OGH 9Ob508/94

OGH9Ob508/9421.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier, Dr.Petrag, Dr.Bauer und Dr.Steinbauer als weitere Richter, in der Rechtssache der klagenden Partei Mag.Brigitte M*****, ***** vertreten durch Dr.Walter Poschinger und Mag.Anita Taucher, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Dr.Hans W*****, ***** vertreten durch Dr.Otto Schubert sen. und Dr.Otto Schubert jun., Rechtsanwälte in Wien, wegen S 100.000 s.A., infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 7.Juni 1994, GZ 1 R 84/94-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 19.Februar 1994, GZ 17 Cg 43/93y-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.086,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.014,40 Umsatzsteuer) binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist nach der auf Grund des Übergabevertrages vom 2.8.1985 erfolgten Einverleibung zu einem Drittel grundbücherliche Eigentümerin der Liegenschaft EZ 876 KG L***** unter anderem mit dem Wohnhaus Q*****. Die weiteren Anteile stehen im Eigentum der zwei Geschwister der Klägerin. Anläßlich der Übergabe der Liegenschaft räumten die nunmehrigen Miteigentümer ihrer leiblichen Mutter Hertha H***** unter anderem das lebenslängliche Fruchtgenußrecht an der Liegenschaft ein, das grundbücherlich einverleibt wurde. Am 5.1.1992 verstarb Hertha H*****. Die Klägerin und ihre beiden Geschwister erteilten dem Beklagten eine Spezialvollmacht zur Vertretung im Verlassenschaftsverfahren. Bei einer Besprechung der Streitteile am 27.1.1992 wurde dem Beklagten der Inhalt des Übergabevertrages zur Kenntnis gebracht. Der Beklagte riet der Klägerin, eine Auseinandersetzung mit ihrem Vater zu vermeiden, weil dieser durch Prozeßführung die Möglichkeit hätte, Ansprüche aus dem Übergabevertrag (gemeint: Geltendmachung eines Schenkungspflichtteils) zu erheben. In der Verlassenschaftstagsatzung am 7.April 1992 machte Friedrich H***** Ansprüche auf die Ehewohnung geltend, in der er zeitweise gelebt hat. Der Beklagte hielt ihm vor, er besitze ein Haus, in dem er mit seiner Freundin lebe. Dies wurde vom Vater der Klägerin bestritten. Der Gerichtskommissär riet Friedrich H***** Ansprüche nach § 758 ABGB geltend zu machen. Die Behauptungen Friedrich H*****s konnte der Beklagte nicht widerlegen. Es standen allfällige Ansprüche desselben auf den Schenkungspflichtteil im Raum. Der Beklagte hatte keinen Auftrag von Friedrich H*****, den Auszug aus der Ehewohnung zu verlangen. Friedrich H***** erklärte sich zur Ausfolgung der von der Klägerin bezeichneten, von ihm eingezogenen Vermögensgegenstände bereit. Aus diesen Gründen sah der Beklagte keine Veranlassung mit der Klägerin Rücksprache zu halten. Friedrich H***** wurde daher der Gebrauch der Ehewohnung als Vorausvermächtnis nach § 758 ABGB eingeräumt.

Die Klägerin begehrt den der Höhe nach unstrittigen Schadenersatzbetrag von S 100.000 s.A. mit der Begründung, der Beklagte sei nicht bevollmächtigt gewesen, die Liegenschaft zu belasten, zumal die Wohnung (Ehewohnung) nicht in die Erbmasse gefallen sei. Dem Beklagten sei überdies mitgeteilt worden, daß Friedrich H***** gemeinsam mit seiner Freundin einen zweiten Wohnsitz habe.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach, wendete ein, von der Klägerin beauftragt gewesen zu sein eine prozessuale Auseinandersetzung mit ihrem Vater Friedrich H***** zu vermeiden. Wegen fehlender Rechtsprechung sei eine ungeklärte Rechtslage gegeben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und führte rechtlich aus, daß Hertha H***** die Ehewohnung auf Grund eines Servitutsrechtes bewohnt habe und dem überlebenden Ehegatten gemäß § 758 ABGB das Recht zustehe, in der ehelichen Wohnung weiter zu wohnen. Die Voraussetzungen des § 758 ABGB lägen daher vor, auch wenn die Dienstbarkeit mit dem Tod der Erblasserin weggefallen sei. Eine pflichtwidrige Vollmachtsausübung liege nicht vor, weil zu der damaligen Zeit keine Judikatur bestand und die neue Gesetzesstelle in der Lehre unterschiedlich interpretiert würde. Außerdem hätte Friedrich H***** Pflichtteilsergänzungsansprüche aus dem Übergabevertrag geltend gemacht.

Das Gericht der zweiten Instanz änderte über Berufung der Klägerin dieses Urteil dahin ab, daß es den Anspruch der Klägerin bejahte. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Voraussetzung für das gesetzliche Vorausvermächtnis des Wohnrechtes sei, daß die Wohnung oder die entsprechende Berechtigung zur Benützung derselben dem Erblasser zugestanden ist und daher zum Nachlaß gehört. Rechte an der Wohnung, die mit dem Tod des Erblassers erlöschen, wie ein dingliches Wohnrecht oder das Recht an einer Dienstwohnung erfüllten daher nicht die Voraussetzungen des § 758 nF ABGB. Das Recht des Fruchtgenusses endete mit dem Tod der Hertha H*****. Es fiel die Ehewohnung oder eine entsprechende Berechtigung nicht in den Nachlaß. Daher könne auch kein gesetzliches Vorausvermächtnis entstanden sein. Der Beklagte wäre verpflichtet gewesen, nach Geltendmachung des Vorausvermächtnisses durch den erblasserischen Witwer die Gesetzesmaterialien zu § 758 ABGB zu lesen, aus denen hervorgegangen wäre, daß Rechte an der Wohnung, die mit dem Tod des Erblassers erlöschen, nicht Gegenstand des gesetzlichen Vorausvermächtnisses sein könnten. Es liege sohin ein Sorgfaltsverstoß im Sinne des § 1299 ABGB vor, der das Schadenersatzbegehren der Klägerin rechtfertige.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache. Es wird die Abänderung im Sinne einer Klageabweisung begehrt. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung die Bestätigung des angefochtenen Urteils.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes zulässig, weil zu der Frage, ob bei einem auf Grund einer persönlichen Dienstbarkeit bestehenden Wohnrecht des verstorbenen Ehegatten das gesetzliche Vorausvermächtnis des Wohnrechtes des überlebenden Ehegatten besteht, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt.

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Gemäß § 758 ABGB idF ErbRÄG BGBl 1989/656 gebühren dem überlebenden Ehegatten, soferne er nicht rechtmäßig enterbt worden ist, als gesetzliches Vorausvermächtnis das Recht, in der Ehewohnung weiter zu wohnen und die zum ehelichen Haushalt gehörenden beweglichen Sachen, soweit sie zu dessen Fortführung entsprechend den bisherigen Lebensverhältnissen erforderlich sind. Die Erweiterung des gesetzlichen Vorausvermächtnisses um das Recht, in der Ehewohnung weiter zu wohnen, ist am 1.1.1991 in Kraft getreten. Durch dieses Vorausvermächtnis sollen nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers (1158 BlgNR 17.GP 3 f) dem überlebenden Ehegatten seine bisherigen Lebensverhältnisse erhalten und gesichert werden. Das gesetzliche Vorausvermächtnis greift nur ein, wenn der überlebende Ehegatte das Recht auf Benützung der Ehewohnung nicht durch andere erbrechtliche Sonderregelungen (MRG, WEG, WGG) erwirbt. Das gesetzliche Vorausvermächtnis gewährt einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben oder den sonst durch das Vermächtnis Beschwerten. Der Anspruch des überlebenden Ehegatten bleibt in Ansehung der Ehewohnung inhaltlich gleich; sein bisheriges gegen den Ehegatten zustehendes Benützungsrecht setzt sich als Anspruch gegen den Vermächtnisschuldner fort (Eccher, Zum neuen Wohnrecht des überlebenden Ehegatten, WoBl 1991, 1 ff [5]). Der Umfang des Benützungsrechtes an einer Ehewohnung richtet sich daher nach den tatsächlichen Verhältnissen zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers (7 Ob 561/93).

Das Recht in der Wohnung weiter zu wohnen ist ein gesetzliches Vorausvermächtnis mit Pflichtteilscharakter und unterliegt grundsätzlich den Regeln des Vermächtnisrechts (1158 BlgNR 17.GP, 4; Kralik, Erbrecht, 246; Adensamer, Erbrechtsänderungsgesetz 1989 ÖAV 1991, 6 [8], Eccher aaO 4, Welser Die Erbrechtsreform 1989, NZ 1990 H 6 142). Als Vermächtnis muß die vermachte Sache oder das Recht bis zum sachenrechtlichen Erwerb zunächst zum Nachlaß gehören (Koziol/Welser, Grundriß9 II 362; Adensamer aaO, 8; Welser aaO 142). Zur Verschaffung des Wohnrechts aus eigenen Mitteln ist der Erbe nicht verpflichtet (Welser aaO 142). Ebenso muß der Erbe keine Sachen verschaffen, die der Erblasser nicht hatte (1158 BlgNR 17.GP, 4; Kralik aaO 247).

Gegenstand des Vermächtnisses muß daher grundsätzlich ein vererbliches Recht sein. Persönliche Dienstbarkeiten wie Fruchtgenuß, Wohnungsrecht und Gebrauchsrecht erlöschen aber nach § 529 ABGB im Zweifel mit dem Tod des Berechtigten (Welser aaO 168; Welser in Rummel ABGB2 Rz 6 zu § 831; NZ 1981, 25; 1 Ob 55/81), sodaß ein solches Recht nicht mehr in den Nachlaß fällt.

Da das gesetzliche Vorausvermächtnis einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben oder dem sonst durch das Vermächtnis Beschwerten einräumt (7 Ob 561/93) muß die Verfügungsberechtigung dieser Personen über dieses Nachlaßvermögen gegeben sein (Eccher aaO, 4). Ist das Recht nicht im Nachlaß enthalten, ist das gesetzliche Vorausvermächtnis aber wie das Vermächtnis einer fremden Sache (die nicht in den Nachlaß fällt) nach § 662 ABGB wirkungslos (1158 BlgNR

17. GP, 5; Kralik aaO 223; Adensamer aaO 8; Eccher aaO 4) und kann die daraus abgeleitete Berechtigung zum Wohnen vom Erben nicht eingeräumt werden.

Kann auch der durch die tatsächlichen Benützungsverhältnisse bestimmte Umfang des gesetzlichen Vorausvermächtnisses an der Ehewohnung nicht durch eine vertragliche Vereinbarung zwischen Erblasser und dem mit diesem Vermächtnis Belasteten eingeschränkt werden (7 Ob 561/93), so setzt dies voraus, daß überhaupt ein in den Nachlaß fallendes Recht, über das der verstorbene Ehegatte verfügen konnte, vorhanden ist, was aber bei einer persönlichen Dienstbarkeit, die mit dem Tod des Berechtigten endet, auszuschließen ist.

Bei Auslegung von gesetzlichen Vorschriften ist zur Frage der Haftung für eine unrichtige Auslegung grundsätzlich zu prüfen, ob sich zu einer bestimmten Rechtslage bereits eine Spruchpraxis gebildet hat (Die Haftung der rechtsberatenden Berufe im Spiegel der Rechtsprechung, Fenzl/Völkl/Völkl in ÖJZ 1989, 515 mwN und Völkl/Völkl in ÖJZ 1991, 619 mwN). Eine Haftung für eine unrichtige aber vertretbare Gesetzesauslegung, auch wenn sie in der Folge vom Gericht nicht geteilt wird, tritt in der Regel nicht ein. Vertretbar ist eine Rechtsmeinung dann, wenn sie in der Rechtsprechung, wobei allerdings höchstgerichtliche Rechtsprechung ausschlaggebend ist, und Lehre bereits geäußert wurde (8 Ob 555/91 mwN). Berücksichtigt man im vorliegenden Fall, daß zwar eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der strittigen Frage nicht bestand, so ist eine irrige Gesetzesauslegung jedoch dann vorwerfbar, wenn die Literatur und die Gesetzesmaterialien für die vorgenommene Auslegung keinen Anhaltspunkt liefern, weil nicht nur der allgemeine Sprachgebrauch für die Gesetzesauslegung maßgeblich sein kann (Koziol, Haftpflichtrecht2 II, 191 f). Die Absicht des Gesetzgebers, dem grundsätzlich in vielen Rechtsbereichen vorgegebenen Schutz des überlebenden Ehegatten in seinem existenziellen Wohnbedürfnis auch auf nicht geschützte Bereiche (subsidiär, lückenfüllend) auszudehnen (1158 BlGNR 17.GP, 3; Schauer, Neues Erbrecht ab 1991 RdW 1990, 70 [71], Adensamer aaO 8; Welser aaO 142, Eccher aaO 3) darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Gesetzgeber bewußt die Regeln des Vermächtnisrechtes auch auf dieses gesetzliche Vorausvermächtnis angewendet wissen wollte. Darauf weisen nicht nur die genannte Literatur, sondern auch die Gesetzesmaterialien hin. Weil das Recht zur Benützung der Ehewohnung im vorliegenden Fall nicht in den Nachlaß fiel, war für die vom Beklagten gewählte Auslegungsvariante keine Grundlage vorhanden, sodaß auch ohne Überspannung der Sorgfaltspflicht der Beklagte für den Mangel der gewöhnlichen Gesetzes- und Rechtsliteraturkenntnis, die bei seinen Fachgenossen gewöhnlich vorausgesetzt werden kann, einzustehen hat (SZ 58/176; AnwBl 1991, 118, 120; 8 Ob 555/91; 8 Ob 664/92). Ein Fall einer vertretbaren Gesetzesauslegung liegt daher nicht vor.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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