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, das die Rechtsansicht des Beklagten im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments als vertretbar beurteilte, zeigt die Revision somit nicht auf.

[20] 4. Die nach der Testamentserrichtung, aber vor dem Tod des Erblassers veröffentlichte Entscheidung 2 Ob 192/17z sprach ebenfalls nicht gegen die Rechtsansicht des Beklagten. In dieser führte der Oberste Gerichtshof nämlich ausdrücklich für fremdhändige Testamente aus, dass ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen mehreren losen Blättern (auch) durch die Fortsetzung des Textes hergestellt werden kann. Die Gültigkeit des Testaments verneinte der Fachsenat dort deshalb, weil der Text ausschließlich auf dem ersten Blatt geschrieben war und sich auf dem zweiten Blatt lediglich die Unterschrift der Testamentszeugen befand. Der Sachverhalt dieser Entscheidung ist daher entgegen der Revision keineswegs „ident“ mit dem vorliegenden Fall.

[21] Aus der zu dieser Entscheidung veröffentlichten Anmerkung von Welser geht nicht hervor, dass die beim hier gegenständlichen Testament erfolgte Textfortsetzung zu seiner Ungültigkeit führen könnte (Welser, Das Testament in losen Blättern, EF‑Z 2018, 230 [232]). Lediglich Tschugguel führt in seinem im Oktober 2018 veröffentlichten juristischen Trialog mit Rabl und Welser aus, dass die Entscheidung zwar auf die neue Rechtslage übertragen werden könne, der inhaltliche Zusammenhang durch Textfortsetzung in einer weiteren Entscheidung aber doch als problematisch erachtet werden könnte und meint, man solle bei bis zu vier Testamentsseiten generell einen Bogen verwenden (NZ 2018, 321 [324, 326]). Wenn das Berufungsgericht die Ansicht vertritt, man könne jedenfalls allein daraus eine Pflicht des Beklagten auf Überprüfung des Testaments bis zum Tod des Erblassers im Dezember 2018 nicht ableiten, bedarf dies ebenfalls keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof, zumal die Sorgfaltspflichten des Notars nicht überspannt werden dürfen.

[22] 5. § 48 NO regelt lediglich, wie mehrere Bögen miteinander zu verbinden sind, falls diese verwendet werden (vgl Schuller‑Köhler/Cach in Zib/Umfahrer, NO § 48 Rz 3 ff). Eine Pflicht des Notars, in jedem Fall einen Bogen statt mehreren losen Blättern zu verwenden, kann daraus aber nicht abgeleitet werden.

[23] 6. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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