OGH 7Ob173/23a

OGH7Ob173/23a11.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen I. der klagenden Partei Ö* Partnerschaft, *, vertreten durch Mag. Thomas Reisch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. N* GmbH, *, und 2. Dr. W* W*, vertreten durch die Wetzl Pfeil & Partner Rechtsanwälte GmbH in Steyr, wegen 16.558,12 EUR sA (AZ 2 C 126/22z des Erstgerichts, führendes Verfahren), II. der klagenden Partei Ö* Partnerschaft, *, vertreten durch Mag. Thomas Reisch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. N* GmbH, *, und 2. Dr. W* W*, vertreten durch die Wetzl Pfeil & Partner Rechtsanwälte GmbH in Steyr, wegen 3.306,86 EUR sA (AZ 2 C 146/22s), und III. der klagenden Partei Ö* Partnerschaft, *, vertreten durch Mag. Thomas Reisch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. S* GmbH, *, und 2. Dr. W* W*, vertreten durch die Wetzl Pfeil & Partner Rechtsanwälte GmbH in Steyr, wegen 5.063,14 EUR sA (AZ 2 C 214/22s), über die Rekurse der klagenden und der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr als Berufungsgericht vom 27. Juli 2023, GZ 2 R 55/23y‑23, womit das Urteil des Bezirksgerichts Steyr vom 25. April 2023, GZ 2 C 126/22z (AZ 2 C 146/22s, 2 C 214/22s)‑18, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00173.23A.1211.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

I. Der Rekurs der klagenden Partei wird in Ansehung der Klagsforderungen von 1.158,10 EUR, 1.610,66 EUR (AZ 2 C 126/22z) und 3.306,86 EUR (AZ 2 C 146/22s) zurückgewiesen.

II. Im Übrigen wird den Rekursen nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.

 

Begründung:

[1] Mit Kauf‑ und Abtretungsverträgen vom 23. Dezember 2020 wurden von Dr. S* und der ihm wirtschaftlich zuordenbaren S* Privatstiftung Geschäftsanteile an diversen Gesellschaften an die Beklagten abgetreten.

[2] Der Rechtsvertreter der Verkäuferseite nahm zum Zweck der Solennisierung (Mantelung) dieser Verträge am 22. Dezember 2021 Kontakt mit dem öffentlichen Notar Dr. D* (in der Folge Notar) auf. Zuvor bestand keinerlei Auftrags‑ oder Naheverhältnis zwischen den Vertragsteilen und der Klägerin. Der für die Klägerin handelnde Notar wurde auch von den Beteiligten der jeweiligen Verfahren beauftragt und gebeten, am 23. Dezember 2021 zwischen 17:00 und 18:00 Uhr in den Kanzleiräumlichkeiten des Rechtsvertreters der Verkäuferseite Abtretungsverträge zu beurkunden. Der Termin wurde schließlich für 20:00 Uhr angesetzt. Etwa eine halbe Stunde zuvor wurden die Vertragsentwürfe erstmals an den Notar übermittelt.

[3] Beim Termin waren Dr. S* und dessen Rechtsvertreter für die Verkäuferseite sowie der Zweitbeklagte für die Käuferseite anwesend. Letzterer war zu diesem Zeitpunkt Geschäftsführer sämtlicher Erstbeklagter und an diesen unmittelbar oder mittelbar über seine Stiftung zu 50 % beteiligt.

[4] Beim Termin wurden noch Veränderungen vorgenommen, in deren Formulierung der Notar miteinbezogen wurde, insbesondere betreffend eine aufschiebende Bedingung. Die Verträge wurden um ca 21:00 Uhr durch den Notar verlesen. Die Verlesung dauerte rund eine Stunde. Die Verträge wurden dann unterfertigt, woraufhin der Notar in die Kanzlei fuhr, um Geschäftszahlen zu reservieren. Am 24. Dezember 2021 gegen 0:30 Uhr verließ er die Amtskanzlei.

[5] Der Notar überprüfte die Berechtigungen der Anteilsinhaber vorweg, weil im Vorfeld bekannt war, welcher Anteilsinhaber an welche Person abtreten soll. Auch die Firmenbuchauszüge überprüfte er. Er achtete darauf, dass die Abtretungen rechtswirksam beurkundet sind. Eine weitere eingehende inhaltliche Prüfung der Verträge erfolgte nicht durch den Notar. Es war ihm bewusst, dass es sich bei der Net-Debt-Berechnung um eine übliche Formel handelt. Der Notar konnte – wie jeder andere Außenstehende – nicht beurteilen, welche Verbindlichkeiten zwischen den einzelnen Gesellschaften bzw Gesellschaftern zum Zeitpunkt der Unterfertigung der Abtretungsverträge bestanden, insbesondere auch, ob neben den ausdrücklich genannten Gesellschafterdarlehen noch sonstige Verbindlichkeiten bestanden oder nicht. Bei der Verlesung hatte er keine Zweifel daran, dass die Formulierung von den Parteien so gewünscht und auch akkordiert war.

[6] Beim Termin der Unterfertigung lagen die erforderlichen Vollmachten nur in Kopie vor. Es wurde besprochen, dass der Mantelakt zwar abgeschlossen, die Ausfertigung jedoch erst überreicht werden kann, wenn die Originalvollmacht nachgereicht wird. Nach Vorlage der entsprechenden Vollmacht war daher eine weitere Prüfung durch den Notar erforderlich.

[7] Die Kommunikation im Vorfeld des Unterfertigungstermins erfolgte ausschließlich zwischen dem Notar und dem Rechtsvertreter der Verkäuferseite; dies auch im Auftrag der Beklagten.

[8] Nach dem Willen sämtlicher Vertragsparteien mussten die Verträge jedenfalls noch am 23. Dezember 2021 unterfertigt werden. Dieser besondere Zeitdruck ergab sich daraus, dass zwischen Dr. S* und dem Zweitbeklagten eine diffizile Atmosphäre herrschte und zu diesem Zeitpunkt gerade ein Einigungswille bestand, der ansonsten nicht vorhanden war. Die Höhe des Honorars des Notars spielte für die Parteien keine Rolle. Vielmehr waren die Vertragsteile froh, überhaupt einen Notar gefunden zu haben, welcher bereit war, die Beurkundung am Vorabend von Weihnachten vorzunehmen.

[9] Die Kauf‑ und Abtretungsverträge haben auszugsweise folgenden Inhalt:

III.

Kauf‑ und Abtretungspreise

(1) Die Kauf‑ bzw Abtretungspreise werden aufgrund der folgenden Kaufpreisformel ('Net-Debt-Berechnung') zum Übergangsstichtag (01.03.2021) wie folgt berechnet:

Ausgegangen wird von einem Transaktionswert ('Asset Value') von EUR [zB 800.000,00] für 100 % der Geschäftsanteile an der Gesellschaft.

Zu diesem Transaktionswert werden zum Tag des Übergangsstichtages folgende Aktiva hinzugerechnet:

+ Bankguthaben

+ sonstige Guthaben

+ aktive latente Steuern

+ werthaltige Forderungen

Vom Transaktionswert abgezogen werden folgende Passiva:

- Bankverbindlichkeiten

- Gesellschafterdarlehen

- Rückstellungen

- Lieferverbindlichkeiten

- passive latente Steuern

Die auf dieser Basis anzustellende 'Net-Debt- Berechnung' ergibt den Kaufpreis ('Ausgangswert') für 100 % der Geschäftsanteile an der Gesellschaft.

[...]“

[10] Diese Formulierung wurde vom Zweitbeklagten gewählt und aus anderen Verträgen übernommen.

[11] Nachdem die Kauf‑ bzw Abtretungspreise in den Verträgen nicht ziffernmäßig bestimmt waren, wurde die Kaufpreisberechnung anschließend an die Unterfertigung der Verträge durch einen Steuerberater durchgeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt war den Parteien nicht klar, dass die Bestimmungen über die Kaufpreisberechnung unklar formuliert waren.

[12] Die Klägerin legte entsprechend der Kostentragungsvereinbarung der Parteien (50 % Verkäufer, 50 % Käufer) eine Honorarnote gegenüber der Verkäuferseite einerseits und den (jeweiligen) Beklagten andererseits. Dem lag ein für die Klägerin angemessenes Gesamthonorar für die Solennisierung sämtlicher Verträge von pauschal 16.000 EUR netto zugrunde. Die Klägerin war jedoch nur für den Fall der prompten Bezahlung bereit, auf eine tarifmäßige Abrechnung zu verzichten. Der auf die Verkäuferseite entfallende Teil des Honorars wurde von dieser fristgerecht bezahlt. Die Beklagten bezahlten das Honorar nicht.

[13] Die Klägerin begehrt Zahlung von insgesamt 24.928,12 EUR an offenem Honorar für die Solennisierung von Abtretungsverträgen. Die Klagsforderung setze sich wie folgt zusammen:

a) gegen die Beklagten des führenden Verfahrens AZ 2 C 126/22z:

Anteile W* GmbH 6.073,36 EUR

Anteile F* GmbH 1.158,10 EUR

Anteile S* GmbH 1.610,66 EUR

Anteile W* I* GmbH 7.716,00 EUR

Gesamt 16.558,12 EUR

b) gegen die Beklagten des Verfahrens AZ 2 C 146/22s:

Anteile W* I* GmbH 3.306,86 EUR

c) gegen die Beklagten des Verfahrens AZ 2 C 214/22s:

Anteile S* P* GmbH 5.063,14 EUR

[14] Ihr stehe mangels fristgerechter Zahlung ein tarifmäßiges Honorar zu. Als Bemessungsgrundlage sei gemäß § 5 NTG jeweils die Hälfte des Transaktionswerts heranzuziehen. Ihr gebühre gemäß § 3 Abs 1 NTG ein Zuschlag von 100 %, weil die Tätigkeit aufgrund des hohen Transaktionsvolumens und des damit einhergehenden Haftungspotenzials von besonderer Schwierigkeit und Verantwortlichkeit gewesen sei. Weiters stehe ihr ein Zuschlag von 50 % gemäß § 3 Abs 2 NTG zu, weil sie ihre Tätigkeit nach 18:00 Uhr vorgenommen habe. Sie begehre aber ohnedies insgesamt nur einen Aufschlag von 100 % und berücksichtige auch den Abschlag nach § 4 Z 2 NTG. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe sie keine Pflichtverletzung zu verantworten, sodass die eingewendeten Gegenforderungen nicht zu Recht bestünden.

[15] Die Beklagten beantragen Klageabweisung. Die von der Klägerin in Rechnung gestellten Beträge seien überhöht und würden nicht dem NTG entsprechen. Die Klägerin habe außerdem ihre Prüf‑ und Belehrungspflichten gemäß § 54 iVm §§ 52, 53 NO verletzt. Deshalb sei die Leistung der Klägerin wertlos, sodass ihr einerseits kein Honorar zustehe und andererseits der aus der Pflichtverletzung resultierende Schaden als Gegenforderung eingewendet werde (127.609,84 EUR zu AZ 2 C 126/22z und 20.381,57 EUR zu AZ 2 C 214/22s).

[16] Das Erstgericht gab den Klagebegehren im Umfang von (gesamt) 22.427,40 EUR statt und wies ein Mehrbegehren von (gesamt) 2.500,72 EUR ab. Über die Gegenforderungen sprach es nur in der Begründung ab. Mangels Honorarvereinbarung würden die Beklagten das tarifmäßige Honorar schulden. Als Bemessungsgrundlage sei der tatsächlich bezahlte Kauf‑ bzw Abtretungspreis heranzuziehen. Der Klägerin stehe auch der Zuschlag gemäß § 3 Abs 2 NTG zu, weil das Rechtsgeschäft am Abend beurkundet worden sei. Darüber hinaus stehe ihr der Zuschlag gemäß § 3 Abs 1 NTG zu, weil es eine besondere Schwierigkeit sowie Verantwortlichkeit darstelle, dass der Notar beim Termin selbst noch mit Änderungen des Vertragstextes konfrontiert und von den Parteien in die Formulierung einbezogen worden sei. Es sei somit zunächst ein Zuschlag von 100 % abzüglich der zugestandenen Ermäßigung gemäß § 4 Z 2 NTG vorzunehmen. Von dem sich so ergebenden Betrag entfalle die Hälfte auf die jeweils Beklagten. Da die Klägerin zu AZ 2 C 214/22s nur einen Teil des auf die Käuferseite entfallenden Honorars geltend gemacht habe, könne ein rechnerisch darüber hinausgehender Betrag nicht zugesprochen werden. Die Gegenforderungen seien nicht berechtigt, weil der Notar gar nicht erkennen habe können, welche Verbindlichkeiten zwischen den beteiligten Gesellschaften bestehen würden. Nur in Kenntnis des Bestehens dieser sonstigen Verbindlichkeiten hätte dem Notar eine allfällige Unbestimmtheit bzw Widersprüchlichkeit der Bestimmung auffallen können.

[17] Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Beklagten wegen Nichtigkeit und gab ihr im Übrigen Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die verbundenen Rechtssachen zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts sei der Transaktionswert als Bemessungsgrundlage heranzuziehen. Außerdem stünde der Klägerin kein Zuschlag nach § 3 Abs 1 NTG zu, weil sich aus den Feststellungen keine arbeitserschwerenden Faktoren ergäben. Dass der Termin außerhalb der Kernarbeitszeit und bis in die Nacht hinein stattgefunden habe, werde ohnedies mit dem Zuschlag nach § 3 Abs 2 NTG abgegolten. Ein Verstoß gegen die in § 52 NO verankerte allgemeine Belehrungspflicht über das Rechtsgeschäft sei angesichts der anwaltlichen Vertretung der Parteien sowie der Eigenschaft des Zweitbeklagten als Rechtsanwalt nicht zu erkennen. Im Raum stehe aber ein Verstoß gegen § 53 NO im Hinblick auf die in den Abtretungsverträgen enthaltene Kaufpreisberechnungsformel. Dazu seien aber die erstgerichtlichen Feststellungen unzureichend, weil nicht beurteilt werden könne, ob die Kenntnisse und der Wissensstand eines Notars so weit reichen müssten, eine Abweichung von der „Net-Debt-Berechnungsmethode“ zu erkennen. Deshalb sei auch das Nachholen der unterbliebenen Entscheidung über die Gegenforderung nicht möglich.

[18] Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil keine Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob bei tarifmäßiger Abrechnung der Solennisierung von Abtretungsverträgen der Transaktionswert als Bemessungsgrundlage nach § 5 Abs 1 NTG heranzuziehen sei.

[19] Gegen diese Entscheidung richten sich die Rekurse beider Streitteile mit dem Antrag auf Entscheidung in der Sache selbst; hilfsweise werden jeweils Aufhebungsanträge gestellt.

[20] Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagestattgebung abzuändern, hilfsweise die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils. Die Beklagten beantragen in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[21] Der Rekurs der Klägerin ist teilweise unzulässig; im Übrigen ist er zulässig und nicht berechtigt. Der Rekurs der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

I. Zurückweisung

[22] 1. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen, andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (RS0053096). Bei der Prüfung der Frage, ob die geltend gemachten Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen, ist vom Vorbringen des Klägers auszugehen (RS0042741; RS0106759).

[23] 2. Die Klägerin bringt in der Klage des führenden Verfahrens vor, dass ihre Honorarforderungen gegen die Beklagten in keinem rechtlichen oder inhaltlichen Zusammenhang stehen. Die in den verbundenen Verfahren geltend gemachten Honorarforderungen sind selbstredend nicht zusammenzurechnen.

[24] 3. Der Rekurs der Klägerin ist daher in Ansehung der Klagsforderungen von 1.158,10 EUR, 1.610,66 EUR (AZ 2 C 126/22z) und 3.306,86 EUR (AZ 2 C 146/22s) zurückzuweisen. Die Beklagten haben in ihrem Rekurs die Anfechtung zutreffend auf jene Honorarforderungen beschränkt, die 5.000 EUR überschreiten.

II. Hauptsache

1. Zum Honoraranspruch der Klägerin

[25] 1.1. Im Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof ist nicht strittig, dass die Beklagten tarifmäßiges Honorar schulden.

[26] 1.2. § 5 NTG lautet unter der Überschrift „Bemessung der Wertgebühr“ wie folgt:

„§ 5. (1) Die Gebühr wird, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach dem Wert des Gegenstandes, auf den sich die Tätigkeit bezieht, ohne Abzug von Schulden, Barauslagen und Gebühren bemessen.“

[27] Der „Gegenstand“ eines Kaufvertrags über GmbH‑Geschäftsanteile ist der jeweilige Geschäftsanteil. Der Wert dieses Geschäftsanteils bildet daher die Bemessungsgrundlage für die Gebühr gemäß § 5 Abs 1 NTG (ohne Abzug von Schulden, Barauslagen und Gebühren). Dabei ist es unerheblich, ob der Wert des Geschäftsanteils im Kauf‑ und Abtretungsvertrag mit einem konkreten Preis festgelegt ist oder ob dieser Preis nach einer vereinbarten Formel zu ermitteln ist, reicht es doch auch für das wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags aus, dass der Kaufpreis bestimmbar ist (vgl § 1054 ABGB, Welser/Zöchling‑Jud, Grundriss II14 Rz 746). Das rechnerische Ergebnis der in den Verträgen enthaltenen Kaufpreisformel ist somit die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Gebühr. Der Transaktionswert als bloßer Ausgangswert für die Berechnung kann demgegenüber schon per se nicht der „Wert des Gegenstands“ im Sinn von § 5 Abs 1 NTG sein. Wenn § 5 Abs 1 NTG davon spricht, dass vom Wert des Gegenstands keine Schulden, Barauslagen und Gebühren abzuziehen sind, bedeutet dies nur, dass etwa Schulden, die auf einem GmbH‑Geschäftsanteil lasten, nicht abzuziehen sind, was hier nicht einmal behauptet wird.

[28] Die von den Parteien im Nachhinein einvernehmlich festgelegten Kaufpreise können entgegen der Ansicht des Erstgerichts nicht als Bemessungsgrundlage herangezogen werden, weil es sich dabei um eine vergleichsweise Bereinigung des Streits um die Ermittlung des Werts der Geschäftsanteile handelt, die das tarifmäßige Honorar des Notars nicht beeinflussen können. Vielmehr wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren die Werte der jeweiligen Geschäftsanteile entsprechend der in den Verträgen enthaltenen Formel mittels eines Gutachtens zu ermitteln (sofern die Werte nicht außer Streit gestellt werden) und diese als Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der Gebühr heranzuziehen haben.

[29] 1.3. § 3 Abs 1 NTG gewährt einem Notar Anspruch auf eine Wertgebühr in einem entsprechend höheren als dem tarifmäßigen Ausmaß für eine Tätigkeit, die von ungewöhnlichem Umfang, besonderer Schwierigkeit, Verantwortlichkeit oder mit besonderem Zeitaufwand verbunden ist.

[30] Der in der Bestimmung genannte „ungewöhnliche Umfang“ bezieht sich nicht auf den Wert des Gegenstands, sondern auf die Weitläufigkeit der Tätigkeit, etwa langwierige Verhandlungen mit den Parteien, Klärung undurchsichtiger Rechtsverhältnisse, Umarbeitung der Urkunde, ungewöhnlich viele Nebenvereinbarungen in der Urkunde, Vielzahl von Vertragsparteien, nachfolgende Schließung durch mehrere Vertragsparteien und dergleichen (RS0070800). Eine „besondere Schwierigkeit“ oder „Verantwortlichkeit“ ist etwa dann gegeben, wenn eine unklare Rechtslage besteht, ausländisches Recht angewendet werden muss oder der Notar besondere Pflichten übernimmt. Zudem führen die Materialien an, dass die besondere Dringlichkeit einer Tätigkeit, die auf Ersuchen der Parteien sofort und unter Zurückstellung anderer Tätigkeiten getan werden muss, zu besonderer Verantwortlichkeit und zu besonderem Zeitaufwand führen kann (RV 848 BlgNR 13. GP  9).

[31] Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, dass sich aus den getroffenen Feststellungen kein Zuschlag nach § 3 Abs 1 NTG für die Klägerin ableiten lässt. Die Solennisierung von Abtretungsverträgen, die die Prüfung der Firmenbuchauszüge und der Berechtigung der Anteilsinhaber einschließt (vgl §§ 54 iVm 52 NO), gehört zu den Kerntätigkeiten des Notars. In der Einarbeitung einer (unkomplizierten) aufschiebenden Bedingung ist ebenfalls kein Erschwerungsfaktor im Sinn von § 3 Abs 1 NTG zu erblicken. Aus ihrem Vorbringen in erster Instanz oder dem Sachverhalt ergibt sich entgegen der Ansicht der Klägerin auch insbesondere nicht, dass sie andere Tätigkeiten zurückgestellt hätte, um die Solennisierungen rechtzeitig vornehmen zu können. Der Klägerin gebührt daher kein Zuschlag gemäß § 3 Abs 1 NTG.

[32] 1.4. Dass der Klägerin ein Zuschlag gemäß § 3 Abs 2 NTG in Höhe von 50 % zusteht und ein Abschlag gemäß § 4 Z 2 NTG vorzunehmen ist, ist nicht mehr strittig.

2. Zur behaupteten Pflichtverletzung der Klägerin

[33] 2.1. Die Beklagten sind der Ansicht, die Klägerin habe gegen die Pflichten gemäß §§ 52, 53 NO verstoßen, weshalb ihr kein Honorar zustehe und sie für den dadurch entstandenen Schaden zu haften habe.

[34] 2.2. Es trifft zu, dass der Notar kein Honorar begehren kann bzw seinen Honoraranspruch „verwirkt“, wenn seine Tätigkeit für den Mandanten „wertlos“ ist (vgl RS0116278; RS0038710). Davon zu unterscheiden sind aber die Folgen bei Verletzung einer Aufklärungspflicht. Eine unrichtige (unterbliebene) Beratung (Aufklärung) des Notars berechtigt nämlich nur zum Ersatz des verursachten Vertrauensschadens (vgl 7 Ob 164/18w; RS0022706 [T7]; RS0023549 [T28]). Wenn sich die Beklagten daher auf fehlende oder unzureichende Aufklärungen der Klägerin gemäß §§ 52, 53 NO stützen, ist das nur für die im Rahmen der Aufrechnungseinrede geltend gemachten Schadenersatzforderungen, nicht aber für die Höhe des Honorars relevant (vgl 10 Ob 25/22g).

[35] 2.3. Der Notar ist gemäß §§ 38 f NO zur sorgfältigen Führung seines Amtes verpflichtet. Er haftet für den Schaden, der durch eine Verletzung von Amtspflichten entsteht, persönlich. Die Verantwortlichkeit des Notars ist nach § 1299 ABGB zu beurteilen. Nach dieser Bestimmung hat der Notar für den Fleiß und die Kenntnisse, die seine Berufsgenossen gewöhnlich haben und nach den sie verpflichtenden berufsrechtlichen Vorschriften der Notariatsordnung auch haben sollen, einzustehen (9 Ob 30/07p mwN; 7 Ob 113/20y). Dabei dürfen die Anforderungen an seine Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden (RS0026584).

[36] 2.4. Wollen die an einer Urkunde Beteiligten oder einige derselben unter sich eine bereits errichtete Privaturkunde notariell bekräftigen oder will ein aus der Urkunde Verpflichteter seine Verpflichtung notariell bekräftigen, so ist hierüber ein Notariatsakt aufzunehmen (§ 54 NO).

[37] In dieser Bestimmung ist die notarielle Bekräftigung einer Privaturkunde geregelt, die die Errichtung eines gesonderten Notariatsakts ersetzt und als Solennisierung oder Mantelung bezeichnet wird (Dobler in Zib/Umfahrer § 54 NO Rz 1; Wagner/Knechtel, Notariatsordnung6 § 54 NO Rz 1).

[38] Gemäß § 54 Abs 1 NO kann „eine bereits errichtete Privaturkunde“ notariell bekräftigt werden. Dabei ist nach zutreffender Ansicht nicht nur die notarielle Bekräftigung einer bereits unterzeichneten Urkunde, sondern auch die gleichzeitige Unterfertigung von Privaturkunde und Mantelakt zulässig. Es folgt weder aus dem Wortlaut der Bestimmung noch aus dem systematischen Zusammenhang die Einschränkung, dass die Unterfertigung nicht unmittelbar vor Errichtung des Mantelakts erfolgen dürfte. Auch der Normzweck gebietet keine andere Auslegung, weil selbst bei gleichzeitiger Unterfertigung von Privaturkunde und Mantel weder die Prüfpflichten gemäß § 54 Abs 2 NO noch die Vorschriften gemäß § 54 Abs 3 NO in ihrem Inhalt gefährdet sind. Eine Änderung des Inhalts der Privaturkunde durch den Mantelakt ist hingegen nicht zulässig. Vielmehr müssen inhaltliche Änderungen bereits vor Errichtung des Notariatsakts auf der Privaturkunde selbst oder durch entsprechenden Nachtrag (ebenfalls in Form einer Privaturkunde) erfolgen (Dobler in Zib/Umfahrer § 54 NO Rz 20; Wagner/Knechtel, Notariatsordnung6 § 54 NO Rz 5; aM Wagner, Die Notarspflichten bei Solennisierung, NZ 1976, 129).

[39] 2.5. Gemäß § 54 Abs 2 NO muss die Privaturkunde dem Notar vorgelegt und von ihm (unter anderem) nach den §§ 52 und 53 NO geprüft werden. Diese Prüfpflicht erstreckt sich nicht bloß auf die Überprüfung der formellen Voraussetzungen zum Abschluss eines Notariatsakts, sondern ist als materiell‑rechtliche Belehrungspflicht zu verstehen (vgl 8 Ob 664/92; Dobler in Zib/Umfahrer § 54 NO Rz 27). Demgemäß hat der Notar (unter anderem) zu prüfen, obder Urkundeninhalt klar und bestimmt abgefasst ist (§ 52 NO) und keine dunklen oder zweideutigen Bestimmungen enthält, die Anlass zu Rechtsstreitigkeiten geben könnten (§ 53 NO). Der Notariatsakt gemäß § 54 NO muss somit samt der darin aufgenommenen Privaturkunde den Anforderungen gemäß §§ 52, 53 NO entsprechen (Dobler in Zib/Umfahrer § 54 NO Rz 18; Wagner/Knechtel, Notariatsordnung6 § 54 NO Rz 9).

[40] 2.6. Nach § 52 NO ist der Notar unter anderem verpflichtet, bei Aufnahme eines Notariatsakts die Parteien über den Sinn und die Folgen desselben zu belehren. Gemäß § 53 NO hater die Parteien über dunkle oder zweideutige Bestimmungen zu belehren, die Anlass zu Rechtsstreitigkeiten geben könnten, wobei sich Umfang und Reichweite dieser Belehrungspflicht (auch) nach § 52 NO richten (Dobler in Zib/Umfahrer § 53 NO Rz 12).

[41] Das Ausmaß der Belehrung gemäß § 52 NO richtet sich nach dem gegebenen Bildungs‑ und Intelligenzgrad, den offenbaren Kenntnissen der Parteien und einer allfälligen rechtskundigen Vertretung (RS0026419 [T15]). Keine Pflicht zur Belehrung besteht, wenn die Parteien darauf verzichten, weil sie schon (rechtskundigen) Rat eingeholt haben oder rechtskundig (zB Juristen) sind, oder wenn feststeht, dass sie zwecklos wäre (etwa bei unumstößlicher Voreingenommenheit, offensichtlicher „Sturheit“, völliger Uneinsichtigkeit) oder wenn die Parteien einen rechtlich unbedenklichen vollständigen Entwurf vorlegen und sich über Bedeutung und Folgen des Geschäfts im Klaren sind (2 Ob 44/22t = RS0026419 [T18]). Die Belehrungspflicht darf auch nicht als Prüfpflicht hinsichtlich der wirtschaftlichen Günstigkeit des abzuschließenden Rechtsgeschäfts missverstanden werden; die Beurteilung der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit ist daher nicht Aufgabe des Notars (vgl 5 Ob 41/01t; Dobler in Zib/Umfahrer § 52 NO Rz 26).

[42] 2.7.1. Im vorliegenden Fall war die Klägerin beauftragt, mehrere Kauf‑ und Abtretungsverträge betreffend GmbH‑Gesellschaftsanteile notariell zu bekräftigen.

[43] 2.7.2. Die Beklagten werfen der Klägerin vor, die in Punkt III. Abs 1 der Kauf‑ und Abtretungsverträge enthaltene Formulierung entspreche nicht der Net-Debt-Berechnung, weil insbesondere die dort angeführten Abzugsposten hinter jenen der Net-Debt-Berechnung zurückblieben. Der Notar hätte daher nachfragen müssen, ob die in Punkt III. Abs 1 der Kauf‑ und AbtretungsverträgeangeführtenAktiva und Passiva in Abweichung von der vereinbarten Net-Debt-Berechnungsmethode tatsächlich gewünscht seien, obwohl grundsätzlich vereinbart worden sei, dass die Kaufpreisberechnung nach dieser Formel erfolgen solle.

[44] Dem ist nicht zu folgen:

[45] 2.7.3. In Punkt III. Abs 1 der Kauf‑ und Abtretungsverträge ist festgehalten, dass die Kauf‑ bzw Abtretungspreise aufgrund einer in der Folge konkret angeführten Berechnungsformel ermittelt werden: Ausgehend von einem ziffernmäßig bestimmten Transaktionswert sind bestimmte konkret angeführte Aktiva zu addieren und bestimmte konkret angeführte Passiva abzuziehen. Im Anschluss daran wird festgehalten, dass die auf dieser Basis anzustellende „Net-Debt-Berechnung“ den Kaufpreis für 100 % der Geschäftsanteile an der Gesellschaft ergibt.

[46] Den Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass in der strittigen Vertragsbestimmung der Begriff „Net-Debt-Berechnung“ verwendet wird, allerdings wird entsprechend dem Einleitungssatz („wie folgt berechnet“) die Kaufpreisberechnungsformel in der Folge konkret festgelegt und am Schluss das Ergebnis der auf „dieser Basis“ anzustellenden „Net-Debt-Berechnung“ als maßgeblicher Wert normiert. Der Notar musste den Begriff „Net-Debt-Berechnung“ im vorliegenden Fall daher nicht hinterfragen, weil der Vertrag ohnehin eine konkrete sowie in sich schlüssige Berechnungsformel für den Kaufpreis vorsah und überdies beide Parteien durch Rechtsanwälte vertreten waren. Vom zweitbeklagten Rechtsanwalt, der zugleich Geschäftsführer der jeweiligen Erstbeklagten und an diesen unmittelbar oder mittelbar beteiligt war, stammen sogar die Formulierungen in Punkt III. Abs 1 der Kauf‑ und Abtretungsverträge. Diese wurden von ihm aus anderen Verträgen übernommen.

[47] Unter Zugrundelegung der (maßgeblichen) gewöhnlichen Kenntnisse eines Notars – einschlägige außergewöhnliche Kenntnisse sind nicht festgestellt, sondern lediglich, dass ihm bewusst war, dass es sich bei der Net-Debt-Berechnung um eine übliche Formel handelt – kann weder von einem unklaren und unbestimmten Urkundeninhalt oder von einer dunklen oder zweideutigen Bestimmung gesprochen werden. Es kann im Übrigen auch nicht jede Auslegungsbedürftigkeit einer Vertragsbestimmung zwingend zu einer Verletzung der §§ 52, 53 NO führen, würde dies doch gerade bei komplexen Vertragswerken eine Überspannung der Sorgfaltspflicht des Notars bedeuten.

[48] Der Sachverhalt ist auch nicht mit der im Rekurs mehrfach zitierten Entscheidung 8 Ob 664/92 vergleichbar, weil sich hier für den Notar aus der vorgegebenen klaren Darstellung des Vertragswillens keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des für die professionelle Erledigung des konkreten Geschäftsfalls erforderlichen Wissensstands des Auftraggebers ergaben.

[49] 2.8. Zusammengefasst ergibt sich daher schon auf Basis des festgestellten Sachverhalts, dass der Klägerin keine Verletzung der §§ 52, 53 NO (iVm § 54 Abs 2 NO) angelastet werden kann. Die vom Berufungsgericht auf Basis seiner unrichtigen Rechtsansicht geforderte Verfahrensergänzung ist daher nicht notwendig (vgl RS0042179 [T21]).

III. Ergebnis und Kostenentscheidung

[50] 1. Der Aufhebungs‑ und Zurückverweisungsbeschluss des Berufungsgerichts erweist sich dennoch im Ergebnis als zutreffend, weil – wie zu Punkt II.1.2. der Entscheidung dargelegt – eine Verfahrensergänzung zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Honorars der Klägerin notwendig ist. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass sich die bestätigte aufhebende Entscheidung des Berufungsgerichts nicht auf die in Rechtskraft erwachsene teilweise Klageabweisung des Erstgerichts bezog, wie dem Hinweis auf die Aufhebung des „angefochtenen Urteils“ ausreichend deutlich zu entnehmen ist.

[51] 2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte